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Vorsätzlicher Rotlichtverstoß – Voraussetzungen

KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 131/21 – 122 Ss 60/21 – Beschluss vom 24.06.2021

Die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. März 2021 wird als unbegründet verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seiner Rechtsbeschwerde zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den verkehrsrechtlich vorbelasteten Betroffenen am 17. März 2021 wegen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt.

Das Gericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Vorsätzlicher Rotlichtverstoß - Voraussetzungen
(Symbolfoto: Gints Ivuskans/Shutterstock.com)

Am 12.8. 2020 befuhr der Betroffene mit dem PKW xx gegen 20.52 Uhr die G. in 1xxxx Berlin in Richtung M. Straße. Obwohl er die für ihn geltende, von grün auf gelb umschaltende Lichtzeichenanlage an der Kreuzung G./M. Straße sah und zumindest billigend in Kauf nahm, dass er diese nicht mehr bei gelb passieren konnte, beschleunigte er sein Fahrzeug stark und überfuhr die Haltelinie bei für ihn Rotlicht abstrahlender Ampel. Als die Lichtzeichenanlage auf Rot umschaltete, befand sich der Betroffenen noch 2-3 Fahrzeuglängen vor der Haltelinie.

Das Gericht führt im Rahmen der rechtlichen Würdigung weiter aus, dass der Betroffene, indem er sein Fahrzeug beim Umschalten der Lichtzeichenanlage auf gelb beschleunigte, anstatt die Geschwindigkeit zu reduzieren, gezeigt hat, dass er die Lichtzeichenanlage wahrgenommen hat und zumindest billigend in Kauf nahm, die Haltelinie bei Rot zu passieren.

Der Betroffene hat gegen dieses Urteil einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt, mit dem er sachliches und formelles Recht rügt. Zur Begründung lässt er u.a. vortragen, dass das Gericht seine Einlassung unzutreffend wiedergebe und diese unzutreffenden Angaben den Feststellungen zum Vorsatz zugrunde lege. Entgegen der gerichtlichen Darstellung habe er kein sehr leises Dieselfahrzeug, dessen Beschleunigung nicht hörbar sei, sondern ein Elektrofahrzeug, welches beinah lautlos sei, gesteuert. Auch habe das Gericht sich nicht an die Vorgaben des Senats zu den Feststellungen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes gehalten. Danach bedürfe es zur Annahme des Vorsatzes Angaben zur Geschwindigkeit des Betroffenen, mit der er sich der Lichtzeichenanlage näherte und Angaben dazu, aus welcher Entfernung zur Haltlinie er das dem Rotlicht vorausgehende Gelblicht bemerkt habe. Solche Feststellungen enthalte das Urteil nicht. Im Weiteren wird die Beweiswürdigung des Gerichts in Frage gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 30. April und 27. Mai 2021 verwiesen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit ihrer Zuschrift vom 14. Mai 2021 die Verwerfung des Antrages auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mangels Vorliegens eines Zulassungsgrundes beantragt. Auf Bitten des Betroffenen hat der Senat dem Verteidiger diese Zuschrift mit Gelegenheit zur Stellungnahme übersandt.

II.

Die nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG mit Beschluss der Einzelrichterin vom 24. Juni 2021 zugelassene und gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zur Entscheidung übertragene Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf. Die getroffenen Feststellungen tragen seine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes.

a) Die Annahme, der Betroffene habe einen Rotlichtverstoß begangen, erfordert die gerichtliche Feststellung, dass er – wie vorliegend – die Haltlinie der für ihn geltenden und rotes Licht abstrahlenden Wechsellichtzeichenanlage überfahren hat.

