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Tagessehschärfe für Fahrerlaubnisklassen C und C1 – Anforderungen

VG Koblenz – Az.: 4 K 1332/19.KO – Urteil vom 30.04.2020

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der 1987 geborene Kläger begehrt die Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse C, mindestens jedoch der Klasse C1.

Er ist seit 2003 Inhaber der Fahrerlaubnis der Klassen AM/A1 und seit 2005 der Klassen A2/A und B. Hauptberuflich ist er als Rettungssanitäter beim Deutschen Roten Kreuz Rettungsdienst A. gGmbH tätig und fährt dort Einsatzfahrzeuge mit einer Gesamtmasse von knapp unter 3,5 t. In § 14 seines bis zum 30. November 2020 befristeten Arbeitsvertrags ist geregelt, dass sein Arbeitsvertrag ausläuft, sofern er bis zum 31. August 2020 keine Fahrerlaubnis der Klasse C1 besitzt. Ehrenamtlich ist der Kläger bei der Freiwilligen Feuerwehr B. aktiv und fährt dort seit 14 Jahren ebenfalls Einsatzfahrzeuge mit einer Gesamtmasse von knapp unter 3,5 t.

Mit E-Mail vom 4. Juni 2019 erkundigte sich der Kläger beim Beklagten, ob es im Hinblick auf das Gutachten der Fachärztin für Augenheilkunde Frau Dr. C. vom 4. Juni 2019 sinnvoll sei, weiterhin an der Fahrschule zum Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse C teilzunehmen oder er diese abbrechen müsse. Ausweislich des augenärztlichen Gutachtens besteht für sein rechtes Auge eine zentrale Sehschärfe von 0,2 und für sein linkes Auge von 0,8. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, das Sehvermögen des Klägers reiche wegen einer bestehenden Amblyopie auf dem rechten Auge nicht für die Fahrerlaubnisklassen C, CE, C1, C1E aus.

Nach ablehnender Antwort des Beklagten stellte der Kläger unter dem 19. Juni 2019 einen Antrag auf Erweiterung seiner Fahrerlaubnis auf die Klasse C. Er legte unter anderem ein Gutachten der Fachärztin für Augenheilkunde Frau Dr. C. vom 4. Juni 2019 vor, wonach diese das Sehvermögen bei ansonsten selber Befundlage wie in dem mit E-Mail vom 4. Juni 2019 vorgelegten Gutachten mit Sehhilfe als ausreichend beurteilte. Zur Erläuterung der Abweichung des Gutachtens zu dem unter dem 4. Juni 2019 eingereichten Gutachten legte der Kläger zudem einen von der Ärztin kommentierten Auszug der Empfehlung der Deutschen Ophthalmologische Gesellschaft und des Bundesverbands der Augenärzte Deutschland, Fahreignungsbegutachtung für den Straßenverkehr – Anleitung für die augenärztliche Untersuchung und Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen –, 7. Auflage 2019 vor.

Nach Anhörung des Klägers lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 21. August 2019 den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger verfüge nicht über das für die Fahrerlaubnisklasse C erforderliche Sehvermögen nach § 12 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) i.V.m. Anlage 6 zu den §§ 12, 48 Abs. 4 und 5 FeV (Anlage 6 FeV). Die Sehschärfe auf seinem schlechteren rechten Auge betrage ausweislich der augenärztlichen Gutachten vom 4. Juni 2019 entgegen Nr. 2.2.1 Satz 2 der Anlage 6 FeV lediglich 0,2 und nicht wie gefordert 0,5. Ferner komme eine Kompensation nach Nr. 2.2.1 Satz 5 der Anlage 6 FeV, wonach der Visus in Ausnahmefällen unter Berücksichtigung von Fahrerfahrung und Fahrzeugnutzung unter 0,5 liegen dürfe, da es sich um eine Ersterteilung in der Klasse C handle, nicht in Betracht.

Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger im Wesentlichen geltend, ihm sei die Fahrerlaubnis der Klasse C zu erteilen, da die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in Nr. 2.2.1 Satz 5 der Anlage 6 FeV vorlägen. Das ärztliche Gutachten gehe von einem ausreichenden Sehvermögen aus. Er, der Kläger, verfüge zudem entgegen der Ansicht des Beklagten über die nötige Fahrerfahrung und Fahrzeugnutzung, da er im Rahmen seiner Tätigkeit als Rettungssanitäter nahezu täglich und im Rahmen seiner Tätigkeit bei der freiwilligen Feuerwehr seit 14 Jahren Einsatzfahrzeuge mit einer Gesamtmasse von knapp unter 3,5 t fahre. Die Einsatzfahrzeuge, die er als Rettungssanitäter nutze, würden nur aufgrund einer Umrüstung auf eine Gesamtmasse von knapp über 3,5 t angehoben. Er habe außerdem bereits Fahrstunden auf Fahrzeugen der Klasse C ohne Beanstandungen des Fahrlehrers absolviert. Zudem sei zu beachten, dass ihm bei Versagung der Fahrerlaubniserteilung die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses drohe, was zu erheblichen wirtschaftlichen Problemen für ihn und seine Familie führen würde. Die Versagung komme einem Berufsverbot als Rettungssanitäter, einem Beruf mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit, gleich. Der Kläger wies auf ein Urteil des BayVGH (Urteil vom 14. Januar 2015 – 11 BV 14.1345 –, juris) in einem nach seiner Auffassung ähnlich gelagerten Fall hin.

Tagessehschärfe für die Fahrerlaubnisklassen C und C1 - Anforderungen
(Symbolfoto: Von Tatiana Chekryzhova/Shutterstock.com)

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. November 2019, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 18. November 2019, wies der Kreisrechtsausschuss des Beklagten den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Wertung im zweiten Gutachten der Augenärztin Frau Dr. C., wonach das Sehvermögen des Klägers ausreichend sei, sei nicht nachvollziehbar und darüber hinaus auch nicht bindend. Zudem könne sich der Kläger nicht auf die Ausnahmeregelung in Nr. 2.2.1 Satz 5 Anlage 6 berufen. Da er eine Ersterteilung der Fahrerlaubnis für die Klassen C, C1 begehre, könne er keine Fahrerfahrung in diesen Klassen aufweisen und keinen Nachweis einer Fahrzeugnutzung führen. Auf seine in der Klasse B erlangten Fertigkeiten könne er sich nicht berufen, da dies der Regelungssystematik der Anlage 6 FeV zuwiderlaufen würde. Anlage 6 FeV teile die Fahrerlaubnisklassen in zwei Gruppen ein und regle die Anforderungen an das Sehvermögen innerhalb dieser Gruppen getrennt, wobei an die Gruppe 2 höhere Anforderungen gestellt würden. Da sich Nr. 2.1. Anlage 6 FeV lediglich auf Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2 beziehe, müsse dies auch hinsichtlich der in Nr. 2.2.1 Satz 5 Anlage 6 FeV geforderten Fahrpraxis gelten. Die Fahrzeuge, zu deren Führen die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2 berechtigten, seien aufgrund ihres Gewichts und ihrer Abmessungen schwieriger zu handhaben und verfügten insgesamt über ein höheres Betriebsrisiko. Dieser Unterschied rechtfertige sowohl die unterschiedlichen Anforderungen an die Sehschärfe in den unterschiedlichen Fahrerlaubnisgruppen als auch die Tatsache, dass im Rahmen der Ausnahmeregelung der Nr. 2.2.1 Satz 5 Anlage 6 FeV nur auf die in dieser Fahrerlaubnisgruppe erlangte Erfahrung abzustellen sei. Die Regelung in Satz 5 der Nr. 2.2.1 der Anlage 6 FeV würde bei einer Anwendung auf Ersterteilungsfälle ihren Ausnahmecharakter verlieren. Soweit der Kläger sich darauf berufe, die bisher genutzten Einsatzfahrzeuge würden lediglich umgerüstet, führe dies zu keinem anderen Ergebnis, denn die Fahrerlaubnis berechtige ihn nicht nur zum Führen dieser speziellen Fahrzeuge. Das vom Kläger angeführte Urteil betreffe eine andere Fallkonstellation, nämlich die Frage, ob ein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis bei einer unter 0,1 liegenden Sehschärfe bestehe. Auch ergebe sich aus der Fahrberechtigungsverordnung Rheinland-Pfalz kein Anspruch auf Erteilung einer Fahrberechtigung zum Führen von Einsatzfahrzeugen mit einer zulässigen Gesamtmasse von 3,5 t bis 7,5 t; eine solche Berechtigung sei auch nicht Verfahrensgegenstand. Er, der Kreisrechtsausschuss, verkenne nicht, dass der Kläger Einschränkungen in privater und beruflicher Hinsicht hinnehmen müsse, diese seien jedoch vom Gesetz- und Verordnungsgeber bedacht und im Interesse der Sicherheit des Straßenverkehrs als hinzunehmende Härte eingestuft worden.

