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Voraussetzung für die Aufhebung einer Geschwindigkeitsbeschränkung

VGH Hessen – Az.: 2 B 372/14 – Beschluss vom 11.06.2014

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird unter entsprechender Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Gießen vom 6. Februar 2014 – 6 L 178/14.GI – dem Antragsgegner vorläufig bis zu einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses bzw. bis zur Rechtskraft einer innerhalb dieser Frist erhobenen Klage in der Hauptsache untersagt, den am 3. Januar 2014 gegenüber Hessen-Mobil angeordneten Abbau der Beschilderung zur Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h auf einer Länge von 150 m in der Ortsdurchfahrt der B 252 in Niederwetter in beide Fahrtrichtungen durchführen zu lassen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben der Antragsteller und der Antragsgegner jeweils zur Hälfte zu tragen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die insgesamt zulässige Beschwerde hat im Umfang des Tenors Erfolg.

Voraussetzung für die Aufhebung einer Geschwindigkeitsbeschränkung
Symbolfoto: Von Simple_Moments /Shutterstock.com

Hinsichtlich der Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h auf einer Länge von 150 m in der Ortsdurchfahrt der B 252 in Niederwetter hat der Eilantrag Erfolg. Die Anordnung des Landrats des Antragsgegners vom 3. Januar 2014, die nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO analog sofort vollziehbar ist, ist insoweit offensichtlich rechtswidrig. Dies gilt – wie mit der Beschwerde zu Recht geltend gemacht wird – für beide Fahrtrichtungen und nicht nur – wie das Verwaltungsgericht angenommen hat – für die Fahrtrichtung Süden.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung ist – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – § 45 Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-Ordnung – StVO – i. V. m. § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO. Hiernach setzt die Aufhebung der zuvor getroffenen verkehrsrechtlichen Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h auf einer Länge von 150 m in der Ortsdurchfahrt Niederwetter voraus, dass im Bereich der Verkehrsbeschränkung nunmehr keine besondere Gefahrenlage im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO mehr besteht. Voraussetzung für die Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung ist also, dass entweder aufgrund anderer Bewertung oder aufgrund veränderter Verkehrsverhältnisse die zuvor gesehene Gefahrenlage – im konkreten Fall hier eine Gefährdung der auf den Gehwegen verkehrenden Fußgänger wegen der beengten Straßenverhältnisse – nicht mehr besteht. Nach Auffassung des Senats lässt sich dies nach Aktenlage und mit den Erkenntnismitteln des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nicht feststellen. Vielmehr sieht der Senat aufgrund des nicht erschütterten Beschwerdevorbringens und der erstinstanzlich vorgelegten Lichtbilddokumentation eine Gefahrenlage im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO weiterhin als gegeben an. Ausschlaggebend hierfür ist – wovon auch das Verwaltungsgericht im Ansatz ausgegangen ist – der besonders enge Gehweg in südlicher Fahrtrichtung, der stellenweise höchstens 60 cm breit ist und eine massive Gefährdung für die dort sich bewegenden Fußgänger darstellt, insbesondere wenn sich in der kurvigen Ortsdurchfahrt – verstärkt durch eine Fahrbahnverengung auch gerade an dieser Stelle – Lastkraftwagen begegnen. Eine solche Situation ist auf der bereits erstinstanzlich vorgelegten Lichtbilddokumentation zu erkennen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Situation mit der obendrein noch in diesem Moment die Engstelle auf dem Gehweg passierenden Frau mit Kinderwagen „gestellt“ ist. Der Antragsteller weist nämlich ebenfalls bereits erstinstanzlich darauf hin, dass sich auf der einen Seite der Straße ein größeres Wohngebiet befindet, von dem aus der fußläufige Verkehr die Bundesstraße überqueren muss, um den Ortskern mit Feuerwehrgerätehaus, Dorfgemeinschaftshaus, Bushaltestelle, Bolzplatz etc. zu erreichen und einzige sichere Querungshilfe eine Lichtzeichenanlage in der Ortsmitte ist. Danach müssten die Verkehrsteilnehmer einen etwa 20 m langen Straßenabschnitt entlang der Bundesstraße in Richtung Süden passieren, in dessen Verlauf die bereits in Bezug genommene „Engstelle“ des Gehwegs mit einer maximalen Breite von höchstens 60 cm folgt. Fußgänger mit Kinderwagen, Rad fahrende Kinder (§ 2 Abs. 5 StVO), Rollatoren oder Rollstühle müssten – wenn sie ordnungsgemäß bereits an der Stelle der Lichtzeichenanlage die Bundesstraße überquert haben – wegen der Enge des Gehwegs auf der anderen Seite zwangsläufig die Fahrbahn benutzen. Dazu kommt, dass sich diese Engstelle in einem Kurvenbereich befindet. Dieser Vortrag wird bestätigt durch die eingereichte Lichtbilddokumentation und ergibt sich auch aus dem vom Antragsgegner vorgelegten Plan im Maßstab 1:500.

