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Medizincannabiseinnahme – Forderung medizinisch-psychologisches Gutachten

Medizinisches Cannabis und Fahreignung: Ein komplexer Fall

Der Kläger, dessen Fahrerlaubnis entzogen wurde, steht im Mittelpunkt eines komplexen juristischen Falles, der die Grenzen zwischen medizinischem Bedarf und Verkehrssicherheit auslotet. Im Kern geht es darum, ob der Konsum von medizinischem Cannabis, verschrieben zur Behandlung von ADHS und anderen Beschwerden, die Fahreignung eines Individuums beeinträchtigt.

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Polizeiliche Kontrolle und medizinische Gutachten

Nachdem das Landratsamt Kenntnis von der regelmäßigen Einnahme von medizinischem Cannabis durch den Kläger erhielt, wurde eine Überprüfung seiner Fahreignung eingeleitet. Ein ärztliches Gutachten bestätigte zwar das Vorliegen von ADHS, stellte jedoch auch fest, dass andere Erkrankungen des Klägers nicht fahreignungsrelevant seien. Trotzdem wurde empfohlen, die Fahreignung im Kontext der Medikation mit Cannabisblüten durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) zu klären.

Aufforderung zur MPU und Fahrerlaubnisentzug

Das Landratsamt forderte den Kläger daraufhin auf, eine MPU vorzulegen, um seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu bestätigen. Als Reaktion darauf argumentierte der Kläger, dass nicht klar sei, welche weiteren Erkenntnisse durch die MPU gewonnen werden könnten. Das Landratsamt entzog dem Kläger schließlich die Fahrerlaubnis, da er das geforderte MPU-Gutachten nicht vorgelegt hatte und daher angenommen wurde, dass er möglicherweise Mängel verbergen wolle.

Weitere polizeiliche Kontrolle und Klage

Kurz nach der Abgabe seines Führerscheins wurde der Kläger erneut von der Polizei kontrolliert, wobei drogentypische Ausfallerscheinungen festgestellt wurden. Ein Bluttest zeigte einen erhöhten THC-Wert, was auf einen kürzlichen Cannabis-Konsum hindeutete. Nach einem erfolglosen Widerspruchsverfahren reichte der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Bayreuth ein. Er argumentierte, dass seine Fahreignung nicht von seinem Verhalten, sondern von der Wirksamkeit seiner Medikation abhängen sollte.

Schlussgedanken

Dieser Fall wirft wichtige Fragen zur Balance zwischen dem Recht auf medizinische Behandlung und der öffentlichen Sicherheit auf. Während medizinisches Cannabis vielen Patienten hilft, ihre Symptome zu lindern, sind die potenziellen Auswirkungen auf die Fahreignung ein Bereich, der weiterer Klarheit bedarf. Es bleibt abzuwarten, wie Gerichte in ähnlichen Fällen in der Zukunft entscheiden werden.


Das vorliegende Urteil

VG Bayreuth – Az.:B 1 K 19.143 – Gerichtsbescheid vom 24.03.2020

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

1. Das Landratsamt …… (Landratsamt) erhielt durch eine Mitteilung der Polizeiinspektion …… am 24.11.2016 davon Kenntnis, dass der Kläger nach eigenen Angaben seit fünf Monaten ein Gramm Marihuana am Tag zu medizinischen Zwecken konsumiere. Ihm würden 30 Gramm im Monat verschrieben, welche er auch zu sich nehme. Auf Vorhalt habe der Kläger angegeben, regelmäßig mit dem Pkw zu fahren, nicht unmittelbar nach dem Konsum, jedoch noch am selben Tag.

Daraufhin leitete das Landratsamt ein Verfahren auf Überprüfung der Fahreignung des Klägers ein. In dessen Verlauf legte der Kläger ein ärztliches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung und eine psychologische Zusatzuntersuchung, jeweils unter dem Datum des 18.12.2017, dem Landratsamt vor. In diesem ärztlichen Gutachten heißt es auszugsweise wie folgt:

„Bei Herrn … liegt eine Erkrankung vor, die nach Nr. 1 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stellt und zwar ADHS. Die sonstigen genannten Erkrankungen (Asthma bronchiale, habituelle Patellaluxationen rechts mehr als links, beginnende Kniegelenksarthrose rechts, belastungsabhängige Schmerzen im linken Handgelenk, Kopfschmerzen, zum Teil als Migräne) sind in ihrer Ausprägung nicht fahreignungsrelevant.

