Das Verwaltungsgericht München hat im Urteil Az.: M 19 X 23.2942 vom 24.11.2023 die Wohnungsdurchsuchung zum Zweck der Führerscheinsicherstellung als rechtmäßig erachtet. Die Entscheidung stützt sich auf die Nichtabgabe des Führerscheins durch den Antragsgegner trotz mehrfacher Aufforderung und drohenden Zwangsmaßnahmen. Die Durchsuchung dient der effektiven Gefahrenabwehr im Straßenverkehr und überwiegt das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung des Antragsgegners.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Rechtmäßigkeit der Wohnungsdurchsuchung zur Sicherstellung des Führerscheins.
- Notwendigkeit der Durchsuchung aufgrund unzureichender Mitwirkung des Antragsgegners.
- Unmittelbarer Zwang als letztes Mittel nach erfolglosen vorherigen Versuchen, den Führerschein sicherzustellen.
- Bestandskraft des Vollstreckungsbescheids als Voraussetzung für die Durchsuchung.
- Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Straßenverkehr als überwiegendes Interesse.
- Ermessensentscheidung des Gerichts zur Durchführung der Durchsuchung ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners.
- Befristung der Durchsuchungsanordnung zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit.
- Die Kostenentscheidung gegen den Antragsgegner.
Übersicht
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- Wohnungsdurchsuchung wegen Führerscheinentzug – Wann ist sie zulässig?
- Rechtsstreit um die Sicherstellung eines Führerscheins eskaliert
- Vom Zwangsgeld zur Wohnungsdurchsuchung: Eine Maßnahme der letzten Instanz
- Die rechtliche Grundlage und Begründung des Gerichts
- Zwischen Unverletzlichkeit der Wohnung und öffentlicher Sicherheit
- ✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Wohnungsdurchsuchung wegen Führerscheinentzug – Wann ist sie zulässig?
Eine Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke der Führerscheinsicherstellung ist ein schwerwiegender Eingriff in die Privatsphäre des Betroffenen. Sie ist jedoch unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, insbesondere wenn der Führerscheininhaber einer Fahrerlaubnisentziehung unterliegt und den Führerschein nicht freiwillig herausgibt. Die rechtlichen Grundlagen für eine solche Durchsuchung finden sich im Strafgesetzbuch (StGB), in der Strafprozessordnung (StPO) und im Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG). In diesem Artikel werden die Voraussetzungen und das Verfahren einer Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke der Führerscheinsicherstellung erläutert. Außerdem wird ein aktuelles Urteil des Verwaltungsgerichts München vorgestellt, in dem es um die Rechtmäßigkeit einer solchen Durchsuchung ging.
Rechtsstreit um die Sicherstellung eines Führerscheins eskaliert
Im Zentrum des Geschehens steht der Fall eines Antragsgegners, dessen Führerschein von der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts Altötting entzogen wurde. Dieser Entzug erfolgte, nachdem der im Jahr 2001 geborene Antragsgegner innerhalb seiner zweijährigen Probezeit eine schwerwiegende Verkehrsordnungswidrigkeit begangen hatte – die Missachtung des Rotlichts eines Wechsellichtzeichens. Trotz der rechtskräftigen Entscheidung und der anschließenden Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins unter Androhung eines Zwangsgeldes kam der Antragsgegner dieser Aufforderung nicht nach. In der Folge eskalierte die Situation, woraufhin das Landratsamt Altötting beim Verwaltungsgericht München eine Durchsuchungsanordnung für die Wohnräume des Antragsgegners beantragte, um den Führerschein zwangsweise sicherzustellen.
Vom Zwangsgeld zur Wohnungsdurchsuchung: Eine Maßnahme der letzten Instanz
Die Eskalation des Falles wurde durch mehrere erfolglose Versuche gekennzeichnet, den Antragsgegner zur Herausgabe seines Führerscheins zu bewegen. Nach der Festsetzung und Fälligstellung des Zwangsgeldes und der erneuten Androhung unmittelbaren Zwangs zur Sicherstellung des Führerscheins reagierte der Antragsgegner weder auf Schreiben noch auf weitere Aufforderungen. Diese Ignoranz führte zu der Entscheidung, eine Wohnungsdurchsuchung als Mittel der letzten Instanz zu erwägen. Die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme gründete sich auf die vollstreckbaren Bescheide und die Notwendigkeit, die öffentliche Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten.
