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Rotlichtverstoß eines Fahrradfahrers bei Dauerrot einer Wechsellichtzeichenanlage

Wechsellichtzeichenanlage: Wann ist Rot für Radfahrer erlaubt?

Das Oberlandesgericht Hamburg hat entschieden, dass ein Rotlichtverstoß eines Fahrradfahrers bei einer Wechsellichtzeichenanlage, die aufgrund einer Funktionsstörung dauerhaft Rot zeigt, nicht geahndet werden kann. Dies liegt daran, dass die Rotlicht-Halteanordnung in solchen Fällen nichtig ist. Diese Entscheidung gilt für alle Verkehrsteilnehmer, die von der betroffenen Lichtzeichenanlage betroffen sind.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.:5 ORbs 25/23   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Nichtigkeit der Halteanordnung: Bei dauerhaftem Rotlicht aufgrund einer Funktionsstörung ist die Halteanordnung nichtig.
  2. Gilt für alle Verkehrsteilnehmer: Die Regelung betrifft nicht nur Kraftfahrer, sondern alle Verkehrsteilnehmer, einschließlich Fahrradfahrer.
  3. Keine Verurteilung bei Tatbestandsirrtum: Ein vorsätzlicher Rotlichtverstoß ist ausgeschlossen, wenn der Betroffene irrtümlich eine Funktionsstörung annimmt.
  4. Technische Auslegung der Anlage: Die Möglichkeit, dass die Kontaktschleife einer Lichtzeichenanlage von Radfahrenden nicht ausgelöst werden kann, ist relevant für die Beurteilung der Nichtigkeit.
  5. Teilnichtigkeit für bestimmte Verkehrsteilnehmer: Die Halteanordnung kann für bestimmte Verkehrsteilnehmer teilnichtig sein, wenn sie technisch von der Bedarfsschaltung ausgeschlossen sind.
  6. Offensichtlichkeit des Fehlers: Für die Nichtigkeit ist die offensichtliche Unsinnigkeit der Anordnung entscheidend.
  7. Erhöhte Sorgfaltsanforderungen: Trotz Nichtigkeit der Halteanordnung müssen Verkehrsteilnehmer erhöhte Sorgfalt walten lassen.
  8. Zurückweisung an das Amtsgericht: Das Urteil des Amtsgerichts wurde aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.

Verkehrsrecht und Rotlichtverstöße: Eine juristische Betrachtung

Rote Ampel Fahrradfahrer
(Symbolfoto: Georgios Karkavitsas /Shutterstock.com)

Im Fokus des Verkehrsrechts stehen häufig Fälle von Rotlichtverstößen, bei denen Verkehrsteilnehmer, insbesondere Fahrradfahrer, mit den rechtlichen Konsequenzen ihrer Entscheidungen konfrontiert werden. Ein zentraler Aspekt solcher Fälle ist die Rolle der Wechsellichtzeichenanlage und die daraus resultierenden Fragen zur Funktionsstörung und der Gültigkeit der Halteanordnung. Die Beurteilung des Vorsatzes bei der Missachtung von Verkehrssignalen ist ebenfalls ein kritischer Punkt, der häufig im Mittelpunkt juristischer Diskussionen steht.

Diese Einleitung führt uns in die Welt des Verkehrsrechts und seiner Komplexität, speziell im Kontext von Rotlichtverstößen. Die nachfolgenden Details eines konkreten Urteils bieten einen aufschlussreichen Einblick in die juristischen Feinheiten und Herausforderungen, mit denen sich Gerichte bei der Beurteilung solcher Fälle auseinandersetzen müssen. Tauchen Sie ein in eine faszinierende juristische Analyse, die nicht nur für Fachleute, sondern auch für den alltäglichen Verkehrsteilnehmer von Bedeutung ist.

Rotlichtverstoß bei Wechsellichtzeichenanlagen: Ein Fall für das Oberlandesgericht

Im Zentrum eines bemerkenswerten Falles, der vor dem Oberlandesgericht Hamburg verhandelt wurde, stand ein Rotlichtverstoß eines Fahrradfahrers an einer Wechsellichtzeichenanlage. Die Besonderheit dieses Falles lag in der Tatsache, dass die Ampel aufgrund einer Funktionsstörung dauerhaft Rot zeigte. Diese Konstellation führte zu einer rechtlichen Auseinandersetzung, die grundlegende Fragen zur Gültigkeit von Halteanordnungen und der Bewertung von Vorsatz bei Verkehrsdelikten aufwarf.

