KG – Az.: 3 Ws (B) 140/21 – Beschluss vom 03.06.2021
In der Bußgeldsache wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 3. Juni 2021 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 23. März 2021 wird mit der Maßgabe verworfen, dass das Fahrverbot entfällt.
Die Landeskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht T. hat die Betroffene durch Urteil vom 23. März 2021 wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 200,- Euro verurteilt, ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet und eine Wirksamkeitsregelung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen.
Nach den getroffenen Feststellungen befuhr die Betroffene am 12. August 2020 mit einem von ihr geführten Pkw in B. die M. Straße in Richtung B. Straße. An der Kreuzung M. Straße/G. Straße bog sie nach links in die G. Straße ab und hielt zunächst vor der für sie geltenden Haltelinie bei Rot abstrahlender Lichtzeichenanlage (LZA) an. Nachdem sie die Fußgängerfurt querende Fußgänger durchgelassen hatte und die LZA für die Fußgänger wieder rot abstrahlte, überfuhr sie die Haltelinie. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die getroffenen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Betroffene mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Rechtsbeschwerde, mit der sie die die Anordnung des Fahrverbots betreffende Beweiswürdigung angreift und vorträgt, nach den getroffenen Feststellungen sei der Rotlichtverstoß nicht geeignet gewesen, Fußgänger konkret oder abstrakt zu gefährden.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde mit der Maßgabe zu verwerfen, dass das Fahrverbot entfällt.
II.
1. Zwar hat die Betroffene ihre Rechtsbeschwerde nicht ausdrücklich beschränkt. Der Senat hat ihr Vorbringen aber in seiner Gesamtheit nach Maßgabe von §§ 46 Abs. 1 OWiG, 300 StPO als isolierten Angriff auf die Anordnung eines Fahrverbots ausgelegt. Diese Rechtsmittelbeschränkung ist unwirksam. Denn Geldbuße und Fahrverbot stehen, wie sich aus § 4 Abs. 4 BKatV ergibt (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 30. Oktober 2001 – Ss (OWi) 502/01 -, juris), regelmäßig in einer Wechselwirkung zueinander, so dass eine Nachprüfung der einen Rechtsfolge nur unter Rückgriff auf die andere möglich ist (OLG Düsseldorf NJW 1993, 2063 f.; VRS 86, 353; 85, 379; 84, 46; OLG Karlsruhe ZfS 1992, 33; OLG Köln VRS 96, 289, 291; Hadamitzky in KK- OWiG 5. Aufl., § 79 Rdn. 144). Eine Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf die Nebenfolge, namentlich eines Fahrverbots, ist aus diesem Grunde unwirksam. In der Folge unterliegt deswegen der gesamte Rechtsfolgenausspruch der Nachprüfung (vgl. BGHSt 24, 11; OLG Dresden a.a.O.; OLG Köln NZV 2001, 391; Hadamitzky a.a.O.).
2. Die aus den dargelegten Gründen als unbeschränkt eingelegt zu behandelnde Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO). Weder der Schuldspruch noch die Höhe der Geldbuße, die der Regelbuße nach Nr. 132.2 der Anlage zu § 1 Abs. 1 der BKatV entspricht, lassen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen erkennen.
3. Demgegenüber erweisen sich Urteilsgründe hinsichtlich des nach §§ 25 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2a StVG, 4 Abs. 1 BKatV in Verbindung mit Nr. 132.3 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV angeordneten Fahrverbots als lückenhaft.
a) Die Bemessung der Rechtsfolgen liegt grundsätzlich im Ermessen des Tatrichters, so dass sich die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht darauf beschränkt, ob dieser von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat (vgl. Senat DAR 2021, 99; VRS 137, 91; Beschluss vom 12. März 2019 – 3 Ws (B) 53/19 -, juris m.w.N.). Liegen – wie hier – die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV vor, unter denen ein Fahrverbot als regelmäßige Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme angeordnet werden soll, ist grundsätzlich von einer groben Pflichtverletzung des betroffenen Kraftfahrers im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG auszugehen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 1991 – 4 StR 366/91 -, juris m.w.N.). Der Tatrichter ist in diesen Fällen – nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung – gehalten, die Maßnahme anzuordnen. Gleichwohl obliegt es ihm, im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht zu bestimmen, ob das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in solchem Maße abweicht, dass das Fahrverbot unangemessen wäre, mithin eine unverhältnismäßige Reaktion auf objektiv verwirklichtes Unrecht und subjektiv vorwerfbares Verhalten darstellte (vgl. BVerfG NStZ 1996, 391; BGHSt 23, 257; Senat NZV 2017, 340; DAR 2020, 394; VRS a.a.O.; Beschluss vom 7. Dezember 2017 – 3 Ws (B) 341/17 -).
