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Verfassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen Recht auf faires Ordnungswidrigkeitenverfahren

Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg – Az.: 1 VB 38/18 – Urteil vom 16.01.2023

Das Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 22. August 2017 – 28 OWi 516 Js 8303/17 – und der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17. April 2018 – 3 Rb 6 Ss 797/17 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg (LV) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 23 Abs. 1 LV (faires Verfahren).

Die Entscheidungen werden aufgehoben und die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Mannheim zurückverwiesen.

Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen seine Verurteilung im Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung sowie die Verwerfung seiner Rechtsbeschwerde als unbegründet. Vor und während des gerichtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahrens begehrte der Beschwerdeführer erfolglos Zugang zu bestimmten Unterlagen und Messdaten des verwendeten Lasergeräts PoliScan Speed.

I.

Verfassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen Recht auf faires Ordnungswidrigkeitenverfahren
(Symbolfoto: Brian A Jackson/Shutterstock.com)

1. Der Beschwerdeführer soll mit einem Pkw am 3. September 2016 die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 44 km/h überschritten haben. Im behördlichen Bußgeldverfahren beantragte der Beschwerdeführer über seine Verfahrensbevollmächtigte mit Schriftsätzen vom 2. November 2016 und 14. Dezember 2016 gegenüber dem Regierungspräsidium Karlsruhe Einsicht in die Ermittlungsakte. Mit weiterem Schreiben vom 19. Dezember 2016 beantragte der Beschwerdeführer darüber hinaus die Übermittlung der „digitalen Falldaten mit den unverschlüsselten Rohmessdaten der gesamten Messserie sowie die Token-Datei und das Passwort“ sowie „die zum Messgerät gehörige Lebensakte bzw. die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme“.

Mit Schreiben vom 23. Dezember 2016 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe – Bußgeldstelle – darauf hin, dass die Messdaten ohnehin nur von einem Sachverständigen ausgelesen werden könnten, weshalb diese – bei entsprechender Legitimierung – direkt an einen solchen übermittelt werden würden. Am 2. Januar 2017 wurde die Ermittlungsakte an die Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers übermittelt. Am 17. Januar 2017 erinnerte die Verfahrensbevollmächtigte die Bußgeldbehörde an die Übermittlung der „Lebensakte bzw. Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise“. Am 19. Januar 2017 übermittelte die Bußgeldbehörde diverse Datensätze (ohne „Lebensakte“ oder „Wartungs- Instandsetzungs- und Eichnachweise“) an einen – sich für den Beschwerdeführer legitimierenden – privaten Sachverständigen.

Mit Bußgeldbescheid vom 1. Februar 2017 verhängte die Bußgeldbehörde gegen den Beschwerdeführer eine Geldbuße von 160,00 Euro und ein einmonatiges Fahrverbot aufgrund der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 120 km/h um 44 km/h. Gegen den Bußgeldbescheid legte der Beschwerdeführer am 8. Februar 2017 Einspruch ein und begründete diesen mit Schriftsatz vom 13. Februar 2017. Eine Überprüfung der Geschwindigkeitsmessung durch ein privates Sachverständigengutachten habe ergeben, dass die vom Gerät angezeigte Geschwindigkeit um 11 km/h zu hoch sei. Diese Abweichung liege oberhalb der Verkehrsfehlergrenze von 3 %. Zudem habe der Messbereich bei 305 der 520 Falldatensätze außerhalb der Bauartzulassung des Geräts gelegen, weshalb kein standardisiertes Verfahren vorliege.

Ausweislich eines Vermerks vom 14. Februar 2017 half das Regierungspräsidium Karlsruhe dem Einspruch nicht ab, würden „Lebensakten“ nicht geführt und seien die Eichscheine gültig. Am 6. März 2017 wurde das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Mannheim abgegeben.

