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Wohnungsdurchsuchung zur Führerscheinsicherstellung rechtmäßig?

VG München, Az.: M 6 X 16.2643, Beschluss vom 17.06.2016

I. Das Betreten und die Durchsuchung der Wohnung mit Nebenräumen des Antragsgegners in der …str. … in A… durch Bedienstete der örtlich zuständigen Polizeiinspektion sowie Bedienstete des Landratsamts Traunstein werden gestattet. Verschlossene Türen und Behältnisse dürfen geöffnet werden.

Die Gestattung gilt für sechs Monate ab dem Datum des vorliegenden Beschlusses und nur zum Zwecke der Sicherstellung des Führerscheins des Antragsgegners mit der Nr. …, ausgestellt durch das Landratsamt Traunstein.

II. Das Landratsamt Traunstein wird mit der Zustellung dieses Beschlusses sowie der Übergabe des Beschlusses zur Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vom 17. Juni 2016 an den gesetzlichen Vertreter (Verfahrenspfleger) des Antragsgegners beauftragt. Die Zustellung hat vor Durchführung der unter Nr. I gestatteten Maßnahmen zu erfolgen.

Unmittelbar vor Durchführung der unter Nr. I gestatteten Maßnahmen hat das Landratsamt Traunstein außerdem dem Antragsgegner diesen Beschluss zu übergeben.

III. Die Kosten des gerichtsgebührenfreien Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe

I.

Wohnungsdurchsuchung zur Führerscheinsicherstellung rechtmäßig?
Symbolfoto: Von Antonio Guillem /Shutterstock.com

Das Landratsamt Traunstein als Fahrerlaubnisbehörde des Antragstellers entzog dem Antragsgegner mit Bescheid vom … Februar 2016 die Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, BE, C, CE, C1, C1E, L, M und T (Nr. 1 des Bescheids) und gab ihm auf, unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche ab Zustellung des Bescheids, seinen Führerschein (Nr. 2 a) bzw. alternativ eine eidesstattliche Erklärung über den Verbleib des Führerscheins abzugeben (Nr. 2 b). Für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins bzw. der Erklärung wurde dem Antragsgegner ein Zwangsgeld in Höhe von a… EUR angedroht (Nr. 4). In Nr. 3 des Bescheids wurde die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 angeordnet. Dem lag zugrunde, dass der Antragsgegner ein von ihm gefordertes ärztliches Fahreignungsgutachten nicht beigebracht hatte.

Gegen diesen dem Antragsgegner mittels Postzustellungsurkunde am … Februar 2016 und seinem gesetzlichen Vertreter (Verfahrenspfleger mit dem Aufgabenkreis: Vertretung in Fahrerlaubnisangelegenheiten; Amtsgericht Traunstein – Abteilung für Betreuungssachen –, B.v. …11.2015 – …) ebenfalls mittels Postzustellungsurkunde am … Februar 2016 zugestellten Bescheid legte der Verfahrenspfleger kein Rechtsmittel ein.

Die Fahrerlaubnisbehörde mahnte beim Antragsgegner über dessen Verfahrenspfleger mit Schreiben vom … März 2016 unter Hinweis auf das angedrohte Zwangsgeld die Abgabe des Führerscheins bis spätestens … April 2016 an.

Mit dem Verfahrenspfleger des Antragsgegners am … April 2016 mittels Postzustellungsurkunde zugestelltem Schreiben bzw. Bescheid vom … April 2016 stellt die Fahrerlaubnisbehörde das Zwangsgeld in Höhe von a… EUR fällig und drohte erneut ein Zwangsgeld in Höhe von nunmehr b… EUR an, falls der Antragsgegner der Aufforderung unter der Nummer 2a) bzw. 2b) des Bescheids vom … Februar 2016 nicht binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Bescheids nachkomme.

Auch hiergegen legte der Verfahrenspfleger kein Rechtsmittel ein.

Mit dem Verfahrenspfleger des Antragsgegners am … Mai 2016 mittels Postzustellungsurkunde zugestelltem weiteren Schreiben bzw. Bescheid vom … Mai 2016 stellt die Fahrerlaubnisbehörde das Zwangsgeld in Höhe von b… EUR fällig und drohte nunmehr unmittelbaren Zwang an, falls der Antragsgegner der Aufforderung unter der Nummer 2a) bzw. 2b) des Bescheids vom … Februar 2016 nicht binnen einer Woche ab Zustellung dieses Bescheids nachkomme.

Auch hiergegen wurde kein Rechtsmittel eingelegt.

Da all dies nicht zur Abgabe des Führerscheins führte, beantragte der Antragsteller mit Schriftsatz vom … Mai 2016, der am … Juni 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München einging:

I. Das Betreten und die Durchsuchung der Wohnung mit Nebenräumen des Antragsgegners, in A…, …str. … durch Polizeibeamte und Bedienstete des Antragstellers ohne vorherige Anhörung werden gestattet. Verschlossene Türen und Behältnisse dürfen geöffnet werden.

