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Antrag auf Beiziehung nicht bei Gerichtsakten befindlicher Rohmessdaten – rechtlichen Gehörs

KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 182/20 – Beschluss vom 22.09.2020

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 27. Februar 2020 wird gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Der Polizeipräsident in Berlin hat mit Bußgeldbescheid vom 18. Juli 2019 gegen den Betroffenen wegen fahrlässig begangener Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 47 km/h eine Geldbuße in Höhe von 225,00 € sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen. Auf seinen hiergegen gerichteten Einspruch hat das Amtsgericht Tiergarten den Betroffenen, der von seiner Erscheinungspflicht zur Hauptverhandlung entbunden und dort von seinem Verteidiger vertreten worden war, am 27. Februar 2020 wegen der zuvor genannten Verkehrsordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße von 200,00 € verurteilt, ihm für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen und eine Anordnung nach § 25a Abs. 2a StVG getroffen.

Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit Zuschrift vom 13. August 2020 beantragt, die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.

a) Die Rüge der fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ist bereits unzulässig, weil sie nicht in der nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erforderlichen Weise ausgeführt worden ist.

Danach ist eine Verfahrensrüge nur dann in zulässiger Weise erhoben, wenn der Beschwerdeführer die den Mangel enthaltenen Tatsachen angibt. Diese Angaben haben mit Bestimmtheit und so genau und vollständig (ohne Bezugnahmen und Verweisungen) zu erfolgen, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift ohne Rückgriff auf die Akten erschöpfend prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen – ihre Erweisbarkeit vorausgesetzt – zutreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2013 – 2 StR 34/13 –, juris; Senat, Beschlüsse vom 14. Februar 2020 – 3 Ws (B) 6/20 – und 5. Februar 2019 – 3 Ws (B) 3/19 –, juris). In zulässiger Form ist die Rüge der fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrages, die in der Sache eine Aufklärungsrüge ist (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 77 Rdn. 28), dem folgend nur erhoben, wenn die Rechtsbeschwerde neben dem Beweisantrag und dem ablehnenden Gerichtsbeschluss die Tatsache, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, und das Beweismittel bezeichnet, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen sollen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 14. Februar 2020 und 5. Februar 2019 jeweils a.a.O.). Außerdem ist für eine zulässige Aufklärungsrüge die konkrete und bestimmte Darlegung derjenigen Umstände und Vorgänge erforderlich, die für die Beurteilung der Frage, ob sich dem Gericht die vermisste Beweiserhebung aufdrängen musste, bedeutsam sein konnten (vgl. BGH NStZ 1999, 45) und welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre (vgl. Senat, Beschlüsse vom 14. Februar 2020 a.a.O. und 1. August 2019 – 3 Ws (B) 232/19 –, juris; KG, Beschluss vom 12. September 2018 – (2) 161 Ss 141/18 (40/18) – m.w.N.).

Diesen Anforderungen genügt die Rechtsmittelbegründung nicht. Zwar enthält die Rechtsbeschwerde Angaben dazu, inwieweit sich die Urteilsgründe zu dem abgelehnten Beweisantrag verhalten. Sie versäumt es jedoch, den Inhalt des gerichtlichen Beschlusses, mit dem das Tatgericht den Beweisantrag in der Hauptverhandlung abgelehnt hat, mitzuteilen. Darüber hinaus wird in der Rechtfertigungsschrift auch nicht – worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift zu Recht hinweist – hinreichend dargelegt, woraus sich die Notwendigkeit der Einblendung einer „Hilfslinie“ im Auswerterahmen des Messgerätes und der Verwendungszweck der im Fahrzeug der Messbeamtin befindlichen Wasserwaage ergeben sollen.

b) Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die behauptete Rechtsfehlerhaftigkeit der Ablehnung eines Beweisantrages scheitert ebenfalls an den Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß den §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, weil die Rechtsmittelschrift nicht den den Beweisantrag ablehnenden Gerichtsbeschluss mitteilt.