2. Das Amtsgericht Mannheim holte mit Beschluss vom 29. März 2017 ein schriftliches Sachverständigengutachten über die Zuverlässigkeit der Geschwindigkeitsmessung im Hinblick auf das von dem Beschwerdeführer vorgelegte Privatgutachten ein. Das gerichtliche Sachverständigengutachten vom 29. Mai 2017 kam zu dem Ergebnis, dass sich keine Hinweise auf eine nicht ordnungsgemäße Durchführung der Messung ergeben hätten, wenngleich bei der Auswertung der zusätzlich abgespeicherten Messdaten eine Abweichung zur gemessenen Geschwindigkeit von 10,44 km/h festzustellen sei. Diese Differenz sei auf eine Lageabweichung der einzelnen Messpunkte und Geschwindigkeitsänderungen während der Messung zurückzuführen und von einem Messfehler oder einem Defekt des Messgeräts daher nicht auszugehen. Ob von einem Geschwindigkeitswert von 159 km/h (Ergebnis der zusätzlich abgespeicherten Messdaten) oder von 170 km/h (Ergebnis des Messgeräts, abzüglich Toleranzabzug = 164 km/h) auszugehen sei, stelle eine Rechtsfrage dar.

Mit Schreiben vom 5. August 2017 beantragte der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf die bereits gestellten Ersuchen vom 19. Dezember 2016 und 17. Januar 2017 erneut gegenüber dem Amtsgericht, „die Lebensakte des Messgeräts bzw. die Wartungs- und Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme zur Verfügung zu stellen.“ Mit Beschluss vom 10. August 2017 lehnte das Amtsgericht den Antrag ab, da „die beantragten Beweiserhebungen als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich anzusehen“ seien und „eine Beiziehungspflicht für die Lebensakte“ sowie „ein Anspruch auf Bildung eines größeren Aktenbestandes“ nicht bestehe. Darüber hinaus existiere hier keine Lebensakte, so dass diese auch nicht beigezogen werden könne.

In der Hauptverhandlung am 22. August 2017 wurde der Messbeamte als Zeuge vernommen und erstattete der Gerichtssachverständige sein Gutachten. Der in der Verhandlung mit der Aussetzung des Verfahrens verbundene Antrag des Beschwerdeführers, „die im Falldatensatz der Messung des Betroffenen enthaltenen 126 Einzelwerte mit Laufzeiten und Winkelangaben“ sowie „die Messgeräte-Lebensakte oder, falls eine solche nicht geführt wird, alle […] vorhandenen Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme“ zur Verfügung zu stellen, lehnte das Amtsgericht ab, „weil die Beweiserhebung als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich anzusehen“ sei.

3. Mit angegriffenem Urteil vom 22. August 2017 verurteilte das Amtsgericht Mannheim den Beschwerdeführer wegen der fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 160,00 Euro und einem einmonatigen Fahrverbot.

Dabei ging das Amtsgericht von der auch dem Bußgeldbescheid zugrunde gelegten Geschwindigkeit von 164 km/h aus. Bei der Messung mit dem Laser-Messgerät des Typs PoliScan Speed handele es sich um ein standardisiertes Verfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Für das Gericht hätten sich keine Anhaltspunkte für eine Fehlmessung ergeben. Es seien keine Abweichungen von dem normierten Verfahren oder der Gebrauchsanweisung des Geräts ersichtlich, das Messgerät sei gültig geeicht gewesen und nach den Ausführungen des Messbeamten seien seit der letzten Eichung keine eichrelevanten Störungen oder Defekte am Messgerät aufgetreten. Bei den bereits reparierten Defekten am Objektiv sowie an einem LAN-Kabel habe es sich jeweils um keine eichrelevante Störung gehandelt. Auch die sich aus der Auswertung der XML-Datei ergebende Abweichung von 10,44 km/h lasse aus technischer Sicht keine vernünftigen Zweifel an der fehlerfreien Funktion des Messgeräts aufkommen, da die im Messfoto eingeblendete Geschwindigkeit als Durchschnittsgeschwindigkeit aus 126 Einzelmessungen das genauere Messergebnis darstelle.

