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Fahrerlaubnisentziehung bei Einnahme von Medizinal-Cannabis und weiteren Arzneimitteln

VG München – Az.: M 26 S 19.5055 – Beschluss vom 18.12.2019

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf Euro 2.500,– festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1981 geborene Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B einschließlich Unterklassen.

Da der Antragsteller am … November 2017 im Besitz von 5,22 Gramm Amphetamin war, ordnete die Antragsgegnerin ein fachärztliches Fahreignungsgutachten zu der Frage an, ob der Antragsteller Betäubungsmittel einnehme. Dem ärztlichen Gutachten der A… GmbH vom … August 2018 (Untersuchungstag: … Juni 2018) war zu entnehmen, dass der Antragsteller ärztlich verordnet Amphetamin und Cannabis einnehme. Da der Antragsteller an einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS) leide, sei er vor drei Monaten auf Medikinet Adult (Wirkstoff Methylphenidat) eingestellt worden. Diesbezüglich wurde ein neurologisches Attest des Herrn Dr. A… vom … März 2018 vorgelegt. Unter dieser Medikation könne der Antragsteller sich besser konzentrieren und sei weniger aggressiv. Um jedoch eine damit einhergehende Schlafproblematik in den Griff zu bekommen, seien ihm zusätzlich Cannabisblüten ärztlich verordnet worden. Diesbezüglich wurde ein Patientenausweis, ausgestellt von A… Naturheilverfahren, vom … März 2018, vorgelegt, dem zufolge dem Antragsteller Medizinal-Cannabisblüten zur Inhalation und Vaporisation verordnet wurden. Die Einzeldosis betrage 0,6g, die Tagesdosis maximal 3,0 g und der vier-Wochen-Bedarf 90 g.

Andere Betäubungsmittel habe der Antragsteller nie konsumiert; das bei ihm aufgefundene Amphetamin sei nicht für seinen Eigenkonsum bestimmt gewesen.

Die Untersuchung einer am Untersuchungstag entnommenen Urinprobe erbrachte den Nachweis von THC-Carbonsäure, Methylphenidat und Ritalinsäure. In einer zweiten, am … Juli 2018 entnommenen Urinprobe konnte lediglich THC-Carbonsäure nachgewiesen werden.

Aus gutachterlicher Sicht lasse die aktuell vorliegende Befundlage offen, ob der Neurologe neben der Ritalin-Verordnung eine Cannabiseinnahme für erforderlich halte. Gutachterlich sei nicht verständlich, warum beide Substanzen, die jeweils auch in der Drogenszene konsumiert würden, nicht aus einer Hand verordnet würden. Die Sinnhaftigkeit der Verordnungen seien im Rahmen der aktuellen Fragestellung jedoch nicht zu bewerten. Eine missbräuchliche Einnahme der Substanzkombination könne mit den vorliegenden Attesten nicht ausgeschlossen werden.

Mit Schreiben vom 19. Oktober 2018 ordnete die Antragsgegnerin, gestützt auf §§ 11 Abs. 2 und 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV), die Vorlage eines weiteren ärztlichen Gutachtens zur Klärung der Frage an, ob der Antragsteller trotz der ADHS-Erkrankung und der damit einhergehenden Betäubungsmittelmedikation in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 vollständig gerecht zu werden und ob ein Beigebrauch von sonstigen psychoaktiv wirkenden Stoffen vorliege.