b) Ob er dabei vorsätzlich gehandelt hat, bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen gemäß § 10 OWiG. Vorsatz setzt Wissen und Wollen der Tat voraus. Im Falle des bedingten Vorsatzes (BGH SVR 2021, 233) erkennt der Betroffene den Erfolg (Überfahren der Haltlinie bei rotem Licht) als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns (Wissenselement) und billigt dessen Eintritt oder er ist ihm als notwendiges Zwischenziel gleichgültig oder gar unerwünscht, findet sich jedoch damit ab, um sein Endziel, schneller im Straßenverkehr voranzukommen, zu erreichen (Willenselement). Demnach muss das Tatgericht darlegen, aufgrund welcher Umstände der Betroffene es mindestens für möglich hielt, die Haltlinie der für ihn geltenden Lichtzeichenanlage bei Rot überfahren zu haben. Dabei lässt die bloße Feststellung, dass der Fahrzeugführer jederzeit sein Fahrzeug hätte verkehrsgerecht anhalten können, nicht den Schluss zu, dass der Fahrer entschlossen war, die Haltlinie bei Rot überfahren zu haben. Auch allein aus der Dauer des Rotlichtverstoßes darf ohne weitere belastbare Anzeichen nicht auf ein vorsätzliches Handeln geschlossen werden (Senat DAR 2004, 594 = VRS 107, 213).

Feststellungen dazu, dass der Betroffene die Wechsellichtanlage wahrgenommen hat, bedarf es im Regelfall nicht. Denn der Tatrichter kann davon ausgehen, dass ein Fahrer grundsätzlich die gut sichtbare Ampelanlage mit der in § 37 Abs. 2 Satz 1 StVO bestimmten Farbfolge im Blick hat (vergleichbar mit den ordnungsgemäß aufgestellten Vorschriftszeichen, dazu BGHSt 43, 242) und von einer bereits gelbes Licht abstrahlenden Lichtzeichenanlage nicht überrascht wird, es sei denn, die Hauptverhandlung ergibt konkrete gegenteilige Anhaltspunkte (BGH a.a.O.).

Die einer vorsätzlichen Begehungsweise entgegenstehenden Umstände, dass der Fahrer einer Fehleinschätzung unterlegen sein könnte, er werde die Haltlinie noch vor dem Umspringen der Ampel auf Rot passieren (Senat DAR 2006, 158 = VRS 111, 145) oder dass er infolge Unaufmerksamkeit das Gelb- und anschließende Rotlicht erst so spät bemerkt haben könnte, dass er das Fahrzeug nicht mehr vor der Haltlinie hat anhalten können, bedürfen nur im Falle belastbarer Anzeichen der gerichtlichen Aufklärung und Berücksichtigung.

c) Die bisherige Rechtsprechung des Senates geht davon aus, dass eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes nur dann erfolgen kann, wenn das Tatgericht Feststellungen getroffen hat, mit welcher Geschwindigkeit der Betroffene sich der Lichtzeichenanlage näherte und aus welcher Entfernung zur Haltlinie er das dem Rotlicht vorausgehende Gelblicht bemerkt hat (ständige Rechtsprechung für alle: Senat, Beschluss vom 17. Februar 2015 – 3 Ws (B) 24/15 -).

Diese Darlegungen können auch weiterhin eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Rotlichtverstoßes tragen. Wenn aber das Tatgericht diese Feststellungen – etwa aus Beweisnöten – nicht treffen kann, bedeutet es im Umkehrschluss nicht, dass dem Tatgericht eine entsprechende Verurteilung gestützt auf andere Feststellungen versagt ist. Soweit die bisherige Rechtsprechung des Senats eine solche Einengung postuliert hat, gibt der Senat sie auf. Denn diese Verengung übersieht, dass die Verkehrssituationen, in denen es zu einem vorsätzlichen Rotlichtverstoß kommen kann, vielfältig sein können und dementsprechend auch die erforderlichen gerichtlichen Feststellungen. So ist etwa denkbar, dass der Verkehrsteilnehmer zunächst vor der Ampel seine Geschwindigkeit verringert oder sogar vor der roten Ampel anhält, den Querverkehr passieren lässt, in Kenntnis des weiterhin abstrahlenden Rotlichts sodann beschleunigt und die Kreuzung oder Einmündung überquert. In einem solchen Fall kommt es weder auf die gefahrene Geschwindigkeit des Betroffenen noch auf dessen Entfernung zur Haltlinie an, sondern es bedarf anderer Feststellungen, um den Vorsatz zu begründen.

