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Fahrerlaubnisentziehung wegen Alkoholfahrt mit Fahrrad

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 CS 16.204 – Beschluss vom 11.03.2016

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 13. Januar 2016 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis (Klassen A und B samt Unterklassen, zuletzt wieder erteilt am 18.11.2002) und gegen das ihr auferlegte Verbot, fahrerlaubnisfreie Kraftfahrzeuge und Fahrräder im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

Nach einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad am 24. Mai 2015 (BAK 2,31 ‰) verhängte das Amtsgericht Straubing gegen die Antragstellerin mit Strafbefehl vom 24. August 2015 eine Geldstrafe. Die Antragstellerin legte gegen den Strafbefehl Einspruch ein, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist. Nachdem die Antragstellerin trotz Aufforderung der Antragsgegnerin innerhalb der hierfür gesetzten Frist kein medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten vorgelegt hat, entzog ihr die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 23. Oktober 2015 die Fahrerlaubnis (Ziff. I des Bescheids) und untersagte ihr das Führen fahrerlaubnisfreier Kraftfahrzeuge gemäß § 4 Abs. 1 Nrn. 1, 1a, 1b und 3 der Fahrerlaubnis-Verordnung und das Führen von Fahrrädern im öffentlichen Straßenverkehr (Ziff. II). Die sofortige Vollziehbarkeit der Ziffern I und II wurde angeordnet. Über den gegen den Bescheid eingelegten Widerspruch hat die Regierung von Niederbayern nach Auskunft der Antragsgegnerin noch nicht entschieden.

Mit Beschluss vom 13. Januar 2016 hat das Verwaltungsgericht Regensburg den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen Ziff. I und II des Bescheids vom 23. Oktober 2015 wiederherzustellen, abgelehnt.

Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt, lässt die Antragstellerin im Wesentlichen vortragen, die Antragsgegnerin sei in ihrem Bescheid nicht auf die besonderen Umstände des Einzelfalls eingegangen und habe das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung lediglich formelhaft begründet. Die Antragstellerin habe bereits am 27. August 2015 ein verkehrspsychologisches Beratungsgespräch beim TÜV Süd wahrgenommen und nehme seit 9. Oktober 2015 an einem halbjährigen Alkoholabstinenzprogramm mit Urinkontrollen teil. Seit Beginn dieses Programms trinke sie keinen Tropfen Alkohol mehr. Der Bescheid sei auch deswegen rechtswidrig, weil die Ergebnisse der Blutprobenuntersuchung vom 24. Mai 2015 nicht verwertbar seien. Die Antragstellerin habe in die Blutentnahme nicht eingewilligt. Diese sei auch nicht durch einen Richter angeordnet worden. Mit der zu dieser Problematik ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Juni 2014 habe sich das Verwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt. Aufgrund der Teilnahme der Antragstellerin am Abstinenzprogramm bestehe derzeit keine Gefahr einer Trunkenheitsfahrt und daher auch kein überwiegendes öffentliches Interesse am Sofortvollzug des Bescheids.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), lassen nicht erkennen, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Kraftfahrzeuge und von Fahrrädern im öffentlichen Straßenverkehr rechtswidrig wäre.

Gemäß § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i.d.F. d. Bek. vom 5. März 2003 (BGBl I S. 310, 919), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. Dezember 2015 (BGBl I S. 2161), § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 18. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl I S. 1674), ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Gibt es hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ein Fahreignungsmangel vorliegen könnte, ist die Fahrerlaubnisbehörde nach Maßgabe der §§ 11 bis 14 FeV grundsätzlich verpflichtet, Maßnahmen zur Aufklärung bestehender Fahreignungszweifel zu ergreifen (§ 46 Abs. 3 FeV). Geht es – wie hier – um eine Alkoholproblematik und somit um Anhaltspunkte für einen Mangel im Sinne von Nr. 8 der Anlage 4 zur FeV, richten sich die von der Fahrerlaubnisbehörde zu treffenden Maßnahmen zur Klärung von Eignungszweifeln wegen des Alkoholverhaltens des Fahrerlaubnisinhabers nach § 13 FeV.

Erweist sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet zum Führen von (fahrerlaubnisfreien) Fahrzeugen, wozu auch Fahrräder zählen (vgl. § 2 Abs. 4 StVO), hat die Fahrerlaubnisbehörde ihm das Führen zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 FeV). Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass der Führer eines Fahrzeugs zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist, finden (ebenfalls) die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 2 FeV). Hat der Betreffende ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt, ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung ihrer Entscheidung(en) an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV). Dies gilt auch für das Fahrradfahren im Straßenverkehr mit entsprechenden Werten (BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 3 B 102.12 – NJW 2013, 2696; BayVGH, B.v. 3.8.2015 – 11 CS 15.1262 – juris; B.v. 22.12.2014 – 11 ZB 14.1516 – juris). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 FeV).

Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin aufgrund ihrer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad am 24. Mai 2015 und der dabei festgestellten Blutalkoholkonzentration von 2,31 ‰ zu Recht zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgefordert und – entsprechend ihren Hinweisen an die Antragstellerin in der Aufforderung – aus der Nichtbeibringung des Gutachtens auf ihre Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen und fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen geschlossen.

