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Sicherheitsabschlag bei Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 1 Ss OWi 66/03 (42/03)  – Beschluss vom 25.07.2003

1. Die Rechtsbeschwerde wird hinsichtlich der verhängten Geldbuße von 125 Euro als unbegründet verworfen mit der Maßgabe, dass der Betroffene einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung schuldig ist.

2. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

3. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Lübeck hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung von 50 km/h verurteilt. Hierzu hat es u. a. folgendes festgestellt:

„Der Abstand zwischen dem Polizeifahrzeug und dem von dem Betroffenen gefahrenen Fahrzeug betrug in der Mecklenburger Straße in Lübeck ca. 150 Meter. Der Abstand wurde von den Zeugen Bremer und Armgott grob geschätzt anhand der Barken, die sich als Fahrbahnbegrenzung neben der Fahrbahn der Mecklenburger Straße befinden. Der Tacho des Polizeifahrzeugs war nicht geeicht. Sie fuhren auf einer Strecke von ca. 2 Kilometern hinter dem Fahrzeug des Betroffenen mit dem oben genannten gleichbleibenden Abstand her. Dabei fuhren sie an dem Ortseingangsschild Lübeck – Schlutup vorbei. Das Polizeifahrzeug, das fortlaufend mit gleichbleibendem Abstand den Betroffenen verfolgte, fuhr mit einer Geschwindigkeit von 100 Km/h. Dann befuhr der Betroffene und ihm folgend das Polizeifahrzeug in eine 30 Km/h-Zone in Lübeck – Schlutup, die hinter dem Bahnübergang in etwa in Höhe der Fabrikstraße beginnt. Eine entsprechende Beschilderung ist vorhanden. Auch hier reduzierte der Betroffene die von ihm gefahrene Geschwindigkeit nicht. Das Polizeifahrzeug fuhr weiter mit einer Geschwindigkeit von 100 Km/h und dem oben erwähnten gleichbleibendem Abstand. Die Geschwindigkeit wurde von dem Fahrzeug des Betroffenen nicht reduziert, obwohl in diesem Abschnitt der Mecklenburger Straße in Lübeck – Schlutup Blumenkübel auf der Fahrbahn vorhanden sind, um die Autofahrer zur Reduktion der Geschwindigkeit zu veranlassen. Auf einer Strecke von ca. 400 Metern fuhr der Betroffene in gleichbleibendem Abstand vor dem Fahrzeug der Polizeibeamten. Das Polizeifahrzeug fuhr weiter mit einer Geschwindigkeit von 100 Km/h. Die Polizeibeamten hatten schon in etwa in Höhe des 30 Km/h-Schildes in der Mecklenburger Straße in Lübeck – Schlutup das Blaulicht eingeschaltet und auf dem Dach des Polizeifahrzeugs die Beschriftung „Halt, Polizei“ beleuchtet. Gleichwohl fuhr der Betroffene auf einer Strecke von ca. 400 Metern innerhalb der 30 Km/h-Zone mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Dann bremste er allerdings das Fahrzeug abrupt ab und kam zum Stehen.“

Das Amtsgericht ist von dem Messergebnis von 100 km/h, gefahren von dem Polizeifahrzeug mit ungeeichtem Tacho, ausgegangen und hat unter Abzug eines Toleranzwertes von 20 km/h eine gefahrene Geschwindigkeit von 80 km/h zugrunde gelegt, so dass es dem Betroffenen eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 50 km/h zur Last gelegt hat. Im Weiteren hat das Amtsgericht ausgeführt:

„Das Gericht geht von Fahrlässigkeit zugunsten des Betroffenen aus, wenn auch erhebliche Zweifel vorhanden sind, ob der Betroffene nicht sogar vorsätzlich gehandelt haben könnte“.

Der Betroffene macht mit seiner Rechtsbeschwerde die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend.

II.

Das statthafte Rechtsmittel des Betroffenen ist zulässig, bleibt in der Sache aber erfolglos. Die Festsetzung einer Geldbuße von 125 Euro und die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots sind im Ergebnis nicht zu beanstanden.

