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Verhängung Ordnungsgeld gegen nicht erschienenen Zeugen aus Angst vor Corona-Infektion

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 3 W 39/21 – Beschluss vom 27.04.2021

Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der gegen ihn ergangene Ordnungsgeldbeschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 11.02.2021 – 4 O 194/19 – in Verbindung mit dem Beschluss über die Nichtabhilfe vom 19.03.2021 aufgehoben.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer war zu einem Beweisaufnahmetermin am 11.02.2021 vor dem Landgericht als Zeuge geladen. Mit Schreiben vom 05.02.2021, eingegangen am 06.02.2021, teilte er mit, dass er zu dem Termin wegen der Gesundheitsrisiken aufgrund der Corona-Pandemie nicht erscheinen wolle und bat, ihn zu entschuldigen. Im Termin vom 11.02.2021 erschienen der Beschwerdeführer und eine weitere Zeugin nicht. Mit Beschluss vom 11.02.2021 hat das Landgericht dem Beschwerdeführer und der weiteren nicht erschienenen Zeugin die durch das Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt und gegen jeden der beiden Zeugen ein Ordnungsgeld in Höhe von 80,00 € auferlegt.

Hinsichtlich des Beschwerdeführers hat es zur Begründung ausgeführt, dem Zeugen wäre, wäre sein Schreiben rechtzeitig eingegangen, mitgeteilt worden, dass im Gerichtsgebäude verschiedene Sicherheitsvorkehrungen gegen eine Ansteckungsgefahr etabliert worden seien. Ein allgemeiner Hinweis darauf, unter Pandemiebedingungen seiner Verpflichtung als Zeuge nicht nachkommen zu wollen, sei kein ausreichender Entschuldigungsgrund.

Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde, mit der er einwendet, angesichts dessen, dass dieselben Maßnahmen, die im Gericht getroffen worden seien, in anderen Branchen, wie etwa in Friseursalons nicht für eine Öffnung genügten, sei er sich nicht sicher, ob die im Gericht getroffenen Maßnahmen ausreichten, um die Gefährdung seiner Gesundheit auszuschließen. Diesem Risiko wolle er sich nicht aussetzen.

Mit Beschluss vom 19.03.2021 hat das Landgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Die Begründung des Beschwerdeführers genüge als Entschuldigung gemäß § 381 ZPO nicht. Systemrelevante Bereiche wie die Justiz seien von den Schließungen bewusst ausgenommen worden. Eine funktionierende Justiz wäre (zumindest teilweise) nicht mehr gegeben, wenn ein geladener Zeuge unter Hinweis auf die allgemeine Pandemielage seinen Pflichten nicht nachkommen wolle.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß den §§ 380 Abs. 3, 567 ff. ZPO zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

1.

Nach § 380 Abs. 1 Satz 2 ZPO wird gegen einen ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, ein Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festgesetzt. Das Auferlegen der Kosten und das Festsetzen eines Ordnungsmittels unterbleiben jedoch gemäß § 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO dann, wenn das Ausbleiben des Zeugen rechtzeitig genügend entschuldigt wird.

Zwar war der Beschwerdeführer ordnungsgemäß unter Hinweis auf seine Erscheinenspflicht und die Folgen seines Ausbleibens zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 11.02.2021 geladen worden. Der Beschwerdeführer hat jedoch sein Ausbleiben rechtzeitig genügend entschuldigt (§ 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

a)

Rechtzeitig im Sinne des § 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist eine Entschuldigung dann, wenn sie so frühzeitig bei Gericht eingeht, dass der Termin noch verlegt und die zur Verhandlung geladenen Personen noch im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb umgeladen werden können (OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. Mai 2016 – 8 W 69/15 –, juris m.w.N.). Da das Schreiben des Zeugen 5 Tage vor dem anberaumten Termin eingegangen ist, wäre eine rechtzeitige Verlegung problemlos möglich gewesen.

b)

Der Beschwerdeführer hat sein Ausbleiben auch genügend entschuldigt. Eine genügende Entschuldigung des Ausbleibens erfordert, dass der Zeuge Tatsachen vorträgt, die sein Ausbleiben rechtfertigen. Maßstab ist die Zumutbarkeit, so dass eine hinreichende Entschuldigung vorliegt, wenn dem Zeugen bei Würdigung sämtlicher Umstände ein Erscheinen nicht zugemutet werden kann (BeckOK ZPO/Zeuch ZPO § 381, Rn 1).

c)

Der Beschwerdeführer hat zwar nicht dargetan, dass er wegen einer akuten Erkrankung oder der Anordnung einer ihn betreffenden Quarantänemaßnahme nicht am Termin teilnehmen konnte. Auch hat er sich nicht darauf berufen, einer besonderen Risikogruppe anzugehören, für die im Falle einer Corona-Infektion ein besonderes Risiko für einen schwerwiegenden Verlauf bestünde.