c) Die Feststellungen müssen auf einer nachvollziehbaren Bewertung der Beweismittel beruhen. Zwar ist die Beweiswürdigung ureigene tatrichterliche Aufgabe und dem Rechtsbeschwerdegericht ist die Überprüfung der Urteilsgründe in Sinne einer Richtigkeitskontrolle versagt. Auch werden an die Urteilsgründe in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren – anders als im Strafverfahren – nicht so hohe Anforderungen gestellt (BGHSt 39, 291), aber dieser Umstand enthebt das Tatgericht nicht davon, die Beweismittel und die sich aus deren Würdigung ergebenden tatsächlichen Feststellungen in den Urteilsgründen darzustellen. Die Schlussfolgerung des Gerichts, der Betroffene habe einen vorsätzlichen Rotlichtverstoß begangen, darf sich dann nicht nur als bloße Vermutung, sondern muss sich als möglich darstellen. Die Nachprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung obliegt dem Rechtsbeschwerdegericht nur unter dem Gesichtspunkt, ob dem Tatgericht rechtliche Fehler unterlaufen sind. Solche können darin begründet sein, dass die Beweiswürdigung unklar, lückenhaft oder widersprüchlich ist, ferner gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstößt (BGH NStZ 1984, 17 m.w.N.).

d) Gemessen an diesem Maßstab sind die allein maßgeblichen Urteilsgründe nicht zu beanstanden. Danach ist die Annahme des Tatgerichts, der Betroffene habe vorsätzlich das für seine Fahrtrichtung geltende Rotlicht missachtet, rechtsfehlerfrei festgestellt worden.

Es hat seine Annahme auf die Aussagen der beiden mit einer gezielten Rotlichtüberwachung beauftragten Polizeibeamten gestützt. Noch ausreichend deutlich hat das Gericht festgestellt, dass der Betroffene – seinem Entschluss entsprechend – sein Fahrzeug beschleunigte, als er das Gelblicht der Ampel wahrnahm, anstatt die Geschwindigkeit zu reduzieren, um an der Haltelinie entsprechend dem Normappell anzuhalten. Zwei bis drei Autolängen vor Erreichen der Haltelinie, als die Ampel bereits rotes Licht zeigte, konnten die Zeugen die zuvor nur hör- und nun aber auch sichtbare Beschleunigung dem Fahrzeug des Betroffenen zuordnen. Der Betroffene überfuhr ungebremst die Haltelinie. Mangels konkreter Anhaltspunkte hatte das Tatgericht auch keine Veranlassung, sich mit hypothetischen, für den Betroffenen günstigen Handlungsalternativen auseinanderzusetzen wie etwa, dass er einer Fehleinschätzung unterlag, er werde die Haltelinie noch vor dem Umspringen der Ampel auf Rot passieren oder dass er infolge Unaufmerksamkeit das Gelb- und anschließende Rotlicht so spät bemerkt hat, dass er das Fahrzeug vor der Haltelinie nicht mehr zum Stehen habe bringen können. Selbst der Verteidiger geht ersichtlich von solchen Fallgestaltungen nicht aus.

e) Soweit der Betroffene rügt, das Gericht gebe seine Einlassung unzutreffend wieder, handelt es sich um urteilsfremdes Vorbringen. Damit kann er nicht gehört werden. Selbst wenn er sein Vorbringen als Inbegriffsrüge verstanden wissen wollte, steht dem Erfolg dieser Rüge jedenfalls das Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung entgegen.

2. Die Festsetzung der Geldbuße weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

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