Das daraufhin vorgelegte ärztliche Gutachten der A… GmbH vom … März 2019 (Untersuchungstag: … Januar 2019) kam einerseits zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller trotz des vorliegenden ADHS in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 gerecht zu werden. Die Diagnosestellung des ADHS sei neurologisch dargestellt worden und nachvollziehbar. Die erforderliche Medikation – Methylphenidat – werde neurologisch verordnet und vom Antragsteller nach ärztlicher Vorgabe eingenommen. Die Erkrankung ADHS werde fachärztlich ausreichend betreut und ausweislich der im Rahmen der Begutachtung durchgeführten Leistungstestung bezüglich der getesteten Parameter ausreichend kompensiert. Allerdings führe die Dauermedikation mit Cannabis zusätzlich zu Methylphenidat zur Fahrungeeignetheit. Denn die Drogenvorgeschichte des Antragstellers mit Amphetamin sei in diesem Zusammenhang als ungünstig zu bewerten, so dass eine Verschreibung der genannten Substanzen als Suchtmittel im Raum stehe. Außerdem werde kein erkennbarer Einnahmeplan verfolgt, sondern der Antragsteller nehme Cannabis entsprechend seiner Befindlichkeit. Auch wenn die Einnahme von Medizinal-Cannabis als Therapieoption für ADHS diskutiert werde, sei die Kombination insbesondere mit der Zielsetzung, den Beruf des A… ausüben zu können, schwierig. Schließlich habe der Antragsteller auch keine ausreichende Mitwirkung erkennen lassen. Die Einladung zum Drogenscreening am … Februar 2019 habe er nicht wahrgenommen, da er seinen Angaben zufolge an diesem Tag vom Arbeitgeber nicht habe freigestellt werden können. Weitere Termine für ein Drogenscreening seien dem Antragsteller dann allerdings nicht angeboten worden und eine Haaranalyse habe wegen der Haarlänge von nur 0,2 cm nicht durchgeführt werden können. Im Rahmen der Begutachtung gab der Antragsteller an, er nutze die Cannabismedikation nur zum Schlafen. Einschränkungen nach der Schlafphase habe er nicht.

Vorgelegt wurden unter anderem ein Attest des Suchtmediziners Dr. B… vom … Februar 2019 sowie folgende ärztliche Verordnungen bzw. Bestätigungen hinsichtlich der Cannabismedikation:

– …09.2018: zwei verschiedene Sorten Cannabisblüten, Dosisfindung gemäß schriftlicher Anleitung, beide Sorten zusammen maximal 2-3 g nach Wirkung und Verträglichkeit

– …10.2018: 2,5 g Gesamttagesdosis beider Sorten, Red. abends, Pedanios 3-4 ED per Vaporisator tags. Pedanios 22/1 tags: Energie konzentriert & „Impulsivität tritt in den Hintergrund“.

– Bestätigung vom …11.2018: Kein Rausch von Cannabis, keine Dämpfung tagsüber. Der Antragsteller Benutze Pedanios 22/1, diese Sorte sei für tagsüber geeignet, da die Blüte sehr Sativa-lastig sei, und/oder 20/1, diese Sorte sei für abends geeignet, da die Blüte sehr Indika-lastig sei. Es sei eine sorgfältige, systematische Austestung der Blüten und ihrer individuellen Wirkung besonders im Hinblick auf die Fahrtüchtigkeit erfolgt.

Die durchgeführte psychophysische Leistungstestung habe normgerechte Ergebnisse ergeben.

Die Antragsgegnerin hörte den Antragsteller daraufhin zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Das vorgelegte Gutachten, das dem Antragsteller fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bescheinige, sei schlüssig und nachvollziehbar.

Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 12. April 2019 ließ der Antragsteller ausführen, dass das Gutachten widersprüchlich sei. Aus den erhobenen Befunden und festgestellten Tatsachen würden nicht vertretbare Ergebnisse abgeleitet. So werde u.a. auf eine nicht erwiesene „Drogenvorgeschichte“ abgestellt. Leistungsmängel seien nicht festgestellt worden.

Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller daraufhin auf, das Gutachten bis 29. Mai 2019 nachbessern zu lassen.

Nachdem eine ergänzende Stellungnahme der Begutachtungsstelle nicht vorgelegt wurde, entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 1. Oktober 2019 die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes zur Abgabe seines Führerscheins innerhalb einer Woche nach Zustellung auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, wegen der mangelnden Mitwirkungsbereitschaft des Antragstellers sei gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf seine Nichteignung zu schließen.

