Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 2 OLG 53 Ss-OWi 140/21 – Beschluss vom 19.07.2021
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 26. Januar 2021 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Der Betroffene wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Königs Wusterhausen verhängte gegen den Betroffenen durch Urteil vom 26. Januar 2021 wegen fahrlässigen Verstoßes gegen die Pflicht, einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem Blaulicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn zu schaffen, eine Geldbuße von 240 € sowie ein Fahrverbot von einem Monat.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene mit seinem Pkw am … August 2020 gegen 5:10 Uhr die dreispurig ausgebaute Bundesautobahn (X) in Fahrtrichtung … und näherte sich einem wegen eines Verkehrsunfalls kurz vor der Abfahrt … gesperrten Streckenabschnitt. Die vor der Unfallstelle zum Stehen gekommenen Fahrzeuge befanden sich auf der rechten und mittleren Spur, während die linke, vom Betroffenen mit seinem Fahrzeug befahrene Spur frei blieb. Zum Fahrverhalten des Betroffenen in dieser Situation und dessen Würdigung wird in den Urteilsgründen u.a. Folgendes ausgeführt:
„Als er beim Annähern Blaulicht erkannte, verringerte er – links bleibend – seine Geschwindigkeit, um sich zu orientieren, und – in dem Wissen, wie eine Rettungsgasse zu bilden ist und welche hohe Bedeutung dies hat – um sich links einzuordnen. Dabei sah er Autos stehen und passierte auch mehrere auf der Mittelspur stehende Fahrzeuge, seiner Erinnerung nach 2-3, ehe er erkannte, dass er bei korrekter Bildung einer Rettungsgasse ganz links der linken Spur Richtung Leitplanke die bisherige Gasse eher blockieren würde. Deshalb entschloss er sich dazu, sich seinerseits in die Mittelspur einzuordnen und lenkte sein Fahrzeug nach rechts. Da die Fahrzeuge hier jedoch so weit aufgerückt waren bzw. Lücken durch andere vorausfahrende und sich dort einordnenden Linksfahrer geschlossen waren, blieb für den Betroffenen keine ausreichende Lücke mehr, sich vollständig in die Spur einzuordnen, weshalb sein Heck schräg in die ´Rettungsgasse´ hineinragte. (…) Deshalb konnte ein nachfolgender mit Blaulicht und Sirene fahrender RTW – wobei nicht feststeht, ob der RTW direkt hinter dem Betroffenen fuhr oder erst etwas später auflief – nicht ungehindert passieren, sondern musste hinter dem Betroffenen kurz abbremsen.
(…)
Der Betroffene, der die Unfallsituation vor sich erkannt hatte, hat dabei nicht alles Erforderliche getan, um den nachfolgenden Einsatzkräften, mit denen er hätte rechnen müssen, und zwar mindestens einem RTW, ausreichend Platz zu schaffen, damit dieser ungehindert zur Einsatzstelle gelangen kann. Darauf musste er sich bereits bei Erkennen von Blaulicht vor sich einstellen. Zu dieser Zeit hätte er ausreichend Gelegenheit gehabt, sich auf der Mittelspur einzuordnen.“
Das Amtsgericht hat dies als fahrlässigen Verstoß gegen § 38 Abs. 1, 2 StVO gewertet. Der Betroffene habe zwar nicht vorwerfbar gegen die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse verstoßen (§ 11 Abs. 2 StVO), weil er bei insoweit regelgerechtem Ausweichen auf den äußerst linken Bereich der linken Spur eine Durchfahrt für Einsatzfahrzeuge blockiert hätte. Er habe jedoch einem Einsatzfahrzeug mit Blinklicht und Signalhorn nicht sofort freie Bahn geschafft. Der Betroffene habe aufgrund der von ihm erkannten unklaren Verkehrssituation mit erkennbarem Blaulicht vor ihm bei Passieren der auf der Mittelspur haltenden Fahrzeuge bereits damit rechnen müssen, dass weitere Einsatzfahrzeuge folgen. Er hätte sich deshalb rechtzeitig in der mittleren Fahrspur einordnen müssen und habe nicht weiter die freie linke Spur befahren dürfen.
Gegen das Urteil hat der Betroffene durch seinen Verteidiger Rechtsbeschwerde eingelegt und die Verletzung sachlichen Rechts gerügt. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg und führt zur Freisprechung des Betroffenen.
1. Das Amtsgericht hat zu Unrecht einen Verstoß des Betroffenen gegen die Pflicht bejaht, Wegerechtsfahrzeugen sofort freie Bahn zu verschaffen.