II. Die Gestattung gilt für sechs Monate ab dem Beschlussdatum und nur zum Zwecke der Sicherstellung des EU-Kartenführerscheins des Antragsgegners Nr. …, ausgestellt durch das Landratsamt Traunstein für die Fahrerlaubnisklassen A1, B, BE, C, C1, C1E, CE, L, M, T.

III. Der Antragsteller wird mit der Zustellung dieses Beschlusses an den Antragsgegner beauftragt.

IV. Der Antragsgegner hat die Kosten des gerichtsgebührenfreien Verfahrens zu tragen.

Zur Begründung wurde unter Darlegung der Vorgeschichte insbesondere ausgeführt, dass unmittelbarer Zwang angedroht worden sei, da weitere Zwangsgelder nicht erfolgversprechend erschienen, nachdem Zwangsgelder in Höhe von a… EUR und b… EUR und auch der Hinweis zur Abgabe des Führerscheins den Antragsgegner nicht dazu hätten bewegen können, seinen Führerschein abzugeben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt habe der Antragsgegner auch keine eidesstattliche Versicherung über den Verbleib seines Führerscheins abgegeben.

Mit Beschluss vom 17. Juni 2016 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und auf die Behördenakte ergänzend Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

1. Der Antrag auf Gestattung der Wohnungsdurchsuchung durch richterliche Anordnung ist statthaft und auch sonst zulässig.

Gemäß Art. 37 Abs. 3 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG – sind die zuständigen Bediensteten der Vollstreckungsbehörde sowie Polizeibeamte befugt, die Wohnung des Pflichtigen zu betreten sowie verschlossene Türen und Behältnisse zu öffnen. Im Hinblick auf Art. 13 Abs. 2 Grundgesetz – GG –, wonach Wohnungsdurchsuchungen außer in dem hier nicht einschlägigen Fall der Gefahr in Verzug nur durch den Richter angeordnet werden dürfen, ist diese Vorschrift in verfassungskonformer Auslegung um einen Richtervorbehalt zu ergänzen (vgl. BVerfG vom 3.4.1979 BVerfGE 51, 97 (106); BVerfG v. 17.3.2009, NJW 2009, 2516).

Dabei ist zu beachten, dass Wohnung auch ein Wohnwagen, ein Wohnmobil oder ein Wohnzelt sein kann, wenn es tatsächlich bewohnt wird (Harrer/Kugele, Verwaltungsrecht in Bayern, Art. 37 VwZVG Erl. 6, Art. 26 VwZVG Erl. 7).

2. Der Antrag ist auch begründet.

2.1 Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 19 VwZVG liegen vor.

Da der Bescheid vom … Februar 2016, der in seiner Nummer 2 die Verpflichtung für den Antragsgegner enthielt, seinen Führerschein oder alternativ eine eidesstattliche Erklärung über dessen Verbleib innerhalb der gesetzten Frist abzugeben, mit einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung versehen dem Verfahrenspfleger des Antragsgegners am … Februar 2016 ordnungsgemäß zugestellt wurde und der Verfahrenspfleger keinen Rechtsbehelf hiergegen eingelegt hat, ist der Bescheid mit Ablauf des … März 2016 bestandskräftig geworden (Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG).

Wegen der vom Amtsgericht Traunstein – Abteilung für Betreuungssachen – mit Beschluss vom … November 2015 angeordneten (gesetzlichen) Vertretung des Antragsgegners in Fahrerlaubnisangelegenheiten durch seinen Verfahrenspfleger konnte der Antragsgegner selbst keinen rechtswirksamen Widerspruch gegen den Bescheid einlegen.

Der Antragsteller hat ferner glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner seiner Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins bisher nicht nachgekommen ist (Art. 19 Abs. 2 VwZVG). Angesichts der erfolglosen Androhung und Fälligstellung zweier Zwangsgelder in Höhe von insgesamt c… EUR und des aktenkundigen Verhaltens des Antragsgegners, die Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde zu negieren, versprach eine erneute und ggf. nochmals erhöhte Zwangsgeldandrohung keinen Erfolg, zumal die Zwangsgelder auch nicht freiwillig bezahlt wurden. Mit Bescheid vom … Mai 2016 drohte deshalb der Antragsteller dem Antragsgegner zu Recht gemäß Art. 36 Abs. 1 VwZVG die Anwendung unmittelbaren Zwangs an und verband diese Androhung mit einer angemessenen Frist zur freiwilligen Erfüllung der zu vollstreckenden Anordnung (Abgabe des Führerscheins bzw. einer eidesstattlichen Erklärung).