Der Führerschein wurde am … Oktober 2019 bei der Polizei abgegeben.

Über den gegen den Bescheid eingelegten Widerspruch wurde nach Aktenlage noch nicht entschieden. Zugleich beantragte der Antragsteller am 9. Oktober 2019 beim Verwaltungsgericht München,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers und einer eventuell nachfolgenden Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. Oktober 2019 wiederherzustellen.

Zur Begründung wird ausgeführt, der Antragsteller sei seit ca. sechs Jahren als hauptberuflicher Fahrer in einem A… in A… tätig, ohne dass es zu einem Zwischenfall im Straßenverkehr gekommen sei. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Entzugs der Fahrerlaubnis und der Einziehung des Führerscheins sei nicht ausreichend begründet. Die Fahrerlaubnisentziehung sei rechtswidrig, da sich aus den Feststellungen der vorgelegten Gutachten tatsächlich ohne Weiteres ergebe, dass der Antragsteller fahrgeeignet sei. Im Übrigen sei die zweite Anordnung eines ärztlichen Gutachtens rechtswidrig gewesen, weil es bei der Abklärung der Auswirkungen einer ADHS-Medikation (Medikinet mit Beigebrauch von Cannabis) nach Abklärung des vorgelagerten medizinischen Fragenkreises eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bedürfe. Dieser Fehler mache die gesamte Gutachtensanordnung rechtswidrig. Der Antragsteller habe überdies ausreichend an der Ausräumung von Fahreignungszweifeln mitgewirkt, so dass der Schluss auf seine fehlende Fahreignung nach § 11 Abs. 8 FeV nicht gerechtfertigt sei. Die nicht hinreichend konkrete Aufforderung, das Gutachten „nachbessern zu lassen bzw. eine ergänzende Stellungnahme einzuholen“, stelle keine rechtmäßige Gutachtensaufforderung dar. Es sei gemäß § 11 FeV Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde und nicht Aufgabe des Gutachters oder des Antragstellers, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen selbst klar und fehlerfrei festzulegen. Das habe auch für das Verlangen einer Nachbesserung oder ergänzenden Stellungnahme zu gelten.

Die Antragsgegnerin beantragte unter Vorlage der Behördenakte, den Antrag abzulehnen.

Die Verwaltungsstreitsache wurde durch Beschluss der Kammer zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt ohne Erfolg.

Nach Auslegung des gestellten Antrags (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) ist davon auszugehen, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage hinsichtlich der in Nummer 1 des streitgegenständlichen Bescheids verfügten Entziehung der Fahrerlaubnis und der in Nummer 2 enthaltenen Verpflichtung zur Ablieferung seines Führerscheins begehrt. Hingegen wird nicht davon ausgegangen, dass auch die Zwangsgeldandrohung Gegenstand des Antrags ist. Denn insoweit wäre ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bereits unzulässig, da es dem Antragsteller hierfür am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Der Antragsteller hat seinen Führerschein abgegeben und damit die Verpflichtung aus Nummer 2 des Bescheids erfüllt. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Antragsgegnerin das Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes gleichwohl noch beitreiben wird.

Der so verstandene Antrag ist zulässig und begründet.

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht prüft, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.

1. Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO im ausreichenden Maß begründet. Die Begründungspflicht soll der Behörde unter anderem den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen („Warnfunktion“), ob tatsächlich ein besonderes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert. Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid genügt den lediglich formell-rechtlichen Anforderungen. Sie lässt erkennen, dass sich die Antragsgegnerin des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst war und enthält die Erwägungen, die sie für die Anordnung des Sofortvollzugs als maßgeblich angesehen hat. Dass in einer Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle im Fahrerlaubnisrecht die Anordnung des sofortigen Vollzugs ähnlich begründet wird, ändert an deren Einzelfallbezogenheit nichts. Ob die im streitgegenständlichen Bescheid angeführte Begründung die Anordnung des Sofortvollzugs in inhaltlicher Hinsicht zu begründen vermag oder – wie die Antragstellerseite rügt – überwiegende und dringende Gründe für die Anordnung des Sofortvollzugs nicht vorliegen bzw. die Interessen des Antragstellers nicht berücksichtigt wurden, ist keine Frage der Begründungspflicht, sondern des Vollzugsinteresses.

2. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, da das Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Ausgehend von oben genannten Grundsätzen ist nach summarischer Prüfung der Hauptsache, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, festzustellen, dass die Erfolgsaussichten des Widerspruchs derzeit zwar als offen anzusehen sind, nach Aktenlage aber eine Wahrscheinlichkeit für dessen Erfolglosigkeit spricht. Ob der Antragsteller unter der Dauermedikation mit Cannabis fahrgeeignet ist, bedarf weiterer Aufklärung im Widerspruchsverfahren durch Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach Vorlage der aktuellen ärztlichen Verordnung von Medizinal-Cannabis durch den Antragsteller. Allerdings spricht nach derzeitiger Sach- und Rechtslage einiges für die fehlende Fahreignung des Antragstellers, so dass die Interessenabwägung zu seinen Lasten ausfällt.

2.1. Aufgrund des ärztlichen Gutachtens vom … März 2019 steht noch nicht abschließend fest, dass der Antragsteller wegen der Dauermedikation mit Cannabis zusätzlich zu Methylphenidat ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist. Die ohne Weiteres verwertbaren gutachterlichen Feststellungen begründen aber erhebliche Zweifel an seiner Fahreignung.

Das Ergebnis der Gutachterin, der Antragsteller sei wegen der Cannabis-Medikation ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, ist nicht schlüssig und nicht nachvollziehbar begründet. Der zur Begründung angeführte Verweis auf die Drogenvorgeschichte des Antragstellers mit Amphetamin und die in diesem Zusammenhang geäußerte Besorgnis, die ärztliche Verschreibung der genannten Betäubungsmittel könne zur Nutzung als Suchtmittel erfolgt sein, ist zwar im Ansatzpunkt durchaus nachvollziehbar, hätte aber einer weitergehenden Validierung und Fundierung mittels gutachterlich erhobener Tatsachen bedurft, zumal dem Antragsteller nach Aktenlage hinsichtlich des Amphetamins nur der Besitz nachgewiesen werden konnte. Der Verweis auf eine fehlende Mitwirkungsbereitschaft wegen der verweigerten Urinabgabe am … Februar 2019 vermag im konkreten Fall für sich genommen ebenfalls noch nicht die Annahme zu begründen, dass der Antragsteller hierdurch Eignungsmängel verbergen wollte. Zwar rechtfertigt ein solches Verhalten durchaus Zweifel. Allerdings hätte dem Antragsteller im vorliegenden Einzelfall angesichts des Umstands, dass er für die Versäumung des Termins zwar keine rechtfertigende, aber durchaus nachvollziehbare Entschuldigung angeführt hat (Unabkömmlichkeit wegen der Anreise von Teilnehmern zur Münchner Sicherheitskonferenz), und dass das Gutachten erst einen Monat nach dem versäumten Termin versandt wurde, so dass ausreichend Zeit für eine weitere unvorhersehbare Einbestellung zu einem Urintest verblieb, noch eine weitere Gelegenheit zur spontanen Abgabe einer Urinprobe gegeben werden müssen. Jedenfalls aber hätte im Gutachten vor dem Hintergrund der konkreten Umstände näher begründet werden müssen, weshalb auf eine nochmalige für den Antragsteller unvorhersehbare Einbestellung verzichtet und stattdessen bereits aufgrund des einmal versäumten Termins von feststehender fehlender Mitwirkungsbereitschaft ausgegangen wurde.