4. Der Beschwerdeführer legte mit Schriftsatz vom 25. August 2017 Rechtsbeschwerde gegen das Urteil ein. Unter anderem rügte er, dass die gerichtliche Ablehnung des Einsichtsantrags in die Lebensakte bzw. die Wartungsunterlagen dem Grundsatz des fairen Verfahrens nach Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG nicht gerecht werde. Auch wenn die Verwaltungsbehörde nicht zur Führung einer Lebensakte verpflichtet sei, seien wenigstens Nachweise über erfolgte Wartungen, Reparaturen und sonstige Eingriffe am Messgerät aufzubewahren und der Verteidigung zugänglich zu machen. Es sei bereits eine Gehörsverletzung bzw. unzulässige Beschränkung der Verteidigung darin zu sehen, dass das Amtsgericht den Antrag auf Herausgabe der Lebensakte bzw. Wartungsunterlagen als Beweisantrag verstanden und dann gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG abgelehnt habe, da kein Beweisantrag gestellt, sondern die Herausgabe von Unterlagen verlangt worden sei. Auch die Ablehnung der Einsicht in die bei der Messung des Betroffenen erzeugten Rohmessdaten in Form der 126 Einzelmessungen des Betroffenen verletze das Recht auf ein faires Verfahren. Der gerichtliche Sachverständige habe das Ergebnis der 126 Einzelmessungen als gegenüber den beiden bekannten Einzelmessungen zu Beginn und Ende der Messung zuverlässiger angesehen, weshalb der Verteidigung Zugang zu diesen Einzelmessdaten ermöglicht werden müsse. Auch hier habe es sich nicht um einen nach § 77 Abs. 2 OWiG ablehnbaren Beweisantrag gehandelt, sondern um einen Akteneinsichtsantrag bzw. Antrag auf Einsicht in Messdaten.

5. Mit angegriffenem Beschluss vom 17. April 2018 verwarf das Oberlandesgericht Karlsruhe die Rechtsbeschwerde als unbegründet, weil die Nachprüfung der Entscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben habe. Im Hinblick auf die Ablehnung der Beiziehung von Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweisen des Messgeräts habe der als Zeuge vernommene Messbeamte bekundet, dass zwischen der letzten Eichung des Messgeräts und dem Vortag der Hauptverhandlung keine eichrelevanten Störungen oder Defekte an dem Messgerät aufgetreten seien. Im Hinblick auf diese glaubhaften Angaben sei das Amtsgericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nicht verpflichtet gewesen, beim Verwender des Messgeräts Nachweise über erfolgte Wartungen, Reparaturen und sonstige Eingriffe anzufordern. Naturgemäß könnten solche Unterlagen nur vorliegen, wenn Wartungen, Reparaturen oder sonstige Eingriffe vorgenommen worden seien. Solche habe der Messbeamte jedoch verneint. Aus diesem Grund liege auch eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nicht vor (unter Verweis auf Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Bamberg, Beschluss vom 4.4.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 –, Juris). Im Übrigen dürfte die Rüge schon unzulässig sein, weil das Schreiben vom 25. September 2017, mit dem die Herausgabe der Lebensakte sowie der vorhandenen Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des verwendeten Messgeräts während des Laufs der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist verlangt worden sein soll, nicht vorgelegt worden sei.

Hinsichtlich der gerügten Ablehnung bzw. Unterlassung der Beiziehung der laut Falldatensatz erfolgten 126 Einzelmessdaten hätte sich der Beschwerdeführer – damit die Ausnahme von der nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bestehenden Vortragspflicht, welche Tatsachen sich aus den nicht beigezogenen Akten ergeben hätten, gerechtfertigt und belegt werde – bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um Akteneinsicht bemühen und die entsprechenden Anstrengungen auch gegenüber dem Rechtsbeschwerdegericht dartun müssen (unter Hinweis unter anderem auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, Beschluss vom 23.2.2010 – 4 StR 599/09 –, Juris). An einem solchen Vortrag bezüglich der 126 Einzelmesswerte fehle es jedoch.

6. Mit Schreiben vom 27. April 2018 erhob der Beschwerdeführer eine Anhörungsrüge, die mit (nicht angegriffenem) Beschluss vom 29. Mai 2018 durch das Oberlandesgericht zurückgewiesen wurde.

II.

Der Beschwerdeführer hat mit am 3. Juli 2018 beim Verfassungsgerichtshof eingegangenen Schriftsatz Verfassungsbeschwerde erhoben.

