Ein Morgen im Juni auf dem Weg zur Arbeit endete für eine Autofahrerin in einer bayerischen Großstadt jäh: Obwohl sie ihre Haltlinie noch bei Grün überfuhr und dann stoppte, kam es an der viel befahrenen Kreuzung zum folgenschweren Verkehrsunfall. Das Amtsgericht verurteilte sie daraufhin wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes zu 240 Euro Geldbuße und einem Monat Fahrverbot. Doch die Fahrerin wehrte sich: Sie war die Haltlinie bei Grün passiert und nur aufgrund stockenden Verkehrs zum Stehen gekommen – eine Konstellation, die den Vorwurf des Rotlichtverstoßes nun in neuem Licht erscheinen ließ.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Wichtigste Erkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Das Urteil in der Praxis
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was genau definiert den geschützten Bereich einer Kreuzung im Verkehrsrecht?
- Wann liegt ein vollständiger Rotlichtverstoß nach dem Überfahren der Haltlinie vor?
- Warum sind präzise Sachverhaltsfeststellungen in Gerichtsverfahren unerlässlich?
- Welche rechtlichen Pflichten ergeben sich aus dem Haltgebot an einer Ampelkreuzung?
- Was müssen Autofahrer beachten, wenn sie nach der Haltlinie einer Ampel anhalten müssen und die Ampel auf Rot schaltet?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil 201 ObOWi 407/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
- Datum: 07.07.2025
- Aktenzeichen: 201 ObOWi 407/25
- Verfahren: Rechtsbeschwerdeverfahren
- Rechtsbereiche: Verkehrsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Die Betroffene, eine Autofahrerin. Sie legte Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil des Amtsgerichts ein, das sie wegen eines Rotlichtverstoßes verurteilt hatte.
- Beklagte: Die Generalstaatsanwaltschaft München. Sie beantragte, die Rechtsbeschwerde der Autofahrerin als unbegründet zurückzuweisen.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Eine Autofahrerin wurde wegen eines Rotlichtverstoßes mit Unfallfolge zu einer Geldbuße und einem Fahrverbot verurteilt. Sie soll an einer Kreuzung bei Rotlicht in den bereits fahrenden Querverkehr eingefahren sein, nachdem sie zuvor lange zwischen Ampel und Kreuzung gewartet hatte.
Welche Rechtsfrage war entscheidend?
- Kernfrage: Wann genau liegt ein Rotlichtverstoß vor, wenn ein Fahrer die Haltelinie noch bei Grün überfährt, dann aber vor der Kreuzung anhält und erst später bei Rot in den eigentlichen Kreuzungsbereich einfährt? Dabei war auch wichtig, wie der geschützte Kreuzungsbereich rechtlich definiert ist.
Entscheidung des Gerichts:
- Urteil im Ergebnis: Das Urteil des Amtsgerichts wurde aufgehoben. Der Fall wird zur erneuten Verhandlung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
- Zentrale Begründung: Das Amtsgericht hatte nicht ausreichend geklärt, ob die Fahrerin den geschützten Kreuzungsbereich – der auch Fuß- und Radwege umfasst – tatsächlich erst bei Rotlicht erreicht hatte.
- Konsequenzen für die Parteien: Der Fall muss nun vor einer anderen Abteilung des Amtsgerichts neu verhandelt und entschieden werden.
Der Fall vor Gericht
Was geschah an diesem Morgen an der Kreuzung?
Es war ein Morgen im Juni, kurz vor sieben Uhr, als eine Autofahrerin in einer bayerischen Großstadt auf dem Weg zur Arbeit war. Sie fuhr mit ihrem Wagen auf eine viel befahrene Kreuzung zu, um nach rechts abzubiegen. Für sie zeigte die Ampel bereits Rotlicht, während der Querverkehr auf Grün stand.