Ebenfalls würde eine rein subjektive Angst, sich in einem Gerichtstermin oder auf der Fahrt dorthin mit einer Infektionskrankheit anzustecken, für eine Entschuldigung grundsätzlich nicht genügen (Zschieschack/Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Coronakrise, 3. Aufl. 2021, Rn 51).

Es ist auch richtig, dass die Justiz als systemrelevant eingestuft wird und rechtlich durch die Verordnungen der Länder zur Bekämpfung des Corona-Virus Gerichtsverhandlungen von den Beschränkungen ausgenommen sind.

Der Justizbetrieb wird deshalb zwar in dem an die neuen Umstände angepassten Umfang fortgeführt. Auch kann jede Richterin und jeder Richter im Rahmen der richterlichen Unabhängigkeit entscheiden, ob und wann Verhandlungen stattfinden und durchgeführt werden. Es wurden auch zum Schutz aller Verfahrensbeteiligten in den Gerichten des Landes Brandenburg wie in jedem anderen Bundesland umfangreiche Schutzmaßnahmen ergriffen, die eine Ansteckungsgefahr im Gerichtsgebäude minimieren sollen und hierfür auch als geeignet angesehen werden.

d)

Dennoch kann nicht in Abrede gestellt werden, dass trotz aller Schutzmaßnahmen das größte Infektionsrisiko im Gerichtsbetrieb die öffentliche mündliche Verhandlung darstellt, weil hier u.U. eine Vielzahl von Personen aus unterschiedlichen Lebensbereichen auf relativ engem Raum zusammenkommt (Richter, Rechtsanwälte, Parteien, Zeugen, Sachverständige, Dolmetscher, Zuhörer usw.). Dass es trotz aller Maßnahmen zu einer Infektion kommen kann, kann nicht ausgeschlossen werden. In dieser Hinsicht ist die Lage in einem Gerichtssaal nicht anders als in dem vom Beschwerdeführer genannten Friseursalon.

In der hier zu berücksichtigenden konkreten Situation am 06.02.2021 war es zudem so, dass die deutschlandweite sogenannte 7-Tage-Inzidenz bei 76 lag und das Risiko einer Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland vom RKI insgesamt als „sehr hoch“ eingeschätzt wurde (hhttps://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/ Feb_2021/2 021-02-06-de). Das öffentliche Leben ruhte weitgehend, indem Geschäfte und Schulen ganz oder teilweise geschlossen waren. Aufgrund der Empfehlungen der zuständigen Stellen waren Sozialkontakte zur Vermeidung von Infektionen zu minimieren und auf das Notwendige zu beschränken. Impfstoffe waren noch nicht in ausreichendem Maße vorhanden

Diese (Ausnahme)situation lässt die allgemeine Angst des Beschwerdeführers, im Gerichtsgebäude der – wenn auch geringen – Gefahr, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, ausgesetzt zu sein, den Anforderungen an eine Entschuldigung im Sinne von § 381 ZPO genügen (vgl. (Zschieschack/Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Coronakrise, 3. Aufl. 2021, Rn 54).

e)

Es bestand, anders als das Landgericht meint, auch nicht die Gefahr, dass dem Justizgewährungsanspruch nicht mehr Genüge geleistet würde, würde man die Angst vor einer Corona-Ansteckung als Grund für das Ausbleiben eines Zeugen (oder für einen Verlegungsantrag eines Prozessbevollmächtigten) anerkennen. Zum einen mag die Abwägung anders ausfallen, wenn – wie in bestimmten Verfahren – dem Beschleunigungsgrundsatz Vorrang einzuräumen ist. Zum anderen war bereits zum hier maßgeblichen Zeitpunkt im Februar 2021 von der Bundesregierung eine Verbesserung der Lage unter anderem durch ein umfassendes Impfangebot bis zum Sommer 2021 angekündigt worden, so dass es durch eine Verlegung auch nicht zu einer unzumutbaren Verzögerung des Verfahrens gekommen wäre.

2.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Auseinandersetzung über die Verhängung eines Ordnungsgeldes ist nicht kontradiktorisch ausgestaltet. Die Kosten der erfolgreichen Beschwerde eines Zeugen gegen ein Ordnungsgeld sind nicht in entsprechender Anwendung des § 46 OWiG der Staatskasse aufzuerlegen, denn diese ist nicht am Rechtsstreit beteiligt. Derartige Auslagen gehen vielmehr gemäß §7 Abs.1 JVEG zu Lasten der nach dem Schlussurteil kostenpflichtigen Partei; einer Kostenentscheidung bedarf es daher nicht; Gerichtskosten entstehen nicht (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2016, § 380, Rdnr. 9, 10).

 

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