Der Verweis auf den fehlenden Einnahmeplan für das Medizinal-Cannabis allerdings ist aufgrund der gutachterlichen Feststellungen durchaus nachvollziehbar, und es spricht zumindest nach Aktenlage einiges dafür, dass dieser Umstand zur Fahrungeeignetheit des Antragstellers nach Nr. 9.2.1 Anlage 4 FeV wegen regelmäßigen Cannabiskonsums führt. Die abschließende Feststellung fehlender Fahreignung ist indes auf der Basis der vorliegenden Feststellungen noch nicht möglich, weil dem Antragsteller noch die Möglichkeit zu weiterer Aufklärung gegeben werden muss.

Für eine ordnungsgemäße Verordnung von Medizinal-Cannabis, welche ihrerseits notwendige Voraussetzung für die Privilegierung bei der Beurteilung der Fahreignung trotz Dauermedikation mit Cannabis nach Nr. 9.4 und 9.6.2 Anlage 4 FeV ist, ist ein konkreter Einnahmeplan erforderlich, der sowohl die Einzel- als auch die Tagesdosierung angibt. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 der Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln (Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung – BtMVV) ist auf dem Betäubungsmittelrezept die Gebrauchsanweisung mit Einzel- und Tagesgabe oder im Falle, dass dem Patienten eine schriftliche Gebrauchsanweisung übergeben wurde, ein Hinweis auf diese schriftliche Gebrauchsanweisung erforderlich. Auch aus der Ausarbeitung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Apothekerkammern und der Bundesapothekerkammer vom 2. März 2017 „Verordnung von Arzneimitteln mit Cannabisblüten, -extrakt und Cannabinoiden – Information für verschreibende Ärzte/innen“ (abrufbar im Internet unter https://www.kbv.de) geht hervor, dass bei der Verordnung von medizinischem Cannabis die Gebrauchsanweisung eindeutig sein muss und unklare Verordnungen nicht beliefert werden dürfen. Aus der Verordnung muss sich dabei auch die Anzahl der an einem Tag einzunehmenden Einzelgaben ergeben (vgl. zur Anzahl der an einem Tag einzunehmenden Tabletten Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Aufl. 2019, § 9 BtMVV Rn. 8). Unter Zugrundelegung der im Gutachten wiedergegebenen Verordnungslage liegt demnach eine ordnungsgemäße, hinreichend bestimmte und aktuelle ärztliche Verordnung von Cannabis nicht vor. Aus der im Gutachten referierten Verordnung vom … September 2018 geht neben einer maximalen Tagesdosis von 3 Gramm einerseits hervor, dass die Dosisfindung gemäß schriftlicher Anleitung – welche die Gutachterin sich aber offensichtlich nicht hat vorlegen lassen, so dass unklar ist, ob eine solche tatsächlich existiert – zu erfolgen habe; andererseits ist von einer Dosierung „nach Wirkung und Verträglichkeit“ die Rede. Selbst sofern es sich im Falle des Antragstellers um eine Bedarfsmedikation handeln sollte, wären neben der maximalen Tagesdosis auch die Einzeldosierungen anzugeben. In der Verordnung vom … Oktober 2018 ist ebenfalls lediglich eine maximale Gesamt-Tagesdosis von 2,5 Gramm sowie angegeben, welche Blütensorte tagsüber und welche abends einzunehmen ist. Die jeweiligen Einzeldosierungen der beiden Blütensorten werden nicht angegeben. Lediglich in dem Patientenausweis vom März 2018 findet sich die Angabe einer Einzeldosis von 0,6 Gramm. Zum einen wurde der Patientenausweis aber von einem anderen Arzt ausgestellt, bei dem der Antragsteller nicht mehr in Behandlung ist, und zum anderen lässt sich die vom aktuell behandelnden Arzt zuletzt verordnete Gesamttagesdosis von 2,5 Gramm nicht mit Einzeldosen von 0,6 Gramm in Einklang bringen. Eine aktuelle Verordnung wurde ebenfalls nicht vorgelegt; die letzte im Gutachten referierte Verordnung stammt von Oktober 2018.