Doch dieser Moment des Abbiegens wurde zum Wendepunkt: Es kam zu einem Verkehrsunfall mit dem querenden Fahrzeug. Die Autofahrerin, die den Unfall verursachte, fand sich bald darauf vor Gericht wieder, beschuldigt, einen Rotlichtverstoß begangen zu haben – ein Vorwurf, der sich als komplexer erweisen sollte, als es auf den ersten Blick schien.
Warum verurteilte das erste Gericht die Autofahrerin?
Das Amtsgericht, die erste Instanz in diesem Verfahren, hatte die Autofahrerin am 21. Februar 2025 wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes verurteilt. Fahrlässig bedeutet, dass sie die Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr missachtet hatte, auch wenn sie den Unfall nicht absichtlich herbeiführen wollte. Wegen des Unfalls, der dabei entstand, wurde ihr eine Geldbuße von 240 Euro auferlegt und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt.
Die Richter des Amtsgerichts hatten festgestellt, dass die Autofahrerin nicht ausschließbar noch bei Grünlicht die vorgelagerte Haltlinie ihrer Ampel überfahren hatte. Sie war also nicht bei Rotlicht über die erste Linie gefahren. Aber, so die Feststellung, sie musste kurz danach aufgrund stockenden Verkehrs anhalten, ohne dass ihr Fahrzeug bereits in die Querstraße hineinragte. Das Problem: Als sich der stockende Verkehr wieder auflöste, fuhr die Fahrerin nicht sofort los. Stattdessen verharrte sie über einen längeren Zeitraum an dieser Position. In der Zwischenzeit schaltete die Ampel für ihre Fahrtrichtung auf Rotlicht, während der Querverkehr bereits mehrere Sekunden Grün hatte und ungebremst unterwegs war. Erst dann fuhr die Autofahrerin in den Kreuzungsbereich ein und verursachte die Kollision. Das Gericht sah in diesem späten Einfahren bei Rotlicht, nach dem Verharren, einen klaren Verstoß.
Wie wehrte sich die Autofahrerin gegen das Urteil?
Die Autofahrerin war mit diesem Urteil nicht einverstanden und legte Rechtsbeschwerde ein. Das ist ein Rechtsmittel, mit dem überprüft wird, ob bei der Urteilsfindung des Amtsgerichts Rechtsfehler gemacht wurden – also ob das Recht falsch angewendet oder wichtige Regeln des Verfahrens nicht beachtet wurden. Sie rügte die Verletzung des sogenannten sachlichen Rechts, was bedeutet, dass sie der Meinung war, die Richter hätten die Gesetze in ihrem Fall nicht richtig ausgelegt und angewendet. Ihr Hauptargument drehte sich darum, dass die Feststellungen des Amtsgerichts ihrer Ansicht nach nicht ausreichten, um einen Rotlichtverstoß eindeutig zu belegen, insbesondere wenn sie die Haltlinie tatsächlich noch bei Grün überfahren hatte. Die Generalstaatsanwaltschaft München, die in solchen Verfahren die Interessen des Staates vertritt, beantragte hingegen, die Rechtsbeschwerde der Autofahrerin als unbegründet abzuweisen. Damit unterstützte sie implizit die Einschätzung des Amtsgerichts.
Welche rechtlichen Regeln sind bei einem Rotlichtverstoß entscheidend?
Das Bayerische Oberste Landesgericht, das als nächsthöhere Instanz über die Rechtsbeschwerde zu entscheiden hatte, klärte zunächst die grundlegenden Rechtsregeln, die bei einem Rotlichtverstoß gelten:
- Die Definition des Rotlichtverstoßes: Ein Rotlichtverstoß liegt nicht schon dann vor, wenn man die Haltlinie bei Rot überfährt. Vielmehr muss man bei Rotlicht in den Bereich einfahren, den die Ampel schützen soll – den sogenannten „geschützten Fahrbahnbereich“. Das bloße Überfahren der Haltlinie, ohne den eigentlichen Kreuzungsbereich zu erreichen, genügt dafür nicht. Es muss zumindest eine abstrakte Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer entstehen.