Selbst wenn das Strafverfahren noch nicht (rechtskräftig) beendet ist, reicht der von der Polizei festgestellte Sachverhalt für die streitgegenständliche Gutachtensbeibringungsanordnung aus. Denn am Vorliegen der Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV bestehen nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung keine Zweifel; insbesondere bestehen gegen die Verwertung des Ergebnisses der Blutprobe keine Bedenken. Den von der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen ist zu entnehmen, dass die Antragstellerin nach Belehrung in die Blutentnahme eingewilligt hat. Gleiches ergibt sich aus der polizeilichen Sachverhaltsdarstellung vom 26. Mai 2015 (Bl. 9 f. der Behördenakte). Einer richterlichen Anordnung der Blutentnahme gemäß § 81a Abs. 2 StPO bedurfte es daher nicht. Auch die Alkoholisierung der Antragstellerin und ihre fehlende Unterschrift stehen der Wirksamkeit der Einwilligungserklärung nicht entgegen (vgl. KG Berlin, B.v. 9.10.2014 – 3 Ws (B) 507/14 u.a. – NZV 2015, 97 ff.). Es reicht aus, dass die Antragstellerin – wovon der Senat aufgrund der vorliegenden Unterlagen ausgeht – ausreichend belehrt wurde und dass sie Sinn und Tragweite der Einwilligung erfasst hat (vgl. ThürOLG, B.v. 6.10.2011 – 1 Ss 82/11 – Blutalkohol 49, 44). Letzteres ist trotz des hohen BAK-Werts und der bei der Verkehrskontrolle und bei der Blutentnahme festgestellten Ausfallerscheinungen der Antragstellerin anzunehmen, da die festgestellte hohe BAK und ihre Fähigkeit, trotzdem – wenn auch erheblich unsicher und in Schlangenlinien – Fahrrad zu fahren, auf erhebliche Alkoholgewöhnung hindeuten (vgl. Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, S. 73). Für diese Erkenntnis muss nicht auf die bereits im Fahreignungsregister getilgten, aber von der Antragsgegnerin im Schreiben vom 28. August 2015 (Bl. 43 der Behördenakte) erwähnten früheren Fahrerlaubnisentziehungen wegen „Trunkenheitsdelikten“ in den Jahren 1989 und 2002 zurückgegriffen werden.

Rechtswidrig ist der Bescheid auch nicht deshalb, weil die Antragstellerin seit dem 9. Oktober 2015 an einem Alkoholabstinenzprogramm teilnimmt und jederzeit zur Urinprobe einbestellt werden kann. Das nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV aufgrund der bei der Trunkenheitsfahrt festgestellten Blutalkoholkonzentration zwingend beizubringende medizinisch-psychologische Gutachten wird hierdurch nicht entbehrlich. Den Nachweis ihrer Eignung zum Führen von Fahrzeugen kann die Antragstellerin nur durch Vorlage eines positiven Gutachtens erbringen. Die Teilnahme an einem Alkoholabstinenzprogramm ist hierfür zwar ein erster positiver Ansatz. Solange die Antragstellerin jedoch kein positives Gutachten vorgelegt hat, ist weiterhin von ihrer Ungeeignetheit zum Führen von Fahrzeugen auszugehen.

2. Das Verwaltungsgericht ging zutreffend davon aus, dass die Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des streitgegenständlichen Bescheids den formellen Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt. Zwar bedarf es zu diesem Zweck regelmäßig der Darlegung besonderer Gründe, die über die Gesichtspunkte hinausgehen, die den Verwaltungsakt selbst rechtfertigen. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verpflichtet die Behörde aber nicht, eine Begründung zu geben, die ausschließlich auf den konkreten Einzelfall zutrifft. Gerade dann, wenn immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung vielmehr darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese Interessenlage nach ihrer Auffassung auch im konkreten Fall vorliegt. Das kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts in Betracht, zu dem auch die Fälle des Fahrerlaubnisentzugs und der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Kraftfahrzeuge und von Fahrrädern im öffentlichen Straßenverkehr wegen fehlender Fahreignung gehören. Denn es liegt in der Regel auf der Hand, dass die Teilnahme eines für ungeeignet erachteten Kraftfahrers am Straßenverkehr zu erheblichen Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer führt, und dass ein solcher Kraftfahrer zur Vermeidung der von ihm ausgehenden akuten Gefahr durch die Anordnung des Sofortvollzugs des Entziehungsbescheids schnellstmöglich von der weiteren Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2004 – 11 CS 04.819, v. 4.1.2005 – 11 CS 04.2838, v. 13.1.2005 – 11 CS 04.2968, v. 17.8.2005 – 11 CS 05.662, v. 10.10.2005 – 11 CS 05.1648). Deshalb sind in solchen Fällen an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 36, 43).

Auch die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des ihr auferlegten Verbots, fahrerlaubnisfreie Kraftfahrzeuge und Fahrräder im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, damit die als ungeeignet anzusehende Antragstellerin nicht noch über längere Zeit mit fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen fahren und hierdurch sich und andere Verkehrsteilnehmer an Leib, Leben oder Gesundheit gefährden kann, ist angesichts ihrer Fahrt mit einer BAK von 2,31 ‰ trotz Beginns eines Alkoholkontrollprogramms ausreichend begründet, zumal die Antragstellerin es versäumt hat, durch das angeordnete Gutachten klären zu lassen, ob das sichere Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen ggf. unter Beschränkungen und/oder Auflagen möglich ist.

3. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 und 46.14 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anh. § 164 Rn. 14). Die Führerscheinklasse A ist ausweislich des im Behördenakt befindlichen Führerscheins nicht mit einer Schlüsselzahl versehen und dadurch eingeschränkt. Die Befugnis zur Änderung des Streitwertbeschlusses in der Rechtsmittelinstanz von Amts wegen folgt aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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