Ob Herr … trotz der bekannten Erkrankungen und der damit in Verbindung stehenden Dauermedikation (Medizinal-Cannabisblüten) in der Lage ist, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 (Fahrerlaubnisklassen B, M, L und S) gerecht zu werden, sollte aufgrund der oben genannten Untersuchungsbefunde gemäß Vorbemerkung 3 der Anlage 4 FeV im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung geklärt werden.

(…)

Medizincannabiseinnahme - Forderung medizinisch-psychologisches Gutachten
Medizinisches Cannabis und Fahreignung: Ein juristischer Fall zeigt die Balance zwischen medizinischer Notwendigkeit und öffentlicher Sicherheit. (Symbolfoto: Africa Studio /Shutterstock.com)

Bei Herrn … liegt aufgrund der Situation im Rahmen der polizeilichen Kontrolle nur fraglich eine ausreichende Compliance im Sinne einer Krankheitseinsicht und keine regelmäßig überwachte Medikamenten- bzw. Cannabis-Einnahme usw.) vor (der letzte persönliche Kontakt zum verschreibenden Arzt war im November 2016).

Beschränkungen sind nicht, Auflagen sind für den Fall einer positiven medizinisch-psychologischen Beurteilung erforderlich, um den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeuges der Gruppe 1 (Fahrerlaubnisklassen B, M, L und S) weiterhin gerecht zu werden.

Regelmäßige persönliche Kontrolluntersuchungen des behandelnden Arztes sind als Auflage erforderlich: Im zeitlichen Abstand von 3 Monaten und für die Dauer der Medikation.

Dabei soll regelmäßig der Gesundheitszustand und die Compliance kontrolliert und attestiert werden.“

Mit Schreiben vom 16.01.2018 forderte das Landratsamt den Kläger gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 zur FeV auf, bis zum 16.03.2018 ein medizinisch-psychologisches Gutachten (MPU) einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beizubringen. Aus dem ärztlichen Gutachten vom 18.12.2017 gehe hervor, dass aufgrund des ADHS und der damit in Verbindung stehenden Dauermedikation (Medizinal-Cannabisblüten) die Durchführung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung empfohlen werde. Die Fragestellung wurde wie folgt gefasst:

„Ist zu erwarten, dass Herr … sein Verhalten so steuert bzw. umstellt, dass er trotz des Vorliegens einer ADHS (mit der im Rahmen der Diagnostik der Universität …… festgestellten Ausprägungen im Bereich der impulsiven, Borderline, oppositionell-verweigernden, risikofreudigen, desorganisierten, maniformen und suchtanfälligen Persönlichkeitsakzentuierungen) sowie der damit verbundenen Medikation mit Cannabisblüten ein Kraftfahrzeug der betroffenen Fahrerlaubnisklasse B sicher führen kann?“

Weiter wies das Landratsamt in der Begutachtungsaufforderung darauf hin, dass die zu übersendenden Unterlagen vom Kläger eingesehen werden könnten (§ 11 Abs. 6 FeV) und von seiner Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen werden könne, wenn er sich ohne ausreichenden Grund weigern sollte, sich der geforderten Begutachtung bzw. Untersuchung zu unterziehen. Die Feststellung der Nichteignung hätte dann eine kostenpflichtige Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge (§ 11 Abs. 8 FeV).

Der Kläger erklärte mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 29.01.2018 gegenüber dem Landratsamt, dass nicht erkennbar sei, welche weiteren Erkenntnisse zum jetzigen Zeitpunkt über die angeordnete medizinisch-psychologische Untersuchung generiert werden sollen.

Mit Bescheid vom 18.04.2018 entzog das Landratsamt dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klassen B, M, L und S (Ziffer 1). Der vom Landratsamt ausgestellte Führerschein sei innerhalb einer Kalenderwoche nach Zustellung dieses Bescheids im Landratsamt abzuliefern (Ziffer 2). Für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Anordnung unter Ziffer 2 werde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR zur Zahlung fällig (Ziffer 3). Dieser Bescheid werde in den Ziffern 1 und 2 für sofort vollziehbar erklärt (Ziffer 4).

Zur Begründung führte das Landratsamt im Wesentlichen aus, dass dem ärztlichen Gutachten vom 18.12.2017 auf Seite 14 entnommen werden könne, welche weiteren Erkenntnisse über die MPU generiert werden sollen. Dort verweise der Gutachter auf eine fraglich ausreichende Compliance im Sinne einer Krankheitseinsicht und keine regelmäßig überwachte Medikamenten- bzw. Cannabis-Einnahme. Eine solche Abklärung könne nur im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung erfolgen.

