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Anspruch des Betroffenen auf Zurverfügungstellung der Messdaten im Rahmen der Akteneinsicht

LG Kaiserslautern – Az.: 5 Qs 51/19 – Beschluss vom 22.05.2019

1. Auf die Beschwerde des Betroffenen wird die Entscheidung des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 15.05.2019 aufgehoben und das Polizeipräsidium Rheinpfalz, Zentrale Bußgeldstelle, angewiesen, der Verteidigerin die digitalen Falldatensätze der gesamten tatgegenständlichen Messreihe mit Statistikdatei und Case-List auf einem von ihr bereitgestellten Speichermedium zur Verfügung zu stellen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Durch Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 18.12.2018 wurde gegen den Betroffenen unter dem Az. 500.06093287.8 eine Geldbuße in Höhe von 70,00 € wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 17 km/h verhängt. Die Geschwindigkeitsmessung wurde mit dem Messsystem PoliScan Speed FM 1 Softwareversion 4.4.5 durchgeführt. Gegen den ihm am 22.12.2019 zugestellten Bescheid legte der Betroffene über seine Verteidigerin am 02.01.2019 Einspruch ein. Am 14.01.2019 beantragte die Verteidigerin eine gerichtliche Entscheidung dahingehend, die Verwaltungsbehörde anzuweisen, der Verteidigung die Falldatensätze der gesamten tatgegenständlichen Messreihe mit Rohmessdaten/Einzelmesswerten sowie die Statistikdatei und die Case List, sämtliche vorhandenen Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichunterlagen des Messgerätes seit der ersten Inbetriebnahme, die Konformitätsbescheinigung zum Messgerät, Aufbau- bzw. Einbauanweisung der Firma V. für das Messgerät PoliScan FM1 bei Verwendung in einem Trailer sowie die verkehrsrechtliche Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung zur Verfügung zu stellen. Mit Beschluss vom 25.01.2019 lehnte das Amtsgericht Kaiserslautern (Az.: 5 OWi 269/19) den Antrag auf Überlassung der Unterlagen bzw. Daten ab. Zur Begründung führte es aus, dass die begehrten Daten nicht Teil der Verfahrensakte seien und auch das Gebot des fairen Verfahrens oder der Anspruch auf rechtliches Gehör geböten eine Beiziehung nicht. Vielmehr stünden datenschutzrechtliche Erwägungen einer Überlassung entgegen.

Nach Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Kaiserslautern und Terminbestimmung zur Hauptverhandlung beantragte die Verteidigerin für den Betroffenen mit Schreiben vom 13.05.2019 erneut die Zurverfügungstellung der Falldatensätze der gesamten tatgegenständlichen Messreihe mit Rohmessdaten/Einzelmesswerten sowie der Statistikdatei und der Case List, sämtlicher vorhandener Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichunterlagen des Messgerätes seit der ersten Inbetriebnahme, der Konformitätsbescheinigung zum Messgerät, Aufbau- bzw. Einbauanweisung der Firma V. für das Messgerät PoliScan FM1 bei Verwendung in einem Trailer sowie der verkehrsrechtlichen Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung. Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, die genannten Unterlagen würden benötigt, um mögliche Messfehler oder Unregelmäßigkeiten auffinden zu können und zu diesen vortragen zu können. Aus der Analyse der Messreihe könne sich ergeben, dass auch andere Messungen am Tattag fehlerhaft seien oder technisch nicht nachvollzogen werden könnten, was auch Rückschlüsse auf die tatgegenständliche Messung zulasse, gerade auch im Hinblick auf das Erfordernis des standardisierten Messverfahrens.

So könne z.B. nur anhand der gesamten Messserie nachvollzogen werden, ob und wie sehr das verwendete Messgerät von den Vorgaben der Bauartzulassung abweiche und ob die Abweichung der vom Messgerät gelieferten Ergebnisse zu den aus den Rohmessdaten errechneten Geschwindigkeitswerten jenseits der Verkehrsfehlergrenze liege. Auch die Annullierungsrate des Geräts, die auf einen fehlerhaften Aufbau des Messgerätes oder einen Gerätedefekt hindeuten könne, könne nur mit den vorhandenen Unterlagen ermittelt werden. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen wird auf den Schriftsatz vom 13.05.2019 und 14.01.2019 Bezug genommen.

Mit Verfügung vom 15.05.2019 teilte das Amtsgericht Kaiserslautern – Bußgeldrichter – formlos mit, dass die im Schriftsatz vom 13.05.2019 bezeichneten Unterlagen dem Gericht nicht vorlägen und das Gericht keinen Anlass sehe, diese beizuziehen.

Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene über seine Verteidigerin mit Schriftsatz vom 18.05.2019 Beschwerde eingelegt und beantragt, der Verteidigung die digitalen Falldatensätze der gesamten Messreihe mit Statistikdatei und Case List zur Verfügung zu stellen. Zur Begründung führte sie u.a. aus, dass die Weigerung der Herausgabe bzw. Zurverfügungstellung den Grundsatz des fairen Verfahrens missachte. Datenschutzrechtliche Erwägungen stünden ebenfalls nicht entgegen. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen wird auf den Beschwerdeschriftsatz vom 18.05.2019 Bezug genommen.

Das Amtsgericht Kaiserslautern – Bußgeldrichter – hat der Beschwerde mit Entscheidung vom 20.05.2019 nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet.

1.

Die Beschwerde ist zulässig. Dass das Amtsgericht Kaiserslautern über den Antrag nicht durch Beschluss entschieden, sondern seine Ablehnung durch eine formlose Mitteilung bekanntgegeben hat, steht der Möglichkeit zur Einlegung einer Beschwerde nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 304ff. StPO nicht entgegen (vgl. LG Hanau, ZfSch 2019, 234 mwN).

Der Zulässigkeit der Beschwerde steht auch § 305 S. 1 StPO, wonach Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen nicht der Beschwerde unterliegen, nicht entgegen. Der Beschwerdeausschluss in § 305 S. 1 StPO ist vorliegend nicht einschlägig. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es Verfahrensverzögerungen zu verhindern, die eintreten würden, wenn Entscheidungen der erkennenden Gerichte sowohl auf eine Beschwerde, als auch auf ein Rechtsmittel gegen das Urteil überprüft werden müssten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 305 Rn. 1). Dementsprechend greift der Ausschluss nur wenn das Urteil anfechtbar ist und für Entscheidungen, die in innerem Zusammenhang mit der Urteilsfällung stehen, ausschließlich ihrer Vorbereitung dienen, bei der Urteilsfällung selbst der nochmaligen Prüfung des Gerichts unterliegen und keine weiteren Verfahrenswirkungen äußern (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StGB, 62. Aufl., § 305 Rn 1 mwN; OLG Saarbrücken, Beschluss v. 21.05.2015 – 1 Ws 80/15, BeckRS 2015, 11166). Anfechtbar mit der Beschwerde sind hingegen Entscheidungen, bei denen die Beschwer des Betroffenen durch Anfechtung des Urteils nicht mehr beseitigt werden kann, wobei die Aufzählung in § 305 S. 2 StPO insoweit nicht abschließend ist (KK-StPO/Zabeck, StPO, 8. Aufl., § 305 Rn. 12).

Ob die Nichtherausgabe von Messdaten, Lebensakte und ähnlichem nach Verurteilung des Betroffenen in einem Rechtsbeschwerdeverfahren überprüft werden kann, ist umstritten und wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt (bejahend: OLG Celle, BeckRS 2016, 20705; OLG Oldenburg BeckRS 2015, 12484; verneinend: OLG Bamberg, BeckRS 2016, 06531; OLG Frankfurt, Beschluss vom 26. August 2016 – 2 Ss-OWi 589/16; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 25. Oktober 2017 – Ss Rs 17/2017 (30/17 OWi)). Es besteht daher das Risiko, dass der Betroffene keine Möglichkeit hat, mit der Rechtsbeschwerde die Nichtherausgabe der Messdaten und anderer Daten zu rügen. Zur Vermeidung eines später nicht mehr zu beseitigenden rechtswidrigen Zustands ist dem Betroffenen daher die Überprüfung im Wege des Beschwerdeverfahrens zu ermöglichen, zumal es sich bei dem Antrag auf Herausgabe der Messdaten etc. nicht um einen – nicht der Beschwerde zugänglichen – Beweisantrag handelt, sondern um einen Antrag auf Akteneinsicht. Die Entscheidung über die Akteneinsicht steht insoweit nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem späteren Urteil. Ihre Rechtmäßigkeit wird nämlich weder bei der Urteilsfällung überprüft, noch wäre eine zuvor getroffene Entscheidung gegebenenfalls rückwirkend korrigierbar (vgl. LG Trier, Beschluss vom 14. September 2017 – 1 Qs 46/17 mwN).

2.

