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Verringerung des Punktestandes – Kenntniserlangung der Behörde i. S. d. § 4 Abs 6 S 4 StVG

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 16 B 854/20 – Beschluss vom 25.11.2020

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 28. Mai 2020 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung durch den Senat führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.

Ohne Erfolg wendet sich der Antragsteller gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass vor Erlass der Entziehungsverfügung vom 31. März 2020 die Maßnahmestufen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG (Ermahnung und Verwarnung) ordnungsgemäß durchlaufen worden seien. Seine Auffassung, die mit Schreiben vom 11. Juli 2018 ausgesprochene Ermahnung sei fehlerhaft, weil die Antragsgegnerin darin von einem Punktestand von vier Punkten ausgegangen sei, obwohl er tatsächlich schon fünf Punkte erreicht gehabt habe, ist nicht zutreffend. Insoweit geht schon sein Vorbringen fehl, dass den einer Entziehung der Fahrerlaubnis vorausgehenden Maßnahmestufen – noch – eine Warnfunktion zukomme und den betroffenen Fahrerlaubnisinhabern die Möglichkeit der Verhaltensänderung effektiv eröffnen solle. Hiervon hat sich der Gesetzgeber mit der Aufgabe des Mehrfachtäter-Punkte-systems und der Einführung des Fahreignungs-Bewertungssystems bewusst abgesetzt. Bei Fahrerlaubnisinhabern, die sich durch eine Anhäufung von innerhalb kurzer Zeit begangenen Verkehrsverstößen als ungeeignet erwiesen haben, sollen die Verkehrssicherheit und das Ziel, die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern zu schützen, Vorrang vor dem Erziehungsgedanken haben. Für das Fahreignungs-Bewertungssystem soll es nicht mehr darauf ankommen, dass eine Maßnahme den Betroffenen vor der Begehung weiterer Zuwiderhandlungen erreicht und ihm die Möglichkeit der Verhaltensänderung einräumt, bevor es zu weiteren Maßnahmen kommen darf. Die Maßnahmenstufen dienen vielmehr in erster Linie der Information des Betroffenen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 3 C 21.15 -, juris, Rn. 23, unter Bezugnahme auf BT-Drs. 18/2775, S. 9; vgl. insoweit auch OVG S.-A., Beschluss vom 13. Juni 2019 – 3 M 85/19 -, juris, Rn. 15.

Kommt aber den Maßnahmestufen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG eine Warn- und Erziehungsfunktion nicht mehr zu, ist es schon aus diesem Grund unschädlich, dass ein Betroffener bei Ergehen einer Ermahnung oder Verwarnung über seinen Punktestand nicht korrekt informiert wird und der angegebene Punktestand

– wie vorliegend – innerhalb der für die jeweilige Maßnahmestufe maßgeblichen Punktespanne verbleibt.

Ungeachtet dessen beansprucht der Antragsteller mit seiner Auffassung, dass er nur bei Mitteilung eines zutreffenden Punktestandes eine potentielle Gefährdung für seine Fahrerlaubnis abschätzen könne, ein Vertrauen, das von vornherein nicht schutzwürdig ist. Denn dies erstreckt sich darauf, bis zum Erreichen der nächsten Maßnahme(n) weiterhin Verkehrszuwiderhandlungen begehen zu „dürfen“ bzw. zu können, ohne dass dieses Verhalten unter Anlegung formalisierter Kriterien (Punktezahl) zu der Einschätzung führt, dass dieser Fahrerlaubnisinhaber zu der Gruppe der besonders gefährlichen (Intensiv-)Täter gerechnet und entsprechend sanktioniert werden muss. Einem derartigen Vertrauen kann aber selbst dann, wenn man der Ermahnung und der Verwarnung noch eine Warn- und Erziehungsfunktion beimessen würde, kein Schutz zukommen.

Vgl. in diesem Zusammenhang OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Oktober 2015 – 16 B 554/15 -, juris, Rn. 30, und vom 16. November 2015 – 16 B 1238/15 -, m. w. N.

