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Schlechte Wetterverhältnisse im Sinne der Bußgeldkatalog-Verordnung

Unangepasste Geschwindigkeit und schlechte Wetterverhältnisse: Ein komplexer Fall

Ein interessanter Fall um unangepasste Geschwindigkeit bei schlechten Wetterverhältnissen sorgt für Diskussionen in der Rechtsprechung. Im Zentrum des Falles steht ein Verkehrsteilnehmer, der aufgrund nicht angepasster Geschwindigkeit bei schlechten Sichtverhältnissen einen Unfall verursachte und dafür mit einer Geldstrafe belegt wurde. Der betroffene Fahrer legte Rechtsbeschwerde ein und gab an, die Wetterverhältnisse seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die Thematik umfasst sowohl die Frage, was genau unter „schlechten Wetterverhältnissen“ verstanden wird, als auch die Interpretation von „unangepasster Geschwindigkeit“.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 OWi 2 SsRs 107/20 >>>

Interpretation von unangepasster Geschwindigkeit

Um das Merkmal der unangepassten Geschwindigkeit zu beurteilen, wäre es notwendig, die Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnisse zum Unfallzeitpunkt genau zu analysieren. Entscheidend ist dabei zu klären, ob der Unfall tatsächlich aufgrund einer zu hohen Geschwindigkeit entstanden ist oder ob andere Faktoren, wie ein Fahrfehler oder eine besondere Fahrbahnbeschaffenheit, eine Rolle gespielt haben könnten. Die Feststellung, dass die Geschwindigkeit unangepasst war, kann dabei auch durch objektive Anhaltspunkte wie erhebliche Unfallschäden oder den Ablauf des Unfalls selbst getroffen werden.

Definition von schlechten Wetterverhältnissen

Zudem ist es entscheidend zu definieren, wann von schlechten Wetterverhältnissen ausgegangen wird. Hierzu gehört nicht nur offensichtliches Unwetter wie Nebel oder Glatteis. Eine vergleichbare Gefahr für ein sicheres Fahren können beispielsweise auch Aquaplaning oder starker Regen mit Sichtbehinderung und Lichtreflexen darstellen. Es gilt also, eine Wettersituation festzustellen, die offensichtliche Gefahr birgt und gemeinhin als schlechte Wetterverhältnisse eingestuft wird. Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht diese Wetterbedingungen nicht festgestellt.

Bedeutung der erneuten Verhandlung und Entscheidung

Aufgrund der vorliegenden Umstände wurde das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das gleiche Gericht zurückverwiesen. In einer neuen Verhandlung wird das Amtsgericht unter Berücksichtigung der genannten Aspekte entscheiden müssen, ob tatsächlich schlechte Wetterverhältnisse vorgelegen haben und ob eine unangepasste Geschwindigkeit ursächlich für den Unfall war. Sollte sich dabei ergeben, dass die Wetterverhältnisse keinen Einfluss hatten, könnte eine Ahndung der Tat nach einem anderen Tatbestand in Betracht kommen. Dabei wird das Gericht auch den zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablauf sowie die zivilrechtliche Haftung des Betroffenen für den entstandenen Schaden berücksichtigen. […]


Das vorliegende Urteil

OLG Zweibrücken – Az.: 1 OWi 2 SsRs 107/20 – Beschluss vom 24.11.2020

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Pirmasens vom 13. Januar 2020 mit den Feststellungen aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Pirmasens zurückverwiesen.

Gründe

I.

Schlechte Wetterverhältnisse im Sinne der Bußgeldkatalog-Verordnung
Komplexer Gerichtsfall: Die Interpretation von ‚unangepasster Geschwindigkeit‘ und ’schlechten Wetterverhältnissen‘ steht im Zentrum einer Verkehrsunfall-Klage. (Symbolfoto: Milje Ivan/Shutterstock.com)

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen Fahrens mit nicht angepasster Geschwindigkeit bei schlechten Sicht-oder Wetterverhältnissen, wodurch es zu einem Unfall verbunden mit einer Sachbeschädigung kam, zu einer Geldstrafe von 145 € verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, die er mit der Sachrüge begründet hat. Die Generalstaatsanwaltschaft Zweibrücken hat beantragt die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Der Einzelrichter hat die Sache zur Fortbildung des Rechts dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden übertragen.

Die Rechtsbeschwerde führt zu einem vorläufigen Erfolg.

II.

Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

„Der Betroffene ist 17 Jahre alt und macht eine Ausbildung zum Schreiner in H. Seine monatliche Ausbildungsvergütung beträgt 530 € brutto. Der Betroffene hat keine Schulden. Im Fahreignungsregister existiert kein ihn betreffender Eintrag.

Am 05.10.2018 befuhr der Betroffene auf einem Motorrad mit dem amtlichen Kennzeichen … nach 22 Uhr die B 270 in Pirmasens in Richtung Biebermühle. Es war dunkel. In einer Kurve, in der die Fahrbahn feucht war, rutschte das Motorrad aufgrund der nicht angepassten Geschwindigkeit des Motorrads weg, wodurch der Betroffene und das Motorrad gegen ein am Straßenrand stehendes Schild rutschten, das dadurch beschädigt wurde. Er selbst erlitt einen Beckenbruch.“

Das Amtsgericht hat gem. §§ 3 Abs. 1, 1 Abs. 2, 49 StVO, § 24 StVG, 8.1. BKat, § 3 Abs. 3 BKatV iVm. Tabelle 4 im Anh. zu § 3 Abs. 3 BKatV eine Geldbuße von 145 Euro festgesetzt. Die Kosten des Verfahrens hat das Amtsgericht gem. § 46 Abs. 1 OWiG iVm. § 465 Abs. 1 StPO dem Betroffenen auferlegt.

III.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

Die Feststellungen tragen die Verurteilung nicht.

Nr. 8.1 BKat stellt eine qualifizierte Begehungsweise des Grundtatbestands des Nr. 8.2 BKat dar, die jeweils zur Umsetzung der Anforderungen des § 3 Abs. 1 StVO iVm. § 24 StVG und § 49 StVO bestimmte Verhaltensweisen im Straßenverkehr, nämlich das Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit mit der Folge einer Sachbeschädigung, als Bußgeldtatbestände ausgestalten. Während das Verursachen einer Sachbeschädigung infolge des Fahrens mit nicht angepasster Geschwindigkeit nach Nr. 8.2 BKat mit einem Bußgeld von 30 € bedroht ist, steigt dieses Regelbußgeld auf 100 €, wenn trotz angekündigter Gefahrenstelle, bei Unübersichtlichkeit, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen, Bahnübergängen oder bei schlechten Sicht- oder Wetterverhältnissen (z.B. Nebel, Glatteis) mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren wird. Nach § 3 Abs. 3 BKatV erhöhen sich die Regelbußgelder im Fall einer Verwirklichung von Nr. 8.1 BKat, der eine Regelgeldbuße von mehr als 55 € vorsieht, nach Maßgabe der Tabelle Anhang Nr. 4.

1. Zum Tatbestandsmerkmal der unangepassten Geschwindigkeit wäre es erforderlich näher darzustellen wie die Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnisse zum Unfallzeitpunkt waren und warum diese es nicht gestatteten, die fragliche Stelle mit der höchstzugelassenen Geschwindigkeit zu befahren (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1998, 167). Insbesondere ist durch Ausschluss anderer naheliegender Möglichkeiten festzustellen, dass der die Sachbeschädigung verursachende Unfall tatsächlich auf einer unangepassten Geschwindigkeit beruht und nicht etwa auf einen Fahrfehler des Betroffenen oder eine besondere Fahrbahnbeschaffenheit (Spurrillen, Ölspur, vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1999, 178, 179) zurückzuführen ist. Es sind möglichst konkrete Feststellungen zur gefahrenen Geschwindigkeit (vgl. OLG Koblenz, SVR 2020, 33 mit zust. Anm. Fromm; vgl. allgemein zu den Möglichkeiten der Feststellung BeckOK StVR/Krenberger, 9. Ed. 1.10.2020, StVO § 3 Rn. 163-262) und – da im vorliegenden Fall die anderen Tatbestandsalternativen der Nr. 8.1 BKat nicht einschlägig sind – zu den konkreten Sicht- und Wetterbedingungen sowie dem Unfallhergang und dem eingetretenen Sachschaden zu treffen. Dabei können im Einzelfall die Tatsache eines Unfalls, dessen Ablauf und festgestellte erhebliche Unfallschäden als objektive Anhaltspunkte ausreichen, um eine offensichtlich zu hohe Geschwindigkeit anzunehmen. Die Ermittlung einer genauen Geschwindigkeit kann sich dann ggf. als nicht erforderlich darstellen (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1999, 178).

