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Vernehmung eines mitgebrachten gestellten Zeugen –  Aufklärungspflicht Gericht

OLG Celle – Az.: 3 Ss (OWi) 220/21 – Beschluss vom 21.09.2021

In der Bußgeldsache wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die mit einem Zulassungsantrag verbundene Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Hameln vom 24. Juni 2021 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 21. September 2021 beschlossen:

1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

2. Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

3. Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

4. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hameln zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen „Benutzung eines elektronischen Gerätes, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient“, zu einer Geldbuße von 130 Euro verurteilt.

Nach den Feststellungen führte der Betroffene am 21. Oktober 2020 um 15:50 Uhr seinen Pkw pp., amtliches Kennzeichen pp., auf der A.straße in C., Ortsteil M., in Höhe der Hausnummer pp. und hielt während der Fahrt mit der rechten Hand „ein schwarzes Handy in Höhe des Lenkrades vor seinem Oberkörper und fixierte dieses nicht nur kurzweilig, sondern für mindestens 2-3 Sekunden mit seinem Blick“.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der mit einem Zulassungsantrag verbundenen Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet das Verfahren, u.a. die unterbliebene Hinzuziehung eines Dolmetschers bei der Vernehmung des Zeugen R. J.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG). Das Amtsgericht ist in einer elementaren Verfahrensfrage von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen. Damit ist der Zulassungsgrund des Sicherungsbedürfnisses erfüllt (vgl. KK/OWiG-Hadamitzky 5. Aufl. § 80 Rn. 15).

Aus den vorgenannten Gründen ist die Sache gemäß § 80a Abs. 3 OWiG vom Einzelrichter auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen.

III.

Das zulässige Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge der unterbliebenen Hinzuziehung eines Dolmetschers bei der Vernehmung eines Zeugen (§ 185 GVG, § 338 Nr. 5 StPO) Erfolg.

1. Das Rechtsbeschwerdevorbringen genügt den Begründungsanforderungen an eine solche Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG).

Der Beschwerdeführer hat vorgetragen, dass die Vorsitzende „seinen Beifahrer“ als Zeugen gefragt habe, ob er sicher sei, dass der Betroffene sein Handy nicht benutzt habe. Diese Frage habe er – der Beschwerdeführer – dem „k. Zeugen, der nur über sehr lückenhafte Deutschkenntnisse verfüge, übersetzt“. Das habe die Vorsitzende unterbunden. Sie habe sodann den Zeugen gefragt, ob er sich erinnern könne, wo die Verkehrskontrolle war, worauf der Zeuge nur „S.“ geantwortet habe. Daraufhin sei die Vernehmung beendet worden. Da der Beschwerdeführer den Zeugen „nicht als sprachunkundig angemeldet“ habe, sei ein Dolmetscher nicht anwesend gewesen.

Im Übrigen ergibt sich der maßgebliche Verfahrensgang aus den Urteilsgründen selbst (UA S. 4 unten, S. 5 oben). Danach hat der „vom Betroffenen mitgebrachte Zeuge R. J.“ mitgeteilt, dass er Beifahrer gewesen sei. Konkrete Erinnerungen an die Örtlichkeiten habe der Zeuge jedoch nicht mitteilen können. Ob es sich bei dem Zeugen tatsächlich um den Beifahrer gehandelt habe, habe auch nach Vernehmung der Polizeibeamten „nicht eindeutig verifiziert werden“ können. Aufgrund der „erheblichen Verständigungsprobleme“ sei auf eine „weitere Vernehmung verzichtet“ worden. Der Betroffene habe „keinen Beweisantrag“ gestellt.

2. Das Urteil unterliegt gemäß § 338 Nr. 5 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG der Aufhebung, weil entgegen § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG, § 46 Abs. 1 OWiG an der Hauptverhandlung kein Dolmetscher für den Zeugen J. teilgenommen hat.

a) Nach § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG, der auch im gerichtlichen Bußgeldverfahren gilt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 22. Juli 2015 – 1 Ss (OWi) 118/15, NStZ 2015, 720), ist ein Dolmetscher hinzuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Beteiligt in diesem Sinn sind alle Personen, mit denen eine Verständigung mittels der Sprache notwendig ist, dazu gehören auch Zeugen (BayObLG, Beschluss vom 24. September 2004 – 1 St RR 143/04, NStZ-RR 2005, 178 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 185 GVG Rn. 1).

