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Straßenverkehrsrechtliches Bußgeldverfahren – Bemessung Rechtsanwaltsgebühren

Mittelgebühr

LG Itzehoe – Az.: 2 Qs 209/20 – Beschluss vom 18.02.2021

In dem Bußgeldverfahren hat das Landgericht Itzehoe – 2. Große Strafkammer – auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 13.10.2020 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Meldorf vom 08.10.2020 nach Anhörung der Bezirksrevisorin am 18. Februar 2021 beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Meldorf vom 08.10.2020 wie folgt abgeändert:

Die dem Betroffenen nach dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Meldorf vom 06.05.2020 aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen werden auf 910,47 Euro festgesetzt.

2. Die Landeskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Betroffenen in-soweit entstandenen notwendigen Auslagen.

3. Der Beschwerdewert beträgt 279,65 Euro.

Gründe:

I.

Dem Betroffenen ist vorgeworfen worden, am 14.07.2019 in ein Grundstück abgebogen zu sein, dabei die ihm obliegende besondere Vorsicht außer Acht gelassen und dadurch einen Unfall verursacht zu haben. Mit Bußgeldbescheid vom 12.11.2019 hat die Behörde eine Geldbuße von 100,00 Euro festgesetzt und angekündigt, dass das Kraftfahrtbundesamt den Verstoß bei Rechtskraft mit einem Punkt im Fahreignungsregister bewerten werde. Am 18.11.2020 hat der Verteidiger im Namen des Betroffenen Einspruch eingelegt. Mit Schriftsatz vom 26.11.2619 hat er gegenüber der Behörde unter Hinweis darauf, dass sich aus der Akte kein sorgfaltspflichtwidriges Verhalten des Betroffenen ergebe und die Unfallgegnerin den Unfall verursacht habe, angeregt, das Verfahren einzustellen.

Die Behörde hat das Verfahren anschließend über die Staatsanwaltschaft zur Durchführung des Hauptverfahrens an das Amtsgericht Meldorf übergeben. In dem dreißigminütigen Hauptverhandlungstermin vom 06.05.2020 hat der Betroffene sich zur Sache eingelassen und es wurden vier Zeugen — ein damaliger Beifahrer der Unfallgegnerin, diese selbst, die Ehefrau des Betroffenen als dessen damalige Beifahrerin sowie der unfallaufnehmende Polizeibeamte — vernommen. Das Amtsgericht hat den Betroffenen freigesprochen, da es sich vom Vorliegen einer Sorgfaltspflicht-verletzung nicht hat überzeugen können.

Auf den Antrag des Betroffenen vom 23.06.2020, die zu erstattenden Auslagen in Form von Verteidigergebühren auf insgesamt 910,47 Euro festzusetzen, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 08.10.2020 lediglich einen Betrag von 630,82 Euro festgesetzt. Insoweit hinter dem Festsetzungsantrag zurückbleibend, hat es dabei unter Bezug auf eine entsprechende Stellungnahme der Bezirksrevisorin vom 04.08.2020

die mit 160,00 Euro angesetzte Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG mit lediglich 80,00 Euro,

die mit 160,00 Euro angesetzte Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG mit lediglich 100,00 Euro,

die mit 255,00 Euro angesetzte Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG mit lediglich 160,00 Euro, sowie

die mit 145,37 Euro angesetzte Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG entsprechend den weiteren Kürzungen mit lediglich 100,72 Euro angesetzt.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist nach § 464b S. 3, S. 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG zulässig. Insbesondere ist die aus § 464b S. 4 StPO folgende Zweiwochenfrist gewahrt und der von § 304 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG vorausgesetzte Beschwerdewert von 200,00 Euro überschritten. Die Beschwerde ist auch begründet. Das Amtsgericht ist zu Unrecht hinter dem Festsetzungsantrag zurückgeblieben.