Er rügt eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG), des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 2 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG) und des gesetzlichen Richters (Art. 2 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

1. Das Gebot auf ein faires Verfahren sei dadurch verletzt, dass dem Beschwerdeführer die Rohmessdaten beziehungsweise die 126 Einzelmesswerte nicht zur Verfügung gestellt worden seien. Nachdem das Amtsgericht die aus den wenigen überlassenen Werten berechnete Abweichung von 11 km/h als ungenau und damit als unbeachtlich angesehen habe, sei der Beschwerdeführer auf die restlichen Einzelmesswerte angewiesen gewesen, um anhand dieser das Messergebnis weiter prüfen zu können.

Auch hätten dem Beschwerdeführer die Wartungsunterlagen zu dem Messgerät zur Verfügung gestellt werden müssen. Die Unterlagen seien verteidigungsrelevant, weil sie Schlüsse auf die Zuverlässigkeit des Messgeräts und damit die Richtigkeit des Messergebnisses erlaubten. Es sei auch davon auszugehen, dass die Unterlagen tatsächlich existierten, da der als Zeuge vernommene Messbeamte und der Sachverständige von reparierten Defekten am Objektiv und LAN-Kabel berichtet hätten. Durch die Aussage des Messbeamten oder des Sachverständigen könne auch nicht das originäre Einsichtsrecht der Verteidigung in die Unterlagen eingeschränkt werden, welche die Angaben andernfalls nicht verifizieren könne. Der vom Oberlandesgericht angenommene Gleichlauf zwischen richterlicher Aufklärungspflicht und dem Recht auf ein faires Verfahren sei abzulehnen. Die als Folge von standardisierten Messverfahren eintretende eingeschränkte gerichtliche Überprüfungspflicht des Messergebnisses durch das Gericht dürfe nicht zu gleichfalls eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten führen, sondern müsse im Gegenteil zu umfassenden Rechten der Verteidigung führen, selbst Prüfungen vornehmen und gegebenenfalls abweichende Ergebnisse dem Gericht vorlegen zu können. Daher müsse in solchen Fällen das Information- und Einsichtsrecht des Verteidigers deutlich weitergehen als die Amtsaufklärung des Gerichts.

2. Die Ablehnung der Beweisanträge auf Beiziehung und Verlesung von Wartungsunterlagen und einer sachverständigen Auswertung der Einzelmesswerte verletze den Anspruch auf rechtliches Gehör, da das Amtsgericht die Anträge mangels Vortrags von Anhaltspunkten für Messfehler als nicht erforderlich angesehen habe, obgleich ein solcher Vortrag ohne Einsicht in die Messdaten durch die Verteidigung gar nicht möglich gewesen sei.

3. Das Oberlandesgericht Karlsruhe habe gegen den gesetzlichen Richter (Art. 2 Abs. 1 LV i.V.m. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verstoßen, indem es von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte abgewichen sei, ohne eine Divergenzvorlage nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG an den Bundesgerichtshof vorzunehmen.

III.

Das Ministerium der Justiz und für Migration sowie das Ministerium für Verkehr wurden am Verfahren beteiligt.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Verfahrensakte des Amtsgerichts Mannheim beigezogen.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens aufgrund der versagten Einsicht in die Wartungs-/Reparaturunterlagen des Messgeräts zulässig (I.) und begründet (II.). Einer Entscheidung über die weiteren Rügen des Beschwerdeführers bedarf es nicht (III.).

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

1. Sie wurde mit am 3. Juli 2018 beim Verfassungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz vom 29. Juni 2018 fristgerecht innerhalb eines Monats nach dem am 4. Juni 2018 erfolgten Zugang der verfahrensabschließenden Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe über die Anhörungsrüge vom 29. Mai 2018 eingelegt, § 56 Abs. 2 VerfGHG.

2. Die Rüge des Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens wegen der nicht gewährten Einsicht in die Wartung-/Reparaturunterlagen wahrt die Anforderungen an die materielle Subsidiarität.

a) Nach ständiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung muss der Beschwerdeführer nach dem Grundsatz der Subsidiarität über die Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die Korrektur der geltend gemachten Rechtsverletzung durch die Fachgerichte zu erwirken oder eine Rechtsverletzung zu verhindern (StGH, Beschluss vom 17.7.2014 – 1 VB 38/14 –, Juris Rn. 8 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BVerfG zur Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG). Der Subsidiaritätsgrundsatz soll vor allem sichern, dass dem Verfassungsgerichtshof durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung der Beschwerdepunkte ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet wird und ihm die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Gerichte, insbesondere der obersten Landesgerichte, vermittelt wird. Damit soll erreicht werden, dass der Verfassungsgerichtshof nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen trifft (st. Rspr., vgl. VerfGH, Beschluss vom 20.3.2018 – 1 VB 75/17 –, Juris Rn. 2 m.w.N.).