Das Amtsgericht Hamburg-Blankenese hatte ursprünglich eine Geldstrafe gegen die betroffene Radfahrerin verhängt, die trotz Rotlichts die Kreuzung überquerte. Sie wartete mehrere Minuten, ohne dass die Ampel auf Grün umschaltete, und nahm an, dass ein Defekt vorliege. Diese Annahme und das Handeln der Betroffenen standen im Fokus der rechtlichen Bewertung.

Die rechtliche Herausforderung: Vorsatz und technische Defekte

Die Kernfrage in diesem Fall war, ob der Radfahrerin ein vorsätzlicher Rotlichtverstoß vorgeworfen werden konnte. Interessanterweise folgte das Oberlandesgericht Hamburg nicht der Argumentation des Amtsgerichts. Es stellte fest, dass die irrtümliche Annahme der Radfahrerin, die Lichtzeichenanlage sei aufgrund einer Funktionsstörung defekt, als vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum zu werten sei. Das bedeutet, dass die Betroffene nicht vorsätzlich gehandelt hatte, da sie von einem Defekt der Ampelanlage ausging.

Diese Entscheidung des Oberlandesgerichts basierte auf der Auffassung, dass ein von einer Lichtzeichenanlage gezeigtes Rotlicht als Verwaltungsakt anzusehen ist. Wird dieses Rotlicht aufgrund einer technischen Funktionsstörung dauerhaft gezeigt, so ist der darin liegende Verwaltungsakt nichtig. Dies gilt für alle Verkehrsteilnehmer, die von der betroffenen Lichtzeichenanlage betroffen sind.

Technische Auslegung und teilweise Nichtigkeit der Halteanordnung

Eine weitere relevante Wendung im Fall war die technische Auslegung der Wechsellichtzeichenanlage. Es stellte sich heraus, dass die Anlage mit einer Bedarfsschaltung mittels Kontaktschleife versehen war. Das Gericht musste prüfen, ob diese Kontaktschleife durch Fahrradfahrer ausgelöst werden konnte. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre die Halteanordnung in Gestalt des Rotlichtsignals der Lichtzeichenanlage zumindest teilweise nichtig.

Diese Frage der technischen Auslegung war entscheidend, da eine Nichtauslösbarkeit der Bedarfsschaltung durch Radfahrende faktisch einem Durchfahrtsverbot gleichgekommen wäre. Dies würde der Intention des § 37 Abs. 2 StVO widersprechen, der die Aufstellung von Wechsellichtzeichenanlagen mit dem Zweck der Regelung des wechselnden Vorrangs der Verkehrsteilnehmer erlaubt.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg

Das Oberlandesgericht Hamburg hob schließlich das Urteil des Amtsgerichts auf und wies den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Diese Entscheidung unterstreicht, wie komplex die Beurteilung von Rotlichtverstößen sein kann, insbesondere wenn technische Aspekte und die Annahmen der Verkehrsteilnehmer eine Rolle spielen.

Das Gericht legte Wert darauf, dass im Rahmen der neuen Verhandlung geprüft wird, ob die Kontaktschleife der Lichtzeichenanlage auch durch Radfahrende hätte ausgelöst werden können. Die Klärung dieser Frage wird darüber entscheiden, ob ein fahrlässiger Rotlichtverstoß vorliegen könnte.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg stellt einen bedeutenden Beitrag zur rechtlichen Diskussion über die Beurteilung von Verkehrsverstößen unter Einbeziehung technischer und individueller Faktoren dar. Es zeigt, wie wichtig eine differenzierte Betrachtung in solchen Fällen ist und bietet somit wertvolle Einsichten für zukünftige rechtliche Auseinandersetzungen in ähnlichen Situationen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Welche rechtlichen Folgen hat eine Funktionsstörung bei Wechsellichtzeichenanlagen für Radfahrende?

Eine Funktionsstörung bei Wechsellichtzeichenanlagen kann verschiedene rechtliche Folgen für Radfahrende haben. Wenn eine Wechsellichtzeichenanlage aufgrund einer technischen Funktionsstörung dauerhaft Rot zeigt, ist der darin liegende Verwaltungsakt nichtig gemäß § 44 VwVfG. In diesem Fall darf der betroffene Verkehrsteilnehmer, also auch der Radfahrende, trotz des Rotlichts in den Kreuzungsbereich einfahren. Dabei sind jedoch höchste Sorgfaltsanforderungen zu wahren.

