Das Landgericht Freiburg hat entschieden, dass die Verantwortung für die Verfolgungsverjährung im Bußgeldverfahren allein bei der Bußgeldbehörde liegt. Der Verteidiger ist nicht verpflichtet, den Verjährungseintritt aktiv zu verhindern. Dies bedeutet entscheidende Implikationen für die Praxis der Bußgeldverfahren.
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Übersicht
✔ Kurz und knapp
- Der Verteidiger ist nicht verpflichtet, auf eine Fortsetzung des Bußgeldverfahrens in unverjährter Zeit hinzuwirken.
- Wird fälschlicherweise von der Rechtskraft eines Bußgeldbescheids ausgegangen, ist der Eintritt der Verjährung der Bußgeldbehörde zuzurechnen.
- Die Geltendmachung der Erledigungsgebühr nach Verfahrenseinstellung wegen Verjährung ist nicht rechtsmissbräuchlich.
- Die Gebühr Nr. 5115, 5101 VV RVG in Höhe von 176 € zzgl. Umsatzsteuer ist zu erstatten.
- Festgesetzte Gebühren und Auslagen sind ab Anbringung des Festsetzungsantrags zu verzinsen.
- Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Bußgeldverfahren: Verjährung – Wer haftet?
Bußgeldverfahren sind ein komplexes Thema, das für viele Bürger mit zahlreichen Unsicherheiten verbunden ist. Wenn eine Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr begangen wird, kann die zuständige Behörde ein Bußgeld verhängen. Dieses Bußgeld muss dann innerhalb einer bestimmten Frist bezahlt werden.
Nicht immer ist der Verlauf eines solchen Bußgeldverfahrens jedoch reibungslos. Manchmal treten Verzögerungen auf, die dazu führen können, dass das Verfahren verjährt. In solchen Fällen stellt sich die Frage, wer dafür verantwortlich ist und welche Konsequenzen dies haben kann.
Die rechtlichen Aspekte rund um Bußgeldverfahren sind oft nicht leicht zu durchschauen. Daher ist es wichtig, sich mit den Grundlagen vertraut zu machen, um die Rechte und Pflichten aller Beteiligten zu verstehen. Im Folgenden wird ein aktuelles Gerichtsurteil zu diesem Thema vorgestellt und analysiert.
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✔ Der Fall vor dem Landgericht Freiburg
Sachverhalt und rechtliche Streitpunkte im Bußgeldverfahren
Der zugrundeliegende Fall betrifft eine Betroffene, die gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt hatte, welcher jedoch zunächst nicht zur Bußgeldakte gelangte und deshalb fälschlicherweise von einer Rechtskraft des Bescheids ausgegangen wurde. Das rechtliche Problem entstand, als die Verfolgungsverjährung eintrat, was ursprünglich nicht im Interesse der Bußgeldbehörde lag. Hieraus entwickelte sich die rechtliche Frage, inwiefern der Verteidiger verpflichtet ist, den Verjährungseintritt im Bußgeldverfahren aktiv zu verhindern. Der Streitpunkt lag in der Verantwortlichkeit für den Umgang mit dem formwirksam eingelegten Einspruch und der daraus resultierenden Fehleinschätzung zur Rechtskraft des Bescheides.
Gerichtliche Entscheidung des Landgerichts Freiburg
Das Landgericht Freiburg entschied auf die sofortige Beschwerde der Betroffenen hin, dass der Beschluss des Amtsgerichts Freiburg aufzuheben sei. In seiner Entscheidung stellte das Gericht klar, dass die Verantwortung für die Verfolgungsverjährung ausschließlich bei der Bußgeldbehörde liegt. Es wurde festgestellt, dass der Verteidiger nicht dazu verpflichtet war, auf eine Fortsetzung des Verfahrens in unverjährter Zeit hinzuwirken. Das Gericht berücksichtigte dabei, dass die Verteidigung durch die Vorlage des Prüfprotokolls und den Hinweis auf die eingetretene Verjährung die Vollstreckung aus dem fälschlich als rechtskräftig angesehenen Bußgeldbescheid verhindern und eine endgültige Verfahrenseinstellung erreichen konnte.