Im Rahmen von Ordnungswidrigkeitenverfahren ist es in der Regel erforderlich, dass der Betroffene seinen Anspruch auf Informationszugang mittels eines Antrags auf Herausgabe bzw. Zugänglichmachung der von ihm für erforderlich gehaltenen Daten bereits gegenüber der Verwaltungsbehörde geltend macht und im Falle von dessen Ablehnung einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 OWiG stellt (siehe hierzu Bay. VerfGH, Entscheidung vom 13.1.2022 – Vf. 61-VI-19 –, Juris Rn. 40 ff.; vgl. auch VerfGH RP, Beschlüsse vom 21.6.2021 – VGH A 39/21 –, Juris Rn. 27, und vom 22.7.2022 – VGH B 30/21 –, Juris Rn. 22; VerfG Bbg., Beschluss vom 18.2.2022 – 48/20 –, Juris Rn. 23).

b) Gemessen hieran hat der Beschwerdeführer die für erforderlich gehaltenen Informationen rechtzeitig im Bußgeldverfahren geltend gemacht. Zwar hat er keinen Antrag nach § 62 Abs. 1 Satz 1 OWiG gestellt, dieser war vorliegend jedoch ausnahmsweise entbehrlich. Der Beschwerdeführer hat gegenüber der Bußgeldbehörde mit mehreren Schreiben im November und Dezember 2016 unter anderem die Übermittlung sowohl der Verfahrensakten als auch der Lebensakte und der Wartungs-/Instandsetzungs- und Eichnachweise beantragt. Am 2. Januar 2017 übersandte die Bußgeldbehörde dem Beschwerdeführer (lediglich) die Verfahrensakte, woraufhin dieser mit Schreiben vom 17. Januar 2017 an die Übermittlung auch der Lebensakte bzw. Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise erinnerte. Ohne über diesen noch ausstehenden Antrag zu entscheiden, erließ die Bußgeldbehörde am 1. Februar 2017 gegenüber dem Beschwerdeführer den Bußgeldbescheid und gab das Verfahren nach der Einspruchseinlegung vom 8. Februar 2017 am 6. März 2017 an die Staatsanwaltschaft ab. Vor dem Hintergrund der weder ausdrücklichen noch (hinreichend klaren) konkludenten Ablehnung des Antrags auf Übermittlung der Lebensakte bzw. Wartungs-/Instandsetzungs- und Eichnachweise durch die Bußgeldbehörde – trotz expliziter Erinnerung durch den Beschwerdeführer – sowie in Anbetracht des recht kurzen Zeitablaufs zwischen dem Erinnerungsschreiben des Beschwerdeführers, dem Erlass des Bußgeldbescheides, der Einspruchseinlegung und der Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft, bedurfte es vorliegend keines Antrags nach § 62 OWiG zur Wahrung der materiellen Subsidiarität.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet.

Das Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 22. August 2017 sowie der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 27. April 2018 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf faires Verfahren, in dem sie unter Annahme eines Gleichlaufs der gerichtlichen Aufklärungspflicht mit dem Einsichtsrecht des Betroffenen dessen Antrag auf Einsichtnahme in die Wartungs-/Reparaturunterlagen des Messgeräts abgelehnt haben.

1. Wie das Bundesverfassungsgericht in mehreren – nach Erlass der angegriffenen Entscheidungen ergangenen – Kammerbeschlüssen festgestellt hat, folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18 –, Juris Rn. 49 ff.). Hierbei handelt es sich nicht um eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht, sondern der Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28.4.2021 – 2 BvR 1451/18 –, Juris Rn. 5; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4.5.2021 – 2 BvR 277/19 –, Juris Rn. 5).

a) Zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zählt das Recht auf ein faires Verfahren (BVerfG, Beschluss vom 3.6.1969 – 1 BvL 7/68 –, BVerfGE 26, 66, 71, Juris Rn. 22). Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens und daran anknüpfender Verfahren gewährleistet es dem Betroffenen, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde selbständig wahrzunehmen und Übergriffe der im vorstehenden Sinn rechtsstaatlich begrenzten Rechtsausübung staatlicher Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. hierzu sowie zum Folgenden: BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18 –, Juris Rn. 32 – 35, jeweils m.w.N.). Der Anspruch auf ein faires Verfahren ist durch das Verlangen nach verfahrensrechtlicher „Waffengleichheit“ von Ankläger und Beschuldigtem gekennzeichnet und dient damit in besonderem Maße dem Schutz des Beschuldigten, für den bis zur Verurteilung die Vermutung seiner Unschuld streitet. Dabei enthält das Recht auf ein faires Verfahren keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote; vielmehr bedarf es der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht – auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte – ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 12.1.1983 – 2 BvR 864/81 –, BVerfGE 63, 45, 61, Juris Rn. 51).

Im Rechtsstaat darf der Betroffene nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein; ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 18.10.1983 – 2 BvR 462/82 –, BVerfGE 65, 171, 174 f., Juris Rn. 15). Dabei wendet sich das Gebot zur fairen Verfahrensgestaltung nicht nur an die Gerichte, sondern ist auch von allen anderen staatlichen Organen zu beachten, die auf den Gang eines Strafverfahrens Einfluss nehmen, demgemäß auch von der Exekutive, soweit sie sich rechtlich gehalten sieht, bestimmte Beweismittel nicht freizugeben (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 26.5.1981 – 2 BvR 215/81 –, BVerfGE 57, 250, 283, Juris Rn. 75). Ein rechtsstaatliches und faires Verfahren fordert daher „Waffengleichheit“ zwischen den Verfolgungsbehörden einerseits und dem Beschuldigten andererseits. Der Beschuldigte hat deshalb ein Recht auf möglichst frühzeitigen und umfassenden Zugang zu Beweismitteln und Ermittlungsvorgängen und auf die Vermittlung der erforderlichen materiell- und prozessrechtlichen Informationen, ohne die er seine Rechte nicht wirkungsvoll wahrnehmen könnte (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 30.3.2004 – 2 BvR 1520/01 –, BVerfGE 110, 226, 253, Juris Rn. 103). Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt hiernach, dass der Beschuldigte eines Strafverfahrens neben der Möglichkeit, prozessual im Wege von Beweisanträgen oder Beweisermittlungsanträgen auf den Gang der Hauptverhandlung Einfluss zu nehmen, grundsätzlich auch das Recht hat, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 12.1.1983 – 2 BvR 864/81 –, BVerfGE 63, 45, 66, Juris Rn. 63 ff.). Dadurch werden seine Verteidigungsmöglichkeiten erweitert, weil er selbst nach Entlastungsmomenten suchen kann, die zwar fernliegen mögen, aber nicht schlechthin auszuschließen sind. Während so regelmäßig dem Informationsinteresse des Beschuldigten genügt ist, ist gleichwohl gewährleistet, dass der Ablauf des gerichtlichen Verfahrens nicht durch eine sachlich nicht gebotene Ausweitung der Verfahrensakten unverhältnismäßig erschwert oder sogar nachhaltig gefährdet wird (BVerfG a.a.O., Rn. 65).

Die möglicherweise außerhalb der Verfahrensakte gefundenen entlastenden Informationen können von der Verteidigung zur fundierten Begründung eines Antrags auf Beiziehung vor Gericht dargelegt werden. Der Beschuldigte kann so das Gericht, das von sich aus keine sachlich gebotene Veranlassung zur Beiziehung dieser Informationen sieht, auf dem Weg des Beweisantrages oder Beweisermittlungsantrages zur Heranziehung veranlassen (BVerfG a.a.O., Rn. 68 ff.).