Mit seiner am 18. Dezember 2019 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und führt ergänzend im Wesentlichen an, aus dem Urteil des BayVGH vom 14. Januar 2015 ergebe sich, dass bei einer Sehschärfe von über 0,2 auf dem schlechteren Auge die Fahrerlaubnis zu erteilen sei. Auch aus der Richtlinie 2009/113/EG der Kommission vom 25. August 2009 zur Änderung der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Führerschein, ABl. EU Nr. L 223, S. 31, (Richtlinie 2009/113/EG) folge, dass er die Anforderungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse C erfülle. Ferner sei seine wirtschaftliche und persönliche Situation nicht ausreichend berücksichtigt worden, die Versagung der Fahrerlaubnis sei unverhältnismäßig. Schließlich träfen die Behörden der angrenzenden Landkreise in vergleichbaren Fällen aufgrund der Erfahrung mit Rettungsfahrzeugen, der ärztlich nachgewiesenen Eignung und der wichtigen gemeinnützigen Tätigkeit andere Entscheidungen.

Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 21. August 2019 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 13. November 2019 zu verpflichten, ihm die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen der Fahrerlaubnisklasse C zu erteilen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und führt ergänzend im Wesentlichen an, bei den künftigen Einsatzfahrzeugen handle es sich um neue Modelle und nicht um Umrüstungen der bisherigen Einsatzfahrzeuge. Da bereits die Tatbestandsvoraussetzungen der Ausnahmeregelung nicht vorlägen, käme es auf Ermessenserwägungen erst gar nicht an. Die begutachtende Augenärztin Frau Dr. C. habe ihm, dem Beklagten gegenüber, keinen Erklärungsversuch hinsichtlich der unterschiedlichen Gutachten abgegeben.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 30. März 2020 sein Einverständnis für eine Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung nach § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erklärt, soweit das Gericht auch ohne eine ergänzende Stellungnahme der die Fahreignung bestätigenden Ärztin bzw. ohne ein ergänzendes Sachverständigengutachten eine Entscheidung treffen könne. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 1. April 2020 sein Einverständnis zu einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze und Unterlagen der Beteiligten sowie die Verwaltungs- und Widerspruchsakte des Beklagten (zwei Hefte) Bezug genommen; sämtliche Unterlagen sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO). Insbesondere steht das Einverständnis des Klägers nicht unter einer unzulässigen Bedingung. Denn die von ihm formulierte Bedingung, dass die gerichtliche Entscheidung ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens oder einer ergänzenden Stellungnahme der Augenärztin Frau Dr. C., mithin ohne weitere Beweisaufnahme, ergehen kann, ergibt sich bereits aus dem Gesetz und stellt somit eine unechte – ausnahmsweise zulässige – Bedingung dar (vgl. hierzu W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 101 Rn. 5).

Die zulässige Verpflichtungsklage, mit welcher der Kläger bei der nach § 88 VwGO vorgenommenen Auslegung seines Begehrens die Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse C, hilfsweise der Klasse C1, begehrt, ist in der Sache unbegründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse C noch der Klasse C1, sodass die Ablehnung der Erteilung rechtmäßig ist und ihn nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Anspruchsgrundlage für die Erteilung der Fahrerlaubnis ist § 2 Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG), wonach diese zu erteilen ist, wenn die dort aufgeführten Voraussetzungen vorliegen; nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG muss der Bewerber insbesondere zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Dies ist nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG der Fall, wenn er die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt. Eine entsprechende Eignung des Bewerbers liegt nach § 12 Abs. 1 FeV dann nicht vor, wenn er die in der Anlage 6 FeV genannten Anforderungen an das Sehvermögen nicht erfüllt.

Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger weder einen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis für die Klasse C noch für die Klasse C1. Er erfüllt die in Anlage 6 FeV hinsichtlich dieser Fahrerlaubnisklassen geregelten Anforderungen an das Sehvermögen nicht (I.), sodass ihm die Erteilung zu versagen war (II.).

I.

Der Kläger erfüllt die in Anlage 6 FeV aufgestellten Anforderungen an die Tagessehschärfe für die Fahrerlaubnisklassen C und C1 nicht, sodass sein Sehvermögen bereits aus diesem Grund nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht und er aus diesem Grund ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen dieser Fahrerlaubnisklassen ist.

