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Fahrerlaubnisentziehung – passives Cannabis-Mitrauchen

VG Gelsenkirchen – Az.: 7 K 4250/15 – Urteil vom 13.07.2016

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert wird auf 10.112,30 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Der 1984 geborene Kläger ist seit dem 27. April 2004 Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse B. Er ist zudem im Besitz einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung und arbeitet als Taxifahrer.

Am 23. April 2015 wurde der Kläger gegen 22:51 Uhr anlässlich einer Verkehrskontrolle als Fahrzeugführer bei dem Drogenvortest positiv auf THC getestet. Bei der daraufhin um 23:20 Uhr entnommenen Blutprobe des Klägers wurde durch das Labor L. ein THC-Wert von 2,0 µg/l und ein THC-COOH-Wert von 20 µg/l ermittelt.

Mit Bescheid vom 27. August 2015 entzog die Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis, forderte diesen auf, den Führerschein spätestens drei Tage nach Zustellung der Verfügung abzuliefern und drohte die Festsetzung eines Zwangsgelds in Höhe von 125,- Euro an. Die Fahrerlaubnis sei zu entziehen, weil der Kläger gelegentlicher Cannabiskonsument sei, zwischen dem Drogenkonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuges nicht getrennt habe und damit ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs sei.

Fahrerlaubnisentziehung - passives Cannabis-Mitrauchen
(Symbolfoto: CameraCraft/Shutterstock.com)

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 30. September 2015 Klage erhoben und Prozesskostenhilfe beantragt. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei rechtswidrig. Die Beklagte müsse beweisen, dass der Kläger (zumindest) gelegentlicher Cannabiskonsument sei. Diesen Beweis habe sie nicht erbracht. Ein gelegentlicher Konsum ergebe sich jedenfalls nicht bereits aus den ermittelten Werten. Vielmehr liege ihnen folgender Sachverhalt zu Grunde: Am Tag des Vorfalls habe er gegen 20 Uhr einen Bekannten zum B.-platz nach E. gebracht, um dort einen Gebrauchtwagen zu besichtigen. Zusammen mit seinem Bruder und dem Bekannten habe man er Probefahrt unternommen. Unterwegs habe man sich mit einem weiteren Bekannten verabredet und sich mit diesem am Hafen getroffen. Dort angekommen hätten die Anderen begonnen, im Auto eine Bong-Flasche mit einer Cannabis-Mischung zu rauchen. Er sei bekannt dafür, dass er ein rigoroser Abstinent-Fahrer sei und habe protestiert. Wegen der Hänseleien und der kaum noch zu atmenden Luft habe er schließlich gegen 21:15 Uhr im Streit das Fahrzeug verlassen und sei zu seinem Auto gelaufen. Dieses habe er nach ca. 40 Minuten erreicht. Im Bereich des B.-platzes habe er auf die Anderen gewartet. Als diese nicht gekommen seien, habe er seine Suche mit seinem Fahrzeug fortgesetzt. Dabei sei er in die Polizeikontrolle geraten. Einen Cannabisrausch oder sonstige Beeinträchtigungen habe er nicht verspürt. Damit stehe fest, dass er den bei ihm festgestellten Cannabiskonsum weder wissentlich noch willentlich vollzogen habe.

Die Beklagte hätte vor der Entziehung der Fahrerlaubnis zudem zunächst ein milderes Mittel ergreifen und eine ärztliche Untersuchung anordnen müssen.

Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 27. August 2015 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Durch Beschluss vom 17. März 2015 hat das Gericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Auf eine entsprechende Anfrage des Gerichts hat das Labor L. in einer ergänzenden Stellungnahme vom 29. Februar 2016 mitgeteilt, der Nachweis von THC und seinen Metaboliten in den beim Kläger vorgefundenen Konzentrationen belege eine aktive Aufnahme von THC/Marihuana. Ein rein passiver Konsum könne ausgeschlossen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2015 ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Die Entziehungsverfügung beruht auf § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG – und § 46 Abs. 1 der Fahrerlaubnisverordnung – FeV -. Danach ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ungeeignet ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wer Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV aufweist, welche die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen. Wie sich der Konsum von Cannabis auf die Kraftfahreignung auswirkt, ist in Nr. 9.2 der Anlage 4 zur FeV geregelt. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen, wenn gelegentlich Cannabis konsumiert und dieser Konsum nicht vom Fahren eines Kraftfahrzeugs getrennt wird.

Der Kläger hat am 23. April 2015 gegen 22:51 Uhr ein Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss im Straßenverkehr geführt. Der in seinem Blut nach dem Ergebnis des chemisch-toxikologischen Gutachtens des hierfür besonders akkreditierten Labors L. vom 6. Mai 2015 festgestellte THC-Wert von 2,0 µg/l übersteigt den zu § 24a Abs. 2 StVG durch die Grenzwertkommission festgesetzten Wert von 1 ng/g bzw. ml und rechtfertigt daher die Annahme eines zeitnahen Konsums mit entsprechender Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit. Das Erreichen dieses Grenzwertes ist nämlich für die Annahme relevanten Cannabiseinflusses erforderlich, aber auch ausreichend.

Vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 21. Dezember 2004 – 1 BvR 2652/03 – mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur. Zu den neuesten Erkenntnissen und der Frage der Beibehaltung dieses Grenzwertes siehe VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20. Januar 2016 – 9 K 4303/15 – und Beschluss vom 25. Februar 2016 – 7 L 30/16 -.

