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Trunkenheit im Verkehr – § 316 StGB – nicht bei laufendem Motor und Abblendlicht

BGH, Az.: 4 StR 239/88

Beschluss vom 27.10.1988

Tatbestandsverwirklichung der Trunkenheit im Verkehr

Gründe

I. Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von drei Monaten festgesetzt. Dem Urteil liegen folgende Feststellungen zugrunde:

Trunkenheit im Verkehr - § 316 StGB – nicht bei laufendem Motor und Abblendlicht
Symbolfoto: Vertolet/Bigstock

Der Angeklagte setzte sich am 5. September 1987 gegen 21.45 Uhr an das Steuer seines im öffentlichen Verkehrsraum abgestellten Kraftwagens, ließ den Motor an und schaltete das Abblendlicht ein, um zu seiner etwa 700m entfernten Wohnung zu fahren. Er war zu diesem Zeitpunkt infolge des Genusses alkoholischer Getränke fahruntüchtig. Er stellte dann, ohne daß sich der Wagen bewegt hatte, das Abblendlicht und den Motor ab, weil seine neben ihm sitzende Frau vorschlug, das Auto stehen zu lassen und zu Fuß zu gehen, und weil er einen entgegenkommenden Polizeistreifenwagen erblickte. Die Insassen des Streifenwagens hatten sowohl das Anschalten des Abblendlichts als auch dessen Abschalten bemerkt. Dies veranlaßte sie, das Fahrzeug und dessen Insassen zu kontrollieren. Als sie den Streifenwagen in Höhe des Kraftwagens des Angeklagten zum Halten brachten, lief der Motor dieses Fahrzeuges noch. Den Polizeibeamten erklärte der Angeklagte, er habe den Wagen, der schon einmal aufgebrochen worden sei, nicht dort stehen lassen wollen; außerdem sei seine Frau nicht gut zu Fuß. Die dem Angeklagten eine halbe Stunde nach dem Vorfall entnommene Blutprobe ergab einen Alkoholgehalt von 1,37 Promille.

Der Strafrichter sah in dem Verhalten des Angeklagten eine fahrlässige Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 1 und 2 StGB mit der Begründung, daß es zum Führen eines Fahrzeuges genüge, daß der Fahrzeugführer es durch Anlassen des Motors in Betrieb nehme in der Absicht, alsbald wegzufahren.

Mit der Sprungrevision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Nach seiner Auffassung ist das Tatbestandsmerkmal des „Führens“ eines Fahrzeugs nicht verwirklicht, weil von einem unbewegten Fahrzeug die im § 316 StGB vorausgesetzte abstrakte Gefahr nicht hervorgerufen werden könne.

Der zur Entscheidung über die Revision berufene 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle teilt diese Rechtsauffassung und möchte das Urteil des Strafrichters aufheben. An dieser Entscheidung sieht er sich jedoch gehindert durch die Urteile der Oberlandesgerichte Düsseldorf vom 19. Juni 1970 – 3 Ss 207/70 – (VerkMitt 1971, 16), Schleswig vom 28. November 1973 – 1 Ss 473/73 – (VerkMitt 1974, 56) und Koblenz vom 1. Juli 1971 – 1 Ss 63/71 – (DAR 1972, 50) sowie vom 29. November 1973 – 1 Ss 209/73 – (VRS 46, 352).

Im Hinblick darauf hat er die Sache nach § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt (NStZ 1988, 411 = NZV 1988, 72):

„Wird das Vergehen der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) dadurch verwirklicht, daß der vorsätzlich oder fahrlässig Fahruntüchtige in der Absicht, alsbald wegzufahren, den Motor eines Kraftfahrzeuges anläßt und das Abblendlicht einschaltet?

II. Die Vorlegungsvoraussetzungen sind gegeben. Der Bundesgerichtshof hat die vorgelegte Rechtsfrage noch nicht entschieden. Die Rechtsprechung zum Begriff der „Teilnahme am Verkehr“ (BGHSt 7, 315) betraf eine andere Strafvorschrift (§ 2 StVZO) mit einem abweichenden Gesetzeswortlaut. Soweit der Senat in seinem Beschluß vom 29. Juli 1964 (BGHSt 19, 371, 373) zum Ausdruck gebracht hat, die Auslegung beider Begriffe sei „dieselbe“, betraf dies die Frage, welche nach dem Anhalten eines Fahrzeugs zu treffenden Maßnahmen noch zum „Führen“ gehören (das Fahrzeug hatte sich u.a. infolge nicht angezogener Bremse in Bewegung gesetzt), nicht aber die Frage, wann das Führen des Fahrzeugs beginnt. Diese Frage kann das Oberlandesgericht nicht in dem von ihm beabsichtigten Sinn entscheiden, ohne von der Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Koblenz im Urteil vom 1. Juli 1971 (DAR 1972, 50) abzuweichen. Ob das vorlegende Oberlandesgericht auch von den übrigen von ihm erwähnten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Düsseldorf, Schleswig und Koblenz abweichen müßte, kann dahinstehen; in diesen Entscheidungen war – wie in der des Oberlandesgerichts Braunschweig (VRS 74, 363) – die Absicht des Fahrzeugführers, mit dem Fahrzeug wegfahren zu wollen, nicht eindeutig von den Feststellungen getragen.

