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Fahrerlaubnisentziehung – Nichtvorlage Gutachten

Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung

VG München – Az.: M 26 S 18.234 – Beschluss vom 19.04.2018

I. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 15. Januar 2018 gegen den Bescheid vom 31. August 2017 wird bezüglich seiner Ziffern 1. und 2. wiederhergestellt. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller seinen Führerschein unverzüglich wieder auszuhändigen oder ihm ein Ersatzdokument auszustellen.

II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf EUR 7.500,- festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Am … Dezember 2015 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Verlängerung seiner Fahrerlaubnis der Klassen C und CE sowie den Umtausch seines deutschen in einen EU-Führerschein. Mit Schreiben vom selben Tag forderte ihn die Antragsgegnerin zur Vorlage eines ärztlichen und augenärztlichen Gutachtens auf.

Am … Juni 2016 gab der Antragsteller laut eines Aktenvermerks der Antragsgegnerin bei einer persönlichen Vorsprache mehrfach an, er könne aufgrund eines Herzinfarktes und der daraus resultierenden Einschränkungen momentan keine positiven ärztlichen Atteste vorlegen. Dem Aktenvermerk ist weiter zu entnehmen, dass „eine Behinderung/Eingeschränktheit […] Herrn A… deutlich anzumerken [war] (reagierte langsam, bewegte sich langsam)“. Der Antragsteller „wirkte während des gesamten Gesprächs träge und eingeschränkt“.

Mit Gutachtensanordnung vom … März 2017 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, binnen drei Monaten ein fachärztliches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zur Feststellung von Art und Umfang möglicher gesundheitlicher Einschränkungen vorzulegen.

Die Gutachtensanordnung enthielt bezüglich einer möglichen Herzerkrankung des Antragstellers die Fragestellung:

„Liegt bei der zu begutachtenden Person eine Herz- und /oder Gefäßerkrankung oder Beeinträchtigung vor, die nach Nr. 4 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stellt? Ist die zu begutachtende Person in der Lage den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 gerecht zu werden?

Sind Nachuntersuchungen bzw. ist eine Nachuntersuchung erforderlich? Wenn ja, aus welchen Gründen und in welchen zeitlichen Abständen?“

Hinsichtlich der Bewegungsbehinderungen lautete die Fragestellung:

„Liegt bei der zu begutachtenden Person eine Bewegungsbehinderung oder Beeinträchtigung vor, die nach Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stellt? Ist die zu begutachtende Person in der Lage den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 gerecht zu werden?

Sind Nachuntersuchungen bzw. ist eine Nachuntersuchung erforderlich? Wenn ja, aus welchen Gründen und in welchen zeitlichen Abständen?“

Als Anlass für diese Fragestellung wurde die deutliche Feststellung einer Behinderung oder Beweglichkeitseinschränkung bei der persönlichen Vorsprache vom … Juni 2016 angeführt.

Nachdem der Antragsteller kein Gutachten vorlegte, entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller nach Anhörung mit Bescheid vom 31. August 2017 die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids), forderte den Antragsteller auf, den Führerschein spätestens innerhalb einer Woche ab Zustellung des Bescheids abzuliefern (Nr. 2) und drohte für den Fall der Nichtbefolgung dieser Ablieferungspflicht ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,– EUR an (Nr. 3). Unter Nr. 4 ordnete sie die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids an. Unter Nr. 5 versagte die Antragstellerin die beantragte Verlängerung der Erlaubnis für die Klassen C und CE; Nrn. 6 und 7 enthalten die Kostenentscheidungen.

Zur Begründung verwies sie auf die Notwendigkeit der ärztlichen Aufklärung der Herzerkrankung und der Bewegungsbehinderung.

Auf den Widerspruch des Antragstellers erging ein Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 13. Dezember 2017, zugestellt am 15. Dezember 2017, mit dem der Widerspruch zurückgewiesen wurde.

Mit Schriftsatz vom … Januar 2018, eingegangen per Fax beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tag, ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten gegen diesen Bescheid Klage erheben und beantragte, die sofortige Vollziehung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 31. August 2017 in Form des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 13. Dezember 2017 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen; der Antragsgegnerin aufzugeben, den vom Antragsteller an sie ausgehändigten Führerschein unverzüglich wieder an diesen herauszugeben oder für den Fall der Unbrauchbarmachung einen neuen Führerschein auszustellen.

Der Führerschein wurde inzwischen abgegeben.

Die Antragsgegnerin legte die Akten vor und beantragte Antragsabweisung.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten und zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die von der Antragsgegnerin vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat Erfolg.

1. Der Antrag ist dahingehend auszulegen (§§ 88, 122 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung –VwGO-), dass er sich nicht auf die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids bezieht. Der Antragsteller hat seinen Führerschein bereits abgegeben, sodass die Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheids erfüllt ist. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Fahrerlaubnisbehörde das in Nr. 4 des Bescheids angedrohte Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG – gleichwohl noch beitreiben wird. Einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hinsichtlich der Nr. 3 des Bescheids würde es am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlen (BayVGH, B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris).

Auf die begehrte Erlaubnis zur Erteilung einer Fahrerlaubnis für die Klassen C und CE erstreckt sich der Eilrechtsschutzantrag mangels hinreichender Anhaltspunkte für eine solche Auslegung ebenfalls nicht.

Der so verstandene Antrag ist zulässig und begründet.

2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Fahrerlaubnisentzugs genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Die Antragsgegnerin hat unter Beachtung der Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich in ausreichender Form begründet.

3. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Falle des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei der Entscheidung über den Antrag hat das Gericht eine eigenständige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Hierbei ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen.

Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entziehung der Fahrerlaubnis ist die die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier also der Zeitpunkt des Erlasses bzw. der Zustellung des Widerspruchsbescheides am 15. Dezember 2017.

4. Diesen Grundsätzen folgend ist die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen, weil der streitgegenständliche Bescheid insoweit nach derzeitiger Sach- und Rechtslage voraussichtlich rechtswidrig ist und den Antragsteller daher in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin durfte aus der Nichtvorlage des geforderten Gutachtens nicht gemäß §§ 46 Abs. 3, 11 Abs. 8 FeV auf seine Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet oder nur bedingt geeignet ist, so finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat dann unter den dort genannten Voraussetzungen weitere Aufklärung, insbesondere durch die Anordnung der Vorlage ärztlicher oder medizinisch-psychologischer Gutachten, zu betreiben (§ 3 Abs. 1 Satz 3 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Ein Schluss auf die Nichteignung ist jedoch nur zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 9.6.2005 – 3 C 25.04 – NJW 2005, 3081).

An die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung sind dabei grundsätzlich strenge Maßstäbe anzulegen, weil der Antragsteller sie mangels Verwaltungsaktqualität nicht direkt anfechten kann. Er trägt das Risiko, dass ihm gegebenenfalls die Fahrerlaubnis bei einer Weigerung deswegen entzogen wird. Der Gutachter ist an die Gutachtensanordnung und die dort formulierte Fragestellung gebunden (§ 11 Abs. 5 i.V.m. Nr. 1 Buchst. a Satz 2 der Anlage 4a zur FeV). Es ist gemäß § 11 Abs. 6 FeV Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen selbst klar festzulegen.

Gemessen an diesen Maßstäben ist die Gutachtensaufforderung der Antragsgegnerin vom … April 2017 bei summarischer Prüfung rechtswidrig, weil es keinen hinreichenden Anlass gab, dem Antragsteller Bewegungsbehinderungen im Sinne der Ziffer 3 der Anl. 4 zur FeV zu unterstellen.

Anlass der diesbezüglichen Zweifel, die in eine entsprechende Fragestellung mündeten, war nach Aktenlage allein die Beobachtung durch einen Mitarbeiter der Antragsgegnerin bei der Vorsprache des Antragstellers am … Juni 2016, der zufolge „eine Behinderung/Eingeschränktheit […] Herrn A… deutlich anzumerken [war] (reagierte langsam, bewegte sich langsam)“ und der Antragsteller „während des gesamten Gesprächs träge und eingeschränkt [wirkte]“. Diese singuläre Beobachtung eines nichtärztlichen Laien reicht unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten als Anlass für eine entsprechende Gutachtensaufforderung nicht aus. Denn langsame Reaktionen und Bewegungen können neben einer Bewegungsbehinderung im für das Fahrerlaubnisrecht einschlägigen Sinne viele andere mögliche Ursachen haben, etwa Müdigkeit oder psychische Dispositionen. Bei einer Vorsprache drei Monate früher wurden solche Beobachtungen im Übrigen nicht gemacht, zumindest ist dem Aktenvermerk zu dieser Vorsprache am … März 2016 nichts Derartiges zu entnehmen.

Es kann daher offen bleiben, ob die Gutachtensaufforderung bezüglich der Herzkrankheit den rechtlichen Anforderungen genügt. (Es bestehen allerdings Hinweise darauf, dass der Antragsteller keinen Herzinfarkt, sondern einen Schlaganfall erlitten hat, vgl. Attest des Medizinischen Versorgungszentrums A… vom … Juli 2017, was die Antragsgegnerin bei ihrem weiteren Vorgehen zu berücksichtigen haben wird.) Denn ist ein Teil der in einer Gutachtensaufforderung festgelegten Fragestellung rechtlich nicht haltbar, so ist der Betroffene berechtigt, das geforderte Gutachten insgesamt nicht beizubringen. Denn die scharfe Sanktion des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV setzt grundsätzlich eine vollständig rechtmäßige Gutachtensanordnung voraus. Es kann dem Betroffenen in der Regel nicht zugemutet werden, selbst entsprechende rechtliche Differenzierungen vorzunehmen (vgl. VG München, B.v. 13.10.2015, M 6b S 15.3163, RdNr. 30 – juris).

Ob es einem Betroffenen ausnahmsweise dann zugemutet werden könnte, nur den rechtmäßigen Teil einer Fragestellung abklären zu lassen, wenn dieser von einem rechtswidrigen Teil eindeutig klar abgegrenzt werden kann (dazu BayVGH, B.v. 4.2.2013 – 11 CS 13.22 – juris), verneint das erkennende Gericht zumindest für den vorliegenden Fall, in dem eine Herzkrankheit und Bewegungsbehinderungen in Rede stehen. Denn der Antragsteller sieht sich hier zwar formell, inhaltlich aber nicht klar abgrenzbaren Fragestellungen gegenüber, weshalb ihm nicht angesonnen werden kann, selbst zu entscheiden, welche Frage er mangels Anlass zurückweist (dazu auch VGH Baden-Württemberg, B.v. 30.06.2011, 10 S 2785/10 – juris).

5. Da sich der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis als begründet erweist, war auch dem Antrag auf Vollzugsfolgenbeseitigung stattzugeben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller den Führerschein wieder auszuhändigen oder ihm ein Ersatzdokument auszustellen (§ 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i.V.m. den Empfehlungen in den Nrn. 1.5, 46.2, 46.3, 46.5 und 46.9 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand November 2013).

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