b) Diese für das Strafverfahren geltenden Grundsätze können auf das Ordnungswidrigkeitenverfahren übertragen werden (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18 –, Juris Rn. 53 f.). Die technische Komplexität der bei Geschwindigkeitsmessungen zum Einsatz kommenden Messmethoden und die bei standardisierten Messverfahren verringerten Anforderungen an die Beweiserhebung und die Urteilsfeststellungen der Fachgerichte lassen das Bedürfnis der Betroffenen am Zugang zu weiteren die Messung betreffenden Informationen nachvollziehbar erscheinen. Wenn der Betroffene demnach geltend macht, er wolle sich selbst Gewissheit darüber verschaffen, dass sich aus den dem Gericht nicht vorgelegten Inhalten keine seiner Entlastung dienenden Tatsachen ergeben, wird ihm die durch seinen Verteidiger vermittelte Einsicht grundsätzlich zu gewähren sein. Hieraus folgt allerdings kein unbegrenztes Recht auf Zugang zu außerhalb der Akten befindlichen Informationen, vielmehr müssen diese hinreichend konkret benannt sein und einen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf aufweisen. Entscheidend ist, ob der Betroffene eine Information verständiger Weise für die Beurteilung des Ordnungswidrigkeitenvorwurfs für bedeutsam halten darf. Die Verteidigung kann grundsätzlich jeder auch bloß theoretischen Aufklärungschance nachgehen, wohingegen die Bußgeldbehörden und schließlich die Gerichte von einer weitergehenden Aufklärung gerade in Fällen standardisierter Messverfahren grundsätzlich entbunden sind. Es kommt deshalb insofern nicht darauf an, ob die Bußgeldbehörde oder das Gericht die in Rede stehende Information zur Überzeugung von dem Verstoß für erforderlich erachtet (BVerfG a.a.O. Rn. 57).

2. Sowohl das Amtsgericht als auch das Oberlandesgericht haben vorliegend verkannt, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren für den Beschwerdeführer grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen, vorliegend namentlich der Wartungs- und Reparaturunterlagen des verwendeten Messgeräts, folgt. Dieser Anspruch verpflichtet nicht etwa das Gericht, die geforderten Unterlagen aufgrund seiner Aufklärungspflicht beizuziehen und zu prüfen, sondern entspringt allein dem Recht des Betroffenen, die Grundlagen des gegen ihn erhobenen Vorwurfs einzusehen und selbst zu prüfen.

a) Das Amtsgericht Mannheim lehnte die beantragte Zurverfügungstellung der Lebensakte bzw. der Wartungsprotokolle und Eichnachweise des Messgeräts in seinem Beschluss vom 10. August 2017 mit der Begründung ab, dass die beantragten „Beweiserhebungen […] als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich anzusehen“ seien und „keine Beiziehungspflicht für die Lebensakte eines Messgeräts“ oder ein „Anspruch auf Bildung eines größeren Aktenbestandes“ bestünde. Im Übrigen seien Reparatur- und Wartungsbescheinigungen „auch keine geeigneten Beweismittel, um tatsachenbegründete Zweifel an der Messrichtigkeit und Messbeständigkeit eines geeichten Messgeräts wecken zu können“. Auch den in der Hauptverhandlung vom 22. August 2017 gestellten Einsichts- und Aussetzungsantrag wies das Amtsgericht damit zurück, dass „die beantragte Beweiserhebung […] als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich anzusehen“ sei. Diese Behandlung ging aber am eigentlichen Begehren des Beschwerdeführers, nämlich die geforderten Unterlagen nach Erhalt eigenständig von einem Sachverständigen überprüfen zu lassen (so ausdrücklich auch der Antrag des Beschwerdeführers vom 22. August 2017), vorbei. Hierdurch verkennt das Amtsgericht zum einen den vom Bundesverfassungsgericht aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens hergeleiteten Anspruch auf Zugang zu den im Zusammenhang mit dem festgestellten Geschwindigkeitsverstoß bestehenden Informationen, auch wenn sich diese außerhalb der Verfahrensakten befinden. Zum anderen nimmt es in verfassungswidriger Weise einen Gleichlauf zwischen der gerichtlichen Aufklärungspflicht und dem Einsichtsrecht des Betroffenen an den im Zusammenhang mit der Messung stehenden Informationen an.