Bedeutung der Entscheidung für die Kostenfestsetzung
Die zweite relevante Entscheidung des Gerichts bezog sich auf die Kostenfestsetzung. Es wurde eine Anpassung des Kostenfestsetzungsbescheides vorgenommen, die den tatsächlichen notwendigen Auslagen der Betroffenen Rechnung trägt. Das Gericht entschied, dass die Gebühr nach Nr. 5115, 5101 VV RVG gerechtfertigt ist und somit Kosten in Höhe von 176,00 € zuzüglich 19 % Umsatzsteuer als zu erstattende Auslagen festgesetzt werden. Zudem wurde die Verzinsung dieser Kosten angeordnet, was die korrekte Anwendung des § 106 Abs. 1 S. 2 OWiG unterstreicht.
Verantwortung und Auswirkungen der gerichtlichen Klärung
Die Entscheidung des Landgerichts Freiburg hebt hervor, dass die Verantwortung für die rechtzeitige und ordnungsgemäße Bearbeitung von Einsprüchen innerhalb des Bußgeldverfahrens bei der Bußgeldbehörde liegt. Durch das Urteil wird deutlich, dass der Verteidiger in seiner Rolle korrekt gehandelt hat, indem er keine unnötigen Maßnahmen ergriff, um die Verjährung zu verhindern, die bereits durch Versäumnisse der Behörde eingetreten war. Diese Klarstellung hat bedeutende Implikationen für die Praxis der Bußgeldverfahren, indem sie die Grenzen der Verantwortlichkeiten sowohl der Verteidigung als auch der Bußgeldbehörden klar definiert.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Das Landgericht Freiburg entschied, dass die Verantwortung für die Verfolgungsverjährung im Bußgeldverfahren bei der Bußgeldbehörde liegt. Selbst wenn ein Einspruch fehlerhaft nicht verarbeitet wird, trifft den Verteidiger keine Pflicht, aktiv auf eine Fortsetzung des Verfahrens hinzuwirken. Die Verteidigung hat in diesem Fall korrekt gehandelt, indem sie die Verjährungseinrede erhoben hat. Das Urteil verdeutlicht die klare Abgrenzung der Verantwortlichkeiten in Bußgeldverfahren.
✔ FAQ – Häufige Fragen: Bußgeldverfahren und Verjährung
Was sind die typischen Ursachen für die Verjährung in einem Bußgeldverfahren?
Die typischen Ursachen für die Verjährung eines Bußgeldverfahrens sind:
Bei Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr beträgt die Verjährungsfrist in der Regel drei Monate, sofern innerhalb dieser Frist weder ein Bußgeldbescheid erlassen noch öffentliche Klage erhoben wurde. Diese kurze Frist kann leicht von den Behörden übersehen werden und zur Verjährung führen.
Die Verjährungsfrist wird jedoch unterbrochen, wenn innerhalb der drei Monate bestimmte Handlungen der Behörden erfolgen, wie z.B. die Versendung eines Anhörungsbogens an den Betroffenen. Dann beginnt die Frist von drei Monaten neu zu laufen.
Weitere mögliche Ursachen für eine Verjährung sind:
- Fehler bei der Zustellung des Bußgeldbescheids, z.B. falsche Adresse, so dass der Bescheid den Betroffenen nicht erreicht.
- Verzögerungen bei der Bearbeitung, so dass der Bußgeldbescheid erst nach Ablauf der Frist von drei bzw. sechs Monaten erlassen wird.
- Bei Alkohol- oder Drogendelikten im Straßenverkehr gilt eine längere Verjährungsfrist von sechs Monaten, die ebenfalls übersehen werden kann.
Tritt die Verjährung ein, ist ein Bußgeldverfahren nicht mehr möglich. Der Betroffene muss dann keinen Bußgeldbescheid mehr befürchten. Ein bereits zugestellter, aber verjährter Bußgeldbescheid kann durch Einspruch angefochten werden.
Wie kann man als Betroffener feststellen, ob ein Bußgeldbescheid rechtskräftig ist?