Die rechtliche Grundlage und Begründung des Gerichts
Das Verwaltungsgericht München befand den Antrag auf Wohnungsdurchsuchung für zulässig und begründet. Gemäß Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG sind die zuständigen Bediensteten der Vollstreckungsbehörde und Polizeibeamten berechtigt, Wohnräume zu betreten und verschlossene Behältnisse zu öffnen, wenn dies zur Durchsetzung öffentlicher Interessen erforderlich ist. Das Gericht ergänzte diese Vorschrift um einen Richtervorbehalt, um den Anforderungen des Grundgesetzes gerecht zu werden. Die Entscheidung stützte sich auf die erheblichen Zweifel an der Fahreignung des Antragsgegners und das überwiegende öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Verstöße im Straßenverkehr.
Zwischen Unverletzlichkeit der Wohnung und öffentlicher Sicherheit
Die Abwägung zwischen dem Recht des Antragsgegners auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung und dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Gefahrenabwehr im Straßenverkehr fiel zugunsten der letzteren aus. Das Gericht sah in der zwangsweisen Sicherstellung des Führerscheins eine notwendige Maßnahme, um das Risiko weiterer Verkehrsdelikte durch den Antragsgegner zu minimieren. Dabei wurde besonderer Wert auf die Befristung der Durchsuchungsanordnung gelegt, um die Eingriffe in die Privatsphäre des Betroffenen zu minimieren und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu wahren.
Das Verwaltungsgericht München hat in seinem Urteil die Wohnungsdurchsuchung zum Zweck der Führerscheinsicherstellung unter strengen Voraussetzungen als rechtmäßig erachtet. Die Entscheidung verdeutlicht die Notwendigkeit, im Konfliktfall zwischen individuellen Rechten und öffentlichen Interessen eine sorgfältige Abwägung vorzunehmen.
✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt
Inwiefern unterscheidet sich ein Zwangsgeld von unmittelbarem Zwang?
Zwangsgeld und unmittelbarer Zwang sind zwei verschiedene Mechanismen, die von Behörden eingesetzt werden, um die Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften zu erzwingen. Beide haben unterschiedliche Anwendungsgebiete und Voraussetzungen für ihre Anwendung.
Zwangsgeld
Das Zwangsgeld ist ein finanzielles Druckmittel, das zur Durchsetzung eines Verwaltungsaktes eingesetzt wird. Es zielt darauf ab, eine Person oder ein Unternehmen dazu zu bewegen, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, eine Duldung zu erlauben oder von einer Handlung abzusehen. Das Zwangsgeld wird schriftlich angedroht und nach Ablauf einer festgesetzten Frist erhoben, wenn der Adressat der Aufforderung nicht nachkommt. Die Höhe des Zwangsgeldes ist gesetzlich begrenzt und kann im Falle der Uneinbringlichkeit durch Ersatzzwangshaft ersetzt werden.
Unmittelbarer Zwang
Unmittelbarer Zwang hingegen bezeichnet die Anwendung von physischer Gewalt oder anderen Maßnahmen durch die Behörden, um eine Person direkt zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu zwingen oder die Handlung selbst vorzunehmen. Dies kann die Anwendung von körperlicher Gewalt, den Einsatz von Hilfsmitteln wie Fesseln oder Wasserwerfern oder den Gebrauch von Waffen umfassen. Unmittelbarer Zwang wird als letztes Mittel (ultima ratio) angesehen, wenn andere Zwangsmittel wie das Zwangsgeld oder die Ersatzvornahme nicht zum Ziel führen oder unangemessen sind.
Unterschiede in der Anwendung
- Anwendungsbereich: Zwangsgeld wird eingesetzt, um eine Handlung, Duldung oder Unterlassung zu erzwingen, die vorrangig vom Willen des Betroffenen abhängt. Unmittelbarer Zwang kommt zum Einsatz, wenn physische Maßnahmen notwendig sind, um eine unmittelbare Gefahr abzuwehren oder einen Verwaltungsakt durchzusetzen.
- Voraussetzungen: Bevor unmittelbarer Zwang angewendet wird, müssen in der Regel andere Zwangsmittel wie das Zwangsgeld erfolglos geblieben sein oder als unangemessen betrachtet werden. Das Zwangsgeld hingegen kann direkt angedroht und festgesetzt werden, wenn eine Person einer behördlichen Anordnung nicht nachkommt.