Der Antragsteller hat auch nicht dargelegt, dass die mit Schreiben vom 6. Februar 2020 ausgesprochene Verwarnung nicht wirksam ergangen sei. Zwar wurde diese Verwarnung nicht ordnungsgemäß zugestellt, weil, wovon das Verwaltungsgericht zu Recht ausgegangen ist, die Voraussetzungen für die von der Antragsgegnerin veranlassten Zustellung im Wege der öffentlichen Bekanntgabe (§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 10 VwZG NRW) nicht vorlagen. Dieser Zustellungsmangel wurde jedoch gemäß § 8 Halbsatz 1 VwZG NRW geheilt. Nach dieser Vorschrift gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigte nachweislich zugegangen ist. Wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, erfolgte eine Heilung der fehlerhaften Zustellung der Verwarnung vom 6. Februar 2020 mit der Einsichtnahme in die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin durch die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers, im Rahmen derer diese auch Kenntnis von der Verwarnung erlangten. Diese Einsichtnahme ist vor dem Erlass der Entziehungsverfügung vom 31. März 2020 erfolgt, wie sich aus auch dem Schreiben der Verfahrensbevollmächtigten an die Antragsgegnerin vom 27. März 2020 ergibt, in dem die Verwarnung vom 6. Februar 2020 ausdrücklich Erwähnung findet.

Der Antragsteller kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, einer Heilung der fehlerhaften Zustellung der Verwarnung stehe entgegen, dass seine Verfahrensbevollmächtigten nicht Empfangsberechtigte im Sinne von § 8 VwZG NRW gewesen seien, da diese bzw. deren Kanzlei gegenüber der Antragsgegnerin eine Zustellungsbevollmächtigung nicht erklärt hätten. Empfangsberechtigter i. S. v. § 8 VwZG NRW ist derjenige, an den die Zustellung nach dem Gesetz zu richten war.

Vgl. zu § 8 VwZG des Bundes Schlatmann, in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG, VwZG, 11. Aufl. 2017, § 8 VwZG, Rn. 3, unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 18. April1997 – 8 C 43.95 -, juris, Rn. 27.

Dies waren hier gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 VwZG NRW die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers. Nach dieser Vorschrift können Zustellungen an den allgemein oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Bevollmächtigten gerichtet werden. Die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers bestellten sich gegenüber der Antragsgegnerin in dem laufenden fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren zu Bevollmächtigten mit Schreiben vom 9. Januar 2020 mit der Anzeige, „ … dass wir mit der ständigen Vertretung von Herrn S.       I.        … befasst sind. Ordnungsgemäße Bevollmächtigung wird ausdrücklich anwaltlich versichert.“. Anders konnte die Antragsgegnerin ausgehend von einem objektiven Empfängerhorizont das genannte Schreiben nicht verstehen, zumal das dort angegebene Aktenzeichen (30.3.3FS #133103) dem Aufbau des Aktenzeichens entsprach, unter dem die Ermahnung vom 11. Juli 2018 ergangen war.

Die erfolgte Bevollmächtigung beinhaltete entgegen der Auffassung des Antragstellers auch eine Empfangsberechtigung. Bestellt sich – wie vorliegend – ein Rechtsanwalt als Verfahrensbevollmächtigter bei einer Behörde, umfasst die Vertretungsmacht grundsätzlich auch die Befugnis, Zustellungen entgegenzunehmen. Beschränkungen der Vertretungsmacht, die im Außenverhältnis zur Behörde wirksam sein sollen, müssen aus Gründen der Rechtssicherheit für die Behörde aus der Vollmachtsurkunde oder ansonsten ersichtlich sein.

Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Februar 2011 – 6 L 38/11 -, juris, Rn. 4 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang auch FG Hamburg, Urteil vom 17. Januar 2014 – 4 K 21/13 -, juris, Rn. 38 f.

Eine Beschränkung der Empfangsberechtigung erfolgte gegenüber der Antragsgegnerin weder durch das Schreiben vom 9. Januar 2020 noch anderweitig.

Dass der Antragsgegnerin zu keinem Zeitpunkt eine schriftliche Vollmacht vorgelegt wurde, stellt ihre Berechtigung, gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 VwZG NRW Zustellungen an die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers vorzunehmen, nicht in Frage. Eine Behörde ist auch bei Nichtvorlage einer schriftlichen Vollmacht – jedenfalls – berechtigt, an den Bevollmächtigten zuzustellen.

Vgl. in diesem Zusammenhang Nds. OVG, Beschluss vom 29. November 2007 – 11 LA 172/07 -, juris, Rn. 10; FG Hamburg, Urteil vom 17. Januar 2014 – 4 K 21/13 -, juris, Rn. 39; Smollich, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2019, § 7 VwZG, Rn. 2; Ronellenfitsch, in: BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 49. Edition, Stand: 1. Oktober 2019, § 7 VwZG Rn. 2.