Vernehmung eines mitgebrachten gestellten Zeugen -  Aufklärungspflicht Gericht
(Symbolfoto: Von Salivanchuk Semen/Shutterstock.com)

Ausweislich des Protokolls war in der Hauptverhandlung ein Dolmetscher für den Zeugen J. nicht anwesend, obwohl sich nach den Urteilsfeststellungen während der Vernehmung des Zeugen „erhebliche Verständigungsprobleme“ zeigten, die das Gericht dazu veranlassten, auf eine „weitere Vernehmung“ zu verzichten. Unter derartigen Umständen ist gemäß § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG die Hinzuziehung eines Dolmetschers geboten, auch wenn sich deren Notwendigkeit erst im Verlauf der Vernehmung herausstellt (BayObLG aaO).

b) Eine andere Bewertung der Verfahrensweise ergibt sich auch nicht daraus, dass es sich um einen mitgebrachten („sistierten“) Zeugen handelte und ein Beweisantrag nicht gestellt wurde.

Zwar gelten die besonderen Regeln für präsente Beweispersonen nach § 245 Abs. 2 StPO nur, wenn diese vom Betroffenen förmlich nach § 38 StPO unter Einschaltung eines Gerichtsvollziehers zur Hauptverhandlung geladen werden und zudem ein förmlicher Beweisantrag gestellt wird. Die Aufklärungspflicht des Gerichts (§ 77 Abs. 1 OWiG) wird durch § 245 Abs. 2 StPO indes nicht eingeschränkt. Wenn es der Sachaufklärung dient, muss das Gericht von Amts wegen jedes erreichbare Beweismittel ausschöpfen, auch wenn ein förmlicher Beweisantrag nicht gestellt wird oder die Anwesenheit der Beweisperson nicht in der gesetzlich geforderten Form bewirkt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 1981 – 1 StR 385/81, NStZ 1981, 401; Becker in: Löwe-Rosenberg StPO 27. Aufl. § 245 Rn. 7).

Hier hat das Amtsgericht der Beweisanregung des Betroffenen stattgegeben und den von ihm mitgebrachten Zeugen J. vernommen. Es hat damit zu erkennen gegeben, dass es die Vernehmung des Zeugen für sachdienlich erachtet. Die Annahme, dass die Vernehmung des Zeugen der gebotenen Sachaufklärung dient, hat sich auch spätestens in dem Moment bestätigt, als der Zeuge bekundet hat, er sei Beifahrer des Betroffenen – mithin unmittelbarer Tatzeuge – gewesen. Vor diesem Hintergrund war es rechtlich geboten, die Vernehmung des Zeugen ordnungsgemäß und vollständig durchzuführen. Dass sich das Amtsgericht daran aufgrund erheblicher Verständigungsprobleme gehindert sah, rechtfertigt es nicht, die Vernehmung abzubrechen und den möglichen Entlastungsbeweis nicht weiter zu erheben. Die Pflicht zur umfassenden Sachaufklärung gebietet auch die erschöpfende Nutzung der zugezogenen Beweismittel; gehörte Beweispersonen müssen so vernommen werden, dass sie ihr ganzes verfahrenserhebliches Wissen offenbaren (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1997 – 4 StR 23/97, BGHSt 43, 63, 64; BayObLG aaO; Becker aaO § 244 Rn. 64 mwN). Das Unterbleiben einer erschöpfenden Vernehmung des Zeugen ergibt sich im vorliegenden Fall aus den Urteilsgründen selbst und ist deshalb der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht ohne eine – regelmäßig unzulässige – Rekonstruktion der Beweisaufnahme zugänglich. Soweit das Gericht auf eine weitere Vernehmung verzichtet hat, nachdem der Zeuge „konkrete Erinnerungen an die Örtlichkeiten“ nicht habe mitteilen können, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, ob und auf welche Weise das Gericht mit Blick auf die festgestellten erheblichen Verständigungsprobleme sichergestellt hat, dass der Zeuge die Frage richtig verstanden hat.

c) Da die Hauptverhandlung somit in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz (§ 185 Abs. 1 Satz 1 GVG) vorschreibt, stattgefunden hat, besteht der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO (BayObLG aaO; Wickern in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. § 185 GVG Rn. 37). Dieser gilt nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG auch im Rechtsbeschwerdeverfahren (vgl. KK/OWiG-Hadamitzky § 79 Rn. 109 mwN).

IV.

Aufgrund des aufgezeigten Rechtsfehlers hat der Senat das angefochtene Urteil mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

 

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