b) Auch das Oberlandesgericht Karlsruhe ging in seinem Beschluss vom 17. April 2018 hinsichtlich des Informationsbegehrens verfassungswidrig von einem „Gleichlauf von Aufklärungspflicht und fairtrial-Grundsatz“ aus und lehnte den beantragten Zugang zu Unterlagen über Wartungen, Reparaturen und sonstige Eingriffe bereits deshalb ab, weil der Messbeamte keine eichrelevanten Störungen oder Defekte am Messgerät bekundet habe. Das Amtsgericht sei deshalb nicht verpflichtet gewesen, beim Verwender des Messgeräts Nachweise über erfolgte Wartungen, Reparaturen oder sonstige Eingriffe anzufordern. Dem Beschwerdeführer kam es jedoch gerade darauf an, durch die eigenständige Überprüfung der begehrten Informationen etwaige Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses erst zu ermitteln, um diese dann – gegebenenfalls – vor Gericht darlegen und dessen Amtsaufklärungspflicht auslösen zu können. Die fehlende Differenzierung des Oberlandesgerichts zwischen Beweis(ermittlungs)antrag und dem Begehren auf Informationszugang lässt unberücksichtigt, dass die Verteidigungsinteressen des Betroffenen nicht identisch mit der Aufklärungspflicht des Gerichtes in der Hauptverhandlung sind und deutlich weitergehen können (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18 –, Juris Rn. 67).

Zwar wurde nach den gerichtlichen Feststellungen eine Lebensakte für das betroffene Messgerät nicht geführt, so dass ein insoweit versagter Informationszugang nicht zu einem Verfassungsverstoß führen kann. Dies gilt jedoch nicht für die Wartungs- und Reparaturdokumentationen, die von dem Einsichtsrecht des Beschwerdeführers umfasst (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 13.12.2022 – VGH B 46/21 –, Juris Rn. 54 ff.) und ersichtlich auch vorhanden sind. Der gerichtlich bestellte Sachverständige sowie der Messbeamte hatten in der mündlichen Verhandlung beim Amtsgericht von einem reparierten Defekt am Objektiv sowie einem reparierten Problem an einem LAN-Kabel berichtet, wenngleich sie diese jeweils als nicht eichrelevant einstuften. Zumindest die insoweit existierenden Unterlagen hätten dem Beschwerdeführer – neben etwaigen weiteren vorhandenen Reparatur- und Wartungsdokumentationen – zur Verfügung gestellt werden müssen, damit dieser sie einer eigenständigen Prüfung hätte unterziehen können.

Unerheblich ist hierbei, dass zwischen der letzten Eichung des Geräts am 25. August 2016 und dem Tattag am 3. September 2016 gerade einmal neun Tage lagen. Denn das Einsichtsrecht umfasst den Zeitraum, der mit der letzten Eichung vor dem Tattag beginnt und am Tage des Ablaufs der Eichfrist endet, sodass vom Einsichtsrecht auch Unterlagen solcher Wartungen erfasst sind, die nach der verfahrensgegenständlichen Messung, aber vor dem Ende der Eichfrist vorgenommen worden sind (VerfGH RP, Beschluss vom 27.10.2022 – VGH B 57/21 –, Juris Rn. 41). Bei erfolgten Wartungen und Reparaturen des Messgeräts in diesem Zeitraum kann eine – wenn auch bloß theoretische – Aufklärungschance zur eventuellen Aufdeckung von Funktionsbeeinträchtigungen des Messgeräts nicht schlechthin ausgeschlossen werden (VerfGH RP, Beschluss vom 13. Dezember 2021 – VGH B 46/21 –, Juris Rn. 55f.).

III.

Da die angegriffenen Entscheidungen wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens aus Art. 2 Abs. 1 LV i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 23 Abs. 1 LV verfassungswidrig sind, kann offenbleiben, ob auch die weiteren Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte, auf die sich der Beschwerdeführer berufen hat, verletzt sind.

C.

Hiernach ist festzustellen, dass das Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 22. August 2017 – 28 OWi 516 Js 8303/17 – und der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17. April 2018 – 3 Rb 6 Ss 797/17 – den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 LV i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 23 Abs. 1 LV verletzen (§ 59 Abs. 1 Satz 1 VerfGHG). Die angegriffenen Entscheidungen sind aufzuheben und die Sache ist an das Amtsgericht Mannheim zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 59 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 55 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG). Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 29. Mai 2018 über die Anhörungsrüge wird dadurch gegenstandslos. Der Ausspruch über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 60 Abs. 3 VerfGHG.

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