Der Gefährdung der Gesundheit von Fußgängern wird nach Auffassung des Senats nicht hinreichend Rechnung getragen, wenn die Geschwindigkeitsbeschränkung – wie das Verwaltungsgericht angeordnet hat – lediglich in südlicher Fahrtrichtung bestehen bleibt. Der dann gegebenenfalls mit bis zu 50 km/h sich in nördliche Fahrtrichtung bewegende Fahrzeugverkehr bringt die Gefahr mit sich, dass im Kurvenbereich und an der Engstelle die Fahrbahnmitte nicht eingehalten werden kann und der Gegenverkehr auf den Gehweg ausweichen muss, insbesondere wenn es sich um LKW handelt. Diese Situation wird noch dadurch verstärkt, dass nach dem vom Antragsgegner vorgelegten Plan gerade an der Engstelle des Gehwegs auch die Fahrbahn sich von 7,65 auf 6,55 m verengt. Der Geschwindigkeitsbeschränkung auch für die nördliche Fahrtrichtung lässt sich in dieser Situation entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht entgegenhalten, dass nach § 3 StVO jeder Fahrzeugführer nur so schnell fahren darf, dass er das Fahrzeug ständig beherrscht und sich den Straßen- bzw. Verkehrsverhältnissen jederzeit anpassen kann. Gegen die Annahme, dass die Grundregeln zur Verkehrssicherheit hier ausreichen und deshalb das Aufstellen eines Verkehrszeichens in Form einer Geschwindigkeitsbeschränkung nicht erforderlich wäre, spricht in der vorliegenden Situation, dass gerade aus Sicht eines in nördlicher Fahrtrichtung fahrenden Kraftfahrzeugführers Straße und Gehweg bei Annäherung an die Ortsmitte zunächst ausreichend breit erscheinen und die gegenüber liegende Engstelle nicht hinreichend wahrgenommen wird.

Soweit für die Sichtweise des Antragsgegners bzw. des Landes, von dessen Seite die Handlungsanweisung an den Antragsgegner ergangen ist, der Umstand eine Rolle spielen sollte, dass die Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h auf einer Länge von 150 m für Verkehrsteilnehmer verwirrend sein könnte, nachdem in beiden Fahrtrichtungen jeweils kurz zuvor eine nur für die Nachtzeit geltende Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h ausgeschildert ist, ist der Senat der Auffassung, dass dieses Problem nicht zulasten einer Gefährdung des Fußgängerverkehrs gelöst werden darf. Eher wäre nach Auffassung des Senats in dieser Situation in Betracht zu ziehen, dass in beiden Fahrtrichtungen die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h jeweils nur an einer Stelle für 24 h am Tag angeordnet wird und dies dann beide „Gründe“ – Gesundheitsgefährdung und Lärmschutz – umfasst.

Soweit der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen die Anordnung zum Abbau der Kurventafeln im Ortseingangsbereich Niederwetter aus Richtung Wetter begehrt, fehlt ihm auch nach Auffassung des Senats hierfür die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO), so dass sein vorläufiger Rechtsschutzantrag schon aus diesem Grund insoweit keinen Erfolg haben kann. Der Antragsteller hat auch mit dem Beschwerdevorbringen nicht glaubhaft machen können, dass ihn der Abbau der Kurventafeln möglicherweise in eigenen Rechten berühren kann. Deshalb geht der Senat vorliegend nicht näher der Frage nach, ob es sich bei dem im Streit stehenden Zeichen 625 der Anlage 4 zu § 43 Abs. 3 der StVO (Verkehrseinrichtungen) überhaupt um eine solche Verkehrseinrichtung handelt, die Gebots- oder Verbotswirkung entfaltet und deshalb einen Verwaltungsakt in Gestalt einer Allgemeinverfügung darstellen kann (siehe dazu Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage, § 43 StVO Rn. 17 und § 41 Rn. 247). Denn aus „Google maps“ und dem unwidersprochenen Vorbringen des Antragsgegners ist zu entnehmen, dass sich das Grundstück des Antragstellers nicht auf derjenigen Straßenseite, die durch das Zeichen 625 „geschützt“ werden soll, befindet. Soweit sich der Antragsteller hier weiter auf seine Gefährdung als Fußgänger berufen will, kann dies ebenfalls nicht überzeugen. Das von ihm als Anlage A2 in der Beschwerdebegründung dazu herangezogene Bild, das zeigen soll, dass der Fußgängerweg bis unmittelbar an die Kurventafeln heranreicht (Gerichtsakte Bl. 129), lässt nicht nachvollziehbar erscheinen, weshalb der Antragsteller dann dort, wo der Fußweg endet, weiterhin die Straßenseite ohne Fußweg als Fußgänger benutzen will, statt auf der gegenüber liegenden Seite, auf der er auch wohnt, den dort vorhandenen Fußweg zu nutzen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Senat verhältnismäßig geteilt (§ 155 Satz 1 VwGO).

Die streitgegenständliche Anordnung vom 3. Januar 2014 enthält zwei selbstständige Anordnungen, einerseits die Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/ h und andererseits die Entfernung der am nördlichen Ortseingang von Niederwetter angebrachten Kurventafeln. Jede dieser verkehrsregelnden Anordnungen bewertet der Senat gemäß Ziffer 46.15 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abrufbar unter www.bverwg.de) mit dem Auffangwert und halbiert dies jeweils im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des Eilverfahrens (Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs). Von der Befugnis gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG, die hiervon abweichende Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts von Amts wegen im Interesse einer einheitlichen Wertfestsetzung abzuändern, macht der Senat vorliegend keinen Gebrauch, weil das erstinstanzliche Verfahren noch einen umfänglicheren Streitgegenstand (auch die Geschwindigkeitsbeschränkung in südlicher Fahrtrichtung) hatte.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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