Unabhängig davon ist ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör bei der Ablehnung von Beweisanträgen nur dann gegeben, wenn eine solche ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung erfolgt und sich die Zurückweisung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken aufgrund besonderer Umstände als nicht mehr verständlich und daher willkürlich darstellt (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811; Senat, Beschlüsse vom 6. Juni 2019 – 3 Ws (B) 150/19 –, 2. April 2019 – 3 Ws (B) 97/19 –, 7. Dezember 2018 – 3 Ws (B) 306/18 –, 17. Januar 2017 – 3 Ws (B) 16/17 –, 22. Juni 2016 – 3 Ws (B) 320/16 – und 8. Juni 2010 – 3 Ws (B) 280/10 –; OLG Hamm VRS 114, 290; NZV 2006, 217).

Dass diese – außergewöhnlichen – Verfahrensvoraussetzungen hier vorliegen könnten, zeigt das in der Rechtsmittelschrift geschilderte Verfahrensgeschehen gleichfalls nicht auf.

Allein unter Heranziehung der in den Urteilsgründen niedergelegten Erwägungen zur Ablehnung des Beweisantrages ist dem Rügevorbringen nicht zu entnehmen, was die als rechtswidrig angegriffene Ablehnung der Beweisanträge über einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften – namentlich der Verletzung des Beweisantragsrechts – hinaushebt und ihr das besondere Gewicht der Versagung des rechtlichen Gehörs verleihen würde. Insbesondere bietet das wiedergegebene Verfahrensgeschehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass den Tatrichter sachfremde Erwägungen zu der Zurückweisung der Anträge bewogen haben könnten.

c) Auch seiner Rüge, dass das Amtsgericht unberechtigt dem Antrag auf Beiziehung eines Ausdrucks der mittels eines Tuff-Viewers erstellten Bilddatei und der sogenannten Rohmessdaten des Messgeräts nicht nachgekommen sei, bleibt dem Betroffenen der Erfolg versagt.

Bei dem Antrag auf Beiziehung dieser Unterlagen handelt es sich um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Ablehnung nur unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 Abs. 2 StPO) gerügt werden kann (vgl. Senat, Beschluss 10. Juni 2020 – 3 Ws (B) 124/20 –; OLG Brandenburg, Beschluss vom 2. Januar 2020 – (1 Z) 53 Ss-OWi 719/19 (406/19) –, BeckRS 2020, 162; BayObLG, Beschluss vom 9. Dezember 2019 – 202 ObOWi 1955/19 – m.w.N., juris; OLG Bamberg NStZ 2018, 724).

Als Aufklärungsrüge ist die Beanstandung in Ermangelung einer konkreten Tatsachenbehauptung jedoch unzulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2017 – 4 StR 614/16 –, juris).

d) Soweit der Betroffene darüber hinaus die Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend macht, weil das Amtsgericht seinen Antrag auf Beiziehung der vorgenannten Unterlagen abgelehnt habe, ist die Rüge schon deswegen unzulässig, weil das Recht auf einen „Gleichstand des Wissens“ und auf Zugang zu den jedenfalls den Betroffenen betreffenden Messunterlagen nicht Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist. Dieses Verfahrensgrundrecht verlangt, dass einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen zugrunde gelegt werden, zu denen der Betroffene Stellung nehmen konnte (vgl. BVerfGE 57, 250). Einen Anspruch auf Erweiterung der Gerichtsakten vermittelt Art. 103 Abs. 1 GG hingegen nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 13. März 2020 – 3 Ws (B) 16/20 –; StraFo 2018, 383; DAR 2017, 593).

2. Die auf die allgemeine Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils zeigt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf, der die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache gebietet.

a) Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die auf einer nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung beruhenden tatrichterlichen Feststellungen genügen den sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Urteilsgründe.

(1) Bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem hier verwendeten Messgerät PoliScan FM 1 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. Senat, Beschluss vom 13. März 2020 a.a.O.; OLG Brandenburg, Beschluss vom 20. November 2019 – (1 Z) 53 Ss-Owi 661/19 (381/19) –, BeckRS 2019, 30215), so dass sich das Tatgericht in seinen Feststellungen grundsätzlich auf die Mitteilung des verwendeten Messverfahrens, der gefahrenen Geschwindigkeit und der gewährten Toleranz beschränken kann. Dies gilt nur dann nicht, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Gebrauchsanweisung für das Messgerät nicht eingehalten worden ist, oder sonstige Fehlerquellen konkret behauptet werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 18. August 2020 – 3 Ws (B) 152/20 –, 6. März 2019 – 3 Ws (B) 47/19 –, juris; 4. Juli 2017 – 3 Ws (B) 134/17 – und 25. Januar 2017 – 3 Ws (B) 680/16 – m.w.N.).