Des Weiteren liegen neben der unklaren Verordnungslage ausweislich des Gutachtens widersprüchliche Angaben des Antragstellers zur Cannabiseinnahme vor, die Zweifel an der Mitwirkungsbereitschaft des Antragstellers sowie hinsichtlich seiner Compliance begründen, aber ebenfalls einer näheren Aufklärung durch die Gutachterin bedurft hätten bzw. nunmehr einer weiteren Aufklärung im Widerspruchsverfahren bedürfen. Der Antragsteller gab im Rahmen der Anamnese an, er nutze die Cannabismedikation nur zum Schlafen, aber nicht, bevor er fahre. Vor dem Hintergrund des Umstands, dass er zugleich angibt, als A… tätig zu sein, und dass ihm in den Verordnungen vom September und Oktober 2018 zwei verschiedene Sorten von Cannabis-Blüten verschrieben wurden, von denen eine für die Einnahme tagsüber vorgesehen ist, ist dies nicht schlüssig. Auch in der im Gutachten referierten ärztlichen Bestätigung vom … November 2018 wird ausgeführt, dass der Antragsteller die Cannabis-Blüte Pedanios 22/1 benutze, die für tagsüber geeignet und deren Auswahl im Hinblick auf die Fahrtüchtigkeit erfolgt sei. Unklar ist daher, zu welcher Tageszeit und in welchen Einzeldosen der Antragsteller das Cannabis einnimmt, wobei aus dem Gutachten allerdings nicht hervorgeht, dass der Antragsteller im Untersuchungsgespräch konkret danach gefragt wurde bzw. er auf den soeben dargestellten Widerspruch hingewiesen und ihm die Möglichkeit gegeben wurde, diesen auszuräumen. Aus dem Gutachten wird insgesamt nicht deutlich, dass die Gutachterin explizit die Vorlage der aktuellen Verordnung nebst etwaiger schriftlicher Anleitung gefordert und versucht hat, die aufgezeigten Unklarheiten aufzuklären.

2.2. Die Antragsgegnerin war nicht berechtigt, gemäß § 11 Abs. 8 auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen, weil der Antragsteller entgegen der Aufforderung keine ergänzende Stellungnahme der Gutachterin vorgelegt hat. Zum einen wäre es Aufgabe der Antragsgegnerin gewesen, die Forderung einer Nachbesserung näher zu konkretisieren, indem sie das Gutachten einer Prüfung auf seine Nachvollziehbarkeit hin unterzieht und den Antragsteller auf die soeben dargestellten Mängel hinweist. Vor allem aber ist im nunmehrigen Verfahrensstadium zur abschließenden Beurteilung der Fahreignung des Antragstellers ohnehin die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV erforderlich, so dass die Nachbesserung des ärztlichen Gutachtens letztlich nicht geeignet ist, die noch bestehenden Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers auszuräumen.

Durch das ärztliche Gutachten wurde die Grunderkrankung ADHS hinsichtlich der Fahreignung positiv beurteilt und festgestellt, dass diese erfolgreich behandelt wird. Des Weiteren wurde – insoweit über den Gutachtensauftrag hinaus – bereits eine psychophysische Leistungstestung durchgeführt, bei der festgestellt wurde, dass die Medikation generell nicht zu Leistungseinbußen geführt hat, wobei allerdings offen blieb, ob der Antragsteller vor und bei der Leistungstestung unter der Einwirkung der üblicherweise eingenommenen Medikation stand. Im Widerspruchsverfahren wird die Behörde nach Vorlage der aktuellen ärztlichen Verordnung durch den Antragsteller mittels eines medizinisch-psychologischen Gutachtens insbesondere folgende Fragen klären müssen (vgl. hierzu generell VGH BW, B.v. 31.1.2017 – 10 S 1503/16; BayVGH B.v. 29.4.2019 – 11 B 18.2482; Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation, Hrsg. DGVP, aktualisierte Fassung 15.8.2018, im Internet abrufbar unter https://www.dgvp-verkehrspsychologie.de):