Auch das Vorbringen des Antragstellers, die mit Schreiben vom 6. Februar 2020 ergangene Verwarnung sei fehlerhaft, weil der darin angegebene Punktestand unzutreffend ermittelt worden sei, indem die Antragsgegnerin schon vor Erlass der Verwarnung von einem Stand von sieben Punkten ausgegangen sei, anstatt erst bei Erlass der Verwarnung die tatsächlich angefallenen neun Punkte gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG um zwei Punkte zu verringern, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Dass der in der Verwarnung mitgeteilte Punktestand in der angegebenen Höhe (sieben Punkte) im Ergebnis richtig war, wird auch von dem Antragsteller nicht in Abrede gestellt. Schon aus diesem Grund erfüllte die hier in Rede stehende Verwarnung die ihr – allein – zukommende Funktion der Information des Betroffenen. Das weitere Vorbringen des Antragstellers, die Verwarnung könne aufgrund der unzutreffenden Ermittlung des Punktestandes ihre „Verwarnungsfunktion“ nicht erfüllen, geht schon angesichts dessen, dass den Maßnahmestufen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG – wie zuvor dargelegt – diese Funktion nicht mehr zukommt, ins Leere. Sein weiterer Vortrag, darüber hinaus hätte die Antragsgegnerin auch zum Zeitpunkt der Verwarnung schon Kenntnis von neun Punkten gehabt, wenn sie die Rechtslage richtig eingeschätzt hätte, erschließt sich nicht. Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang geltend macht, dass auch das Verwaltungsgericht auf Seite 6 seines Beschlusses von einer derartigen Kenntnis der Antragsgegnerin ausgegangen sei, ist dies zwar zutreffend, führt aber gleichwohl nicht weiter. Denn aus den nachfolgenden Ausführungen in dem erstinstanzlichen Beschluss ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass sich dieser Punktestand – nur – aus den in der Aufstellung auf Seite 4 des angefochtenen Beschlusses aufgeführten Taten Nrn. 1 bis 8 ergab und gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG mit Wirkung vom 6. Februar 2020 auf sieben Punkte zu reduzieren war.

Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die von ihm am 25. Oktober 2018 und am 13. März 2019 begangenen Verkehrszuwiderhandlungen (Taten Nrn. 9 und 10 in der Aufstellung des erstinstanzlichen Beschlusses) nicht zu einer Entziehung seiner Fahrerlaubnis hätten führen dürfen, weil auch die hierfür angefallenen – drei – Punkte von der gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG mit der Verwarnung zu gewährenden Punkteverringerung hätten erfasst werden müssen. Einer Verringerung des Punktestandes auch um diese Punkte, die für vor Ergehen der Verwarnung vom 6. Februar 2020 begangene Verkehrszuwiderhandlungen (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit) angefallen waren, steht entgegen, dass die Antragsgegnerin im Zeitpunkt der mit der Verwarnung vorzunehmenden Verringerung des Punktestandes keine Kenntnis von diesen Punkten i. S. v. § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG hatte.

Die Auffassung des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe zum Zeitpunkt der Verwarnung unabhängig von seinem Schreiben vom 9. Januar 2020 von diesen Taten gewusst, ist nicht nachvollziehbar. Wer der Antragsgegnerin zu diesem Zeitpunkt Kenntnis hiervon verschafft haben sollte, legt der Antragsteller nicht dar. Die Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes über die entsprechenden Eintragungen im Fahreignungsregister datieren vom 18. Februar 2020 (Tat Nr. 9 in der Aufstellung auf S. 4 des erstinstanzlichen Beschlusses) und vom 7. März 2020 (Tat Nr. 10 der dortigen Aufstellung). Die vom Antragsteller in diesem Zusammenhang angesprochene Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 24. Januar 2020 umfasste nur die Eintragungen im Fahreignungsregister in Bezug auf die unter den Nrn. 1 bis 8 in der genannten Aufstellung aufgeführten Taten.

Kenntnis von den für die in der Aufstellung in dem angefochtenen Beschluss unter den Nrn. 9 und 10 aufgeführten Taten angefallenen Punkten i. S. v. § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG erlangte die Antragsgegnerin vor dem Zeitpunkt der mit der Verwarnung vorzunehmenden Punkteverringerung auch nicht durch das Schreiben der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers vom 9. Januar 2020. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass für eine Kenntnis im Sinne der genannten Vorschrift allein die Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes an die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 4 Abs. 8 StVG maßgeblich sind.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Juli 2020 – 16 B 382/16 -, juris, Rn. 5 ff.; jedenfalls im Ergebnis ebenso: BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 3 C 21.15 -, juris, Rn. 22.