Um als Betroffener festzustellen, ob ein Bußgeldbescheid rechtskräftig ist, müssen folgende Punkte beachtet werden:
Einspruchsfrist
Ein wesentliches Kriterium für die Rechtskraft ist die im Bußgeldbescheid angegebene Einspruchsfrist von in der Regel 14 Tagen ab Zustellung. Wird innerhalb dieser Frist kein Einspruch eingelegt, tritt die Rechtskraft ein.
Bezahlung des Bußgeldes
Durch die Bezahlung des im Bußgeldbescheid geforderten Bußgeldes akzeptiert der Betroffene die Sanktion. Damit wird der Bußgeldbescheid ebenfalls rechtskräftig.
Rücknahme des Einspruchs
Wurde zunächst Einspruch eingelegt, kann dieser bis zum Beginn der Hauptverhandlung vor Gericht wieder zurückgenommen werden. Mit der Rücknahme des Einspruchs wird der Bußgeldbescheid rechtskräftig.
Gerichtliche Entscheidung
Wird nach einer Hauptverhandlung vor Gericht eine Entscheidung getroffen, erlangt diese nach Ablauf der Rechtsmittelfrist Rechtskraft.
Die Rechtskraft ist im Bußgeldbescheid selbst durch die sogenannte Rechtsmittelbelehrung erkennbar. Dort wird auf die Einspruchsfrist, die Folgen bei Nichteinhaltung und die Möglichkeit der Vollstreckbarkeit hingewiesen.
Wichtig ist, dass Betroffene die Einspruchsfrist unbedingt wahren, wenn sie den Bußgeldbescheid nicht akzeptieren wollen. Denn nach Eintritt der Rechtskraft ist eine Aufhebung nur noch in Ausnahmefällen möglich.
Welche Rechte und Pflichten hat ein Verteidiger in einem Bußgeldverfahren?
Rechte des Verteidigers im Bußgeldverfahren
Ein Verteidiger hat im Bußgeldverfahren folgende wesentliche Rechte:
- Akteneinsichtsrecht: Der Verteidiger hat das Recht auf Einsicht in die Akten der Bußgeldbehörde und des Gerichts.
- Anwesenheitsrecht: Der Verteidiger darf bei allen Terminen und Vernehmungen anwesend sein.
- Fragerecht: Der Verteidiger kann Fragen an den Betroffenen, Zeugen und Sachverständige stellen.
- Antragsrecht: Der Verteidiger kann Beweisanträge stellen und Anträge zur Sachaufklärung einbringen.
- Äußerungsrecht: Der Verteidiger hat das Recht, sich vor Entscheidungen zu äußern.
Pflichten des Verteidigers
Die wichtigsten Pflichten des Verteidigers sind:
- Wahrheitspflicht: Als Organ der Rechtspflege ist der Verteidiger grundsätzlich zur Wahrheit verpflichtet.
- Verschwiegenheitspflicht: Aus § 203 StGB ergibt sich eine Verschwiegenheitspflicht gegenüber Dritten. Belastende Umstände dürfen ohne Zustimmung nicht offenbart werden.
- Fristwahrung: Der Verteidiger muss Fristen wie die Einspruchsfrist gegen den Bußgeldbescheid wahren.
- Vollmachtsnachweis: Die Bevollmächtigung muss gegenüber Behörden und Gerichten nachgewiesen werden, z.B. durch Vorlage einer Kopie der Vollmacht.
Der Verteidiger hat die Interessen des Mandanten bestmöglich zu vertreten, ohne jedoch rechtsstaatliche Prinzipien zu verletzen. Eine Pflicht, den Verjährungseintritt aktiv zu verhindern, besteht nicht.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 108 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 OWiG: Regelt die sofortige Beschwerde im Ordnungswidrigkeitenrecht und ihre Voraussetzungen. Dies ist zentral für den Fall, da die Betroffene erfolgreich Beschwerde gegen den ursprünglichen Beschluss eingelegt hat, was zur Aufhebung desselben führte.
- § 247 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Bestimmt die Berechnung von Verzugszinsen. Im spezifischen Fall wurden die zu erstattenden Gebühren und Auslagen ab einem bestimmten Datum verzinst, was die finanziellen Verpflichtungen der Stadt Freiburg gegenüber der Betroffenen beeinflusst.