- Das Haltgebot beim Umschalten der Ampel: Schaltet eine Ampel auf Rot, nachdem ein Fahrzeugführer die Haltlinie bei Grün passiert hat, gilt für ihn ab dem Umschalten ein klares Haltgebot. Dieses besagt: „Halt vor der Kreuzung“. Dies gilt aber nur, wenn das Fahrzeug den eigentlichen Kreuzungsbereich noch nicht erreicht hat. Das ist wichtig, denn wer bereits im Kreuzungsbereich ist, darf diesen in der Regel räumen, also verlassen, auch wenn die Ampel auf Rot springt. Das Haltgebot dient dem Schutz des querenden Verkehrs.
- Die Frage der Vorwerfbarkeit (Schuld): Selbst wenn ein Fahrer die Ampel nicht mehr sehen kann, nachdem er die Haltlinie überfahren hat – wie in diesem Fall angenommen, da die Autofahrerin zwischen Ampel und Kreuzung zum Stehen kam – muss er bei bereits rollendem Querverkehr damit rechnen, dass seine Ampel inzwischen Rot anzeigt. Ein solches Verhalten, langes Verharren und dann Einfahren in den laufenden Querverkehr bei Rot, ist objektiv falsch und kann dem Fahrer auch vorgeworfen werden, selbst wenn er die Ampel in dem Moment nicht direkt sehen konnte.
- Die genaue Bedeutung des „Kreuzungsbereichs“: Dieser Begriff ist im Gesetz nicht detailliert definiert, aber die Gerichte haben ihn konkretisiert. Der Kreuzungsbereich wird in der Regel durch die gedachten Linien begrenzt, die die Ränder der einmündenden Straßen fortsetzen – die sogenannten Fluchtlinien. Wichtig ist, dass dieser geschützte Bereich nicht nur die Fahrbahnen für Autos umfasst, sondern auch Fußgängerüberwege, sogenannte Fußgängerfurten, und Fahrradwege. Diese liegen oft noch vor der eigentlichen Autofahrbahn. Der Sinn dieser weiten Definition ist es, den gesamten Verkehr zu schützen, der berechtigt in die Kreuzung einfährt, also auch Fußgänger und Radfahrer.
Warum hob das höhere Gericht das Urteil des Amtsgerichts auf?
Das Bayerische Oberste Landesgericht kam nach Prüfung des Falles zu einem entscheidenden Ergebnis: Es hob das Urteil des Amtsgerichts vollständig auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurück.
Der Grund für diese Aufhebung lag nicht darin, dass das Amtsgericht die grundlegenden Rechtsregeln für einen Rotlichtverstoß falsch verstanden hätte. Vielmehr waren die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zum Unfallhergang und den örtlichen Gegebenheiten lückenhaft.
Das Gericht erläuterte seine Entscheidung in mehreren Punkten:
- Ungenügende Definition des Schutzbereichs: Das Amtsgericht hatte festgestellt, dass die Autofahrerin, nachdem sie an der Ampel vorbeigefahren war, nicht in die Querstraße hineinragte. Diese Formulierung reichte dem höheren Gericht nicht aus, um einen Rotlichtverstoß zweifelsfrei zu bejahen. Es blieb offen, ob dem Amtsgericht die volle Bedeutung des durch das Rotlicht geschützten Kreuzungsbereichs, wie er in den eben genannten Rechtsgrundsätzen definiert ist (also inklusive Fußgänger- und Fahrradwege), vollständig bewusst war.
- Fehlende Detailfeststellungen: Es fehlten konkrete Angaben zu den örtlichen Gegebenheiten. Es wurde nicht beschrieben, wo genau die gedachten Fluchtlinien der Kreuzung verlaufen und ob es vor der Fahrbahn, in die die Autofahrerin einbiegen wollte, beispielsweise Fußgängerüberwege oder Fahrradwege gab. Ohne diese genauen Beschreibungen konnte das übergeordnete Gericht nicht überprüfen, ob das Amtsgericht den Begriff des „Kreuzungsbereichs“ richtig angewendet hatte.
