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Rechtsbeschwerdeverfahren – Urteilsaufhebung ohne Urteilsgründe

Oberlandesgericht Brandenburg  – Az.: 1 OLG 53 Ss-OWi 228/21 – Beschluss vom 09.06.2021

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Neuruppin vom 26. März 2021 insgesamt aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Neuruppin zurückverwiesen.

Gründe

I.

Die Zentrale Bußgeldstelle des Zentraldienstes der Polizei des Landes Brandenburg hat mit Bußgeldbescheid vom 13. Juni 2019 gegen den Betroffenen wegen dreifachen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften – nach Toleranzabzug – 1. um 65 km/h, 2. um nochmals 65 km/h und 3. um 28 km/h ein Bußgeld in Höhe von 700,00 € festgesetzt und ein Fahrverbot für die Dauer von 2 Monaten unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2a StVG angeordnet. Dem Betroffenen wird in dem Bußgeldbescheid vom 13. Juni 2019 vorgeworfen, am …i 2019 gegen 08:20 Uhr die BAB … in Fahrtrichtung … zwischen der Rast- und Tankanlage (RTK) … und der Anschlussstelle (AS) … mit einer Geschwindigkeit – nach Toleranzabzug – 1. von 165 km/h, 2. vom 145 km/h sowie 3. von 88 km/h befahren, mithin die dort zulässigen Höchstgeschwindigkeiten 1. von 100 km/h, 2. von 80 km/h sowie 3. von 60 km/h überschritten zu haben.

Gegen diesen Bußgeldbescheid hat der Betroffene form- und fristgerecht Einspruch eingelegt.

Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 26. März 2021 den Bußgeldbescheid im Wesentlichen bestätigt und gegen den Betroffenen wegen dreier, tateinheitlich und fahrlässig begangener Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 65 km/h, um 64 km/h, sowie um 28 km/h eine Geldbuße von 400,00 € festgesetzt, sowie ein Fahrverbot von zwei Monaten Dauer unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2a StVG angeordnet; der Urteilstenor ist im Hauptverhandlungsprotokoll vom 26. März 2021 aufgenommen.

Bereits am Tag nach der Hauptverhandlung ordnete die Bußgeldrichterin die förmliche Zustellung des nicht mit Gründen versehen Urteils gemäß § 41 StPO an die Staatsanwaltschaft Neuruppin an, die noch am selben Tag ausgeführt worden ist. Das abgekürzte Urteil ist der Staatsanwaltschaft Neuruppin am 31. März 2021 zugestellt worden. Mit Verfügung vom 01. April 2021 hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichtet.

Der Betroffene hat jedoch zuvor mit Anwaltsschriftsatz vom 30. März 2021, eingegangen bei Gericht am 31. März 2021, Rechtsbeschwerde gegen das Urteil vom 26. März 2021 eingelegt.

Hieraufhin hat die Bußgeldrichterin das bereits am 31. März 2021 der Staatsanwaltschaft förmlich zugestellte Urteil nachträglich mit Gründen versehen; es ist am 20. April 2021 bei der Geschäftsstelle der Abteilungsrichterin eingegangen. Neben dem der Staatsanwaltschaft Neuruppin zugestellten (abgekürzten) Urteil befindet sich in der Akte dieses weitere mit Gründen versehenes und von der Bußgeldrichterin unterschriebene Urteil (Bl. 272 ff. d. A.). Die Bußgeldrichterin verfügte die förmliche Zustellung dieses mit Gründen versehenen Urteils an den Verteidiger des Betroffenen, wo es am 23. April 2021 eingegangen ist. Mit dem bei Gericht am 28. April 2021 eingegangenen Anwaltsschriftsatz vom selben Tage hat der Betroffene sein Rechtsmittel mit der allgemeinen Sachrüge begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 18. Mai 2021 ebenfalls die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Neuruppin beantragt, dabei insbesondere beanstandet, dass das förmlich zugestellte erste Urteil nicht mit Gründen versehen war und damit der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht zugänglich ist.

II.

Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthaft und entsprechend den §§ 79 Abs. 3 OWiG, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und hat in der Sache vorläufigen Erfolg. Da das der Staatsanwaltschaft Neuruppin am 31. März 2021 gemäß § 41 StPO förmlich zugestellte und für die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht allein maßgebliche Urteil entgegen § 71 Abs. 1 OWiG, § 267 Abs. 1 StPO keine Gründe enthält, ist dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung dieser Entscheidung nicht möglich. Daher unterliegt dieses Urteil der Aufhebung. Denn auch ein Urteil ohne Urteilsgründe entfaltet Rechtswirksamkeit (vgl. BGH NJW 2004, 3643) und kann folglich mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden.

Gründe, die es dem Tatgericht ermöglicht hätten, von der Begründung eines Urteils abzusehen, liegen nicht vor; insbesondere ist ein Fall des § 77b Abs. 1 OWiG nicht gegeben. Von einer schriftlichen Begründung des Urteils kann nach dieser Vorschrift nur abgesehen werden, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf die Einlegung des Rechtsmittels verzichten oder innerhalb der Frist die Rechtsbeschwerde nicht eingelegt wird oder wenn die Verzichtserklärungen entbehrlich sind und die Staatsanwaltschaft nicht vor der Hauptverhandlung eine Begründung des Urteils beantragt hat. Die Verzichtserklärung der Staatsanwaltschaft ist jedoch dann entbehrlich, wenn sie an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat. Die Verzichtserklärung des Betroffenen ist hingegen nur entbehrlich, wenn er von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden ist, im Falle einer Hauptverhandlung von einem Verteidiger vertreten wurde und im Urteil lediglich eine Geldbuße von nicht mehr als 250,00 € festgesetzt worden ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Zwar war die Verzichtserklärung der Staatsanwaltschaft entbehrlich, da diese an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hatte und eine schriftliche Begründung des Urteils vor der Hauptverhandlung nur für den Fall beantragt war, dass auf Freispruch erkannt oder kein Fahrverbot angeordnet worden wäre; nicht entbehrlich war aber die Verzichtserklärung des Betroffenen, da die Voraussetzungen nicht vorliegen, insbesondere im Urteil auf eine Geldbuße von mehr als 250,00 Euro erkannt worden war (vgl. § 77b Abs. 1 Satz 3 OWiG).

Auch war die nach § 341 Abs. 1 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 OWiG mit der Urteilsverkündung beginnende Frist zur Rechtsbeschwerdeeinlegung zum Zeitpunkt der Zustellung noch nicht abgelaufen. Mithin waren die Voraussetzungen für das Absehen von Urteilsgründen nach § 77b Abs. 1 OWiG nicht gegeben. Das Amtsgericht hätte sein Urteil folglich vor Zustellung an die Staatsanwaltschaft Neuruppin begründen und das mit Gründen versehene Urteil zustellen müssen. Zur Information der Staatsanwaltschaft über den Verfahrensausgang hätte es einer einfachen Übersendung der Akte zur Kenntnisnahme vom Hauptverhandlungsprotokoll bedurft. Damit unterliegt nur die ursprüngliche Urteilsfassung der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Weil diese aber keine Gründe enthält, kann nicht nachgeprüft werden, ob das Urteil sachlich-rechtliche Fehler aufweist. Es kann daher auch nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf einem möglichen Rechtsverstoß beruht (§ 337 StPO i. V. m. §79 Abs. 3 OWiG).

Da eine entsprechende Anwendung von § 77b Abs. 2 OWiG nicht in Betracht kommt, durfte das abgekürzte Urteil nach Verlassen des inneren Dienstbereiches auch nicht mehr abgeändert werden (Senatsbeschluss vom 17. November 2011, 1 B Ss-OWi 244/11, abgedruckt in: VRS 122, 151-153 mit Anmerkung von Krenberger, jurisPR-VerkR 12/2012; vgl. auch OLG Hamm VRS 105, 363; OLG Bamberg ZfSch 2007, 55).

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Oranienburg zurückzuverweisen (vgl. Senat a.a.O.).

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