Grundsätzlich verlangt Nr. 2.2.1 Satz 2 Anlage 6 FeV, wenn wie hier eine augenärztliche Untersuchung erforderlich ist, für Bewerber um die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE oder D1E eine zentrale Tagessehschärfe des schlechteren Auges von 0,5. In Einzelfällen kann unter Berücksichtigung von Fahrerfahrung und Fahrzeugnutzung der Visus des schlechteren Auges für die Klassen C, CE, C1, C1E unter 0,5 liegen. Ein Wert von 0,1 darf jedoch nicht unterschritten werden (Nr. 2.2.1 Satz 5 Anlage 6 FeV).

Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor. Ausweislich der augenärztlichen Gutachten vom 4. Juni 2019 hat der Kläger auf dem schlechteren Auge einen Visus von 0,2 und somit unter dem nach Nr. 2.2.1 Satz 2 Anlage 6 FeV grundsätzlich geforderten Sehschärfewert von 0,5.

Auch die Regelung in Nr. 2.2.1 Satz 5 Anlage 6 FeV ist nicht anwendbar. Denn der Kläger kann keine Fahrerfahrung und Fahrzeugnutzung i.S. dieser Vorschrift vorweisen.

1.

Die Tatbestandsmerkmale der Nr. 2.2.1 Satz 5 Anlage 6 FeV „Fahrerfahrung und Fahrzeugnutzung“ beziehen sich nach Ansicht der Kammer lediglich auf das Führen von Fahrzeugen, für die eine Fahrerlaubnis der Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2 (Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DDE, D1E) benötigt wird.

Zwar ergibt sich dies nicht unmittelbar aus dem Wortlaut. Für eine solche Auslegung der Norm sprechen jedoch zunächst systematische Erwägungen. Der Unionsgesetzgeber und der umsetzende deutsche Gesetzgeber haben die Fahrerlaubnisklassen im Anhang III der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein, ABl. EG Nr. L 403 S. 18, (Richtlinie 2006/126/EG) in der Fassung der Richtlinie 2009/113/EG bzw. in Anhang 6 FeV in zwei Kategorien, Gruppe 1 (Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T) und Gruppe 2 (Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DDE, D1E), aufgeteilt und für diese Gruppen jeweils unterschiedliche Anforderungen an das Sehvermögen aufgestellt. Bereits aus dieser systematischen Einteilung ist zu schließen, dass für die Beurteilung des für Fahrzeuge der Gruppe 2 erforderlichen Sehvermögens auch lediglich Fahrerfahrungen und Fahrzeugnutzungen mit Fahrzeugen der Gruppe 2 gemeint sind.

Dieses Argument wird noch durch teleologische Erwägungen verstärkt. Der Einteilung der Fahrerlaubnisgruppen lag die Erwägung zugrunde, dass die unterschiedlichen Anforderungen an das Sehvermögen aufgrund der verschiedenen Merkmale der Fahrzeuge, zu deren Führung die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 und 2 jeweils berechtigen (Größe, Gewicht, Manövrierfähigkeit der Fahrzeuge, Anzahl der beförderten Personen) sowie der unterschiedlichen Verantwortung, die sich damit aus dem Führen der Fahrzeuge ergibt, geboten sind (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 22. Mai 2014 – C-356/12 – , juris). Beruhen die unterschiedlichen Anforderungen an das Sehvermögen in Gruppe 1 und 2 aber auf den unterschiedlichen Fahrzeugmerkmalen und der damit verbundenen unterschiedlichen Verantwortung der Fahrzeugführer, so sind Fahrerfahrung und Fahrzeugnutzung mit Fahrzeugen der Gruppe 1 nicht geeignet, Rückschlüsse auf das strengeren Anforderungen unterliegende Sehvermögen zum Führen von Fahrzeugen der Gruppe 2 zuzulassen.