- Die rechtliche Konsequenz fehlender Feststellungen: Wäre die Autofahrerin bereits bei Umschalten der Ampel auf Rot in einen solchen umfassend definierten „Kreuzungsbereich“ (zum Beispiel eine Fußgängerfurt) hineingeraten, hätte sie zwar möglicherweise gegen die allgemeine Pflicht zur Rücksichtnahme verstoßen. Aber es wäre dann kein Rotlichtverstoß im Sinne des Gesetzes gewesen, der das Einfahren vor der Kreuzung bei Rot verbietet. Sie hätte sich dann bereits im geschützten Bereich befunden und wäre möglicherweise nur einer falschen Verkehrsbewegung bezichtigt worden. Da diese entscheidenden Feststellungen fehlten, konnte nicht geklärt werden, ob überhaupt ein Rotlichtverstoß vorlag.
Für das weitere Verfahren gab das Gericht dem Amtsgericht außerdem mit auf den Weg, dass der sogenannte Zweifelsatz – also die Regel, dass im Zweifel für den Angeklagten entschieden wird – nicht bedeutet, von Annahmen auszugehen, für die es keine konkreten Beweise gibt. Die Aussage der Autofahrerin sei nicht schon deshalb unwiderlegbar, weil es keine direkten Gegenbeweise gebe. Das neue Gericht muss also die Beweislage genau prüfen und darf eine Einfahrt bei Grün nur annehmen, wenn die Beweisaufnahme dies tatsächlich nahelegt.
Wichtigste Erkenntnisse
Gerichte müssen bei Rotlichtverstößen präzise zwischen dem bloßen Überfahren der Haltlinie und dem tatsächlichen Einfahren in den geschützten Kreuzungsbereich unterscheiden.
- Rotlichtverstoß erfordert Einfahren in den geschützten Bereich: Ein Verstoß liegt erst vor, wenn ein Fahrzeug bei Rotlicht in den Kreuzungsbereich einfährt, den die Ampel schützen soll – das bloße Überfahren der Haltlinie genügt nicht.
- Kreuzungsbereich umfasst alle Verkehrswege: Der geschützte Bereich schließt nicht nur Autofahrbahnen ein, sondern auch Fußgängerüberwege und Fahrradwege, die oft vor der eigentlichen Fahrbahn liegen.
- Konkrete Feststellungen sind unverzichtbar: Gerichte müssen die örtlichen Gegebenheiten exakt beschreiben und die genauen Grenzen des Kreuzungsbereichs ermitteln, bevor sie einen Rotlichtverstoß bejahen können.
Lückenhafte Sachverhaltsaufklärung führt zur Aufhebung von Urteilen, selbst wenn die rechtlichen Grundsätze korrekt angewendet wurden.
Benötigen Sie Hilfe?
Wurde Ihnen ein Rotlichtverstoß vorgeworfen, obwohl Sie vor der Kreuzung anhielten? Lassen Sie die Besonderheiten Ihres Falls in einer unverbindlichen Ersteinschätzung prüfen.
Das Urteil in der Praxis
Für jeden, der sich mit den Feinheiten des Straßenverkehrsrechts auseinandersetzt, ist dieses Urteil eine kristallklare Ansage an die Praxis. Es zeigt schonungslos auf, wie entscheidend die akribische Feststellung des Unfallorts für die rechtliche Einordnung eines Rotlichtverstoßes ist. Das Bayerische Oberste Landesgericht macht unmissverständlich klar: Ohne genaue Angaben, wo genau Fußgängerfurten oder Radwege den „geschützten Bereich“ einer Kreuzung definieren, kann ein bloßes Verharren und späteres Einfahren nicht einfach als Rotlichtverstoß abgeurteilt werden. Dieses Urteil erhöht massiv den Druck auf Amtsgerichte, Sachverhalte präzise zu erfassen, und bietet Verteidigern eine starke Angriffsfläche, wenn die Beweislage hier Lücken aufweist – ein Musterbeispiel dafür, dass im Verkehrsrecht der Teufel oft im Millimeter steckt.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was genau definiert den geschützten Bereich einer Kreuzung im Verkehrsrecht?
