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Wenden nach § 18 Abs. 7 StVO – Wann liegt es vor?

OLG Bamberg, Az.: 2 Ss OWi 496/05

Beschluss vom 27.06.2005

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Amberg vom 10. Mai 2004 dahin abgeändert, dass der Betroffene wegen tateinheitlich begangener fahrlässiger Ordnungswidrigkeiten des Abbiegens unter Missachtung entgegenkommender Fahrzeuge sowie der Gefährdung eines anderen Verkehrsteilnehmers unter Wegfall des Fahrverbots zu einer Geldbuße von 80 Euro verurteilt wird.

Angewendete Vorschriften : §§ 1 Abs. 2, 9 Abs. 3 Satz 1, 49 Abs. 1 Nrn. 1 und 9 StVO, § 24 StVG

II. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

III. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die dem Betroffenen dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

I.

Wenden nach § 18 Abs. 7 StVO – Wann liegt es vor? width=
Symbolfoto: : Rawpixel.com/Bigstock

1. Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 10.05.2004 wegen zweier rechtlich zusammentreffender, fahrlässig begangener Ordnungswidrigkeiten des verbotenen Wendens auf einer Kraftfahrstraße (§ 18 Abs. 7 StVO) und der Gefährdung eines anderen Verkehrsteilnehmers (§ 1 Abs. 2 StVO) zu einer Geldbuße von 250 Euro verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Zugleich hat es bestimmt, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein des bislang verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Betroffenen in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens mit Ablauf von vier Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung.

Der Verurteilung liegt nach den Feststellungen folgender Sachverhalt zugrunde:

„Am 31.10.2003 gegen 21.55 Uhr führte der Betroffene die Sattelzugmaschine MAN (…) mit Auflieger (…) auf der Bundesstraße 299 im Bereich der Gemeinde Ursensollen bei Amberg in Richtung Amberg. Es handelte sich dabei um einen etwa 18 Meter langen Autotransporter ohne Ladung. Kurz vor Straßenkilometer 98,380 und vor dem in seiner Fahrtrichtung links neben der Kraftfahrstraße gelegenen Parkplatz Oberhof bemerkte der Betroffene, dass er sich verfahren hatte. Er wollte nun wenden, um wieder in Richtung Autobahn zurückzufahren. Aus dieser Richtung war er gekommen. Unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt leitete er auf der Kraftfahrstraße den beabsichtigten Wendevorgang ein, indem er den Autotransporter nach links zu dem links neben der Kraftfahrstraße befindlichen Parkplatz führte, um von dort wieder zurückzufahren. Dabei hatte er nicht daran gedacht, dass gemäß § 18 VII StVO das Wenden auf der Kraftfahrstraße verboten war und aus Unaufmerksamkeit übersehen, dass sich bei Einleitung des Wendevorgangs die Assistentin Christine O. mit ihrem Pkw VW Golf (…) auf der Bundesstraße 299 ihm aus Richtung Amberg entgegenkommend mit einer Fahrgeschwindigkeit von circa 100 km/h mit eingeschaltetem Abblendlicht schon bis auf etwa 100 Meter genähert hatte. Christine O. leitete angesichts des für sie überraschenden Wendemanövers des Betroffenen eine Vollbremsung ein und wich nach links aus, um den drohenden Zusammenstoß zu vermeiden. Dabei kam sie mit ihrem Pkw nur wenige Meter vor dem die gesamte Kraftfahrstraße blockierenden Auflieger zum Stehen. Sie war durch den Vorfall schockiert und zitterte. Der Betroffene setzte seinen Wendevorgang fort und fuhr wieder in Richtung Autobahn.

Als der Betroffene von der Autobahn kommend auf die Kraftfahrstraße einfuhr, war das Zeichen 331 der StVO (Kraftfahrstraße) an der Zufahrt der Anschlussstelle deutlich sichtbar angebracht. Der Sattelauflieger war an seinen Längsseiten jeweils mit mehreren orangefarbenen Leuchten ausgerüstet, die zum Tatzeitpunkt in Betrieb waren.“

2. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene u.a., dass das Amtsgericht zu Unrecht ein Wenden auf einer Kraftfahrstraße angenommen hat.

II.

Die statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist zum überwiegenden Teil begründet.

1. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet, soweit die Betroffene wegen fahrlässiger Gefährdung eines anderen Verkehrsteilnehmers gemäß § 1 Abs. 2 StVO i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO verurteilt wurde.