– aus medizinischer Sicht das Vorliegen einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung (s.o.), die Einnahmemodalitäten (Dosierung und Anwendung nachvollziehbar? Dauermedikation oder Bedarfsmedikation? Vermeidung von Überdosierungen etc.), und die ärztliche Überwachung der Einnahme;

– aus psychologischer Sicht

O die individuelle Leistungsfähigkeit unter der verordneten Kombinationsmedikation entsprechend dem tatsächlich verfolgten Einnahmeplan, wobei durch geeignete Maßnahmen (mittels Blut- und Urinuntersuchungen) sicherzustellen ist, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt bzw. in dem der Leistungstestung vorangehenden relevanten Zeitraum die Medikation nicht abgesetzt hat. Dies ist aus Sicht des Gerichts im konkreten Einzelfall des Antragstellers erforderlich, weil er als berufsmäßiger A… den Zeitpunkt des Führens eines Kraftfahrzeugs nicht selbst bestimmen kann und die Kombinationsmedikation ausweislich der im fachärztlichen Gutachten referierten ärztlichen Bestätigung vom … Oktober 2018 gerade dazu dienen soll, die Konzentration und Leistungsfähigkeit auch im Beruf zu gewährleisten, wobei Cannabis auch tagsüber eingenommen werde.

O die Fähigkeit zur Kompensation von ggf. festgestellten Leistungseinschränkungen;

O die Compliance gegenüber der Therapie und die Gefahr der missbräuchlichen Einnahme;

O die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung.

2.3. Bei offenen Erfolgsaussichten des Widerspruchs fällt die Interessenabwägung im vorliegenden Fall angesichts der oben unter 2.1. Dargestellten erheblichen Fahreignungszweifel, insbesondere der widersprüchlichen Angaben des Antragstellers zur Cannabiseinnahme und der unklaren Verordnungslage, zulasten des Antragstellers aus. Nach Aktenlage ist derzeit unklar, zu welchen Zeitpunkten und in welcher Dosierung der Antragsteller konkret dass ihm verordnete Cannabis einnimmt, wobei wohl eine regelmäßige (tägliche oder nahezu tägliche Einnahme) erfolgt. Vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller als Berufs… fremdbestimmt und regelmäßig am Straßenverkehr teilnimmt, kann es unter den gegebenen Umständen nicht verantwortet werden, ihn bis zur Klärung seiner Fahreignung weiter am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Seine diesbezüglichen beruflichen und privaten Interessen müssen hinter dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs zurücktreten. Dabei geht das Gericht davon aus, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller unmittelbar nach Zustellung des Beschlusses die Gelegenheit gibt, seine Fahreignung durch Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nachzuweisen.

2.4. Sofern der Antragsteller in der Lage ist, die oben dargestellten Unklarheiten und Widersprüche auszuräumen, dem Gericht eine ordnungsgemäße aktuelle ärztliche Verordnung vorlegt sowie – möglichst gestützt durch eine entsprechende Dokumentation – nachvollziehbar darlegt, wie er konkret dass ihm verordnete Cannabis einnimmt, kann auf einen entsprechenden Antrag hin eine Abänderung des Beschlusses nach § 80 Abs. 7 VwGO erwogen werden. Dies setzt weiterhin selbstverständlich die Bereitschaft des Antragstellers voraus, sich zeitnah einer von der Antragsgegnerin angeordneten medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen.

3. Der Antrag war nach alldem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz in Verbindung mit Nr. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

 

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