Der geschützte Bereich einer Kreuzung im Verkehrsrecht umfasst nicht nur die Fahrbahnen für Autos, sondern auch Fußgängerüberwege, sogenannte Fußgängerfurten, und Fahrradwege. Dieser Bereich wird in der Regel durch gedachte Linien begrenzt, die die Ränder der einmündenden Straßen fortsetzen, die sogenannten Fluchtlinien. Das bloße Überfahren der Haltlinie, ohne diesen eigentlichen Bereich zu erreichen, genügt für einen Rotlichtverstoß nicht.
Man kann sich diesen geschützten Bereich wie eine klar abgegrenzte Sicherheitszone vorstellen, die nicht nur die Hauptwege für Autos einschließt, sondern auch alle angrenzenden Wege für Fußgänger und Radfahrer, die dort die Straße queren dürfen.
Der Sinn dieser weiten Definition ist es, alle Verkehrsteilnehmer zu schützen, die berechtigt in die Kreuzung einfahren. Ein Rotlichtverstoß liegt somit erst vor, wenn ein Fahrzeug bei Rotlicht in diesen umfassend definierten, geschützten Bereich einfährt. Es muss dabei zumindest eine abstrakte Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer entstehen.
Diese präzise Definition gewährleistet, dass das Vertrauen in die Sicherheit an Kreuzungen für alle Beteiligten geschützt wird.
Wann liegt ein vollständiger Rotlichtverstoß nach dem Überfahren der Haltlinie vor?
Ein vollständiger Rotlichtverstoß liegt nicht bereits beim Überfahren der Haltlinie vor, sondern erst, wenn ein Fahrzeug bei roter Ampel in den von ihr geschützten Fahrbahnbereich einfährt. Man kann sich das vorstellen wie beim Fußball: Nur das Überschreiten der Auslinie genügt nicht, um ein Tor zu erzielen; der Ball muss den geschützten Bereich des Tores vollständig überqueren, damit das Spielziel erreicht wird.
Das bloße Überfahren der Haltlinie bei Rot, ohne den eigentlichen Kreuzungsbereich zu erreichen, stellt somit noch keinen vollständigen Rotlichtverstoß dar. Damit ein solcher Verstoß angenommen wird, muss das Einfahren in den geschützten Bereich zumindest eine abstrakte Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer verursachen, die sich rechtmäßig dort bewegen.
Ein vollständiger Rotlichtverstoß kann jedoch auch dann vorliegen, wenn die Haltlinie noch bei Grün passiert wurde: Wer danach vor dem geschützten Bereich verharrt und erst später bei bereits roter Ampel und laufendem Querverkehr in den Kreuzungsbereich einfährt, begeht einen Verstoß. Der „geschützte Fahrbahnbereich“ umfasst dabei nicht nur die Autofahrbahnen, sondern auch Fußgängerüberwege und Fahrradwege, die oft vor der eigentlichen Fahrbahn liegen.
Diese Regelung stellt sicher, dass das Vertrauen in die Ampelzeichen und die Sicherheit an Kreuzungen umfassend geschützt werden, indem alle berechtigten Verkehrsteilnehmer in dem dafür vorgesehenen Bereich abgesichert sind.
Warum sind präzise Sachverhaltsfeststellungen in Gerichtsverfahren unerlässlich?
Präzise Feststellungen des Sachverhalts sind in Gerichtsverfahren unerlässlich, weil sie die unbedingte Grundlage für die korrekte Anwendung von Gesetzen und eine gerechte Urteilsfindung bilden. Ohne genaue Kenntnis der Tatsachen kann ein Gericht nicht zweifelsfrei entscheiden, ob ein Vergehen vorliegt.