Ein weiterer Aspekt betrifft die Kontaktschleifen, die bei vielen Ampelanlagen zur Erkennung von Fahrzeugen dienen. Wenn diese Kontaktschleifen aufgrund einer technischen Auslegung nicht von Radfahrenden ausgelöst werden können, kann dies als eine Art von Funktionsstörung angesehen werden. Ein solches ‚Regelungsprogramm‘ ist mit § 37 Abs. 2 StVO unvereinbar, da diese Vorschrift allein die Aufstellung von Wechsellichtzeichenanlagen mit dem Zweck der Regelung des – naturgemäß wechselnden – Vorrangs der Verkehrsteilnehmer erlaubt.

Sollte es aufgrund einer Funktionsstörung zu einem Unfall kommen, so genanntes „feindliches Grün“, sind die Beweisanforderungen sehr hoch. Die doppelte elektronische Sicherung der Phasensteuerung verhindert in der Regel ein gleichzeitiges Grün für sich kreuzende Verkehrsströme. Daher muss der Radfahrende in der Lage sein, genaue Umstände darzulegen, die einen solchen Schaltfehler belegen.

Es ist daher für Radfahrende ratsam, bei einer vermeintlichen Funktionsstörung einer Wechsellichtzeichenanlage äußerste Vorsicht walten zu lassen und gegebenenfalls andere Verkehrsteilnehmer oder die zuständige Behörde zu informieren.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Hamburg – Az.: 5 ORbs 25/23 – Beschluss vom 11.09.2023

Leitsatz

1. Zeigt eine Wechsellichtzeichenanlage aufgrund einer Funktionsstörung dauerhaft Rotlicht, so ist die darin liegende Halteanordnung i.S.d. § 44 VwVfG nichtig. Die irrtümliche Annahme einer solchen Funktionsstörung stellt sich als vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum dar, so dass jedenfalls eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Rotlichtverstoßes ausscheidet. Dies gilt nicht nur für Kraftfahrer, sondern für alle Verkehrsteilnehmer, für die die betroffene Wechsellichtzeichenanlage Geltung beansprucht (hier: Radfahrende, § 37 Abs. 2 Nr. 6 S. 1 StVO).

2. Ist eine Wechsellichtzeichenanlage mit einer Bedarfsschaltung mittels Kontaktschleife versehen und ist diese technisch so ausgelegt, dass die Bedarfsanfrage – trotz Geltungsanspruchs der Lichtzeichenanlage auch für Radfahrende – durch Radfahrende nicht ausgelöst werden kann, so ist die im Rotlicht dieser Anlage liegende Halteanordnung für Radfahrende (teil-)nichtig i.S.d. § 44 VwVfG.

3. Eine Verurteilung wegen eines – vorsätzlich oder fahrlässig begangenen – Rotlichtverstoßes ist ausgeschlossen, wenn die vom Betroffenen missachtete Rotlicht-Halteanordnung i.S.d. § 44 VwVfG nichtig war. Darauf, ob der Betroffene die zur Nichtigkeit führenden Umstände in der konkreten Verkehrssituation erkennen konnte, kommt es insoweit nicht an.

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Blankenese vom 26.1.2023 einschließlich der Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an das Amtsgericht Hamburg-Blankenese zurückverwiesen.

Gründe

Die Rechtsbeschwerde, die der Senat mit Beschluss vom 15.06.2023 zur Fortbildung des Rechts zugelassen hat und die sich auch im Übrigen als zulässig erweist, ist in der Sache begründet.

1. Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: Die Betroffene befuhr am 24.07.2022 gegen 20:15 Uhr als Radfahrerin die Straße A. in Richtung Süden und hielt vor der für sie Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage an der Kreuzung zur Straße R.. Vor der Lichtzeichenanlage, die nicht defekt war, aber mit einer Kontaktschleife ausgestattet ist, wartete die Betroffene mehrere Minuten lang, ohne dass die Lichtzeichenanlage auf Grün umschaltete. Wie lange die Betroffene genau wartete, konnte das Amtsgericht nicht feststellen; es ging jedoch zu Gunsten der Betroffenen davon aus, dass die Wartezeit zumindest 5 Minuten betrug. Da die Betroffene einen Defekt der Lichtzeichenanlage vermutete, überquerte sie die Kreuzung bei Rot. Zu einer Gefährdung der Betroffenen oder anderer Verkehrsteilnehmer kam es dadurch nicht. Die Betroffene hätte die Möglichkeit gehabt, abzusteigen und die Kreuzung mit Hilfe einer auf der rechten Seite befindlichen, mit einem Anfrageknopf ausgestatteten Fußgängerbedarfsampel zu überqueren.