- Verhältnismäßigkeit: Beide Maßnahmen unterliegen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie dürfen nur in dem Umfang angewendet werden, der notwendig ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Der unmittelbare Zwang erfordert jedoch eine besonders sorgfältige Prüfung der Verhältnismäßigkeit, da er in die Grundrechte der Betroffenen eingreift.
Zusammengefasst unterscheiden sich Zwangsgeld und unmittelbarer Zwang hinsichtlich ihrer Zielsetzung, Anwendungsvoraussetzungen und der Art und Weise, wie sie durchgesetzt werden. Während das Zwangsgeld ein finanzielles Druckmittel ist, stellt der unmittelbare Zwang eine direkte physische Einwirkung dar.
Welche Voraussetzungen müssen für eine Wohnungsdurchsuchung erfüllt sein?
Für eine Wohnungsdurchsuchung müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Diese sind in der Strafprozessordnung (StPO) festgelegt und umfassen im Wesentlichen die folgenden Punkte:
- Richterlicher Beschluss: Eine Wohnungsdurchsuchung muss in der Regel durch einen richterlichen Beschluss angeordnet werden. Dieser Beschluss muss Angaben zur zur Last gelegten Straftat, zum Inhalt des Strafvorwurfs und zur Beschreibung des Durchsuchungsziels enthalten.
- Anfangsverdacht: Es muss ein konkreter Anfangsverdacht bestehen, dass die betroffene Person eine Straftat begangen hat. Bloße Vermutungen reichen hierfür nicht aus.
- Hinreichender Tatverdacht: Es muss ein hinreichender Tatverdacht vorliegen, dass Beweismittel oder der Täter in der Wohnung gefunden werden können.
- Gefahr im Verzug: In Ausnahmefällen kann die Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung ohne richterlichen Beschluss anordnen, wenn Gefahr im Verzug ist, also wenn Beweismittel vernichtet werden könnten, bevor ein richterlicher Beschluss erwirkt werden kann.
- Verhältnismäßigkeit: Die Durchsuchung muss verhältnismäßig sein. Das bedeutet, dass sie in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der zur Last gelegten Straftat stehen muss.
Es ist zu beachten, dass die Durchsuchung nicht dazu dienen darf, erst nach Verdachtsmomenten zu suchen. Darüber hinaus dürfen bei einer Wohnungsdurchsuchung alle Räumlichkeiten durchsucht werden, die von der verdächtigen Person bewohnt werden, unabhängig davon, ob sie zur Miete wohnt oder die zu durchsuchenden Räumlichkeiten selbst besitzt.
Das vorliegende Urteil
VG München – Az.: M 19 X 23.2942 – Beschluss vom 24.11.2023
I. Das Betreten und die Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners mit Nebenräumen in …, …-…-Str. 14, durch Bedienstete des Antragstellers (hier des Landratsamts Altötting) sowie der örtlich zuständigen Polizeiinspektion werden gestattet. Verschlossene Türen und Behältnisse dürfen geöffnet werden.
Die Gestattung gilt für sechs Monate ab dem Datum des vorliegenden Beschlusses und nur zum Zwecke der Sicherstellung des Führerscheins des Antragsgegners mit der Nr. … für die Fahrerlaubnisklassen AM, L und B, ausgestellt durch das Landratsamt Altötting.
II. Der Antragsteller wird mit der Zustellung dieses Beschlusses an den Antragsgegner beauftragt. Die Zustellung hat unmittelbar vor Durchführung der in Ziff. I gestatteten Maßnahmen zu erfolgen.
III. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt eine Durchsuchungsanordnung für die Wohnräume des Antragsgegners zum Zwecke der Sicherstellung seines Führerscheins.