III. Der Senat tritt der Rechtsauffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts bei.

Nach § 316 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer im Verkehr (§§ 315-315 d StGB) ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke (oder anderer berauschender Mittel) nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Diese Vorschrift ist durch das Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26. November 1964 (BGBl. I, 921) neu geschaffen worden. Sie trat insoweit an die Stelle des als unzulänglich empfundenen § 2 Abs. 1 i.V.m. § 71 StVZO, § 21 StVG aF, der als Höchststrafe Geldstrafe bis zu 150 DM oder Haft bis zu sechs Wochen vorsah. Die Umwandlung des Tatbestandes in ein Vergehen sollte eine nachdrückliche Verstärkung des Kampfes gegen den Alkohol als Unfallursache ermöglichen (BTDrucks. III/2368 S. 23).

In der Beschreibung des neu geschaffenen Tatbestandes des § 316 StGB lehnte sich der Gesetzgeber eng (BTDrucks. III/2368 S. 23) an die – gleichzeitig umgestalteten – Vorschriften über Verkehrsgefährdung an (§§ 315 Abs. 3, 315a Abs. 2 Nr. 1 StGB). Das bedeutet, daß der Begriff des „Führens“ eines Fahrzeugs, wie er in diesen Vorschriften enthalten war, beibehalten werden sollte. Der Senat hat hierzu bereits klargestellt (BGHSt 18, 6), daß Führer eines Fahrzeuges nur sein könne, wer sich selbst aller oder wenigstens eines Teiles der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeugs bedient, die für seine Fortbewegung bestimmt sind. Es muß also jemand, um Führer eines Fahrzeugs sein zu können, das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzen oder das Fahrzeug unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenken (aaO S. 8/9). Auch zum Begriff des Führens eines Kraftfahrzeuges ohne Fahrerlaubnis (§ 24 StVG aF = § 21 StVG) hat der Senat entschieden, daß es auf den „Bewegungsvorgang“ ankomme (BGHSt 13, 226) oder das „Abrollenlassen“ eines Kraftfahrzeugs (BGHSt 14, 185), wobei der Motorkraft als Ursache der Bewegung keine Bedeutung zukommt.

In der Tat verleiht die dynamische Komponente dem Begriff des „Führens“ ihre entscheidende Prägung. Das ergibt schon der Sinn des Wortes. Das Wort „führen“ ist, wie bereits das Amtsgericht Freiburg (NJW 1986, 3151, 3152) ausgeführt hat, abgeleitet von „fahren“ und hat als solches den eigentlichen Sinn von „in Bewegung setzen“, „fahren machen“ (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 1983 S. 442). In seiner transitiven Form hat es die Bedeutung „mittelst eines … Fahrzeuges … fortkommen machen“ und kann hier für das Wort „fahren“ stehen (Grimm, Deutsches Wörterbuch, 4. Bd., 1. Abt. 1. Hälfte Leipzig 1878 Sp. 432, 440, 442). Bereits nach dem Sprachgebrauch kann etwas Statisches nicht geführt werden.

Auch die zweckorientierte Auslegung der Vorschrift führt dazu, daß von dem Begriff des „Führens“ nur Bewegungsvorgänge im Verkehr erfaßt sein sollen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Bestimmung der abstrakten Gefahr entgegenwirken, die dem Verkehr daraus erwächst, daß der Fahrzeugführer infolge der genannten Mängel sein Fahrzeug nicht zu beherrschen vermag. Durch ein stehendes Fahrzeug, das der Beherrschung durch einen Fahrzeugführer nicht bedarf, tritt eine Gefährdung des Straßenverkehrs indessen nicht ein. Die bloße Einnahme der Fahrerposition, das Anlassen des Fahrzeugs im Leerlauf oder das Einschalten des Stand- oder Abblendlichtes stellen Tätigkeiten dar, die einen Gefahrenzustand in aller Regel noch nicht herbeiführen. Auch in Situationen des ruhenden Verkehrs kann es zwar bereits zu Gefahrenzuständen kommen, die ihre Ursache in der Fahruntauglichkeit desjenigen haben, der die Verrichtungen am Fahrzeug vornimmt. Wer zum Beispiel infolge seiner Fahruntüchtigkeit an dem stehenden Fahrzeug das Fernlicht einschaltet, kann schon dadurch – je nach Standort des abgestellten Fahrzeugs – eine Gefahr, etwa Blenden entgegenkommender Verkehrsteilnehmer, heraufbeschwören.