Das Amtsgericht hat das Tatgeschehen als vorsätzlichen, qualifizierten Rotlichtverstoß gem. §§ 37 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 und 6, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO i.V.m. § 24 StVG gewertet und hat gegen die Betroffene eine Geldbuße in Höhe von € 100,00 verhängt. In den Urteilsgründen hat es ausgeführt, dass der Fall nicht vergleichbar sei mit den Fällen, in denen ein Kraftfahrer bei einer defekten Lichtzeichenanlage nach minutenlangem Warten an einer nicht auf Grün umspringenden Ampel vorsichtig in die Kreuzung hineinfahren darf: Zum einen sei die Lichtzeichenanlage vorliegend nicht defekt gewesen. Aber auch wenn die Betroffene hiervon ausgegangen sei, habe sie als Radfahrerin die Kreuzung nicht bei Rot überqueren dürfen, denn anders als einem Kraftfahrer sei es ihr möglich gewesen, vom Fahrrad abzusteigen und die nur wenige Meter entfernte Fußgängerampel zu betätigen und zu benutzen.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Rotlichtverstoßes ist schon auf der Grundlage der amtsgerichtlichen Feststellungen ausgeschlossen, denn danach hat sich die Betroffene in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum befunden:

Nach inzwischen einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, der der Senat folgt, handelt es sich bei dem von einer Lichtzeichenanlage gezeigten Rotlicht um einen Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung, der den betroffenen Verkehrsteilnehmern gebietet, vor der Kreuzung zu halten (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 StVO). Zeigt eine Wechsellichtzeichenanlage allerdings aufgrund einer technischen Funktionsstörung dauerhaft Rot, so ist der darin liegende Verwaltungsakt nichtig i.S.d. § 44 VwVfG, weil die Dauer des gezeigten Rotlichts in diesem Fall nicht mehr auf dem vom menschlichen Willen getragenen Schaltplan – der Programmierung durch die Verkehrsbehörde – beruht und sich die Unsinnigkeit eines „Dauerrot“-Gebotes ohne weiteres aufdrängt (OLG Köln, Beschluss vom 29.04.1980 – 1 Ss 1037 B 7/79 = VRS 59, 454; OLG Hamm, Beschluss v. 10.06.1999 – 2 Ss OWi 486/99 = MDR 1999, 1264; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., Rn. 17b zu § 37 StVO; König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., Rn. 28 zu § 37 StVO). Zu ergänzen ist aus Sicht des Senats insoweit, dass die Nichtigkeit des Verwaltungsakts in diesen Fällen nicht von der Eigenart der von der Lichtzeichenanlage betroffenen Verkehrsteilnehmer abhängt, so dass diese Rechtsprechung nicht nur auf Kraftfahrer Anwendung findet, sondern auf alle Verkehrsteilnehmer, für die das Lichtzeichen im konkreten Fall Geltung beansprucht. Geklärt ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung zudem, dass sich die irrtümliche Annahme einer zum „Dauerrot“ führenden Funktionsstörung der Lichtzeichenanlage als Fehlvorstellung im tatsächlichen Bereich darstellt, die als vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum zu qualifizieren ist (OLG Hamm a.a.O.; AG Dortmund, Beschluss vom 17.01.2017 – 729 OWi 9/17 = VRS 131, 154).

Von einer solchen Fehlvorstellung ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts auch die Betroffene ausgegangen, zumal diese aufgrund der langen, zumindest fünfminütigen rotlichtbedingten Wartezeit vermutet hatte, dass die Lichtzeichenanlage defekt sei. Soweit sich das Amtsgericht an der Anwendung der o.g. Rechtsprechung gehindert gesehen hat, weil es angesichts der für die Betroffene gegebenen Möglichkeit zum Absteigen und zur Benutzung der in der Nähe befindlichen, mit einem Anfrageknopf ausgestatteten Fußgängerbedarfsampel an der Vergleichbarkeit fehle, verkennt es, dass die Betroffene nicht als Fußgängerin, sondern als Radfahrerin am Verkehr teilgenommen hat. Für Radfahrer gelten gesonderte Bestimmungen; insbesondere gelten für sie die Lichtzeichen für den Fahrverkehr, solange sie sich nicht auf Radverkehrsführungen bewegen, die mit besonderen Lichtzeichen für den Radverkehr ausgestattet sind (§ 37 Abs. 2 Nr. 6 StVO). Da eine solche Radverkehrsführung hier nicht vorhanden war, war für die Betroffene allein das – nach ihrer Vorstellung defektbedingt „dauerrote“ – Lichtzeichen der Anlage für den Fahrverkehr maßgeblich. Radfahrende sind auch nicht etwa als „qualifizierte Fußgänger“ anzusehen, denen unabhängig von etwaigen straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen nach Belieben angesonnen werden könnte oder müsste, vom Fahrrad abzusteigen und fortan als Fußgänger am Verkehr teilzunehmen.