Der Kläger habe das angeforderte MPU-Gutachten nicht vorgelegt. Die Behörde könne daher zu der Annahme gelangen, dass der Kläger Mängel verbergen wolle, die seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen (§ 11 Abs. 8 FeV). Das Landratsamt gehe deshalb davon aus, dass der Kläger derzeit zum Führen von führerscheinpflichtigen Kraftfahrzeugen nicht geeignet sei. Aus diesen Gründen sei die Fahrerlaubnis zu entziehen (§ 46 Abs. 1 FeV).

Der Kläger gab am 25.04.2018 seinen Führerschein beim Landratsamt ab.

Am 11.05.2018 ging beim Landratsamt eine Mitteilung der Polizeiinspektion …… ein, wonach der Kläger am 20.02.2018 als Fahrer seines PKW einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen worden sei. In deren Verlauf seien erhebliche drogentypische Ausfallerscheinungen festgestellt worden. Bei sämtlichen Tests habe der Kläger deutliche drogentypische Ausfallerscheinungen gezeigt. So sei sein Zeitempfinden deutlich gestört gewesen sei (17 Sekunden geschätzt als 30 Sekunden). Er habe einen schwerfälligen und langsamen Gedankenablauf, Lidflattern und glasige gerötete Augen sowie eine träge Pupillenreaktion bei allgemein vergrößerten Pupillen gehabt. Der Finger-Finger-Test sowie der Finger-Nase-Test sei von ihm unsicher und zitternd durchgeführt worden. Dem Kläger sei somit die Weiterfahrt untersagt worden. Die Untersuchung des Bluts habe einen THC – Wert von 12,0 ng/l ergeben. Der erhöhte Wert deute auf einen zeitnahen Konsum vor Fahrtantritt hin.

2. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 14.02.2019 Klage beim Verwaltungsgericht Bayreuth und beantragte,

die Entziehungsverfügung des Beklagten vom 18.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberfranken vom 21.01.2019 aufzuheben.

Zur Begründung bringt der Kläger im Wesentlichen vor, dass seine Fahreignung nicht davon abhängig sei, ob er sein Verhalten steuern bzw. umstellen könne, sondern vielmehr davon, ob die vorliegend gegebene Medikation mit Medizinal-Cannabis geeignet sei, den Symptomen einer ADHS so entgegenzuwirken, dass die grundsätzliche Fahreignungsrelevanz der Grunderkrankung symptomatisch durch die Gabe von Medizinal-Cannabis begünstigt bzw. behoben werden könne. Die in der Begutachtungsaufforderung aufgeworfene Frage sei somit keine, die im Rahmen der verfahrensgegenständlichen und angeforderten medizinisch-psychologischen Untersuchung hätte geklärt werden können.

Die für die Beurteilung der Fahreignung eigentlich relevante Frage, ob der Kläger trotz der bekannten Erkrankung an ADHS und der damit in Verbindung stehenden Dauermedikation mit Medizinal-Cannabisblüten in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 gerecht zu werden, sei bereits durch das ärztliche Gutachten vom 18.12.2017 beantwortet worden. Der ärztliche wie auch der zusatzpsychologische Untersuchungsteil hätten keinerlei auffällige Befunde ergeben. Insbesondere hätte ein Gebrauch anderer Substanzen nicht nachgewiesen oder sonst festgestellt werden können. Sämtliche Leistungsuntersuchungen hätten bei laufender Therapie unauffällige Befunde gezeigt. Damit habe es auch nicht mehr der Beantwortung der Frage bedurft, ob eine Kompensation durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerung oder Umstellungen möglich sei. Dies hätte nur für den Fall einer Prüfung unterzogen werden müssen, wenn eine sonstige Medikation der Erwachsenen-ADHS nicht erfolgen würde und die Frage der Fahreignung vorrangig davon abhinge, ob der Betreffende kompensatorisch in der Lage sei, die entsprechenden krankheitsbedingten Defizite auszugleichen. Eine solche Fragestellung sei hier jedoch nicht indiziert, weshalb eine solche Fragestellung im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung auch nicht hätte geklärt werden müssen. Der Kläger habe daher zurecht seine Mitwirkung verweigern dürfen.

Der Beklagte beantragte mit Schriftsatz des Landratsamts vom 03.05.2019, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte führt aus, dass im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu fragen sei, ob angesichts der Dauermedikation und damit der Einnahme von die Fahrtüchtigkeit einschränkenden Medikamenten die Teilnahme am Straßenverkehr hiervon zuverlässig getrennt werden könne. Nicht zuletzt habe das medizinische Gutachten vom 18.12.2017 die Durchführung einer MPU für notwendig erachtet.