Die Fahrerlaubnisbehörde des Antragstellers entzog dem im Jahr 2001 geborenen Antragsgegner mit Bescheid vom …. Oktober 2022, dem Antragsgegner zugestellt am 13. Oktober 2022, die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1) und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500,- € (Nr. 3) dazu auf, seinen Führerschein innerhalb von einer Woche nach Zustellung des Bescheids bei der Behörde abzuliefern (Nr. 2). Auf die kraft Gesetzes bestehende sofortige Vollziehbarkeit der Nr. 1 des Bescheids wurde hingewiesen und die sofortige Vollziehung der Nr. 2 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 4). Die auf § 2a Abs. 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 6 Straßenverkehrsgesetz (StVG) gestützte Fahrerlaubnisentziehung wurde damit begründet, dass der Antragsgegner, dem seine Fahrerlaubnis am 11. Februar 2020 erteilt worden war, am 11. Februar 2022 innerhalb seiner zweijährigen Probezeit durch eine schwerwiegende Zuwiderhandlung nach Abschnitt A der Anlage 12 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) auffällig wurde (Missachtung des Rotlichts eines Wechsellichtzeichens). Die wegen dieser Ordnungswidrigkeit ergangene Entscheidung ist seit 20. April 2022 rechtskräftig. Infolgedessen wurde gegenüber dem Antragsgegner mit Bescheid vom 18. Mai 2022, dem Antragsgegner zugestellt am 19. Mai 2022, die Teilnahme an einem Aufbauseminar angeordnet und eine Frist zur Vorlage der Teilnahmebescheinigung bis zum 19. September 2022 gesetzt. Diese Frist sowie die ihm im Schreiben vom 20. September 2022 gesetzte Anhörungsfrist betreffend die beabsichtigte Entziehung der Fahrerlaubnis ließ der Antragsgegner verstreichen, ohne eine Teilnahmebescheinigung vorzulegen. Rechtsbehelfe gegen den Entziehungsbescheid wurden nicht eingelegt, der Bescheid ist seit 15. November 2022 bestandskräftig.
Weil der Antragsgegner seiner Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins innerhalb der gesetzten Frist nicht nachkam, stellte der Antragsteller mit Schreiben vom 9. November 2022, dem Antragsgegner zugestellt am 12. November 2022, das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 500,- € fällig. Mit Bescheid vom 24. November 2022, dem Antragsgegner zugestellt am 26. November 2022, drohte der Antragsteller dem Antragsgegner für den Fall der erneuten Nichtvorlage seines Führerscheins innerhalb von fünf Tagen ab Zustellung des Bescheids die Anwendung unmittelbaren Zwangs in der Form an, dass die Polizei mit der Sicherstellung des Führerscheins zur Vorlage beim Landratsamt Altötting beauftragt wird.
Am 21. November 2022 wurde der Antragsteller durch die Polizeiinspektion B… darüber informiert, dass der Antragsgegner, der Profifußballer sei, trotz der Entziehung seiner Fahrerlaubnis weiterhin mit seinem Sportwagen fahre.
Am 13. Dezember 2022 bat die Fahrerlaubnisbehörde die Polizeiinspektion A… um Amtshilfe zur Sicherstellung des Führerscheins des Antragsgegners.
Am 24. Dezember 2022 wurde der Antragsteller von der Polizeiinspektion B… davon in Kenntnis gesetzt, dass der Antragsgegner beschuldigt werde, sich am 18. November 2022 einer allgemeinen Verkehrskontrolle entzogen zu haben. Dabei habe er zwei rote Ampeln überfahren. Die Polizei habe die Verfolgung mit einer Geschwindigkeit von innerorts 120 km/h abbrechen müssen. Der Antragsgegner bestreite, seinen Pkw zum Tatzeitpunkt selbst gefahren zu haben.
Mit Schreiben vom 19. Januar 2023 teilte die Polizeiinspektion A… der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass sie den Führerschein des Antragsgegners nicht einziehen konnte. Der Antragsteller habe angegeben, diesen verloren zu haben. Eine entsprechende eidesstattliche Versicherung hat er nicht abgegeben.
Am 19. Januar 2023 wurde der Antragsgegner in seinem Pkw einer Standkontrolle der Polizeiinspektion W… unterzogen und gab hierbei an, seinen Führerschein in A… vergessen zu haben. Nachdem eine polizeiliche Überprüfung die bestandskräftige Fahrerlaubnisentziehung ergab, wurde die Weiterfahrt unterbunden. Infolgedessen wurde gegenüber dem Antragsgegner mit seit 14. Juni 2023 rechtskräftigem Strafbefehl eine Geldstrafe von 3.200,- € aufgrund Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVG) verhängt.