Gemäß § 49 Abs. 3 Nr. 3 StVO handelt ordnungswidrig, wer entgegen § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO mit Blaulicht und Einsatzhorn fahrenden Fahrzeugen nicht unmittelbar, nachdem er Blaulicht und Einsatzhorn wahrgenommen hat oder bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte wahrnehmen können (vgl. KG, Beschl. v. 18. Februar 2020 – 3 Ws [B] 11/20 – 162 Ss 167/19, zitiert nach Juris), freie Bahn schafft. Bei unklarer Verkehrslage haben Verkehrsteilnehmer im Zweifelsfall zu warten und hat darüber hinaus dafür Sorge zu tragen, dass sie das Einsatzfahrzeug rechtzeitig hören können (KG aaO.; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht 26. Aufl. § 38 Rn. 4; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 46. Aufl. § 38 Rn. 11).
Die danach geltenden Gebote hat der Betroffene nach den zugrunde liegenden Feststellungen nicht missachtet. Die Verpflichtung, „sofort freie Bahn zu schaffen“ wird durch die Signale des Vorrechtsfahrzeugs ausgelöst und beginnt erst in dem Zeitpunkt, in dem der Verkehrsteilnehmer diese wahrgenommen hat oder hätte wahrnehmen können. Dass der Betroffene bereits im Zeitpunkt des Passierens der auf der mittleren Spur zum Stehen gekommenen Fahrzeuge Einsatzwagen mit Blaulicht und Signalhorn hinter ihm habe wahrnehmen können, hat das Tatgericht gerade nicht festgestellt. Dass er bei Erkennen der Unfallstelle vor ihm mit den dort bereits befindlichen Einsatzfahrzeugen womöglich auch damit rechnen musste, dass sich weitere Wegerechtsfahrzeuge von hinten nähern würden, denen dann freie Bahn zu schaffen wäre, genügt insoweit nicht. Eine derartige Vorverlagerung des Tatvorwurfs ist mit Wortlaut und Regelungsinhalt der zugrunde liegenden bußgeldbewehrten Verkehrsvorschrift nicht zu vereinbaren. Auch kommen die mit Blaulicht stehenden Einsatzfahrzeuge, die sich in Fahrtrichtung vor dem Betroffenen befanden, für einen Verstoß gegen die Regelung nicht in Betracht. Zum einen begründet nur „blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn“ die Verpflichtung, sofort freie Bahn zu schaffen. Im Übrigen war mit einer Annäherung dieser Fahrzeuge gegen die Fahrtrichtung auch nicht zu rechnen.
2. Der Betroffene ist freizusprechen, weil nach den Feststellungen ein ordnungswidriges Verhalten auch im Übrigen nicht gegeben und auch nicht damit zu rechnen ist, dass das Tatgericht weitere tatsächliche Feststellungen wird treffen können, die eine Verurteilung rechtfertigen könnten.
Wie das Amtsgericht zutreffend angenommen hat, hat der Betroffene nicht gegen die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse verstoßen. Die diesbezügliche Regelung in § 11 Abs. 2 StVO zur Gassenbildung konnte er nicht befolgen, ohne den Sinn und Zweck der Norm, die Durchfahrt von Einsatzfahrzeugen zu ermöglichen, zu unterlaufen.
Auch ein vorwerfbares Verhalten des Betroffenen entgegen dem allgemeinen Vorsicht- und Rücksichtnahmegebot (§ 1 Abs. 1, 2 StVO) liegt nach dem festgestellten Sachverhalt nicht vor. Dass es zu einer Behinderung des Rettungsfahrzeuges kam, ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass der Betroffene nach den Urteilsfeststellungen seine Fahrt auf der linken Spur in dem Willen fortsetzte, eine vorschriftsgemäße Rettungsgasse zu bilden, und die Situation, dass er beim Verbleiben auf der linken Spur die Durchfahrt blockieren würde, erst realisierte, als er sich nicht mehr unverzüglich und vollständig in die mittlere Fahrspur einordnen konnte. Er hat sich insoweit zwar nicht verkehrsoptimal verhalten, weil hier ein frühzeitigeres Abweichen von der vorgeschriebenen Regelung zur Bildung der Rettungsgasse angemessen und sachdienlich gewesen wäre; gleichwohl ist ihm die – hier letztlich verfehlte – Befolgung der Vorschrift zur Bildung einer Rettungsgasse nach den festgestellten Umständen der Verkehrssituation hier nicht zum – bußgeldbewehrten – Vorwurf zu machen (vgl. hierzu Hentschel/König/Dauer, aaO § 11 Rn. 13). Auch ist nicht festgestellt, dass sich der Betroffene zum Zwecke des schnelleren Fortkommens eigennützig durch das weitere Befahren der linken Spur „vordrängeln“ wollte.