Stellen Sie sich einen Fußball-Schiedsrichter vor, der eine rote Karte zeigen soll. Er muss genau wissen, wo der Foulspieler stand, wo der Ball war und ob es innerhalb oder außerhalb des Strafraums geschah, um die Regeln korrekt anzuwenden. Fehlen ihm diese genauen Informationen, kann er keine faire und regelkonforme Entscheidung treffen.
Ähnlich fällen Gerichte ihre Urteile ausschließlich auf der Basis der als bewiesen festgestellten Tatsachen. Wenn beispielsweise bei einem mutmaßlichen Rotlichtverstoß nicht klar beschrieben ist, wo genau eine Fußgängerfurt oder die gedachten Fluchtlinien einer Kreuzung verlaufen, kann das Gericht nicht eindeutig beurteilen, ob ein Fahrzeug in den tatsächlich geschützten Bereich eingefahren ist. Solche lückenhaften Feststellungen verhindern, dass rechtliche Definitionen richtig angewendet werden können.
Dies kann dazu führen, dass ein Urteil von einem höheren Gericht aufgehoben wird, weil nicht zweifelsfrei geklärt werden kann, ob das Vergehen überhaupt im Sinne des Gesetzes vorlag. Präzise Sachverhaltsfeststellungen sind daher die unerlässliche Basis für nachvollziehbare und faire Gerichtsentscheidungen.
Welche rechtlichen Pflichten ergeben sich aus dem Haltgebot an einer Ampelkreuzung?
Sobald eine Ampel auf Rot schaltet, nachdem ein Fahrzeugführer die Haltlinie bei Grün überfahren hat, muss er grundsätzlich vor der Kreuzung anhalten. Dieses klare Haltgebot („Halt vor der Kreuzung“) gilt jedoch nur, wenn das Fahrzeug den eigentlichen geschützten Kreuzungsbereich noch nicht erreicht hat.
Stellen Sie sich die Kreuzung wie einen sensiblen, gut organisierten Bereich vor, zu dem der Zugang nur zu bestimmten Zeiten erlaubt ist. Die Ampel fungiert dabei wie ein Torwächter. Wenn das Tor bei Grün kurz offen war und man es gerade passieren wollte, der Torwächter aber plötzlich Rot zeigt, muss man sofort stoppen, bevor man den eigentlichen geschützten Bereich betritt. Befindet man sich jedoch bereits im gesicherten Bereich, darf man diesen normalerweise verlassen, um ihn nicht zu blockieren.
Das Haltgebot tritt in Kraft, sobald die Ampel umschaltet, selbst wenn ein Fahrer die Haltlinie bereits bei Grün passiert hat. Ist ein Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits innerhalb des Kreuzungsbereichs, besteht die Erlaubnis, diesen zu verlassen. Dies gewährleistet, dass der Verkehr fließt und die Kreuzung nicht blockiert wird.
Diese Regelung dient dem Schutz des querenden Verkehrs und erhöht die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer an Kreuzungen.
Was müssen Autofahrer beachten, wenn sie nach der Haltlinie einer Ampel anhalten müssen und die Ampel auf Rot schaltet?
Wenn Autofahrer nach dem Überfahren der Haltlinie einer Ampel aufgrund von stockendem Verkehr anhalten müssen und ihre Ampel auf Rot schaltet, müssen sie stets damit rechnen, dass der Querverkehr bereits freie Fahrt hat. Ein langes Verharren und das anschließende Einfahren in den bereits laufenden Querverkehr bei Rotlicht wird als Verstoß gewertet.
Man kann dies mit der Beobachtung an einer viel befahrenen Kreuzung vergleichen: Wenn Sie sehen, dass der Verkehr auf der Querstraße bereits ungehindert und seit mehreren Sekunden fließt, ist dies ein klares Zeichen dafür, dass Ihre eigene Fahrtrichtung gesperrt ist und Ihre Ampel auf Rot steht.