Zwar oblagen der Betroffenen beim Einfahren in den Kreuzungsbereich ungeachtet ihrer Fehlvorstellung erhöhte Sorgfaltsanforderungen, zumal sie damit rechnen musste, dass die Lichtzeichenanlage für den Querverkehr – ggf. sogar dauerhaft – grünes Licht zeigt (vgl. OLG Köln a.a.O.: „extremer Misstrauensgrundsatz“). Dass die Betroffene diese Anforderungen missachtet und damit gegebenenfalls gegen das allgemeine Gefährdungs- und Behinderungsverbot des § 1 Abs. 2 StVO verstoßen haben könnte, belegen die amtsgerichtlichen Feststellungen allerdings nicht, zumal es dort heißt, dass es nicht zu einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen sei.

b) Für eine Verurteilung wegen eines – gleich ob vorsätzlich oder fahrlässig begangenen – Rotlichtverstoßes konnte zudem nicht offenbleiben, ob die Kontaktschleife, mit der die Bedarfslichtzeichenanlage ausgestattet ist, durch Radfahrende überhaupt ausgelöst werden konnte.

aa) Das Amtsgericht hat hierzu keine abschließenden Feststellungen getroffen. Soweit es in den Gründen des angefochtenen Urteils heißt, dass die Lichtzeichenanlage keinen „Defekt“ aufgewiesen habe, ist damit ersichtlich nur gemeint, dass die Anlage im Tatzeitpunkt plangemäß funktionierte; dies lässt die Möglichkeit offen, dass die Anlage technisch von vornherein so ausgelegt war, dass die Kontaktschleife nur von Kraftfahrzeugen, nicht aber von Radfahrenden ausgelöst werden konnte. Andererseits ist auch nicht positiv festgestellt, dass es sich in diesem zuletzt genannten Sinne verhielt. Insoweit heißt es in den Urteilsausführungen zur Beweiswürdigung lediglich, der als Zeuge vernommene Polizeibeamte B. habe „vermutet“, dass die Betroffene die Kontaktschleife als Radfahrerin nicht habe auslösen können.

bb) Diese Frage konnte indessen nicht offenbleiben. Sollte die Beweisaufnahme ergeben, dass die Kontaktschleife zum Tatzeitpunkt plangemäß oder versehentlich so ausgelegt war, dass die Bedarfsanforderung durch Radfahrende nicht ausgelöst werden konnte, so wäre die Halteanordnung in Gestalt des Rotlichtsignals der Lichtzeichenanlage nämlich jedenfalls für Radfahrer – und damit auch für die Betroffene – als (teil-)nichtig i.S.d. § 44 Abs. 1 HmbVwVfG anzusehen:

Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, geht die Rechtsprechung zutreffend davon aus, dass ein Rotlichtsignal, das sich aufgrund einer Funktionsstörung der Lichtzeichenanlage als „Dauerrot“ darstellt, keine Wirkung entfaltet, weil der zugrundeliegende Verwaltungsakt i.S.d. § 44 VwVfG nichtig ist; infolgedessen darf der betroffene Verkehrsteilnehmer trotz Rotlichts – wenngleich unter Wahrung höchster Sorgfaltsanforderungen – in den Kreuzungsbereich einfahren (vgl. die obigen Nachweise unter Ziff. 2a). Entsprechendes hat allerdings auch dann zu gelten, wenn eine Lichtzeichenanlage mit einer die Bedarfsschaltung auslösenden Kontaktschleife ausgestattet ist, die jedoch von bestimmten Verkehrsteilnehmern, für die die Lichtzeichenanlage Geltung beansprucht, aus technischen Gründen nicht ausgelöst werden kann (ebenso MüKoStVR-Kettler, 1. Aufl., Rn. 14 zu § 37 StVO). Auch hier erweist sich die Halteanordnung – jedenfalls im Hinblick auf diejenigen Verkehrsteilnehmer, denen es technisch nicht möglich ist, die Bedarfsanfrage auszulösen – als (teil-)nichtig i.S.d. § 44 HmbVwVfG. In diesem Falle weist die Halteanordnung nämlich einen schwerwiegenden Fehler im Sinne dieser Vorschrift auf. Sie käme für Radfahrer faktisch einem vollständigen Durchfahrtsverbot nahe, zumal eine Verkehrsfreigabe in Gestalt des Grünlichts (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 StVO) nur dann erteilt würde, wenn sich zufällig gleichzeitig mit dem Radfahrenden ein die Anfrage auslösendes Kraftfahrzeug im Bereich der Kontaktschleife befindet. Ein solches „Regelungsprogramm“ ist mit § 37 Abs. 2 StVO unvereinbar, denn diese Vorschrift erlaubt allein die Aufstellung von Wechsel(!)lichtzeichenanlagen mit dem Zweck der Regelung des – naturgemäß wechselnden – Vorrangs der Verkehrsteilnehmer. Damit ist es unvereinbar, wenn eine Wechsellichtzeichenanlage für bestimmte Verkehrsteilnehmer „Dauerrot“ zeigt bzw. die Einräumung des Vorrangs davon abhängig macht, dass sich zufällig ein anderer, die Bedarfsanfrage auslösender Verkehrsteilnehmer der Lichtzeichenanlage in gleicher Fahrtrichtung nähert. Dieser Fehler ist auch offensichtlich i.S.d. § 44 Abs. 1 HmbVwVfG, denn die Unsinnigkeit einer vermeintlichen Vorrangregelung, die sich für bestimmte Gruppen von Verkehrsteilnehmer faktisch nahezu als Durchfahrtverbot darstellt, drängt sich ohne Weiteres auf. Auf die Erkennbarkeit dieses Fehlers für den Verkehrsteilnehmer in der konkreten Verkehrssituation kommt es für die Frage der Offensichtlichkeit i.S.d. § 44 Abs. 1 HmbVwVfG nicht an, da insoweit an das Urteil eines fiktiven verständigen Dritten anzuknüpfen ist, dem die Kenntnis aller in Betracht kommenden Umstände zu unterstellen ist (BVerwG, Beschluss vom 19.10.2015 – 5 P 11/14 = NZA-RR 2016, 166, juris Rn. 23).

3. Vor diesem Hintergrund war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 3, 6 OWiG i.V.m. §§ 353, 354 Abs. 2 StPO).

Um dem Amtsgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, waren zudem die tatsächlichen Feststellungen aufzuheben (§ 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 353 Abs. 2 StPO). Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine zumindest als möglich erscheinende Verurteilung wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes. Ein solcher kommt in Betracht, wenn die Beweisaufnahme ergeben sollte, dass die Kontaktschleife im Tatzeitpunkt auch durch Radfahrende ausgelöst werden konnte. Voraussetzung hierfür wäre allerdings, dass die – dann irrtümliche – Annahme der Betroffenen, die Lichtzeichenanlage zeige defektbedingt „Dauerrot“, ihrerseits auf Fahrlässigkeit beruhte (vgl. § 16 Abs. 1 S. 2 StGB). Ob dies der Fall war, wird aufgrund der Umstände des Einzelfalles festzustellen sein, wobei der tatsächlichen Wartezeit vor der Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage ein erhebliches Gewicht zukommen wird (vgl. MüKoStVR-Kettler, a.a.O., Rn. 14 a.E.; offenkundig übersehen in AG Dortmund VRS 131, 154). Soweit das Amtsgericht – aus seiner Sicht folgerichtig – offengelassen hat, wie lange die Betroffene vor der Rotlicht zeigenden Ampel gewartet hat bzw. zu ihren Gunsten unterstellt hat, dass sich dieser Zeitraum auf „zumindest fünf Minuten“ belief, ist es an diese Feststellungen nicht gebunden. Es erscheint dabei zumindest nicht ausgeschlossen, dass sich sowohl zur genauen Tatzeit („gegen 20:15 Uhr“) als auch zur tatsächlichen Dauer der Rotlichtphasen in dem in Betracht zu ziehenden Tatzeitraum nähere Feststellungen treffen lassen.

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