2.2 Die – nötigenfalls – zwangsweise Öffnung und Durchsuchung der Wohnung ist erforderlich. Nach Aktenlage ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsgegner seinen Führerschein freiwillig herausgibt, auch nicht, wenn er hierzu von Polizeibeamten aufgefordert werden sollte. Das ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus dem gesamten aktenkundigen Verhalten des Antragsgegners.

Umstände, aufgrund derer eine Wohnungsdurchsuchung als nicht verhältnismäßig erscheinen würden, sind nicht erkennbar. Insbesondere muss das Recht des Antragsgegners auf die Unverletzlichkeit seiner Wohnung (Art. 13 GG) angesichts der vom Antragsteller hier im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzenden öffentlichen Interessen an einer effektiven Gefahrenabwehr im Straßenverkehr zurücktreten.

Dem Antragsgegner bleibt es unbenommen, eine Durchsuchung seiner Wohnung durch sofortige Abgabe seines Führerscheins abzuwenden.

2.3 Von einer Zustellung des Antrags an den Verfahrenspfleger des Antragsgegners und einer Anhörung des Antragsgegners bzw. dessen Verfahrenspflegers vor Erlass des Beschlusses konnte nach Ausübung des dem Gericht hierbei zustehenden Ermessens abgesehen werden.

Zwar gebietet Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich die vorherige Anhörung des Vollstreckungsschuldners. Die Sicherung gefährdeter Interessen kann jedoch in besonderen Verfahrenslagen einen sofortigen Zugriff notwendig machen, der die vorherige Anhörung ausschließt. In diesen Fällen ist der Betroffene auf eine nachträgliche Anhörung zu verweisen (st. Rspr. des VG München, u.a. B.v. 18.10.2013 – M 6b X 13.4728 –, B.v. 20.2.2013 – M 6a X 12.233 –, jeweils unter Bezug auf BVerfG v. 19.6.1981 BVerfGE 57, 346 (359); B.v. 13.3.2013 – M 1 X 13.1018 –; vgl. auch VG Augsburg, B.v. 10.1.2013 – AU 7 V 12.1669). Gerade bei einer vom Vollstreckungsgläubiger beantragten richterlichen Anordnung der Durchsuchung wird eine vorgängige Anhörung des Vollstreckungsschuldners in vielen Fällen den Vollstreckungserfolg gefährden, da die Durchsuchung gerade bezweckt, etwas aufzuspüren, was der Betroffene von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will (Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 13 Rn. 14). Ob der Vollstreckungserfolg durch eine vorherige Anhörung des Schuldners gefährdet wäre, muss das Gericht im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände prüfen und entscheiden (BVerfG v. 19.6.1981, a. a. O.).

Angesichts des vom Antragsteller glaubhaft dargelegten Vorverhaltens des Antragsgegners muss nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass eine Anhörung vor Erlass dieses Beschlusses den Vollstreckungserfolg gefährden würde. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist zu erwarten, dass der Antragsgegner, der sich bisher sowohl von den ihm gegenüber fällig gestellten Zwangsgeldern von insgesamt immerhin c… EUR als auch von der Androhung unmittelbaren Zwangs gänzlich unbeeindruckt gezeigt hat, auch dazu bereit wäre, seinen Führerschein beiseite zu schaffen, sobald er von der beabsichtigten Durchsuchung erfahren würde. Unter diesen Umständen kann ohne Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG von einer Anhörung des Betroffenen vor Erlass der Durchsuchungsgestattung abgesehen werden.

2.4 Weil die richterliche Prüfung einer Wohnungsdurchsuchung die Einhaltung der rechtlichen Grundlagen nicht für unabsehbare Zeit gewährleisten kann, war die Durchsuchungsanordnung zu befristen (vgl. VG München, B.v. 24.6.2014 – M 6a X 14.2593, B.v. 19.03.2013 – M 6b X 13.1124; VG Augsburg, B.v. 1.3.2012 – Au 7 V 12.271).

2.5 Aus denselben Gründen wie unter Nr. 2.3 ist auch die in Nr. II des Tenors ausgesprochene Regelung sinnvoll, die Fahrerlaubnisbehörde mit der Zustellung des Beschlusses an den Verfahrenspfleger des Antragsgegners und der Übergabe des Beschlusses an den Antragsgegner zu beauftragen (§ 168 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO – analog). Würde der Beschluss vor der Durchsuchung zugestellt, wäre der Vollstreckungserfolg ebenso gefährdet wie bei einer vor Beschlusserlass erfolgten Anhörung.

Der Antragsteller hat das Empfangsbekenntnis des Verfahrenspflegers des Antragsgegners an das Gericht zurückzuleiten (§ 56 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – i.V.m. § 176 Abs. 1 ZPO).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedurfte es nicht, weil keine streitwertabhängigen Gebühren entstehen.

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