1. Die Errechnung der überhöhten Geschwindigkeit und die Begründung der Schuldform weisen Rechtsfehler auf, die sich im Ergebnis allerdings nicht zu Lasten des Betroffenen auswirken.

a. Bei Geschwindigkeitsfeststellungen durch Hinterherfahren eines Polizeifahrzeugs mit Tachometervergleich hat der Tatrichter Feststellungen über eine genügend lange Messstrecke bei einem gleichbleibenden, nicht zu großen Abstand zu treffen und einen angemessenen Abzug für mögliche Fehlerquellen vorzunehmen (OLG Schleswig NZV 1991, 437). Die Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen und insbesondere die Vornahme von Sicherheitsabschlägen werden in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich gehandhabt (vgl. die zusammenfassende Darstellung in OLG Düsseldorf NZV 1993, 280). Der Senat hält insofern grundsätzlich an seiner Rechtsprechung fest, dass ein Sicherheitsabschlag von 20 % vorzunehmen ist (OLG Schleswig, a.a.O.; BayObLG NZV 1996, 462). Dieser 20 %ige Sicherheitsabschlag ist vorzunehmen in den Fällen, in denen

– das nachfolgende Fahrzeug mit einem ungeeichten Tachometer ausgerüstet ist,

– gute Sichtverhältnisse herrschen,

– der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug etwa den halben bis maximal ganzen

Wert beträgt, den der Tachometer des nachfahrenden Fahrzeugs anzeigt,

– die Nachfahrstrecke rund das Fünffache des Abstandes beträgt,

– der Tachometer in kurzen Abständen abgelesen wird.

Diesen Voraussetzungen wird das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Lübeck nicht gerecht. Dies betrifft insbesondere den Abstand während des Hinterherfahrens von 150 Metern und die Messstrecke von 400 Metern. Der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug soll etwa den halben bis maximal den ganzen abgelesenen Tachometerwert betragen, vorliegend also 50 bis maximal 100 Meter. Die Nachfahrstrecke soll rund das Fünffache des Abstandes betragen, vorliegend also 750 Meter.

Damit ist für eine verlässliche Geschwindigkeitsmessung der Tachometer über eine zu kurze Strecke bei einem zu großen Abstand abgelesen worden. Der Senat geht aber nicht davon aus, dass dadurch die gewonnenen Werte für die Feststellung einer Geschwindigkeitsüberschreitung gänzlich unbrauchbar sind. Für eine Verwertbarkeit spricht, dass jedenfalls nach den fehlerfreien Feststellungen des Amtsgerichts ausreichende Sichtverhältnisse geherrscht haben und dass die Polizeibeamten das Fahrzeug des Betroffenen auch schon vor dem eigentlichen Messvorgang über eine Strecke von mindestens zwei Kilometern bei gleichbleibendem Abstand verfolgt hatten (vgl. für die Verwertbarkeit des Messergebnisses bei einem ähnlich gelagerten Sachverhalt OLG Schleswig a.a.O.). Angesichts der aber nur eingeschränkten Zuverlässigkeit der Geschwindigkeitsmessung hält der Senat einen weitergehenden Sicherheitsabschlag von insgesamt 30 % für geboten, so dass dem Betroffenen bei einer gemessenen Geschwindigkeit von 100 km/h eine Geschwindigkeitsübertretung von 40 km/h vorzuwerfen ist.

b. Gemäß Nr. 11.3.6 der Tabelle 1 c zur BKatV beträgt die Regelbuße hierfür 100 Euro bei fahrlässige Begehungsweise (§ 1 Abs. 2 BKatV). Diese hat das Amtsgericht dem Betroffenen auch zur Last gelegt. Dies ist nicht vertretbar angesichts der Höhe der Geschwindigkeitsübertretung. Gegenüber den vorgeschriebenen 30 km/h ist der Betroffene mehr als doppelt so schnell gefahren. Bei einer derart massiven Geschwindigkeitsüberschreitung ist davon auszugehen, dass diese dem Fahrer auch bewusst ist, so dass in aller Regel vom Vorsatz auszugehen ist (vgl. BGH NZV 1997, 529; OLG Düsseldorf NZV 1999, 139). Umstände, die dafür sprechen, dass der Betroffene vorliegend nur versehentlich zu schnell gefahren ist, sind nicht ersichtlich und werden auch mit der Rechtsbeschwerde nicht geltend gemacht; vielmehr hat der Betroffene in der Hauptverhandlung eingeräumt, – wenn auch in geringerem Maße – zu schnell gefahren zu sein, ohne sich hierfür auf eine bloße Sorgfaltswidrigkeit zu berufen. Der Senat geht deshalb von einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung aus.

Ein rechtlicher Hinweis gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 265 StPO war entbehrlich, da der Senat angesichts der Einlassung des Betroffenen ausschließen kann, dass er sich gegen den geänderten Schuldvorwurf anders verteidigt hätte.

Die Buße von 100 Euro für den Regelfall der fahrlässigen Begehungsweise ist zu erhöhen. Wegen des Verschlechterungsverbots ist dem Senat die Obergrenze mit den vom Amtsgericht verhängten 125 Euro vorgegeben, die jedenfalls schuldangemessen sind.

2. Im Übrigen weist das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler zu Lasten des Betroffenen auf.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

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