2. Demgegenüber tragen die Feststellungen des Amtsgerichts nicht die Verurteilung wegen fahrlässigen Wendens auf einer Kraftfahrstraße gemäß § 18 Abs. 7 StVO i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 18 StVO, weshalb das Fahrverbot keinen Bestand haben kann. Die Auffassung des Amtsgerichts, wonach der Richtungswechsel des Betroffenen auf der Kraftfahrstraße (Zeichen 331) unter Mitbenutzung des links neben der Kraftfahrstraße gelegenen Parkplatzes als verbotenes Wenden im Sinne von § 18 Abs. 7 StVO anzusehen ist, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Den verkehrsrechtlichen Begriff des Wendens hat der Gesetzgeber nicht näher beschrieben. Gleiches gilt für den Begriff der Straße bzw. ihrer Bestandteile. Angesichts der besonderen Sorgfaltspflichten, die das Gesetz dem Kraftfahrer beim Wenden auferlegt und der Ahndung ihrer Nichtbeachtung, müssen indessen nach der Rechtsprechung bestimmte Vorbedingungen erfüllt sein, um den rein tatsächlichen Fahrvorgang der Richtungsänderung des Fahrzeugs um 180 Grad als ein Wenden im Sinne der StVO einzustufen (OLG Bamberg, Beschl. v. 24.03.2005 – 2 Ss OWi 284/05; BGHSt 27, 233/234 f.; 31, 71/74 jeweils m.w.N.).

aa) Im Unterschied zum bloßen Abbiegen verlässt das Fahrzeug beim Wenden nicht die bisherige Fahrbahn. Es wird vielmehr – vom Fahrzeugführer willentlich gesteuert – auf derselben Straße, gegebenenfalls unter Mitbenutzung von neben der eigentlichen Verkehrsfläche liegender anderer Grundflächen, in die der bisherigen Fahrtrichtung entgegengesetzte Fahrtrichtung gebracht. Das Umkehren auf derselben Straße durch Hinüberwechseln auf die andere Fahrbahnseite, um dort die Fahrt in entgegengesetzter Richtung fortzusetzen, erfüllt grundsätzlich auch dann den Rechtsbegriff des Wendens, wenn die beiden Fahrbahnen, etwa durch einen Straßenbahnkörper oder einen schmalen Grünstreifen, getrennt sind, sofern sich der Vorgang auf einer baulich einheitlichen Straße vollzieht. Die Abgrenzung ist eine Frage des Einzelfalles (BGHSt 31, 71/74 f.; 47, 252/255; BayObLG NStZ-RR 1996, 214 f.; Hentschel Straßenverkehrsrecht 38. Aufl. § 9 StVO Rn. 50; Janiszewski/Jagow/Burmann Straßenverkehrsrecht 17. Aufl. § 9 StVO Rn. 56 ff. jeweils m.w.N.).

bb) Demgegenüber liegt ein Wenden auf einer Kraftfahrstraße im Sinne des § 18 Abs. 7 StVO nicht vor, wenn der Fahrzeugführer auf einer Kraftfahrstraße unter Einbeziehung von zwei gegenüberliegenden Parkplätzen sein Fahrzeug in der Weise in die der bisherigen Fahrtrichtung entgegengesetzte Richtung bringt, dass er zunächst in den rechtsseitig gelegenen Parkplatz einfährt, diesen durchfährt, sein Fahrzeug sodann über dessen Ausfahrt unter Überqueren der Kraftfahrstraße in die Einfahrt des gegenüberliegenden Parkplatzes lenkt und diesen über die Ausfahrt entgegen seiner ursprünglichen Fahrtrichtung wieder verlässt. In dem Manöver liegt vielmehr ein zweimaliges Ein- und Ausfahren in und aus den beiden Parkplätzen verbunden mit einem Überqueren der Fahrbahn (BGHSt 47, 252/255 ff.).