Der Sachverhalt sei davon geprägt, dass der Kläger am 20.02.2018 unter dem Einfluss von Cannabis ein KFZ im Straßenverkehr geführt habe und dabei in einem fahruntüchtigen Zustand gewesen sei. Das gerichtsmedizinische Gutachten führe insoweit aus, dass der Konsum von Cannabisprodukten kurz vor der Fahrt erfolgt sein müsse.

3. Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 03.02.2020 unter Darlegung seiner vorläufigen Rechtsauffassung darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid in Betracht gezogen werde und Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 84 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.

Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers durch den Bescheid des Landratsamts …… vom 18.04.2018 in der Form des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberfranken vom 21.01.2019 erweist sich als rechtmäßig, so dass die dagegen gerichtete Klage abzuweisen ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Gericht nimmt zunächst gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Landratsamts vom 18.04.2018 sowie des Widerspruchsbescheids vom 21.01.2019 und macht sich diese zu eigen. Ergänzend wird zur Sache und zum Klagevorbringen Folgendes ausgeführt:

a) Der Beklagte hat zu Recht eine medizinisch-psychologische Begutachtung des Klägers gefordert.

Bei vorliegender Medikation mit medizinischem Cannabis stellen sich – wie grundsätzlich bei jeder Dauermedikation – bei der Begutachtung der Fahreignung unterschiedliche Fragen hinsichtlich der Auswirkungen der langfristigen Einnahme von oft hohen Dosen eines psychoaktiv wirksamen Medikaments. Abhängig von der konkreten Vorgeschichte, die der Verordnung zugrunde liegt, wird bei den Personen, die (ohne vorherigen Konsum von Cannabis) vom Arzt die Indikation gestellt erhalten und denen Cannabis als Medikament verordnet wird, die Frage der Aufklärung und Behandlungscompliance im Vordergrund stehen (vgl. hierzu: Schubert/Huetten/Reimann/Graw/Schneider/Stephan, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. überarbeitete und erweiterte Auflage 2018, S. 442). Dem Therapieregime durch den behandelnden Arzt kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. In erster Linie ist damit bei einer Dauermedikation mit Cannabis eine Abklärung folgender Fragen veranlasst: die mögliche Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit, die Frage der verlässlichen Mitwirkung bei der Behandlung (Compliance und Adhärenz) sowie die Frage, ob der Patient in der Lage ist, Zustände von Fahrunsicherheit zu erkennen und verantwortlich damit umzugehen. Zu beachten sind zudem Kompensationsmöglichkeiten, die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung und auch die Gefahr einer missbräuchlichen Einnahme. Dabei können die Aspekte der Risikowahrnehmung und des Missbrauchs nur in einer MPU abgeklärt werden, da es sich um psychologische Fragestellungen handelt (vgl. Schubert/Huetten/Reimann/Graw/Schneider/Stephan, a.a.O. S. 443). Eine MPU ist immer auch dann erforderlich, wenn die Eignung nach den Befunden eines eingeholten ärztlichen Gutachtens zwar nicht ausgeschlossen werden konnte, jedoch Zweifel an der Adhärenz und der Fähigkeit oder Bereitschaft zum verantwortlichen Umgang mit negativen Auswirkungen der Medikation und/oder der Grundsymptomatik vorliegen. Solche Zweifel können sich zudem aus Auffälligkeiten in der Vorgeschichte ergeben (vgl. Schubert/Huetten/Reimann/Graw/Schneider/Stephan, a.a.O., S. 244).

Die Frage, ob beim Kläger aus medizinischer Sicht trotz der bestehenden ADHS-Erkrankung und der Dauermedikation mit Cannabis ein ausreichendes Leistungsvermögen zur Führung eines Kraftfahrzeugs besteht, ist bereits durch das vorliegende ärztliche Gutachten und die psychologische Zusatzuntersuchung, jeweils vom 18.12.2017, ausreichend geklärt. Wie dem ärztlichen Gutachten (S. 13 f.) zu entnehmen ist, besteht hierfür beim Kläger grundsätzlich – unter Beachtung der aufgeführten (Kontroll-)Auflagen – ein ausreichendes Leistungsvermögen.

Weiter kam der ärztliche Gutachter aber aufgrund der durchgeführten persönlichen Begutachtung zu dem Ergebnis, dass beim Kläger Zweifel an der erforderlichen Krankheitseinsicht und krankheitsgemäßen Verhaltenssteuerung (Compliance und Adhärenz) vorliegen. Die daher im ärztlichen Gutachten vom 18.12.2017 ausgesprochene Empfehlung einer MPU ist auch schlüssig und nachvollziehbar. So ergibt sich aus dem Gutachten (vgl. S. 13), dass der letzte persönliche Kontakt zu dem das medizinische Cannabis verordnenden Arzt über ein Jahr zurücklag. Die Empfehlung einer MPU ist daher folgerichtig.