Die Urteilsgründe genügen nicht den dargelegten Anforderungen. Zwar hat das Amtsgericht ein – augenscheinlich der in den Urteilsgründen mitgeteilten besonderen Verkehrsführung geschuldetes – „Augenblicksversagen“ der Betroffenen in Betracht gezogen und dieses vertretbar mit der Begründung abgelehnt, die Betroffene habe das Lichtzeichen „schlicht durch Nachlässigkeit nicht beachtet“. Zudem hat es mit rechtlich vertretbarer Argumentation die von der Betroffenen behaupteten situationsbedingten Irritationen als widerlegt angesehen. Die diesbezüglichen Angriffe der Betroffenen dagegen beschränken sich auf eine eigene Würdigung der festgestellten Tatsachen, ohne Würdigungsfehler im angefochtenen Urteil aufzuzeigen. Damit kann sie im Verfahren der Rechtsbeschwerde nicht gehört werden.
Allerdings hat das Amtsgericht bei der Würdigung der Gesamtumstände unberücksichtigt gelassen, dass (auch) ein in der konkreten Situation objektiv wenig gefährliches Verhalten Anlass geben kann, das Regelfahrverbot auf seine Erforderlichkeit zu prüfen. Dies gilt umso mehr, wenn jede konkrete Gefährdung ausgeschlossen ist (vgl. Senat, DAR 2020, 394; OLG Bamberg NZV 2009, 616; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2001, 278). So liegt der Fall hier, denn nach den getroffenen Feststellungen befuhr die Betroffene, nachdem sie zuvor angehalten hatte, die Fußgängerfurt erst, nachdem sie alle Fußgänger hatte passieren lassen und deren LZA wieder auf Rot umgesprungen war. Dies und der Umstand, dass die Fahrgeschwindigkeit der Betroffenen zwangsläufig nur sehr gering gewesen sein kann, hätten in die Abwägung, ob ein Fahrverbot als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme erforderlich ist, einfließen müssen. Dies hat das Amtsgericht rechtsfehlerhaft unterlassen.
b) Da in dem angefochtenen Urteil alle erörterungsrelevanten Tatsachen mitgeteilt worden sind, hat der Senat von seiner durch § 79 Abs. 6 OWiG eröffneten Befugnis zu einer eigenen Sachentscheidung Gebrauch gemacht und das Fahrverbot aus den vorstehend genannten Erörterungen entfallen lassen.
Unter Berücksichtigung von § 4 Abs. 4 BKatV hat der Senat von einer Erhöhung der Geldbuße abgesehen, da der vorliegende Fall – wie dargelegt – in mehrfacher Hinsicht Besonderheiten aufweist, die sowohl das Handlungs- als auch das Erfolgsunrecht verringern.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 3 StPO. Zwar ist die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf die Anordnung eines Fahrverbots unzulässig und die als unbeschränkt eingelegt zu behandelnde Rechtsbeschwerde nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang erfolgreich. Allerdings ist § 473 Abs. 3 StPO auch dann anzuwenden, wenn eine Beschränkung des Rechtsmittels verfahrensrechtlich nicht möglich ist, der Rechtsmittelführer aber – wie hier – von vornherein erklärt, dass er nur das beschränkte Ziel verfolgt und dieses im Ergebnis auch erreicht (vgl. BGHSt 19, 226; KG, Beschluss vom 8. Juni 1998 – 1 AR 522/98 -; juris; OLG Celle, Beschluss vom 5. Februar 2020 – 2 Ws 35/20 -, juris m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Aufl., § 473 Rdn. 22 m.w.N.; Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 473 Rdn. 36 m.w.N.).