Mit Schreiben vom 26. Januar 2023, dem Antragsgegner zugestellt am 31. Januar 2023, wurde dieser zum Zwangsmittel der Wohnungsdurchsuchung angehört. Nachdem der Antragsgegner hierauf nicht reagierte, erließ der Antragsteller am 15. Februar 2023 einen Zwangsmittelbescheid in Form der Androhung einer Wohnungsdurchsuchung, der dem Antragsgegner am 21. Februar 2023 zugestellt wurde.
Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2023, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am selben Tag, beantragte der Antragsteller,
dem Landratsamt Altötting, Fahrerlaubnisbehörde, Bahnhofstraße 38, 84503 Altötting, zu gestatten, die Wohnung des Antragsgegners sowie sämtliche zur Wohnung gehörenden Nebenräume im Anwesen …-Str. 14, … zum Zwecke der Einziehung des Führerscheins, Führerscheinnummer …, durch Bedienstete des Landratsamts Altötting und Polizeibeamte zu betreten und zu durchsuchen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, mit Bescheid vom 10. Oktober 2022 sei die sofortige Vollziehbarkeit der Ablieferungsverpflichtung des Führerscheins angeordnet worden. Der Bescheid sei gemäß Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG – vollstreckbar. Auch die übrigen Voraussetzungen des Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG lägen vor. Der Antragsgegner sei seiner Verpflichtung zur Ablieferung seines Führerscheins bisher nicht freiwillig nachgekommen. Aufgrund seines unkooperativen Verhaltens könne nicht davon ausgegangen werden, dass dieser den Führerschein ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss herausgebe. Aufgrund der Einstellung des Antragsgegners, die er im Straßenverkehr bei mehreren Verstößen gegen die Verkehrsordnung bereits in seiner Probezeit gezeigt habe, bestünden erhebliche Zweifel an seiner Fahreignung. Angesichts des Gefährdungspotentials, das von dem Antragsgegner ausgehe, wenn er ungehindert am Straßenverkehr teilnehme, werde das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung durch eine kurzzeitige Durchsuchung nicht unverhältnismäßig eingeschränkt.
Der Antrag wurde dem Antragsgegner weder zugestellt noch wurde er vor der Entscheidung angehört.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 VwGO).
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
1. Der Antrag auf Gestattung der Wohnungsdurchsuchung durch richterliche Anordnung ist zulässig, insbesondere statthaft. Gemäß Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG sind die zuständigen Bediensteten der Vollstreckungsbehörde sowie Polizeibeamten befugt, die Wohnung des Antragsgegners zu betreten sowie verschlossene Türen und Behältnisse zu öffnen. Im Hinblick auf Art. 13 Abs. 2 Grundgesetz – GG –, wonach Wohnungsdurchsuchungen außer in dem hier nicht einschlägigen Fall der Gefahr in Verzug nur durch den Richter angeordnet werden dürfen, ist diese Vorschrift in verfassungskonformer Auslegung um einen Richtervorbehalt zu ergänzen (BVerfG, B.v. 3.4.1979 – 1 BvR 994/76 – juris Rn. 24 ff.; B.v. 17.3.2009 – 2 BvR 1940/05 – juris Rn. 21).
2. Der Antrag ist auch begründet. Die für den Antrag auf Gestattung der Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners einschließlich der Nebenräume erforderlichen allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen (Art. 18 ff. VwZVG) liegen vor. Anhaltspunkte dafür, dass die Durchsuchungsgestattung unverhältnismäßig wäre, bestehen nicht (zu den Voraussetzungen der gerichtlich eingeräumten Befugnis der Fahrerlaubnisbehörde zum Betreten und Durchsuchen der Wohnung mit Nebenräumen vgl. BayVGH, B.v. 5.7.2018 – 11 C 18.1220 – juris).
2.1 Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 19 VwZVG liegen vor. Der Bescheid ist vollstreckbar (Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG). Die in Nr. 2 des Bescheids vom 10. Oktober 2022 wirksam angeordnete Verpflichtung des Antragsgegners zur Abgabe seines Führerscheins innerhalb der gesetzten Frist ist mit Nr. 4 des selbigen Bescheids für sofort vollziehbar erklärt worden. Der Bescheid ist darüber hinaus seit 15. November 2022 bestandskräftig. Die Verpflichtung des Antragsgegners zur Abgabe seines Führerscheins ist somit vollziehbar.