Im Bußgeldverfahren erhält der Verteidiger des Betroffenen für seine Tätigkeit Rahmengebühren, die im zu beurteilenden Einzelfall nach § 14 RVG zu bemessen sind. Ausgangspunkt für die Gebühr ist nach überwiegend vertretener Auffassung grundsätzlich der Mittelbetrag der einschlägigen Rahmengebühr (vgl. nur Hartmann, Kostengesetze, 45. A., § 14 RVG Rn. 14). Diese Mittelgebühr soll gelten, wenn sämtliche gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände, also insbesondere Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers als durchschnittlich einzuordnen sind. Bei der Abwägung der zu berücksichtigenden Merkmale und der sich daran anschließenden Bestimmung der Gebühren räumt die Vorschrift des § 14 Abs. 1 RVG dem Rechtsanwalt ein weites billiges Ermessen ein (Hartmann, a.a.O., § 14 RVG Rn. 21). Die von ihm getroffene Bestimmung ist, wenn — wie hier — ein Dritter die Gebühr zu ersetzen hat, gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG (nur dann) nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Das Gericht ist im Kostenfestsetzungs- und Beschwerdeverfahren auf die Prüfung beschränkt, ob sich die geltend gemachte Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens hält und ob sie im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände nicht unbillig ist. Wenn der Gebührenansatz bei Gesamtabwägung unbillig ist, darf und muss das Gericht die Gebühr jedoch neu festsetzen (vgl. Hartmann, a.a.O., Rn. 23). Unbillig ist der Gebührenansatz nach herrschender Ansicht regelmäßig, wenn die beantragte Gebühr um mehr als 20 % über der angemessenen Höhe liegt (vgl. m.w.N. Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 24. A., § 14 Rn. 12 f.). Nach diesen Maßstäben hat das Amtsgericht die oben genannten Gebühren zu Unrecht nur gekürzt dem Kostenfestsetzungsbeschluss zugrunde gelegt.

Allgemein ist voranzustellen, dass die in Teil 5 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG vorgesehenen Gebührenraten für die Vergütung in sämtlichen Bußgeldsachen heranzuziehen sind. Dies sind neben Verkehrsordnungswidrigkeiten auch solche aus den Bereichen des Bau-, Gewerbe-, Umwelt- oder Steuerrechts, die häufig mit Bußgeldern im oberen Bereich des Bußgeldrahmens von 60,00 bis 5.000,00 Euro geahndet werden und mit rechtlichen Schwierigkeiten und/oder umfangreicher Sachaufklärung verbunden sind. Zwar können auch Verkehrsordnungswidrigkeiten im Einzelfall einen gleich hohen oder höheren Aufwand als andere Ordnungswidrigkeiten verursachen. Sie betreffen auch eine Vielzahl der Ordnungswidrigkeitenverfahren. Allerdings werden sie dadurch nicht bedeutsamer oder schwieriger. Durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeiten mit einfachen Sach- und Rechtsfragen, niedrigen Geldbußen und wenigen Punkten im Verkehrszentralregister sind daher nach Auffassung der Kammer grundsätzlich als unterdurchschnittliche Bußgeldsachen anzusehen. Für sämtliche der hier im Wege der Beschwerde verfolgten Gebührenansätze ist die Kammer unter Berücksichtigung dieser Grundsätze gleichwohl der Auffassung, dass der vorgenommene Ansatz der Mittelgebühren jedenfalls nicht nach den eingangs aufgezeigten Maßstäben unbillig ist.

Zwar ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Sache für den Betroffenen eine besondere Bedeutung gehabt hätte. Ein Fahrverbot drohte ihm nicht. Auch kommt der möglichen Eintragung eines Punktes in das Fahreignungsregister keine gesteigerte Bedeutung bei. Maßgeblich ist insoweit, dass konkrete über die Eintragung hinausgehende Folgen für den Betroffenen nicht ersichtlich sind und eine Löschung der Eintragung nach § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 lit. a StVG bereits nach Ablauf von zwei Jahren und sechs Monaten möglich gewesen wäre. Auf der anderen Seite vermag die Kammer jedoch auch nicht zu erkennen, dass die Sache für den Betroffenen damit eine besonders unterdurchschnittliche Bedeutung hatte. Für die Frage des Umfangs der Tätigkeit des Verteidigers sei neben dem unter I. Dargelegten darauf hingewiesen, dass er nach seinem unwidersprochen gebliebenen und plausiblen Vorbringen die Unfallörtlichkeiten in Augenschein genommen hat. Insofern ist zwar nicht näher ausgeführt, wann dies geschah — mit welcher Gebühr dieser Aufwand also konkret abgegolten ist. Gleichwohl belegt auch dieser Umstand, dass hier kein routinemäßig unter Nutzung von Synergieeffekten abzuarbeitender Massenfall wie eine geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung vorlag. Nach Dafürhalten der Kammer lag nach allem damit insgesamt eine Tätigkeit des Verteidigers in einem Bereich vor, in dem für die geltend gemachten Gebühren für die Betreibung des Verfahrens vor der Verwaltungsbehörde nach Nr. 5103 VV RVG und für die Betreibung des Verfahrens nach Abgabe der Akten an das Amtsgericht nach Nr. 5109 VV RVG der Ansatz der Mittelgebühr von 160,00 Euro jeweils zumindest nicht nach den aufgezeigten Maßstäben unbillig ist.