2. Auch die tatsächlichen Voraussetzungen unter denen im Sinne der Nr. 8.1 BKat von schlechten Sicht- und Wetterverhältnissen ausgegangen werden kann, ergeben sich aus den Urteilsgründe nicht. Das Amtsgericht geht insoweit von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab aus; denn es hat ersichtlich angenommen, es genüge zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals, dass die Fahrbahn feucht gewesen war. Dem kann – nicht zuletzt wegen des (auch) im Bußgeldrecht geltenden Bestimmtheitsgrundsatzes (§ 3 OWiG iVm. Art. 103 Abs. 2 GG; hier: nulla poena sine lex certa et stricta) – nicht beigetreten werden (vgl. hierzu Bülte, NZV 2020, 12 ff.).

§ 3 Abs. 1 StVO spricht nur von „Wetterverhältnissen“, an die der Fahrer seine Geschwindigkeit anpassen muss. Für den Fall, dass die Sicht wetterbedingt durch Nebel, Schneefall oder Regen beeinträchtigt ist (Sichtweite unter 50 m) gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Nr. 8.1 BKat spricht hingegen von „schlechten Wetterverhältnissen“ und ergänzt beispielhaft Nebel und Glatteis. Durch die Anführung der Wendung „z.B.“ wird deutlich, dass nicht nur bei Nebel oder Glatteis von schlechten Wetterverhältnissen auszugehen ist. Diese beispielhafte Aufzählung für schlechte Wetterverhältnisse erscheint unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebotes verfassungsrechtlich noch hinnehmbar; denn den durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer bleibt erkennbar, wann ein Ahndungsrisiko droht. Bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals darf die Wortlautgrenze allerdings nicht überschritten werden. Angesichts dessen wird eine Wettersituation zu fordern sein, die zum einen von ihrer offensichtlichen Gefährlichkeit für ein sicheres Fahren mit den benannten Beispielen, nämlich Nebel oder Glatteis vergleichbar ist, zum anderen auch gemeinhin unter den Begriff der schlechten Wetterverhältnisse fällt. Zu denken wäre insofern etwa an Aquaplaning oder starken Regen mit Sichtbehinderung und Lichtreflexen (vgl. Sebastian Gutt in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 3 StVO Rn. 20) oder mehr als nur unerheblicher Schneefall.

Ein solchermaßen vergleichbares Wettergeschehen hat das Amtsgericht nicht festgestellt.

IV.

Deshalb war das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben. Das Rechtsbeschwerdegericht kann nicht ausschließen, dass Feststellungen getroffen werden können, die zu einer Verurteilung des Betroffenen führen. Deshalb war die Sache gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG iVm. § 354 Abs. 2 StPO zurückzuverweisen. Ein Anlass, die Sache an eine andere Abteilung oder ein anderes Amtsgericht zu verweisen, bestand nicht.

Im Rahmen einer erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Amtsgericht unter Berücksichtigung dieser Vorgaben neue Feststellungen dazu zu treffen haben, ob und wenn ja welche schlechten Wetterverhältnissen im Tatzeitpunkt vorlagen. Wenn sich der Einfluss schlechter Wetterverhältnisse in diesem Rahmen nicht bestätigen sollte, ansonsten aber ergänzende Feststellungen, etwa zur Sachbeschädigung und zur Kausalität einer evtl. unangepassten Geschwindigkeit möglich sein werden, kommt eine Ahndung der Tat nach Nr. 8.2 BKat in Betracht. Das Amtsgericht wird dann aber angesichts des infolge der Tat eingetretenen Eigenschadens des Betroffenen und seiner zivilrechtlichen Haftung für das beschädigte Schild sowie wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufs (2 Jahre seit der Tat) zu erwägen haben, ob ein Vorgehen nach § 47 Abs. 2 OWiG angezeigt ist. Für den Fall einer erneuten Verurteilung ist zudem in den Blick zu nehmen, dass im Bußgeldverfahren gegen Heranwachsende unter bestimmten Umständen ein Absehen von der Kostenerhebung gem. §§ 74, 109 Abs. 2 Satz 1 JGG iVm. § 105 Abs. 1 letzter Halbsatz OWiG in Betracht kommt (vgl. KK-StPO/Gieg, 8. Auflage 2019, StPO § 465 Kostentragungspflicht des Verurteilten, Rn. 4).

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