Für den Bereich des Schnellverkehrs sind Situationen erst recht ebenso zu bewerten, in denen vor der Richtungsänderung auf einer Autobahn oder Kraftfahrstraße die Straße, z.B. durch Einfahren von der Kraftfahrstraße (nach links) in einen privaten forstwirtschaftlichen Weg (BayObLGSt 1995, 200/201) oder auf eine unmittelbar anschließende, nicht zum öffentlichen Verkehr freigegebene Fläche (OLG Düsseldorf DAR 1983, 90) oder durch Einbiegen in eine Grundstückseinfahrt (OLG Koblenz VRS 71, 58/60 f. und OLG Köln DAR 2000, 120 jeweils zu § 9 Abs. 5 StVO), vollständig verlassen wird. Denn das unbedingte Verbot, auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen zu wenden, hat seinen Grund darin, dass ein solcher Verkehrsvorgang mit den Erfordernissen der Verkehrssicherheit schlechterdings unvereinbar ist. Die für das Verbot maßgebenden Gefahren ergeben sich schon aus dem eigentlichen Wendevorgang, das heißt aus dem Überqueren der Fahrbahn durch Umdrehen des Fahrzeuges in die Gegenrichtung (BGHSt 27, 233/235). Die damit verbundene besondere Gefahrenlage, die durch die – regelmäßig schnelle – Abfolge nicht in den Fluss des Schnellverkehrs passender Brems-, Beschleunigungs- und Lenkmanöver auf engem Raum begründet wird, ist jedoch nicht gegeben, wenn der Bereich des Schnellverkehrs vor oder nach dem Überqueren der Fahrstreifen vollständig verlassen wird, was allerdings nicht schon dann der Fall ist, wenn in den Fahrvorgang auch Verkehrsflächen, wie etwa Beschleunigungs-, Verzögerungs-, Seiten- oder Mittelstreifen oder eine unmittelbar neben der Fahrbahn gelegene Haltebucht als Teil des Seitenstreifens (BayObLG NStZ-RR 2003, 92/93) einbezogen werden, die mindestens mittelbar dem Schnellverkehr dienen. Denn deren Inanspruchnahme vermindert die spezifische Gefährlichkeit des Wendens nicht grundlegend (BGHSt 47, 252/259; OLG Bamberg a.a.O.). Auch kann hier nicht allein aufgrund der Benutzung dieser Flächen von einem (vollständigen) Verlassen der Kraftfahrstraße ausgegangen werden.

b) Im vorliegenden Fall hat der Betroffene die Kraftfahrstraße mit der Einfahrt auf den links gelegenen Parkplatz, mithin eine vom Schnellverkehr räumlich getrennte Verkehrsfläche, vollständig verlassen, so dass ein Wenden tatbestandlich nicht in Betracht kommt (ebenso Hentschel Straßenverkehrsrecht 38. Aufl. § 18 StVO Rn. 21), wenn auch das beabsichtigte Ergebnis des Fahrmanövers demjenigen eines Wendens entsprechen mag und – schon aufgrund der Dimensionierung des Tatfahrzeuges – von einer gegenüber einem Wenden nicht oder nur unwesentlich geminderten besonderen Gefahrenlage für den Schnellverkehr auszugehen ist. Für den einheitlich zu bestimmenden Rechtsbegriff des Wendens kann hierbei nicht zwischen bestimmten Fahrzeugarten, etwa Pkw auf der einen und Pkw mit Anhänger, Lkw (über 3,5 t) mit oder ohne Anhänger oder Kraftomnibussen auf der anderen Seite, unterschieden werden.

c) Durch sein Verhalten hat sich der Betroffene damit (lediglich) tateinheitlicher Ordnungswidrigkeiten des fahrlässigen Abbiegens unter Missachtung entgegenkommender Fahrzeuge gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO sowie der fahrlässigen Gefährdung eines anderen Verkehrsteilnehmers gemäß § 1 Abs. 2 StVO in Verbindung mit § 49 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 9 schuldig gemacht.

III.

Einer Zurückweisung bedarf es nicht. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts reichen aus, so dass der Senat selbst entscheiden kann (§ 79 Abs. 6 OWiG). Unter Berücksichtigung der sehr gefährlichen Fahrweise des Betroffenen und der hierdurch bedingten hohen Gefährdung für die entgegenkommende Verkehrsteilnehmerin hält der Senat ein Bußgeld in Höhe von 80 Euro für angemessen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Der Betroffene hat mit der Rechtsbeschwerde sein Hauptziel, den Wegfall des Fahrverbots, erreicht. Es kann davon ausgegangen werden, dass er die angefochtene Sachentscheidung hingenommen hätte, wenn diese entsprechend der neuen Verurteilung gelautet hätte; es wäre daher unbillig, den Betroffenen mit Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu belasten.

Die Entscheidung ergeht durch Beschluss nach § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG in der Neufassung vom 24.8.2004 (BGBl I S. 2198/2204) entscheidet der Einzelrichter.

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