Selbst wenn die Ampel nach dem Über
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Fahrlässigkeit
Fahrlässigkeit im rechtlichen Sinne bedeutet, dass jemand seine Sorgfaltspflichten verletzt hat, obwohl er den Schaden nicht absichtlich herbeiführen wollte. Es geht darum, dass man eine Situation hätte erkennen und vermeiden können, wenn man die im Verkehr oder in anderen Lebensbereichen gebotene Vorsicht angewandt hätte. Rechtlich relevant ist also ein pflichtwidriges, unbeabsichtigtes Fehlverhalten.
Beispiel: Das Amtsgericht verurteilte die Autofahrerin wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes, da sie zwar den Unfall nicht absichtlich herbeiführen wollte, aber ihre Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr missachtet hatte.
Haltgebot
Das Haltgebot besagt, dass ein Fahrzeugführer bei Rotlicht einer Ampel unbedingt vor der Kreuzung anhalten muss, selbst wenn er die Haltlinie zuvor noch bei Grün überfahren hat. Diese Regelung stellt sicher, dass der gesamte Kreuzungsbereich für den querenden Verkehr frei und sicher ist und dient dem Schutz aller Verkehrsteilnehmer, die berechtigt in die Kreuzung einfahren.
Beispiel: Die Autofahrerin verharrte nach dem Überfahren der Haltlinie lange vor dem eigentlichen Kreuzungsbereich; das Bayerische Oberste Landesgericht betonte, dass in solchen Fällen das Haltgebot gilt, sobald die Ampel auf Rot schaltet, bevor man in den geschützten Bereich einfährt.
Kreuzungsbereich
Der Kreuzungsbereich ist im Verkehrsrecht ein durch die Ampel geschützter Bereich, der nicht nur die Fahrbahnen für Autos, sondern auch angrenzende Fußgängerüberwege und Fahrradwege umfasst. Er wird in der Regel durch gedachte Linien (sogenannte Fluchtlinien) begrenzt, die die Ränder der einmündenden Straßen fortsetzen, und soll alle Verkehrsteilnehmer umfassend schützen, die berechtigt in die Kreuzung einfahren.
Beispiel: Das höhere Gericht hob das Urteil auf, weil das Amtsgericht den Kreuzungsbereich nicht ausreichend definiert hatte und somit nicht klar war, ob die Autofahrerin bei ihrem Einfahren tatsächlich in diesen umfassend geschützten Bereich geraten war oder nur einen anderen Verstoß begangen hatte.
Rotlichtverstoß
Ein Rotlichtverstoß liegt im deutschen Verkehrsrecht dann vor, wenn ein Fahrzeug bei roter Ampel in den von ihr geschützten Fahrbahnbereich, den sogenannten Kreuzungsbereich, einfährt und dadurch eine abstrakte Gefahr entsteht. Das bloße Überfahren der Haltlinie bei Rot genügt dafür nicht; es muss der tatsächlich geschützte Bereich überfahren werden, um das Vertrauen in die Ampelzeichen und die Sicherheit an Kreuzungen zu gewährleisten und den querenden Verkehr zu schützen.
Beispiel: Die Autofahrerin wurde ursprünglich wegen eines Rotlichtverstoßes verurteilt, weil sie nach längerem Verharren bei bereits roter Ampel in den Kreuzungsbereich eingefahren war, obwohl sie die Haltlinie noch bei Grün passiert haben könnte.
Sachverhaltsfeststellungen
Sachverhaltsfeststellungen sind die konkreten, von einem Gericht im Laufe eines Verfahrens ermittelten und als wahr angenommenen Tatsachen über das Geschehen, die als Grundlage für ein Urteil dienen. Sie müssen so präzise und vollständig sein, dass das Gericht die relevanten Gesetze korrekt anwenden kann, denn ohne genaue Kenntnis aller Tatsachen ist eine gerechte und rechtlich korrekte Entscheidung nicht möglich.
Beispiel: Das Bayerische Oberste Landesgericht hob das Urteil des Amtsgerichts auf, weil dessen Sachverhaltsfeststellungen zum Unfallhergang und den örtlichen Gegebenheiten lückenhaft waren, insbesondere bezüglich der genauen Begrenzung des Kreuzungsbereichs.