Schließlich spricht auch die Gesetzesbegründung zu Nr. 2.2.1 Satz 5 der Anlage 6 FeV (BR-Drucks. 5810/10, S. 33) dafür, dass der Verordnungsgeber mit der Ausnahmeregelung lediglich solche Fahrer erfassen wollte, die Fahrerfahrung und Fahrzeugnutzung mit Fahrzeugen der Gruppe 2 aufweisen (vor allem Wiedererteilungs- und Verlängerungsfälle). Die Begründung lautet folgendermaßen:

„Nach EG-Recht muss die Sehschärfe des schlechteren Auges, ggf. mit Korrektur, mindestens 0,1 betragen. In Deutschland wird der bisher geltende höhere Wert von 0,5 beibehalten, jedoch für Einzelfälle die Möglichkeit geschaffen, bei Fahrern von Lkw (Hervorhebung durch das Gericht) unter Berücksichtigung von Fahrerfahrung und Fahrzeugnutzung bis auf die nach EG-Recht vorgesehenen Werte abzuweichen. Dieses ist aus wissenschaftlicher Sicht vertretbar und dient der Vermeidung von Härtefällen.“

Ausweislich der Begründung hatte der Verordnungsgeber mithin eine Anwendung der Nr. 2.2.1 Satz 5 Anlage 6 FeV auf Fahrer von Lkw vor Augen, also auf diejenigen, die vor Durchführung der augenärztlichen Untersuchung nach Nr. 2.2 Anlage 6 FeV bereits Lkw fuhren. Da im allgemeinen Sprachgebrauch unter Lkw vor allem Kraftfahrzeuge mit einer Gesamtmasse über 3,5 t, für die eine Fahrerlaubnis der Gruppe 2 benötigt wird, fallen, deutet die Begründung darauf hin, dass der Gesetzgeber lediglich solche Fälle erfassen wollte, in denen der Betroffene bereits Fahrerfahrung und Fahrzeugnutzung mit Fahrzeugen der Gruppe 2 aufweisen kann.

Die restriktive Auslegung der Norm entspricht auch dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Willen des Verordnungsgebers, wonach die Vorschrift der Vermeidung von Härtefällen dienen, folglich nur in eng begrenzten Ausnahmefällen anwendbar sein solle.

Dieser mithin auf systematische, teleologische und genetische Erwägungen gestützten Auslegung der Tatbestandsmerkmale Fahrerfahrung und Fahrzeugnutzung i.S.d. Nr. 2.2.1 Satz 5 Anlage 6 FeV stehen entgegen der Ansicht des Klägers weder die Richtlinie 2006/126/EG in der Fassung der Richtlinie 2009/113/EG noch die Erwägungen des Urteils des BayVGH vom 14. Januar 2015 entgegen.

Nr. 6.3 der Anlage III der Richtlinie 2006/126/EG in der Fassung der Richtlinie 2009/113/EG sieht zwar für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2 eine Mindestsehschärfe von 0,1 auf dem schlechteren Auge und damit geringere Mindestanforderungen als der deutsche Gesetzgeber vor. Dies führt jedoch nicht zu einer unionsrechtskonformen Auslegung der Nr. 2.2.1 Anlage 6 dahingehend, dass auch ein Mindestsehschärfewert auf dem schlechteren Auge von 0,1 ausreichend wäre. Denn nach Nr. 5 der Anlage III der Richtlinie 2006/126/EG und Erwägungsgrund Nr. 1 der Richtlinie 2009/113/EG sind die Mindestanforderungen an die Fahrtüchtigkeit nicht vollständig vereinheitlicht. Die Mitgliedsstaaten können vielmehr Vorschriften erlassen, die strenger sind als die Mindestanforderungen, wovon der Verordnungsgeber, wie er in der oben wiedergegebenen Gesetzesbegründung ausführt, bewusst Gebrauch gemacht hat.

Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich aus dem Urteil des BayVGH vom 14. Januar 2015 nicht, dass eine Fahrerlaubnis für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2 bei einer Sehschärfe auf dem schlechteren Auge von 0,2 nach Nr. 2.2.1 Satz 5 Anlage 6 FeV zu erteilen wäre. In dem Urteil wird ausgeführt, dass der auf der Regelung in Nr. 6.4 des Anhangs III der Richtlinie 2009/113/EG beruhende Ausschluss von Bewerbern mit einer geringeren Sehschärfe als 0,1 auf dem schlechteren Auge mit höherrangigem Recht, insbesondere mit Art. 20, Art. 21 Abs. 1 und Art. 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar sei, der Unionsgesetzgeber insbesondere sein weites Ermessen im Hinblick auf die komplexe Frage medizinischer Art, welche Sehschärfe für das Führen von Kraftfahrzeugen erforderlich sei, nicht überschritten habe. Mit der vorliegend streitgegenständlichen Auslegung der Nr. 2.2.1 Satz 5 Anlage 6 FeV im Übrigen, also soweit der Betroffene eine Sehschärfe zwischen 0,1 und 0,5 aufweist, befasst sich das Urteil nicht. Wollte der Kläger mit seinem Einwand Zweifel an der Vereinbarkeit der Nr. 2.2.1. der Anlage 6 FeV mit Grundrechten des Grundgesetzes oder der Grundrechte-Charta der Europäischen Union hinsichtlich einer Sehschärfe auf dem schlechteren Auge zwischen 0,1 und 0,5 andeuten, so hat er solche Zweifel nicht im Ansatz ausreichend substantiiert dargelegt und solche Zweifel drängen sich der Kammer auch nicht auf.