Auch die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 34, 36, 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG sind gegeben. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 24. November 2022 und 15. Februar 2023 drohte der Antragsteller dem Antragsgegner unmittelbaren Zwang an (Art. 36 BayVwZVG). Die Androhung ersetzt in der Verwaltungsvollstreckung die Anhörung nach Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – (Art. 28 Abs. 2 Nr. 5 BayVwVfG).
Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner seiner Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins bisher nicht nachgekommen ist. Er hat nachvollziehbar dargelegt, dass die Anwendung von Verwaltungszwang erforderlich ist und dass die Androhung weiterer Zwangsmittel offensichtlich keinen Erfolg verspricht: Der Antragsgegner hat trotz Fälligstellung des Zwangsgelds, mehrfacher Androhung unmittelbaren Zwangs, versuchter Sicherstellung durch die Polizei und wiederholter Aufforderungen, seinen Führerschein abzuliefern, weder seinen Führerschein noch eine Versicherung an Eides statt abgegeben. Seiner Mitwirkungspflicht ist der Antragsgegner in keiner Weise nachgekommen; auf keines der Anhörungsschreiben der Fahrerlaubnisbehörde hat er reagiert. Aufgrund dieses Verhaltens ist nicht damit zu rechnen, dass der Antragsgegner seinen Führerschein freiwillig herausgeben wird. Seine Behauptung, er habe seinen Führerschein verloren, ist vor diesem Hintergrund unglaubhaft, zumal er bei der polizeilichen Kontrolle in W… am 19. Januar 2023 entgegengesetzte Angaben machte. Hierbei erklärte er, dass er seinen Führerschein nur zuhause vergessen habe.
2.2 Die – nötigenfalls – zwangsweise Öffnung und Durchsuchung der Wohnung im Wege des unmittelbaren Zwangs ist erforderlich. Nach Aktenlage ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsgegner seinen Führerschein freiwillig herausgibt, auch nicht, wenn er hierzu von Polizeibeamten aufgefordert werden sollte. Das Verstreichenlassen der Fristen, die Gleichgültigkeit gegenüber dem fällig gestellten Zwangsgeld und die abwehrende Reaktion des Antragsgegners im Rahmen des Sicherstellungsversuchs der Polizei lassen erkennen, dass er nicht gewillt ist, behördlichen oder auch polizeilichen Anordnungen hinsichtlich der Abgabe seines Führerscheins Folge zu leisten. Mildere Zwangsmittel (vgl. Art. 29 Abs. 3 VwZVG) sind damit nicht ersichtlich. Insbesondere ist die Durchsuchung im Verhältnis zur Ersatzzwangshaft nach Art. 33 VwZVG das mildere Mittel.
2.3 Umstände, aufgrund derer eine Wohnungsdurchsuchung im Rahmen der Ermessensentscheidung des Antragstellers als nicht verhältnismäßig erscheinen würde, sind nicht erkennbar. Das Recht des Antragsgegners auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung (Art. 13 GG) muss angesichts des vom Antragsteller hier im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzenden öffentlichen Interesses an einer effektiven Gefahrenabwehr im Straßenverkehr zurücktreten. Die Gefahr des Missbrauchs des Führerscheindokuments, das sich dem gesamten Verhalten des Antragsgegners nach zu urteilen mit hoher Wahrscheinlichkeit noch in seinem Besitz befindet, wiegt schwerer als die Unverletzlichkeit der Wohnung des Antragsgegners. Es besteht die dringende Gefahr, dass der Antragsgegner mit dem Führerschein im Straßenverkehr weiterhin den Anschein einer Fahrerlaubnis erweckt und Straftaten nach § 21 StVG begeht, ohne dass diese von eventuell kontrollierenden Polizeibeamten erkannt werden. Wie die von der Polizei ermittelten Verstöße des Antragsgegners gegen die Verkehrsordnung – schon in seiner (mittlerweile verlängerten) Probezeit, aber gerade auch nach der Entziehung seiner Fahrerlaubnis – verdeutlichen, führt der Antragsgegner weiterhin Fahrzeuge im Straßenverkehr. Die Gefahr des Missbrauchs des Führerscheins bzw. des Anscheins, weiterhin im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, wiegt schwerer als das Recht des Antragsgegners auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung, zumal dem Antragsgegner mehrfach die Möglichkeit eingeräumt wurde, den Führerschein freiwillig zurückzugeben. Ihm bleibt es auch weiterhin unbenommen, eine Durchsuchung seiner Wohnung durch freiwillige Abgabe seines Führerscheins oder einer eidesstattlichen Erklärung zum etwaigen Verlust dieses Dokument abzuwenden. Er ist hierzu unmittelbar vor der Durchsuchung von den Polizeibeamten erneut aufzufordern.