Zweifelsatz
Der Zweifelsatz ist ein fundamentales Rechtsprinzip, das besagt, dass im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht im Zweifel immer zugunsten des Angeklagten entschieden werden muss (in dubio pro reo). Dieses Prinzip schützt den Angeklagten vor einer Verurteilung, wenn nach der Beweisaufnahme noch vernünftige Zweifel an seiner Schuld oder an bestimmten Tatumständen bestehen bleiben, und stellt sicher, dass niemand ohne ausreichende Beweise verurteilt wird.
Beispiel: Das Bayerische Oberste Landesgericht wies für das neue Verfahren darauf hin, dass der Zweifelsatz nicht bedeutet, unbewiesene Annahmen zugunsten der Autofahrerin zu treffen, sondern dass nur solche Fakten als bewiesen gelten, die die Beweisaufnahme tatsächlich nahelegt.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Rotlichtverstoß und Geschützter Fahrbahnbereich (Allgemeine Auslegung der StVO)
Ein Rotlichtverstoß liegt erst vor, wenn man bei Rotlicht in den von der Ampel geschützten Kreuzungsbereich einfährt, nicht schon beim bloßen Überfahren der Haltlinie.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Es musste geklärt werden, ob die Autofahrerin tatsächlich in den geschützten Bereich eingefahren ist, nachdem ihre Ampel auf Rot geschaltet hatte, und nicht nur die Haltlinie überquerte. - Definition des Kreuzungsbereichs (Allgemeine Auslegung der StVO)
Der Kreuzungsbereich umfasst nicht nur die Fahrbahnen für Autos, sondern auch gedachte Verlängerungen der Straßenränder sowie Fußgänger- und Fahrradwege.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Amtsgericht wurde kritisiert, weil es nicht genau genug festgestellt hatte, wie der Kreuzungsbereich an dieser spezifischen Stelle beschaffen war, insbesondere ob Fußgänger- oder Fahrradwege vor der Fahrbahn lagen. - Haltgebot bei Rotlicht (§ 37 Abs. 2 StVO)
Schaltet eine Ampel auf Rot, nachdem man die Haltlinie überfahren hat, muss man vor dem eigentlichen Kreuzungsbereich anhalten, wenn dieser noch nicht erreicht wurde.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Autofahrerin verharrte nach dem Überfahren der Haltlinie, während die Ampel auf Rot schaltete; entscheidend war, ob sie zu diesem Zeitpunkt bereits im geschützten Bereich war oder noch anhalten musste. - Vollständigkeit der gerichtlichen Feststellungen (Grundsatz des fairen Verfahrens und der Sachverhaltsaufklärung)
Gerichte müssen alle relevanten Fakten eines Falles genau und vollständig feststellen, damit höhere Instanzen ihre Rechtsanwendung überprüfen können.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Bayerische Oberste Landesgericht hob das Urteil auf, weil dem Amtsgericht genaue Beschreibungen der Kreuzung und des genauen Standorts des Fahrzeugs fehlten, um den Rotlichtverstoß zweifelsfrei zu beurteilen. - Vorwerfbarkeit bei Fahrlässigkeit (Allgemeines Rechtsprinzip der Schuldhaftigkeit)
Auch wenn man eine Gefahr nicht absichtlich herbeiführt oder eine Ampel nicht direkt sehen kann, kann man für fahrlässiges Verhalten im Straßenverkehr verantwortlich gemacht werden, wenn man mit bestimmten Situationen rechnen muss.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Obwohl die Autofahrerin die Ampel nach dem Anhalten möglicherweise nicht mehr sehen konnte, wurde ihr vorgeworfen, dass sie bei rollendem Querverkehr damit hätte rechnen müssen, dass ihre Ampel inzwischen auf Rot stand.
Das vorliegende Urteil
BayObLG – Az.: 201 ObOWi 407/25 – Beschluss vom 07.07.2025
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