2.

Gemessen an diesen Maßstäben kann der Kläger keine Fahrerfahrung und Fahrzeugnutzung i.S.v. Nummer 2.2.1 Satz 5 der Anlage 6 FeV aufweisen, sodass der Visus seines schlechteren Auges nicht unter 0,5 liegen darf. Die von ihm angeführte langjährige Fahrerfahrung betrifft lediglich Fahrzeuge der Gruppe 1, ist somit im Rahmen dieser Norm nicht berücksichtigungsfähig. Soweit er geltend macht, er habe bereits praktische Fahrstunden für den Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse C ohne Beanstandung absolviert, ist dieser Vortrag ebenfalls nicht geeignet, Fahrerfahrung und Fahrzeugnutzung mit Fahrzeugen der Gruppe 2 zu begründen. Denn schon bereits nach dem Wortlaut erfordert „Fahrerfahrung“ mehr als das Absolvieren der für die Erteilung der Fahrerlaubnisklasse erforderlichen Ausbildung im Rahmen von Fahrstunden. Dass der Gesetzgeber mehr als die im Rahmen der Fahrstunden erworbenen Fähigkeiten fordert, zeigt auch ein Vergleich mit der Ausnahmeregelung für Fahrerlaubnisse der Gruppe 1 in Nr. 1.3 Anlage 6 FeV, in der ausdrücklich lediglich das erfolgreiche Absolvieren einer praktischen Fahrprobe gefordert wird.

Kommt die Anwendung des Satzes 5 der Nr. 2.2.1 der Anlage 6 FeV schon deshalb nicht in Betracht, da der Kläger keine berücksichtigungsfähige Fahrerfahrung und Fahrzeugnutzung aufweisen kann, kam es auf das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen der Nr. 2.2.1 Satz 5 Anlage 6 FeV nicht mehr an.

II.

Verfügt der Kläger nicht über das nach Anlage 6 FeV erforderliche Sehvermögen für die Klasse C und C1, hat er mangels körperlicher Eignung keinen Anspruch auf Erteilung einer Fahrerlaubnis für diese Klassen.

Soweit der Kläger geltend macht, die Ablehnung der Erteilung der Fahrerlaubnis verstoße aufgrund seiner persönlichen Situation (Verlust des Arbeitsplatzes, Umrüstung der Einsatzfahrzeuge, Existenzgefährdung) gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und stelle für ihn ein Berufsverbot dar, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn der Gesetzgeber hat die grundsätzlich häufig vorkommenden negativen Auswirkungen der Verweigerung der Erteilung der Fahrerlaubnis in privater und beruflicher Hinsicht bei der Schaffung der hier einschlägigen Regelung berücksichtigt und als im Interesse des Schutzes von Leib und Leben der anderen Verkehrsteilnehmer hinzunehmende Härten eingestuft.

Sollte ein Sonderfall vorliegen, weil für den Betroffenen durch die Versagung der Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse C, C1 so schwere Nachteile entstehen, dass bei der Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der des Einzelnen die Risiken für die Sicherheit des Straßenverkehrs zurücktreten müssen (vgl. hierzu OVG RP, Beschluss vom 26. September 2018 – 10 B 11004/18.OVG –) oder weil die Verkehrssicherheit aus besonderen Gründen trotz des Fehlens der festgesetzten abstrakt-generellen Eignungsanforderungen gewährleistet werden kann (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1992 – 11 C 29/92 –, juris), kommt allenfalls die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 74 Abs. 1 FeV in Betracht. Ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen, bedarf im hiesigen Verfahren gegen den Beklagten jedoch keiner Vertiefung. Denn eine solche Ausnahmegenehmigung, die der Kläger nicht beantragt hat und für deren Erteilung der Beklagte nach § 74 Abs. 1 FeV i.V.m. § 1 Satz 1 Nr. 14 der Landesverordnung über die Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Straßenverkehrs auch nicht zuständig ist, ist nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500 € festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG).

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