Derartige Mitteilungen erfolgten seitens des Kraftfahrt-Bundesamtes betreffend den für die Verkehrszuwiderhandlung vom 25. Oktober 2018 angefallenen Punkt erst mit Schreiben vom 18. Februar 2020 und für die Punkte, die für die Verkehrszuwiderhandlung vom 13. März 2019 angefallen waren, mit Schreiben vom 7. März 2020.

Dieser Auslegung von § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG steht der Wortlaut der Vorschrift nicht entgegen. Zwar könnten, wollte man diesen allein zugrunde legen, alle der Fahrerlaubnisbehörde bekannten Punkte, gleich auf welchem Weg sie hiervon Kenntnis erhalten hat, den Punktestand nicht erhöhen, weil sie einer Verringerung unterfielen. Für die Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift ist jedoch nicht allein deren Wortlaut im umgangssprachlichen Sinn maßgeblich. Denn dieser kann für die Erreichung des gesetzlichen Zwecks zu weit oder zu eng sein. Insbesondere kommt es unter Heranziehung anderer Auslegungskriterien, wie der Systematik, der Entstehungsgeschichte und des Zwecks der Regelung in Betracht, eine Norm – auch – erweiternd auszulegen, sodass sich die Zahl ihrer Anwendungsfälle vergrößert.

Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 3. März 2020 – 12 ME 6/20 -, juris, Rn. 16.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Tatbestandsmerkmal in § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG „von denen die … Behörde erst nach der Verringerung Kenntnis erhält“ im Wege der Auslegung auf eine durch das Kraftfahrt-Bundesamt gemäß § 4 Abs. 8 StVG vermittelte Kenntnis einzuschränken und der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 4 Satz 6 StVG auf alle Punkte zu erweitern, die nicht auf diesem Wege übermittelt wurden.

Hierfür spricht zunächst der Gesamtkontext der Regelungen in § 4 StVG, die ein besonderes Verwaltungsverfahren für das Zusammenwirken von Fahrerlaubnisbehörde und Kraftfahrt-Bundesamt im Rahmen des Fahreignungs-Bewertungssystems vorsehen. Gemäß § 4 Abs. 4 StVG sind Fahrerlaubnisinhaber unter bestimmten Voraussetzungen durch eine Speicherung (beim Kraftfahrt-Bundesamt) für die Zwecke des Fahreignungs-Bewertungssystems vorgemerkt. Bereits hierdurch kommt zum Ausdruck, dass (alleinige) Grundlage für die Anwendung des Fahreignungs-Bewertungssystems eine Speicherung beim Kraftfahrt-Bundesamt ist. Daraus folgt jedoch notwendigerweise in einem zweiten Schritt, dass auch Maßnahmen und Rechtsfolgen nur an diese Speicherung und der wiederum hierauf beruhenden Mitteilung durch das Kraftfahrt-Bundesamt geknüpft werden dürfen. Schließlich sieht § 4 Abs. 8 StVG vor, dass das Kraftfahrt-Bundesamt zur Vorbereitung der Maßnahmen nach Abs. 5 bei Erreichen der jeweiligen Punktestände, auch in Verbindung mit den Abs. 6 und 7, der nach Landesrecht zuständigen Behörde die vorhandenen Eintragungen aus dem Fahreignungsregister zu übermitteln hat. Diese ausdrückliche und exklusive Verpflichtung des Kraftfahrt-Bundesamtes im Hinblick auf die Vorbereitung der Maßnahmen nach Abs. 5 wäre unverständlich, wenn für eine Punkteverringerung im Rahmen des Abs. 6 auch die Mitteilung einer Privatperson genügen würde. Im Übrigen sieht § 4 Abs. 8 StVG durch den Verweis auf Abs. 5 i. V. m. Abs. 6 gerade vor, dass auch für die Frage einer Punkteverringerung allein die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes maßgeblich sein soll.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Juli 2016 – 16 B 382/16 -, juris, Rn. 5 unter Bezugnahme auf VG Minden, Beschluss vom 16. März 2016 – 9 L 200/16 -, juris, Rn. 16; vgl. auch Sächs. OVG, Beschluss vom 10. Februar 2017 – 3 B 215/16 -, juris, Rn. 8;

OVG S.-A., Beschluss vom 13. Juni 2019 – 3 M 85/19 -, juris, Rn. 14.