- Nr. 5115, 5101 VV RVG (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz): Definiert die Gebühren für bestimmte juristische Dienstleistungen. In diesem Fall wurden spezifische Gebühren festgesetzt, die die Stadt Freiburg der Betroffenen erstatten muss, was für die Kostenerstattung im Verfahren entscheidend war.
- § 467 StPO (Strafprozessordnung): Befasst sich mit der Kostenentscheidung in gerichtlichen Verfahren. Auch wenn primär für das Strafrecht gedacht, wurde es hier analog angewandt, um zu bestimmen, wer die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt. Dies zeigt, wie Gesetze interdisziplinär genutzt werden können.
- § 106 Abs. 1 S. 2 OWiG: Regelung zur Kostenerstattung bei Ordnungswidrigkeitenverfahren. Diese Norm ist relevant, da im Fall die Verzinsung der Gebühren und Auslagen ursprünglich unterblieben war und korrigiert werden musste.
⬇ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Freiburg
LG Freiburg (Breisgau) – Az.: 16 Qs 30/23 – Beschluss vom 21.08.2023
1. Auf die sofortige Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 10.05.2023 (76 OWi 48/23) aufgehoben.
2. Der Kostenfestsetzungsbescheid der Stadt Freiburg vom 24.03.2023 wird dahingehend abgeändert, dass
– als zu erstattende notwendige Auslagen der Betroffenen zusätzlich auch die Gebühr Nr. 5115, 5101 VV RVG in Höhe von 176,00 € zuzüglich 19 % Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) festgesetzt wird und
– die gesamten zu erstattenden Gebühren und Auslagen, also auch soweit bereits mit Bescheid vom 24.03.2023 festgesetzt, ab dem 17.03.2023 mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu verzinsen sind.
3. Die Kosten und notwendigen Auslagen der Betroffenen im Beschwerdeverfahren trägt die Staatskasse.
Gründe
Die sofortige Beschwerde der Betroffenen gemäß § 108 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 OWiG ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
1. Die Voraussetzungen der Gebühr nach Nr. 5115, 5101 VV RVG liegen vor.
Anders als das Amtsgericht ist die Kammer der Auffassung, dass die Geltendmachung der Erledigungsgebühr nicht rechtsmissbräuchlich ist. Es liegt grundsätzlich im alleinigen Verantwortungsbereich der Bußgeldbehörde, wenn ein rechtzeitig und formwirksam eingelegter Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid nicht zur Bußgeldakte gelangt und daher fälschlicherweise von der Rechtskraft des Bußgeldbescheids ausgegangen wird. Wird in der Folge festgestellt, dass tatsächlich Einspruch eingelegt wurde, ist der Eintritt der Verfolgungsverjährung ausschließlich der Sphäre der Bußgeldbehörde zuzurechnen. Vorliegend war der Verteidiger gerade nicht verpflichtet, auf eine Fortsetzung des Bußgeldverfahrens gegen seine Mandantin in unverjährter Zeit hinzuwirken. Durch die mit Schreiben des Verteidigers vom 14.02.2023 erfolgte Vorlage des beA-Prüfprotokolls vom 20.07.2022 und dem Hinweis auf die zwischenzeitlich eingetretene Verfolgungsverjährung, konnte die Verteidigung die drohende Vollstreckung aus dem vermeintlich rechtskräftigen Bußgeldbescheid abwenden und eine endgültige Verfahrenseinstellung wegen Verjährung erreichen. Damit liegen die Voraussetzungen von Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG aus Sicht der Kammer vor.
Die Höhe der Gebühr bemisst sich nach der Verfahrensgebühr Nr. 5101 VV RVG und beträgt somit 176,00 €.
2. Zutreffend weist der Verteidiger zudem darauf hin, dass die mit Schreiben vom 17.03.2023 beantragte Verzinsung der festgesetzten Gebühren und Auslagen entgegen § 106 Abs. 1 S. 2 OWiG unterblieben ist. Dies war abstellend auf den Zeitpunkt der Anbringung des Festsetzungsantrages (17.03.2023) nachzuholen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 467 StPO.