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Verwerfung eines Einspruchs nach § 74 OWiG – Begründungsanforderungen

OLG Stuttgart – Az.: 4 Rb 26 Ss 897/21 – Beschluss vom 10.11.2021

In dem Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hat das Oberlandesgericht Stuttgart – 4. Senat für Bußgeldsachen – am 10. November 2021 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 16. August 2021 wird zugelassen.

Das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 16. August 2021 wird auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mitsamt den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgerichts Heilbronn zurückverwiesen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht Heilbronn den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 4. Mai 2021 wegen Missachtens eines Überholverbots nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. In dem Termin zur Hauptverhandlung vom 16. August 2021 war weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2021 beantragt, die Rechts-beschwerde zuzulassen, das Urteil aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Heilbronn zurückzuverweisen.

Es ist geboten, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 16. August 2021 gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen.

Der Betroffene dringt mit der erhobenen Verfahrensrüge der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) durch.

Die Generalstaatsanwaltschaft führt zur Begründung ihres Antrags Folgendes aus:

„Der Betroffene rügt, das Amtsgericht habe mit dem angefochtenen Urteil seinen zulässigen Einspruch zu Unrecht gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, da es einen zuvor gestellten Antrag auf Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nach § 73 Abs. 2 OWiG schlicht übergangen habe, obwohl die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorgelegen hätten, worin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu sehen sei.

Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Februar 1992 – 2 BvR 700/91, juris Rn.13f.). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist demnach auch verletzt, wenn das Gericht über den Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht oder ohne eine auf § 73 Abs. 2 OWiG zurückführbare Begründung ablehnend entscheidet und sich auch im Urteil mit den Gründen, die zur Rechtfertigung des Antrags geltend gemacht wurden, nicht befasst (OLG Köln, Beschluss vom 16. Oktober 2012 – 111-1 RBs 265/12, juris Rn. 9; Göhler, aaO, § 80 Rn. 16b mwN).

Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs muss mit einer Verfahrensrüge geltend gemacht werden, welche die Voraussetzungen nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i. V. m. §§ 80 Abs. 3 Satz 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG erfüllt (Göhler, aaO, § 80 Rn.16a). Hierzu sind die den Mangel enthaltenden Tatsachen so vollständig und so genau anzugeben, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage 2021, § 344 Rn. 21 mwN; st. Rspr.; etwa BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2018 – 2 StR 247/18, juris). Hierzu müssen die für den Beschwerdevortrag wesentlichen Schriftstücke oder Aktenstellen (samt darin in Bezug genommener Unterlagen) durch wörtliche Zitate bzw. eingefügte Abschriften oder Ablichtungen zum Bestandteil der Rechtsbeschwerdebegründung gemacht werden (KK-StPO/Gericke, 8. Auflage 2019, StPO, § 344 Rn. 39).

Die Verfahrensrüge des Betroffenen entspricht diesen Anforderungen. Der Betroffene bringt vor, er habe mit Verteidigerschriftsatz vom 26.07.2021 und Vorlage einer Vertretungsvollmacht des Verteidigers beantragt, ihn von der Verpflichtung zur Anwesenheit in allen weiteren anstehenden Verhandlungen zu entbinden. Er habe die Fahrereigenschaft eingeräumt und angekündigt, keine weiteren Angaben in der Sache zu machen. Das Amtsgericht habe diesen Antrag nicht beschieden und mit dem angefochtenen Urteil seinen Einspruch verworfen, ohne sich zu dem Entbindungsantrag zu verhalten.

Da das Amtsgericht den rechtzeitig gestellten Entbindungsantrag übergangen hat, musste der Betroffene nicht darlegen, was er zur Sache vorgetragen hätte (OLG Dresden, Beschluss vom 24. Juli 2013 – OLG 21 Ss 551/13 (Z), juris Rn. 7; Göhler, aaO, § 80 Rn. 16c).

Das Amtsgericht hat den Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung rechtsfehlerhaft unbeschieden gelassen.

Bei der Verwerfung eines Einspruchs nach § 74 OWiG muss sich das Gericht in den Urteilsgründen mit den Einwendungen und Bedenken gegen eine Verwerfung auseinandersetzen, insbesondere auch mit der Zulässigkeit des Antrags und des-sen Begründung, den Betroffenen von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, sowie den Erwägungen zur Ablehnung des Antrags. Das Urteil ist schon dann fehlerhaft, wenn es den Entbindungsantrag des Betroffenen nicht erwähnt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 05. März 2002 – 4 Ss 46/2002, juris mwN; Göhler, aaO, § 74 Rn. 34f.). Hatte der Betroffene in seinem Entbindungsantrag erklären lassen, er gestehe seine Fahrereigenschaft zu und werde in der Hauptverhandlung keine Angaben machen, ist dem Entbindungsantrag zu entsprechen, weil eine weitere Sachaufklärung durch den Betroffenen in der Hauptverhandlung nicht zu erwarten ist. Ein Ermessen steht dem Amtsgericht insoweit nicht zu (OLG Stuttgart, aaO; Göhler, aaO, § 73 Rn. 5). Hierzu verhält sich das angefochtene Urteil nicht.

Die angefochtene Entscheidung verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör. Denn wird ein Antrag des Betroffenen, ihn von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, nicht beschieden und ergeht daraufhin ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG, liegt die Verletzung des rechtlichen Gehörs darin, dass das Gericht nicht in Abwesenheit des Betroffenen dessen Einlassung oder Aussageverweigerung, auf die der Entbindungsantrag ge-stützt wird (§ 73 Abs. 2 OWiG), zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung in der Sache erwogen, sondern mit dem Prozessurteil den Einspruch des Betroffenen verworfen hat. Der Betroffene hat ein Recht darauf, dass das Gericht seine Erklärungen – hier die Einräumung der Fahrereigenschaft und die Aussageverweigerung in der Sache – zur Kenntnis nimmt und in seiner Abwesenheit in der Sache entscheidet, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen eines Abwesenheitsverfahrens erfüllt sind (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 28. Dezember 2020 – 1 OLG 53 Ss-OWi 638/20, juris Rn. 12 mwN; vgl. auch OLG Dresden, aaO; Göhler, aaO, § 80 Rn. 16b mwN).“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an. Insbesondere kann das Urteil schon aufgrund der sich aus bloßen Formularstücken zusammengesetzten und sich nicht – wie geboten (vgl. Göhler, aaO, 18. Aufl., § 74 Rn. 34, 35) – mit den Voraussetzungen der Verwerfung auseinandersetzenden Begründung keinen Bestand haben. Da gegen ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG die Rechtsbeschwerde zulässig ist, ist auch dieses ausreichend zu begründen. Inhaltlich müssen die rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen zu erkennen sein, auf denen das Urteil beruht. Die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts sowie allgemeine oder formelhafte Wendungen sind insoweit nicht ausreichend (Göhler, aaO, mwN). Das Urteil gibt vorliegend gerade keine Auskunft darüber, warum das Gericht dem Antrag, den Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, nicht nachgegangen ist.

 

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