Diesen Maßstäben entsprechend sind den Urteilsgründen das eingesetzte Messverfahren und die durch den Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit von 100 km/h abzüglich der gewährten Toleranz in Höhe von 3 km/h – hier 97 km/h statt der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h – zu entnehmen.

Die Angaben zum Messverfahren und zum Toleranzwert bilden vor dem Hintergrund des Einsatzes eines standardisierten Messverfahrens die Grundlage einer ausreichenden, nachvollziehbaren Beweiswürdigung (BGH NStZ 1993, 592).

Anhaltspunkte für Messfehler oder andere Abweichungen liegen nicht vor. Ausweislich der Gründe des angefochtenen Urteils hat das Amtsgericht vielmehr ausdrücklich festgestellt, dass die Messung mit einem gültig geeichten Gerät der Bedienungsanleitung entsprechend vorgenommen worden ist. Dabei hat sich das Gericht rechtsfehlerfrei insbesondere auf die Aussage der Zeugin K. gestützt, die die Messung durchgeführt und in diesem Zusammenhang nach den Urteilsfeststellungen angegeben hat, den Aufbau der Anlage streng nach den Vorgaben der Bedienungsanleitung durchgeführt zu haben.

b) Der Rechtsfolgenausspruch ist nicht zu beanstanden.

Die Bemessung der Rechtsfolgen liegt grundsätzlich im Ermessen des Tatgerichts, so dass sich die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht darauf beschränkt, ob dieses von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat (vgl. Senat, Beschluss vom 12. März 2019 – 3 Ws (B) 53/19 –, juris m.w.N.). Hier weisen weder die Festsetzung einer Geldbuße in Höhe von 200,00 € noch die Anordnung des einmonatigen Regelfahrverbots einen Rechtsfehler zu Lasten des Betroffenen auf.

(1) Bei der Bemessung der Geldbuße hat sich das Amtsgericht erkennbar am Regelsatz von 200,00 € der hier einschlägigen Nr. 11.3.7 des Anhangs (Tabelle 1) zur laufenden Nr. 11 der Anlage (BKat) zu § 1 Abs. 1 BKatV orientiert.

(2) Die Verhängung des einmonatigen Fahrverbots begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Denn der Gesetzgeber sieht für innerorts begangene Geschwindigkeitsüberschreitungen von 47 km/h nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV in Verbindung mit Nr. 11.3.7 des Anhangs (Tabelle 1) zur laufenden Nr. 11 der Anlage (BKat) zu § 1 Abs. 1 BKatV regelmäßig die Anordnung eines einmonatigen Fahrverbots neben der Verhängung einer Geldbuße vor.

Das Amtsgericht hat rechtsfehlerfrei keinen Grund angenommen, von dem Fahrverbot ausnahmsweise abzusehen.

Von der Anordnung eines Fahrverbots kann abgesehen werden, wenn der Sachverhalt so erheblich vom Regelfall abweicht und deswegen Ausnahmecharakter besitzt, dass die Verhängung der regelhaften Sanktionen der BKatV eine unangemessene Härte darstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 12. März 2019 a.a.O. m.w.N.). Auf ein Fahrverbot kann somit im Ausnahmefall insbesondere dann verzichtet werden, wenn dem Betroffenen in Folge des Fahrverbots Arbeitsplatz- und oder sonstiger wirtschaftlicher Existenzverlust droht und diese Konsequenz nicht durch zumutbare Vorkehrungen abgewendet oder vermieden werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 25. März 2015 – 3 Ws (B) 19/15 -, juris m.w.N.). Dass die Anordnung des Fahrverbots für den Betroffenen eine solche ganz außergewöhnliche Härte darstellen würde, die er auch nicht durch ihm zumutbare Maßnahmen abfedern kann (vgl. Senat NJW 2016, 1110 m.w.N.), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dies gilt umso mehr, weil es dem Betroffenen durch die Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG erleichtert wurde, die Zeit des Fahrverbots etwa durch eine hieran angepasste Urlaubsplanung zu überbrücken.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

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