Im Hinblick auf die Gegenerklärung der Bezirksrevisorin im Beschwerdeverfahren sei noch aus-geführt, dass die Kammer die vom Amtsgericht antragsgemäß auf 100,00 Euro festgesetzte Grundgebühr nach Nr. 5100 VV RVG in dieser Höhe nicht für unbillig hält. Selbst wenn man mit der Gegenerklärung der Bezirksrevisorin im Beschwerdeverfahren die Gebühr nur in Höhe von 80,00 Euro für angemessen hielte, wäre eine Überschreitung um 25 % auf 100,00 Euro nach Dafürhalten der Kammer angesichts der nur geringfügigen Überschreitung der eingangs genannten, nur regelmäßig geltenden 20 %-Grenze nicht als unbillig zu qualifizieren.

Zur Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG sei ergänzt, dass die nach Aktenlage zu erwartende Vorbereitung der gerichtlichen Hauptverhandlung nach Dafürhalten der Kammer (schon) dem durchschnittlichen Bereich für die von den Gebührentatbeständen erfassten Ordnungswidrigkeiten zuzurechnen ist.

Ebenfalls nicht unbillig ist nach Dafürhalten der Kammer der Ansatz der Mittelgebühr von 255,00 Euro für die Terminsgebühr nach Nr. 5110 VV RVG, bei der vor allem auf die aufgewendete Zeit abzustellen ist: Eine Dauer von 30 Minuten ist bei Hauptverhandlungsterminen in den von Nr. 5110 VV RVG erfassten Bußgeldsachen nach Auffassung der Kammer als durchschnittlich anzusehen (vgl. m.w.N. Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG 24. A., Vorbem. 5 Rn. 13).

Nach alldem war auch die nach Nr. 7008 VV RVG anzusetzende Umsatzsteuer wie vom Betroffenen beantragt mit 19 % auf den von ihm beantragten Betrag festzusetzen. Zwar beträgt nach Art. 3 Nr. 3 Abs. 1 des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz (Zweites Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 29. Juni 2020) vom 1. Juli 2020 bis 31. Dezember 2020 die Steuer für jeden steuerpflichtigen Umsatz 16 Prozent der Bemessungsgrundlage. Entscheidend für die Anwendung dieses verringerten Steuersatzes ist jedoch der Zeitpunkt der Erledigung des anwaltlichen Auftrags. Der Auftrag des Verteidigers endete hier mit der Erreichung des Rechtsschutzziels durch das bereits im Mai 2020 rechtskräftig gewordene freisprechende Urteil und damit vor dem Zeitraum, in dem der reduzierte Umsatzsteuersatz galt.

Da die Kammer keinen Anlass für weitere Änderungen des Kostenfestsetzungsbeschlusses über die ausdrücklich streitigen Positionen hinaus sieht, waren auf den Antrag insgesamt festzusetzen:

Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG 100,00 Euro

Verfahrensgebühr vor Verwaltungsbehörde Nr. 5103 VV RVG 160,00 Euro

Verfahrensgebühr vor Amtsgericht Nr. 5109 VV RVG 160,00 Euro

Terminsgebühr vor Amtsgericht Nr. 5110 VV RVG 255,00 Euro

Fahrtkosten Nr. 7003 VV RVG 32 km x 0,30 Euro 9,60 Euro

Abwesenheitsgeld nicht mehr als 4 Stunden Nr. 7005 VV RVG 25,00 Euro

Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG 15,50 Euro Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nr. 40,00 Euro

7002 VV RVG 2×20,00 Euro

19 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG auf die Zwischensumme 145,37 Euro

Festzusetzender Bruttobetrag 910,47 Euro

2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.

3. Die Festsetzung des Beschwerdewerts ergibt sich aus der Differenz der von dem Betroffenen in seinem Antrag angesetzten Auslagen zu dem vom Amtsgericht festgesetzten Betrag.

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