Diese Tätigkeiten werden jedoch vom Tatbestand des § 316 StGB noch nicht erfaßt; sie stellen allenfalls ein unmittelbares Ansetzen zur Tat dar. Von einer Strafbarkeit des Versuchs hat der Gesetzgeber indessen ausdrücklich abgesehen. In dem ursprünglichen Regierungsentwurf des „Zweiten Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs“ hieß es noch (BTDrucks. III/2368 S. 23), auch der Versuch des § 316 StGB müsse strafbar sein, da ein „unabweisbares kriminalpolitisches Bedürfnis“ für ein Einschreiten der Ermittlungsbehörde bereits dann bestehe, „wenn der Täter nach Alkoholgenuß unmittelbar zum Abfahren ansetzt“. Bei den weiteren Beratungen im Ausschuß wurde die vorgesehene Versuchsstrafbarkeit jedoch einstimmig gestrichen (Deutscher Bundestag IV. Wahlperiode 12. Ausschuß Prot.Nr. 84/20).

Diese klare Entscheidung des Gesetzgebers ist zu beachten. Tatbestandsmäßig im Sinne von § 316 StGB ist danach nicht bereits das Ansetzen zum Abfahren mit seinen vielfältigen Erscheinungsformen vom Einstecken des Zündschlüssels bis zum „Gasgeben“, sondern erst der Bewegungsvorgang des Abfahrens selbst, der durch das Anrollen der Räder nach außen in Erscheinung tritt. Allein diese Rechtsauffassung ermöglicht auch eine klare Abgrenzung der Verwirklichung des Tatbestandes von den Fällen des – straflosen – Versuchs, da sie auf Bewegungsabläufe und damit auf objektive Gegebenheiten abstellt und darauf verzichtet, die nur schwer nachweisbare innere Einstellung des Täters als maßgeblich heranzuziehen (OLG Düsseldorf VRS 62, 44, 193 m.w.N.; OLG Hamm NJW 1984, 137 (obiter dictum); LG Hamburg VRS 74, 273; AG Freiburg NJW 1986, 3151 und AG Homburg VRS 74, 27 unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung VRS 72, 184, 185; Cramer in Schönke/Schröder StGB 23. Aufl. § 316 Rdn. 7; ders. Straßenverkehrsrecht 2. Aufl. Bd. I § 316 StGB Rdn. 32; Lackner, StGB 17. Aufl. § 315 c Anm. 3 a; Janiszewski NStZ 1984, 113; 1987, 271 und 546; Mühlhaus/Janiszewski 11. Aufl. § 2 StVO Anm. 8; Maurach/Schroeder, Deutsches Strafrecht, 6. Aufl., Besonderer Teil, Teilband 2, § 54 III 2 a; Horn in SK § 315 c StGB Rdn. 5; Horn/Hoyer JZ 1987, 965, 969; a.A. OLG Düsseldorf VerkMitt 1971, 16; OLG Celle VerkMitt 1973, 19; OLG Schleswig VerkMitt 1974, 56; OLG Koblenz DAR 1972, 50, 51 und VRS 46, 352, 353; Rüth in LK 10. Aufl. § 316 StGB Rdn. 4; Dreher/Tröndle, StGB, 44. Aufl. § 315 a Rdn. 6; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 29. Aufl., § 316 StGB Rdn. 2; Otto, Grundkurs Strafrecht, Die einzelnen Delikte, 2. Aufl. S. 386).

Sofern nicht alle Fälle, die strafwürdig erscheinen könnten, von dieser Auslegung der Vorschrift erfaßt sein sollten, ist dies bei der gegebenen Gesetzeslage hinzunehmen. Eine andere Beurteilung würde von der erlaubten Auslegung des Gesetzes zu einer verbotenen Analogie zu Lasten des Täters führen (vgl. BGHSt 34, 171, 178). Bei dem aufgezeigten Verständnis der Vorschrift des § 316 StGB erhält die Verkehrspolizei nunmehr vermehrt die Möglichkeit, durch rechtzeitiges Eingreifen Straftaten zu verhindern.

IV. Der Senat hat daher die Vorlegungsfrage wie aus dem Entscheidungstenor ersichtlich beantwortet. Der Generalbundesanwalt hatte beantragt zu beschließen:

„Das Vergehen der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) wird bereits dadurch verwirklicht, daß der vorsätzlich oder fahrlässig Fahruntüchtige in der Absicht, alsbald wegzufahren, den Motor seines Kraftfahrzeuges anläßt und das Abblendlicht einschaltet.“

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