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Wiedererteilung Fahrerlaubnis – Bewertung von Trunkenheitsfahrten

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 16 B 1465/17 – Beschluss vom 11.01.2018

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 27. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers, über die im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter entscheidet (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 87a Abs. 2 und 3 VwGO), hat keinen Erfolg. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung durch den Berichterstatter führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, insbesondere ein solches dauernder Art, erlassen werden, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt im Einzelnen voraus, dass der zu regelnde Anspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) vom jeweiligen Antragsteller glaubhaft gemacht werden (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 und § 294 ZPO).

Wiedererteilung Fahrerlaubnis - Bewertung von Trunkenheitsfahrten
(Symbolfoto: Freer/Shutterstock.com)

Das Verwaltungsgericht ist im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass das Gericht in Verfahren nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO entsprechend dem Sicherungszweck des Anordnungsverfahrens grundsätzlich auf den Ausspruch einer vorläufigen Regelung beschränkt ist, die der Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren im Hauptsacheverfahren nicht vorgreifen darf. Ein solcher Fall der Vorwegnahme der Hauptsache, der besondere Anforderungen speziell im Hinblick auf den Anordnungsgrund mit sich bringt, ist hier indessen nicht gegeben. Denn das Begehren des Antragstellers bezieht sich lediglich darauf, mit der Wiedererlangung der Fahrerlaubnis nicht bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens warten zu müssen, also auf eine zeitlich begrenzte Regelung. Bezogen auf den begrenzten Regelungszeitraum handelt es sich zwar um die abschließende Gestaltung eines Zustands; das ist aber in der einen oder anderen Weise bei jeder einstweiligen Anordnung der Fall. Eine über den geregelten Zeitraum hinausreichend unabänderliche oder zumindest nachwirkend prägende Regelung – nur eine solche nähme wirklich die Hauptsache vorweg – wird vom Antragsteller indessen nicht begehrt und ist auch nicht nach der Natur der Sache mit seinem Begehren verbunden.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 10. September 2013 – 16 B 1022/13 -, vom 2. Dezember 2013 – 16 B 820/13 -, juris, Rn. 2, und vom 1. September 2015 – 16 B 498/15 -; eingehend Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Loseblatt- Kommentar, Stand: März 2015, § 123 Rn. 147 f.

Gleichwohl fehlt es vorliegend schon an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Ein solcher ist auch in fahrerlaubnisrechtlichen Fällen, in denen keine Vorwegnahme der Hauptsache zu besorgen ist, nicht (stets) schon wegen des hohen Stellenwertes der umfassenden und selbständigen Benutzung von Kraftfahrzeugen und der damit einhergehenden Mobilität in der heutigen Gesellschaft und speziell im modernen Arbeits- und Wirtschaftsleben zu bejahen. Vielmehr muss ein besonderes, über das allgemeine Mobilitätsinteresse hinausgehendes Angewiesensein auf die ständige Benutzbarkeit eines Kraftfahrzeuges verdeutlicht werden. Ein solches Angewiesensein hat der Antragsteller nicht behauptet, geschweige denn glaubhaft gemacht. Soweit er in der eidesstattlichen Versicherung vom 22. September 2017 geäußert hat, es sei zutreffend, dass er dringend auf die Wiedererteilung „seiner“ Fahrerlaubnis angewiesen sei, um wieder einer geregelten Arbeitstätigkeit nachgehen zu können, bleiben seine Darlegungen vage und unkonkret. Er verdeutlicht weder, welche Art von Tätigkeit er anstrebt noch auf welchen Entfernungsradius von seinem Wohnort er seine Beschäftigungssuche erstreckt oder ob etwaig Wege zur Arbeit mit öffentlichen Verkehrsmittel bewältigt werden können. Es tritt nicht einmal hervor, dass er derzeit überhaupt wieder auf Arbeitssuche ist. Im letztgenannten Zusammenhang ist auch darauf Bedacht zu nehmen, dass der Antragsteller offensichtlich schon länger und unabhängig von der Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Amtsgericht N.    – Strafbefehl vom 25. August 2016, rechtskräftig seit dem 2. September 2016 – beschäftigungslos war bzw. ist. So erklärte er im Rahmen eines vormaligen Strafverfahrens wegen Unterhaltspflichtverletzung in der am 27. Mai 2015 durchgeführte Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht I.     (Westf.), er habe eine am 31. Oktober 2013 begonnene Arbeit nach einem halben Jahr gekündigt, weil die dort ausgeübte Tätigkeit körperlich zu belastend gewesen sei; seither – das hieße: seit über einem Jahr – bemühe er sich um eine neue Arbeitsstelle. Schon im Jahr zuvor sei er wegen Depressionen in psychiatrischer Behandlung gewesen und nehme seither Antidepressiva. In einem Schreiben des Antragstellers an das Amtsgericht F.     im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Straßenverkehrsgefährdung und des unerlaubten Entfernens vom Unfallort vom 4. August 2016 wird ausgeführt, ihm sei von seinem bisherigen Arbeitgeber, einem Sicherheitsunternehmen, für das er in einer Flüchtlingsunterkunft in I1.       eingesetzt gewesen sei, zum 15. August 2016 wegen der beabsichtigten Schließung dieser Einrichtung gekündigt worden. Wie sich seine Beschäftigungslage seither entwickelt hat, wird vom Antragsteller nicht geschildert; dass sich insoweit die Entziehung der Fahrerlaubnis entscheidend zu seinem Nachteil ausgewirkt hätte, wird nicht vorgetragen oder sonst erkennbar.

Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes sind auch nicht deshalb herabzusetzen, weil der in Rede stehende materiellrechtliche Anspruch (Anordnungsanspruch) offensichtlich bzw. mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gegeben wäre.

Vgl. dazu Funke-Kaiser, in: Bader u. a., Verwaltungsgericht, Kommentar, 6. Aufl. 2014, § 123 Rn. 16 und 26, m. w. N.

Denn eine solche Offensichtlichkeit bzw. hohe Wahrscheinlichkeit ist nicht gegeben. Vielmehr spricht sogar Überwiegendes dagegen, dass der Antragsteller die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis auch ohne die vom Antragsgegner geforderte medizinisch-psychologische Untersuchung beanspruchen kann. Insoweit dürften zwar nicht zwingend in allen Fällen einer – wie hier – nur unterbrochenen Alkoholfahrt, wegen derer strafrechtlich eine Verurteilung wegen einer in Tatmehrheit i. S. v. § 53 StGB begangenen Trunkenheitsfahrt erfolgt ist, wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss i. S. v. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV mit der Folge einer Verpflichtung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vorliegen.

Vgl. VG Meiningen, Beschluss vom 28. Februar 2007 – 2 E 671/06 Me -, Blutalkohol 44 (2007), 404 = juris, Rn. 21; ebenso Mahlberg, DAR 2008, 233 f., und Siegmund, in: Freymann/Wellner, jurisPK- Straßenverkehrsrecht, § 13 FeV Rn. 57; anders VG Frankfurt am Main, Urteil vom 7. Juli 2005 – 6 E 989/05 -, juris, Rn. 16 ff.; offengelassen in OVG NRW, Beschlüsse vom 2. November 2009 – 16 A 343/09 -, juris, Rn. 2, und vom 16. Januar 2013 – 16 B 1348/12 -.

Denn überzeugender als die Anknüpfung an strafrechtliche Wertungen – wie etwa der Frage eines neuen Tatentschlusses – erscheint es, danach zu differenzieren, ob bei natürlicher Betrachtungsweise aus der nach einer Unterbrechung fortgesetzten bzw. wiederaufgenommenen Trunkenheitsfahrt in der Gegenüberstellung mit der vorangegangenen Trunkenheitsfahrt ein wesentlicher zusätzlicher Gefahrenverdacht ersichtlich geworden ist. Dies wird in aller Regel dann zu bejahen sein, wenn die vorherige Fahrtunterbrechung nicht aus einem beliebigen Grund erfolgt ist, etwa einer kurzen Rast, einem Tankvorgang oder einer sonstigen beiläufigen Besorgung, sondern weil – etwa – dem Betroffenen bewusst geworden ist, dass seine alkoholbedingte Beeinträchtigung doch deutlich größer ist, als sich ihm das beim ersten Fahrtantritt dargestellt hat. Insbesondere wenn, wie vorliegend, die Fahrtunterbrechung auf einem vom Betroffenen verursachten Verkehrsunfall beruht, kommt in der nachfolgenden Fortsetzung der Fahrt eine zusätzliche Fehlhaltung und entsprechend ein heraufgesetzter Gefahrenverdacht zum Ausdruck, weil dieser selbst eine schon realisierte Gefährdung nach kurzer Besinnung fortsetzt und damit eine besondere zusätzliche Gleichgültigkeit gegenüber den Erfordernissen der Sicherheit des Straßenverkehrs an den Tag legt.

Es trifft, anders als dies der Antragsteller sieht, insbesondere nicht zu, dass die wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss i. S. v. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV auf mehrere Trinkereignisse zurückgehen müssen. Die Vorschrift stellt von ihrem Wortlaut ausgehend eindeutig auf eine Mehrzahl von Zuwiderhandlungen und nicht auf eine Mehrzahl von jeweils eigenständigen Alkoholaufnahmen bzw. Alkoholräuschen des Betroffenen ab. Soweit der Antragsteller mit der Beschwerde unter Bezugnahme auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorträgt, der Sinn und Zweck des § 13 FeV liege darin, aufgrund einer Prognoseentscheidung den (auch) zukünftigen wiederholten Missbrauch von Alkohol im Sinne eines wiederholten Alkoholkonsums bzw. eines mehrmaligen Rausches ausschließen zu können, verkennt das den spezifisch fahrerlaubnisrechtlichen Begriff des Alkoholmissbrauchs. Dieser beinhaltet nämlich nicht das (wiederholte) übermäßige – also etwa gesellschaftliche Normen überschreitende oder gesundheitlich riskante – Trinken von Alkohol, sondern entsprechend der Definition in Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV das mangelhafte bzw. nicht sichere Trennen zwischen dem Führen von Fahrzeugen und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum.

Vgl. dazu etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 14. November 2013 – 16 B 1146/13 -, = Blutalkohol 51 (2014), 35 = NZV 2014, 236 = juris, Rn. 5 bis 8, sowie vom 29. Juli 2015 – 16 B 584/15 -, Blutalkohol 52 (2015), 350 = SVR 2016, 112 = juris, Rn. 7.

Auch soweit, im Einzelnen umstritten, ein Alkoholmissbrauch bzw. ein dahingehender Gefahrenverdacht aus nicht verkehrsbezogenen Verhaltensweisen wie der Begehung alkoholtypischer Straftaten außerhalb des Straßenverkehrs oder aggressivem Auftreten unter Alkoholeinfluss hergeleitet wird, geht es im Letzten stets um die Frage, inwieweit aus diesen Formen eines alkoholbedingten Kontrollverlustes Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit von Trunkenheitsfahrten gezogen werden können.

Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Beschluss vom 29. Juli 2015 – 16 B 584/15 -, a.a.O., Rn. 9, 15 und 25.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 und § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 

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