Dem steht auch der Hinweis des Antragstellers auf § 48 Abs. 4 VwVfG nicht entgegen. Die Frage, wie im Rahmen dieser allgemeinen Vorschrift das Merkmal der „Kenntnis“ zu verstehen ist, gibt nichts dafür her, was im Rahmen des § 4 StVG gilt, der – wie zuvor dargelegt – ein ausdifferenziertes System des Zusammenwirkens von Fahrerlaubnisbehörden und Kraftfahrt-Bundesamt statuiert.

Vgl. VG Minden, Beschluss vom 16. März 2016 – 9 L 200/16 -, juris, Rn. 16; vgl. in diesem Zusammenhang auch OVG NRW, Beschluss vom 20. Juli 2016 – 16 B 382/16 -, juris, Rn. 18.

Die hier vertretene Auffassung findet zudem eine Stütze in den Gesetzesmaterialien. In dem Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 8. Oktober 2014 zu dem Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und der Gewerbeordnung heißt es u. a.: „Für das Ergreifen von Maßnahmen hat das Tattagprinzip keine Relevanz, denn Maßnahmen können erst nach Rechtskraft (und Registrierung) der Entscheidung über die Tat und damit deutlich später an die Tat geknüpft werden.“

Vgl. BT-Drs. 18/2775, S. 10.

Können aber Maßnahmen erst nach Registrierung der Entscheidung (im Fahreignungsregister) an eine Tat geknüpft werden, so reicht die vorgezogene Mitteilung einer Entscheidung und ihrer Rechtskraft durch den Betroffenen selbst nicht aus, um die Einbeziehung dieser Entscheidung in eine Maßnahme nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zu rechtfertigen. Denn die vorgezogene Mitteilung des Betroffenen gibt keine verlässliche Auskunft über eine bereits erfolgte Eintragung im Fahreignungsregister.

Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 3. März 2020 – 12 ME 6/20 -, juris, Rn. 17; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 20. Juli 2016 – 16 B 382/16 -, juris, Rn. 17.

Angesichts dessen kann nicht mit dem Antragsteller davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber, hätte er die Auffassung vertreten, für eine Kenntnis im Sinne von § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG komme es ausschließlich auf die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes an, dies durch eine entsprechende Fassung der Vorschrift

– ursprünglich oder später im Wege der Änderung – zwangsläufig weiter verdeutlicht hätte.

Zudem entspricht diese Auslegung auch dem mit der Einführung des Fahreignungs-Bewertungssystems verfolgten Sinn und Zweck, die Gefahren im Straßenverkehr, die insbesondere von Intensivtätern ausgehen, zu minimieren.

Vgl. nochmals BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2016 – 3 C 21.15 -, juris, Rn. 23; OVG S.-A., Beschluss vom 13. Juni 2019 -3 ME 85/19 -, juris, Rn. 15.

Hiermit ließe sich nicht vereinbaren, wenn es der Betroffene selbst in der Hand hätte, am Kraftfahrt-Bundesamt vorbei und außerhalb des in § 4 Abs. 8 StVG geregelten Verfahrens die Kenntnisverschaffung der Fahrerlaubnisbehörde selbst „in die Hand nehmen“. Dies würde ihn nämlich in die Lage versetzen, durch manipulatives Vorgehen die für ihn günstigen Rechtsfolgen des § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG auszulösen. Der Betroffene könnte durch das Ansammeln von Verkehrsdelikten in Ordnungswidrigkeits- oder strafrechtlichen Verfahren mit dem Ziel, die Ahndung dieser Delikte auf einen Schlag mit der Folge einer umfänglichen Punkteverringerung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG rechtskräftig werden zu lassen und der Fahrerlaubnisbehörde zur Kenntnis zu bringen, sich selbst die Möglichkeit verschaffen, innerhalb bestimmter Zeit ohne das (zusätzliche) Risiko einer Fahrerlaubnisentziehung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG weitere Verkehrszuwiderhandlungen zu begehen. Wenngleich es den mit dem Vorwurf wiederholter Übertretungen im Straßenverkehr konfrontierten Fahrerlaubnisinhabern (selbstverständlich) unbenommen ist, die sie betreffenden Bußgeldbescheide oder strafgerichtlichen Verurteilungen anzufechten bzw. zu einem gegebenen Zeitpunkt die diesbezüglichen Rechtsbehelfe wieder zurückzunehmen, ist zur Minimierung der Gefahren, die von (Intensiv-)Tätern im Straßenverkehr ausgehen, dafür Sorge zu tragen, dass eine noch weitergehende Steuerung der Punktestände durch den Betroffenen selbst unterbunden wird.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Juli 2016 – 16 B 382/16 -, juris, Rn. 26; OVG S.-A. Beschluss vom 13. Juni 2019 – 3 M 85/19 -, juris, Rn. 15.

