Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: (1 B) 53 Ss-OWi 585/10 (341/10) – Beschluss vom 10.01.2011
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Neuruppin vom 1. September 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Neuruppin zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Neuruppin hat mit Urteil vom 1. September 2010 gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 40 km/h ein Bußgeld in Höhe von 165,00 Euro festgesetzt sowie ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit gemäß § 25 Abs. 2 a StVG angeordnet. Das Tatgericht hat festgestellt, dass der Betroffene am 28. November 2009 mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen …, die Bundesautobahn … zwischen der Raststätte L… und Parkplatz bei km 208 in Fahrtrichtung H… ungeachtet der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 130 km/h mit einer Geschwindigkeit von 170 km/h befahren habe, wobei eine Fehlertoleranz von 3% bereits in Abzug gebracht worden sei. Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthaft und entsprechend den §§ 79 Abs. 3 OWiG, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.
2. Die Rechtsbeschwerde hat – vorläufigen – Erfolg; sie ist begründet.
a) Bereits die von der Verteidigung erhobene Verfahrensrüge, mit der ein Beweiserhebungs- bzw. Beweisverwertungsverbot geltend gemacht wird, führt zum Erfolg. Die erhobene Verfahrensrüge genügt noch den an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG zu stellenden Anforderungen und ist zulässig.
Die Urteilsfeststellungen erweisen sich hinsichtlich eines Verwertungsverbotes als unzureichend bzw. lückenhaft. Aufgrund der Urteilsfeststellungen ist das Rechtsbeschwerdegericht nicht in der Lage zu prüfen, ob – wie vom Rechtsmittelführer ausgeführt – ein Beweisverwertungsverbot vorliegt.
Denn maßgeblich für die Frage, ob hier ein Beweiserhebungs- bzw. Beweisverwertungsverbot entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 11. August 2009 – 2 BvR 941/08 – abgedr. in: NJW 2009, 3293) vorliegt, ist die Feststellung einer anlassbezogenen Videoaufnahme. Beim Einsatz von Provida 2000 Modular durch Hinterherfahren ist es denkbar und nicht unüblich, dass die Videoaufnahme „durchläuft“ und der Messvorgang nicht anlassbezogen ausgelöst wird.
Hierzu fehlt es an entsprechenden Feststellungen. Ob die Videoaufnahme aufgrund eines Anfangsverdachts, beispielsweise wegen offensichtlich überhöhter Geschwindigkeit oder offensichtlichen Unterschreitens des Mindestabstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug, ausgelöst worden ist, wird nicht mitgeteilt. Nicht nachvollziehbar ist daher, dass hierzu die Messbeamten in der Hauptverhandlung nicht als Zeugen gehört worden sind.
Die zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten Urkunden lassen keine Rückschlüsse auf die Anlassbezogenheit der Videoaufnahme zu. Auch Videoprints, die hier jedoch nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sind, können keinen Aufschluss darüber geben, ob eine Messung anlassbezogen erfolgt ist oder ob das Videoband durchgängig gelaufen ist und eine Auswertung erst im Nachgang, beispielsweise mittels ViDistA erfolgt ist.
Insoweit unterscheidet sich das Messverfahren Provida 2000 von dem Messverfahren der der im angefochtenen Urteil zitierten Entscheidung des Senats vom 22. Februar 2010 (1 Ss-OWi 23 Z/10) zugrunde lag, nämlich von dem Messverfahren ES 3.0. Im dortigen Messverfahren ergab sich die Anlassbezogenheit der Bildaufnahmen durch die von den Messbeamten vor dem Messvorgang vorgenommen Geschwindigkeitsvoreinstellung, die dazu führte, dass Aufzeichnungen nur von tatverdächtigen Verkehrsteilnehmern gefertigt worden sind.