Im Übrigen wird diese Bewertung auch durch den Vorfall vom 20.02.2018 (d.h. während des laufenden Verwaltungsverfahrens) bestätigt, wo der Kläger im fahruntüchtigen Zustand – wohl kurz nach der Einnahme des medizinischen Cannabis – ein Fahrzeug steuerte.

Es ist somit dem Grunde nach nicht zu beanstanden, dass der Beklagte basierend auf der Empfehlung des ärztlichen Gutachtens gemäß § 46 Abs. 3 FeV i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV i.V.m. Nr. 3 der Vorbemerkung zur Anlage 4 der FeV eine MPU angeordnet hat.

b) Die Begutachtungsaufforderung vom 16.01.2018 erweist sich – wenn auch nur gerade noch – als hinreichend bestimmt, damit der Kläger als Adressat den dargestellten Zweck der angeordneten MPU in der konkreten Situation erkennen konnte. Dem Kläger lag das ärztliche Gutachten vom 18.12.2017 vor, so dass er diesem die dort geäußerten Zweifel an seiner Compliance und seiner Adhärenz entnehmen konnte und demzufolge auch den Grund dafür erkennen konnte, weshalb vom ärztlichen Gutachter eine MPU empfohlen wurde. Insofern ist es noch ausreichend, dass in der Begutachtungsaufforderung vom 16.01.2018 lediglich festgestellt wurde, dass vom ärztlichen Gutachten eine MPU empfohlen wurde, ohne näher darzustellen, zu welchem Zweck die MPU angeordnet wird.

Auch aus der formulierten Fragestellung „Ist zu erwarten, dass Herr … sein Verhalten so steuert bzw. umstellt, dass (…)“ wird deutlich, dass es bei der MPU nicht mehr um die Auswirkungen einer Erkrankung oder einer Medikation geht, sondern die Frage der Einsichtsfähigkeit des Klägers und seine zu erwartende Verhaltenssteuerung abgeklärt werden soll. Da der Kläger den Zweck der MPU somit – zumindest nach näherem Hinsehen – hätte erkennen können und müssen, zumal er zu diesem Zeitpunkt auch anwaltlich vertreten war, ist es nicht von Belang, dass der Kläger mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 29.01.2018 gegenüber dem Landratsamt erklärt hat, dass (für ihn) nicht erkennbar sei, welche weiteren Erkenntnisse durch die MPU generiert werden sollen.

c) Im Übrigen sind Rechtsfehler der Begutachtungsaufforderung vom 16.01.2018 nicht erkennbar. Zwar steht die Beibringungsaufforderung nach dem Gesetzeswortlaut im behördlichen Ermessen („kann“). Bei ihr handelt es sich jedoch nicht um einen Verwaltungsakt. Daher muss die Behörde in der Beibringungsanordnung nicht begründen, warum sie sich bei bestehenden Eignungszweifeln neben anderen grundsätzlich in Betracht kommenden Gefahrerforschungsmaßnahmen gerade für diejenige der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens entschieden hat. Denn die Begründungsanforderungen für die Gutachtensaufforderung sind in § 11 Abs. 6 FeV spezialgesetzlich und abschließend geregelt und sehen eine Begründung in dieser Hinsicht gerade nicht vor (vgl. Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, FeV § 11 Rn. 102 i.V.m. Rn. 73 – beck-online).

Die weiteren (formalen) Anforderungen wurden beachtet. Insbesondere waren die erforderlichen Hinweise auf eine Einsichtsmöglichkeit in die der Begutachtungsstelle zu übersendenden Unterlagen (§ 11 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 FeV) und die drohende Entziehung bei Nichtvorlage des geforderten Gutachtens (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV) in der Begutachtungsaufforderung enthalten.

d) Im Ergebnis konnte und musste der Beklagte daher hier auf die Nichteignung des Klägers schließen und ihm die Fahrerlaubnis entziehen, weil der Kläger das rechtmäßig geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht vorgelegt hat (vgl. BVerwG, U.v. 05.07.2001 – 3 C 13.01). Die Vorschrift des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV räumt der Behörde kein Ermessen hinsichtlich der Frage ein, ob aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf die Fahrungeeignetheit des Betroffenen geschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 29.11.2012 – 11 CS 12.2276 – juris, Rn. 13. m.w.N.).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegender Beteiligter hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der – wenn überhaupt anfallenden – jedenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht, zumal dieser auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 5000,00 EUR festgesetzt.

Die Höhe des Streitwerts ergibt sich aus § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit Nr. 46.3, des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).

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