3. Von einer Zustellung des Antrags an den Antragsgegner und seiner Anhörung vor Erlass der vorliegenden richterlichen Anordnung konnte nach Ausübung des dem Gericht hierbei zustehenden Ermessens abgesehen werden.
Zwar gebietet Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich die vorherige Anhörung des Vollstreckungsschuldners. Die Sicherung gefährdeter Interessen kann jedoch in besonderen Verfahrenslagen einen sofortigen Zugriff notwendig machen, der die vorherige Anhörung ausschließt. In diesen Fällen ist der Betroffene auf eine nachträgliche Anhörung zu verweisen (st. Rspr. des VG München, etwa B.v. 6.3.2019 – M 6 X 19.461 – n.v.; B.v. 3.2.2017 – M 6 X 16.4319 – n.v., jeweils unter Bezug auf BVerfG, B.v. 19.6.1981 – 1 BvR 1094/80 – juris Rn. 52; VG Würzburg, B.v. 3.4.2020 – W 6 X 20.481 – juris Rn. 27). Gerade vor einer vom Vollstreckungsgläubiger beantragten richterlichen Anordnung der Durchsuchung wird eine vorgängige Anhörung des Vollstreckungsschuldners in vielen Fällen den Vollstreckungserfolg gefährden, da die Durchsuchung gerade bezweckt, etwas aufzufinden, was der Betroffene von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will (Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 13 Rn. 14). Ob der Vollstreckungserfolg durch eine vorherige Anhörung des Schuldners gefährdet wäre, muss das Gericht im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände prüfen und entscheiden (BVerfG, B.v. 19.6.1981, a.a.O. Rn. 54).
Angesichts des vom Antragsteller glaubhaft dargelegten Verhaltens des Antragsgegners muss vorliegend auch unter Anlegung des Maßstabs der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass eine Anhörung des Antragsgegners vor Erlass dieses Beschlusses den Vollstreckungserfolg gefährden würde. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist zu erwarten, dass der Antragsgegner auch dazu bereit wäre, seinen Führerschein beiseite zu schaffen, sobald er von der beabsichtigten Durchsuchung erfahren würde. Denn dieser hat sich weder mit Blick auf das fällig gestellte Zwangsgeld, den polizeilichen Sicherstellungsversuch, die Androhungen unmittelbaren Zwangs oder den seit 14. Juni 2023 rechtskräftigen Strafbefehl aufgrund Fahrens ohne Fahrerlaubnis einsichtig gezeigt. Unter diesen Umständen kann ohne Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG von einer Anhörung des Betroffenen vor Erlass der Durchsuchungsgestattung abgesehen werden.
Aus denselben Gründen ist auch die in Nr. II des Tenors ausgesprochene Regelung sinnvoll, die Behörde mit der Zustellung des Beschlusses an den Antragsgegner zu beauftragen (§ 168 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Würde ihm der Beschluss vor der Durchsuchung zugestellt, wäre der Vollstreckungserfolg ebenso gefährdet wie bei einer vorherigen Anhörung. Der Antragsteller hat das Empfangsbekenntnis des Antragsgegners an das Gericht zurückzuleiten (§ 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 176 Abs. 1 ZPO). Der Antragsgegner ist – ggf. unter Beobachtung durch die Polizei – Gelegenheit zu geben, vor Beginn der Durchsuchung vom Inhalt des Beschlusses Kenntnis zu nehmen.
4. Weil die richterliche Prüfung einer Wohnungsdurchsuchung die Einhaltung der rechtlichen Grundlagen nicht für unabsehbare Zeit gewährleisten kann, war die Durchsuchungsanordnung entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu befristen (BVerfG, B.v. 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92 – juris LS 1, Rn. 26 ff.; s. auch VG München, B.v. 6.3.2019 – M 6 X 19.461, unter Bezug auf B.v. 22.9.2014 – M 6a X 14.4141).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedurfte es nicht, weil keine streitwertabhängigen Gerichtsgebühren anfallen.