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Verkehrszeichen – Nichtigkeit und Unbeachtlichkeit bei Errichtung durch unzuständige Behörde

AG Oldenburg (Holstein), Az.: 7 OWi 714 Js OWi 4475/13 (21/13)

Urteil vom 10.05.2013

Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Landeskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen.

Gründe

I.

Der Betroffene ist als Rechtsanwalt berufstätig.

II.

a) Am 02.10.2012 gegen 14:56 bis 14:58 parkte der Betroffene seinen PKW in Neustadt in Holstein, Am Lienaupark, innerhalb eines durch Zeichen 325, 326 ausgewiesenen verkehrsberuhigten Bereiches außerhalb der zum Parken gekennzeichneten Flächen.

b) Am 10.10.2012 gegen 15:14 bis 15.15 parkte der Betroffene seinen PKW in Neustadt in Holstein, Am Lienaupark, innerhalb eines durch Zeichen 325, 326 ausgewiesenen verkehrsberuhigten Bereiches außerhalb der zum Parken gekennzeichneten Flächen.

Die Aufstellung der Verkehrszeichen erfolgte aufgrund der Anordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Neustadt in Holstein vom 01.08.2003. Mit öffentlich-rechtlichem Vertrag vom 20.12.2001 wurde der Gemeinde die Zuständigkeit für die verkehrsrechtliche Anordnung der Verkehrsbeschilderung als örtliche Ordnungsbehörde durch den Kreis Ostholstein übertragen.

III.

Die Feststellung des Sachverhalts folgt aus der Einlassung des Betroffenen. Dieser hat die ihm durch die Bußgeldbescheide vom 29.11.2012 vorgeworfenen Taten in vollem Umfang eingeräumt.

IV.

Verkehrszeichen – Nichtigkeit und Unbeachtlichkeit bei Errichtung durch unzuständige Behörde
Symbolfoto: Fahroni/Bigstock

Der Betroffene war aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

Die aufgrund der Anordnung des Bürgermeisters der Stadt Neustadt vom 01.08.2003 aufgestellten Verkehrszeichen sind nichtig, da die Stadt für die Aufstellung der Verkehrszeichen nicht zuständig war. Zuständig sind die Landräte/Landrätinnen, § 2 Abs. 1 Nr. 1 StrVRZust-VO. Soweit die Kompetenz zur Aufstellung von Verkehrszeichen mit öffentlich-rechtlichem Vertrag vom 20.12.2001 (Amtsbl. SH 2002, 57) übertragen wurde ist dieser öffentlich-rechtliche Vertrag zumindest in diesem Punkt nichtig.

Hierzu im Einzelnen:

a) Verkehrszeichen sind Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen (BVerwG NJW 1967, 1627). Diese sind, selbst wenn sie fehlerhaft, d.h. rechtswidrig sind, zunächst grundsätzlich bis zur Beseitigung zu beachten und lediglich anfechtbar (BVerwG a.a.O). Nur in Ausnahmefällen sind Verkehrszeichen gem. § 44 VwVfG nichtig. Bei einer Verletzung der sachlichen Zuständigkeit ist dies immer dann der Fall, wenn die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, hierzu unzuständig war. Verkehrszeichen, die durch die unzuständige Behörde errichtet wurden, sind daher nicht und unbeachtlich (OLG Frankfurt NJW 1968, 2072 für den Fall der Aufstellung von Verkehrszeichen durch das Straßenbauamt, BayObLG NVwZ 1984, 399 betreffend die Aufstellung von Verkehrszeichen durch die Forstverwaltung).

b) der öffentlich-rechtliche Vertrag vom 20.12.2001 beruht auf § 24a LVwG Schleswig-Holstein. Danach können durch öffentlich-rechtlichen Vertrag zur Erprobung einer ortsnahen Aufgabenerfüllung die Kreise auf die Gemeinden oder Ämter bzw. Bürgermeister Aufgaben übertragen, die ihnen durch Rechtsvorschrift des Landes zugewiesen sind. Durch die Einführung der Experimentierklausel des § 25 a LVwG wurde allerdings § 25 LVwG nicht geändert. Nach § 25 Abs. 2 LVwG kann die Zuständigkeit einer Behörde zur Ausführung von Rechtsvorschriften, die in die Rechte der einzelnen Personen eingegriffen oder dazu ermächtigen, nur durch Rechtsvorschrift bestimmt werden.

Das Aufstellen von Verkehrszeichen, hier die Anordnung einer verkehrsberuhigten Zone, greift in die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG ein. Durch die Aufstellung der Verkehrszeichen wird dem betroffenen Bürger u.a. sanktionsbewehrt verboten, sein Fahrzeug außerhalb der hierfür gesondert ausgewiesenen Flächen zu parken. Zwar ist weder der Grundrechtseingriff noch die hierfür vorgesehene Sanktion schwerwiegend; dies ändert jedoch nichts daran, dass durch hoheitliche Anordnung in die Rechte der einzelnen Person, hier eine allgemeine Handlungsfreiheit, eingegriffen wird. Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG schützt auch vergleichsweise banale Handlungen (BVerfGE 6, 32, 36).

§ 25 Abs. 2 LVwG schließt eine Kompetenzübertragung, der Grundrechtseingriffe betrifft, außer durch Rechtsvorschrift ausdrücklich aus („… kann nur durch Rechtsvorschrift bestimmt werden.“). „ 25 a LVwG kann daher nur dort einen Anwendungsbereich finden, wo Kompetenzen übertragen werden, die keine Grundrechtseingriffe betreffen (so zutreffend Bölck, SchlHA 2013, 7, 9). Zuzugeben ist, dass nur ein verhältnismäßig kleiner Aufgabenbereich verbleiben wird.

Die gefundene Auslegung entspricht im übrigen der Landesverfassung (Art. 45 Abs. 2: „die Zuständigkeiten … werden durch Gesetz bestimmt.“) sowie der sog. „Wesentlichkeitstheorie“ (vgl. etwa BVerfGE 47, 46, 78), wonach der demokratisch legitimierte Gesetzgeber aufgrund des Rechtsstaatsprinzips sowie des Demokratieprinzips verpflichtet ist, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Verwaltung zu überlassen. Dies betrifft auch den Aufbau der Exekutive. So geht z.B. das VG Potsdam (Urteil vom 29.10.2009 -10 K 2489/04 mit Anmerkung Dyllick/Neubauer, LKV 2010, 94) ohne weiteres davon aus, dass eine gesetzliche Regelung, die die Übertragung der Kompetenz zur Errichtung von Verkehrszeichen durch Verwaltungsakt erlaubt, evident verfassungswidrig sei.

Auf die Verfassungsmäßigkeit von § 25 a LVwG kommt es jedoch für die hier zu treffende Entscheidung nicht an, da – wie ausgeführt – der öffentlich-rechtliche Vertrag vom 20.12.2001 jedenfalls wegen Verstoß gegen § 25 Abs. 2 LVwG entsprechend § 134 BGB zumindest hinsichtlich der Übertragung der Zuständigkeit für die Kennzeichnung verkehrsberuhigter Bereiche (§ 3 Abs. 2 Nr. 2) teilnichtig ist.

Mangels wirksamer Kompetenzübertragung war die Stadt Neustadt sachlich unzuständig, die Verkehrszeichen sind – zumindest bis zur Genehmigung durch die zuständige Behörde – nichtig und damit unbeachtlich.

Der Betroffene war daher aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO entsprechend.

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