Der Hinweis des Antragstellers auf die Möglichkeit eines Beteiligten in einem Straf- bzw. Bußgeldverfahren, durch Einlegung von Rechtsmitteln oder die Abgabe prozessualer Erklärungen für sich vorteilhafte Rechtsfolgen zu generieren, führt zu keiner anderen Beurteilung. Im Gegensatz zu Straf- bzw. Bußgeldverfahren, denen Sanktionscharakter zukommt, handelt es sich bei fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren um gefahrenabwehrrechtliche Verfahren. Es ist vom Antragsteller weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich, aus welchem Grund den Beteiligten in einem derartigen Verfahren gleiche oder ähnliche Rechte wie in einem Straf- oder Bußgeldverfahren zustehen müssten, um auf das Verfahren selbst und/oder auf dessen Ergebnis derart einwirken zu können.

Der dargelegten Auffassung zum Regelungsinhalt des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass eine solche Regelung keinen Sinn mache, weil die Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamtes ebenso wie die Eintragungen im Fahrerlaubnisregister nicht verbindlich seien, sondern ein bindender Charakter nur den zugrunde liegenden rechtskräftigen Entscheidungen zukomme, so dass es – auf-grund ggf. erforderlich werdender weiterer Ermittlungen – unerheblich sei, ob die Fahrerlaubnisbehörden durch das Kraftfahrt-Bundesamt, durch den Betroffenen selbst oder durch dessen Verteidigung über den Punktestand in Kenntnis gesetzt worden seien. Diese Argumentation verfängt schon deshalb nicht, weil durch die in Rede stehende Regelung erreicht werden soll, eine über die Wahrnehmung verfahrensrechtlicher Möglichkeiten im Straf- oder Bußgeldverfahren hinausgehende Steuerung des Punktestandes durch die Betroffenen im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren zu verhindern. Angesichts dessen ist es auch nicht willkürlich, dass den Fahrerlaubnisbehörden im Rahmen des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG Kenntnis durch Mitteilungen der Betroffenen oder ihrer Bevollmächtigten nicht vermittelt werden kann. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis des Antragstellers auf die Entscheidung des Bayerischen VGH vom 28. April 2016 –  11 CS 16.537 – (veröffentlicht in juris). Insoweit hat er schon seine Behauptung, es erscheine unter Berücksichtigung dieser Entscheidung, „nach der Behörden nicht bewusst darauf hinarbeiten dürfen, durch ihre Mitteilungspraxis Punktereduzierungen zu verhindern“, genauso willkürlich, „wenn Behörden die ihnen vom Betroffenen bzw. der Verteidigung präsentierten Fakten nicht zur Kenntnis nehmen wollten“, nicht weiter begründet. Zudem ist aus den zuvor dargelegten Gründen in einer Konstellation wie der vorliegenden gerade kein Fall willkürlichen Verhaltens seitens der Fahrerlaubnisbehörden gegeben.

Soweit der Antragsteller ferner eine bewusste Umgehung des § 4 Abs. 6 Sätze 2 und 3 StVG geltend macht, hat er nicht ansatzweise dargelegt, inwieweit und weshalb die von ihm behauptete Umgehung vorliegen könnte.

Schließlich vermag auch der Vortrag des Antragstellers zum Amtsermittlungsgrundsatz (§ 24 VwVfG NRW), dem auch die Fahrerlaubnisbehörden grundsätzlich unterliegen, schon deshalb nicht zu überzeugen, weil dieser allgemeine Grundsatz den Gesetzgeber nicht daran hindert, dass Verwaltungsverfahren vollständig oder – wie vorliegend – in Teilen besonders auszugestalten, und zwar auch dergestalt, dass es für die Kenntniserlangung einer Behörde nur auf die Mitteilung einer bestimmten öffentlichen Stelle ankommen soll.

Da nach alledem der Antrag zu 1. keine Erfolg hat, ergibt sich aus dem Beschwerdevortrag auch kein Anhaltspunkt dafür, dass dem (daran anknüpfenden) Antrag zu 2. oder dem Antrag zu 3. zu entsprechen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.

 

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