Eine eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln setzt allerdings grundsätzlich einen willentlichen Konsum voraus. Hierfür spricht zunächst der Wortlaut der Nr. 9.1 der Anlage 4 („Einnahme“). Darüber hinaus fehlt es bei einer unwissentlichen oder unbewussten Aufnahme von Betäubungsmitteln an einer beacht-lichen Wiederholungswahrscheinlichkeit, die ihrerseits Grundlage für die regelmäßige Annahme der fehlenden Eignung ist. Allerdings geht nach allgemeiner Lebens-erfahrung einem positiven Drogennachweis typischerweise ein entsprechender Willensakt voraus. Der von dem Betroffenen behauptete Fall einer versehentlichen bzw. missbräuchlich durch Dritte herbeigeführten Rauschmittelvergiftung stellt sich dagegen als ein Ausnahmetatbestand dar, zu dem nur der Betroffene als der am Geschehen Beteiligte Klärendes beisteuern kann und der von diesem glaubhaft und widerspruchsfrei dargetan werden muss. Der Betroffene muss nachvollziehbar und plausibel darlegen, wer, aus welchem Grund und auf welche Weise die Drogen verabreicht haben soll. Allein die Vermutung, die Drogen könnten von fremden Dritten unwissentlich verabreicht worden sein, reicht hierfür nicht aus.

OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2012 – 16 B 231/12 -, juris, m. w. N.; Beschluss vom 18. Februar 2008 – 16 B 2113/07 -, juris.

Der Kläger trägt vor, er habe einige Zeit in einem Fahrzeug mit 4 weiteren Personen gesessen, die eine Bong mit einer Cannabis-Mischung geraucht hätten. Allein das Einatmen der Luft im Fahrzeuginneren hätte zu den ermittelten Blutwerten geführt. Fraglich ist, ob ein solches Geschehen einem unbewussten oder unwillentlichen Konsum gleichzusetzen wäre. Denn dem Kläger war bewusst, dass Cannabis geraucht wurde; nach eigenem Vortrag war die Luft nach einiger Zeit so schlecht, dass er kaum noch atmen konnte. Allerdings kann die Beantwortung der Frage dahinstehen. Denn die Behauptung des Klägers, ausschließlich passiv konsumiert zu haben, ist nicht glaubhaft. Dies ergibt sich aus fachkundigen, ergänzenden Stellungnahme des Labors L. vom 29. Februar 2016, die auf der Grundlage der vom Kläger geschilderten Ereignisse abgegeben wurde. Danach belegt der Nachweis von THC und seinen Metaboliten in den beim Kläger vorgefundenen Konzentrationen eine aktive Aufnahme von THC/Marihuana. Ein rein passiver Konsum kann ausgeschlossen werden.

Durch das Führen eines Kraftfahrzeuges unter Cannabiseinfluss hat der Antragsteller bewiesen, dass er zwischen Konsum von Cannabis und Fahren nicht trennen kann.

Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschlüsse vom 15. Dezember 2003 – 19 B 2493/03 -, 7. Februar 2006 – 16 B 1392/05 -, 9. Juli 2007 – 16 B 907/07 – und 1. August 2007 – 16 B 908/07.

Der Kläger hat auch mehr als einmal und damit gelegentlich Cannabis konsumiert.

Grundsätzlich spricht eine beträchtliche Wahrscheinlichkeit dagegen, dass ein Erstkonsument, der im Umgang mit Marihuana unerfahren ist, sich nur kurze Zeit nach dem Konsum der Droge dem hohen Risiko einer Fahrt unter Drogeneinfluss aussetzt. In diesen Fällen ist es daher regelmäßig gerechtfertigt, auf eine mehr als einmalige, gleichsam experimentelle Drogenaufnahme zu schließen, wenn der auffällig gewordene Fahrerlaubnisinhaber einen solchen Vortrag zwar geltend macht, die Umstände des behaupteten Erstkonsums aber nicht konkret und glaubhaft darlegt.

Vgl. OVG NRW im Beschwerdebeschluss vom 11. März 2014 – 16 E 1202/13 – mit zahlreichen weiteren Nachweisen.

Hieran mangelt es, da die vom Kläger behaupteten Ereignisse – wie oben dargelegt – nicht glaubhaft sind.

Bei feststehender Ungeeignetheit steht der Beklagten hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis kein Ermessen zu (vgl. § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV). Die Einholung eines ärztlichen Gutachtens als milderes Mittel kommt lediglich bei Bedenken an der Kraftfahreignung des Betroffenen in Betracht, nicht aber, wenn diese bereits feststeht.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 154 Abs. 1 VwGO. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung – ZPO -.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes. Der Streitwert eines Klageverfahrens, das die Entziehung einer beruflich genutzten Fahrerlaubnis betrifft, beträgt 10.000,- EUR, wenn die berufliche Nutzung – wie bei einem Taxifahrer der Fall – gerade im Führen eines Kraftfahrzeugs besteht.

St. Rspr.: vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 4. Mai 2009 – 16 E 550/09 -, juris, Rn. 2 f., und vom 8. April 2014 – 16 B 207/14 -, juris, Rn. 8 f; Zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 2015 – 16 E 415/15.

Hinzuzurechnen sind die festgesetzten Gebühren und Auslagen.

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