Die Beschwerde ist auch begründet. Dem Betroffenen steht nach Auffassung der Kammer ein Anspruch auf Zurverfügungstellung der Messdaten zu und zwar auch wenn sie nicht Bestandteil der Akte sind. Dies folgt aus den verfassungsrechtlich verankerten Grundsätzen rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens (vgl. Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Beschluss vom 27. April 2018 – Lv 1/18, OLG Celle, BeckRS 2016, 20705; OLG Oldenburg BeckRS 2015, 12484; KG Berlin, Beschluss vom 07. Januar 2013 – 3 Ws (B) 596/12; OLG Karlsruhe, Beschluss vorn 12. Januar 2018 – 2 Rb 8 Ss 839/17 -, Rn. 13; LG Trier, Beschluss vom 14. September 2017 – 1 Qs 46/17; LG Hanau, ZfSch 2019, 234). Die Gegenauffassung (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 1 OWi 6 SsBs 19/18; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 25. Oktober 2017 – Ss Rs 17/2017 (30/17 OWi); OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Juli 2015 – IV-2 RBs 63/15; OLG Bamberg, BeckRS 2016, 06531; OLG Frankfurt, Beschluss vom 26. August 2016 – 2 Ss-OWi 589/16), welche einen Anspruch auf Beiziehung und Überlassung der digitalen Daten einer Messreihe ablehnt, vermag nicht zu überzeugen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens und das hieraus folgende Gebot der Waffengleichheit erfordern, dass sowohl die Verfolgungsbehörde wie auch die Verteidigung in gleicher Weise Teilnahme-, Informations- und Äußerungsrechte wahrnehmen kann, um so Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (BVerfGE 38, 111 BVerfGE 133, 168). Der Grundsatz rechtlichen Gehörs soll gewährleisten, dass jeder Einzelne sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten behaupten kann (BVerfGE 60, 310). Davon ausgehend ist nach Auffassung der Kammer eine Zurverfügungstellung der Falldatensätze der tatgegenständlichen Messreihe angezeigt. Bei dem Geschwindigkeitsmessverfahren mittels des Messgeräts PoliScan Speed FM 1 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27. Januar 2017 – 1 OWi 1 Ss Bs 53/16). Der Betroffene muss daher, wenn er die Richtigkeit der Messung angreifen will, im jeweiligen Verfahren konkrete Anhaltspunkte darlegen, die für eine Unrichtigkeit der Messung sprechen. Eine pauschale Behauptung, mit der die Richtigkeit der Messung angezweifelt wird, genügt nicht. Ein solcher dezidierter Vortrag ist dem Betroffenen jedoch nur dann möglich, wenn er – bzw. sein Verteidiger – auch Zugang zu den entsprechenden gesamten Messunterlagen des jeweiligen Messsystems hat und diese gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen überprüfen kann. Die Verwaltungsbehörde hat dem Betroffenen daher bereits vor Erlass des Bußgeldbescheides Zugang zu Informationen zu gewähren, die für seine Verteidigung von Bedeutung sein können.

Auch datenschutzrechtliche Bedenken stehen der Zurverfügungstellung der Falldatensätze nach Auffassung der Kammer nicht entgegen. Zwar sind bei Zurverfügungstellung der gesamten Messreihe auch die Persönlichkeitsrechte anderer Verkehrsteilnehmer betroffen. Dieser Eingriff ist jedoch hinzunehmen. Der Anspruch auf ein faires Verfahren ist insoweit höherrangig, zumal es sich um einen relativ geringfügigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Dritter handelt (vgl. LG Trier, Beschluss vom 14. September 2017 – 1 Qs 46/17). Mit der Zurverfügungstellung der gesamten Messserie werden zwar Foto und Kennzeichen übermittelt, nicht aber die Fahrer- oder Halteranschrift. Zudem besteht bei der Übermittlung an den Verteidiger als Organ der Rechtspflege grundsätzlich auch keine Gefahr der Weitergabe der Daten an Dritte (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 11.01.2017, Az. 1 Ws 348/16).

Der Anspruch des Betroffenen auf Überlassung von Daten bzw. Unterlagen umfasst auch die Case-List und der Statistikdatei. Denn diese können Rückschlüsse zur Qualität der Ausrichtung des Sensors und einhergehend zur Annullierungsrate des konkreten Messeinsatzes liefern. Gleichzeitig werden alle Messungen des Messeinsatzes in verschiedenen Geschwindigkeitsbereichen erfasst und die gültigen Messungen angezeigt. Der wesentliche Bestandteil besteht darin festzustellen, ob tatsächlich alle Messfotos zur Auswertung vorgelegen haben oder zwischenzeitig einzelne Messfotos gelöscht wurden. Nur wenn alle Messdateien der kompletten Messserie zur Auswertung vorliegen, kann die Messbeständigkeit des Messgerätes bzw. der Messanlage und damit die Gültigkeit der Eichung nachgewiesen werden. Bereits hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, dass die Statistikdatei einhergehend mit der kompletten Messserie überprüft werden muss, damit eine klare Aussage zu Messbeständigkeit oder zu Defekten eines Messgerätes bzw. einer Messanlage getroffen werden kann (vgl. LG Trier, Beschluss vom 14. September 2017 – 1 Qs 46/17.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 467 Abs. 1 StPO analog, 46 Abs. 1 OWiG.

 

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