KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 140/18 – 122 Ss 64/18 – Beschluss vom 11.05.2018
Gründe
Der Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 8. Februar 2018 wird verworfen.
Die Betroffene hat die Kosten ihrer nach § 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG als zurückgenommen geltenden Rechtsbeschwerde zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG).
Der Senat merkt Folgendes an:
Mit Blick auf die Höhe der Geldbuße bedarf die Rechtsbeschwerde vorliegend der Zulassung, die nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zur Wahrung des rechtlichen Gehörs erfolgen kann. Keiner dieser Zulassungsgründe liegt vor.
1. Mit den erhobenen Verfahrensrügen dringt die Betroffene nicht durch.
a) Soweit die Betroffene eine Verletzung der Aufklärungspflicht rügt, ist die Verfahrensrüge nicht in der durch § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG gebotenen Vollständigkeit ausgeführt und daher bereits unzulässig. Nach den genannten Vorschriften sind – wie bei jeder Verfahrensrüge – die den Mangel begründenden Tatsachen so vollständig, klar und umfassend vorzutragen, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein anhand dieser Ausführungen – unterstellt sie treffen zu – prüfen kann, ob der behauptete Verfahrensfehler vorliegt. In zulässiger Form ist die Aufklärungsrüge danach nur erhoben, wenn die Tatsache, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, und das Beweismittel, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen sollen, bezeichnet werden (vgl. BGH NStZ 2003, 498). Daran fehlt es hier, da konkrete Beweistatsachen und Beweismittel in der Rechtsmittelschrift insoweit nicht benannt werden.
b) Die Beanstandung, das Urteil enthalte nicht alles, was Gegenstand der Hauptverhandlung war, erfüllt die Anforderungen an eine Inbegriffsrüge (§ 71 Abs. 1 OWiG, § 261 StPO) schon deshalb nicht, weil der behauptete Rechtsfehler nicht mit den Mitteln des Rechtsbeschwerderechts bewiesen werden kann. Die Feststellung des Beweisergebnisses durch den Tatrichter ist für das Rechtsbeschwerdegericht bindend und eine Rekonstruktion der Beweisaufnahme unzulässig (vgl. BGH, NJW 1979, 2318; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 60. Aufl., § 337 Rn. 13 m.w.N.).
2. Die auf die erhobene Sachrüge gebotene umfassende Nachprüfung des Urteils deckt keinen Rechtsfehler auf, der nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG die Zulassung der Rechtsbeschwerde geböte.
a) Der vorliegende Einzelfall gibt zur Fortbildung des Rechts keine Veranlassung, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Klärungsbedürftige Rechtsfragen sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Unter welchen Voraussetzungen sich ein Verkehrsteilnehmer auf den Rechtfertigungsgrund des Notstands nach § 16 OWiG berufen kann, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung bereits hinreichend geklärt und bedarf daher keiner (erneuten) Entscheidung durch den Senat. Es ist anerkannt, dass die Verletzung von Verkehrsvorschriften, z.B. die Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit, durch Notstand gerechtfertigt sein kann, wenn nur so die erforderliche schnelle Hilfe für einen Schwerkranken geleistet werden kann (vgl. BayObLG NJW 00, 888). Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn ein Arzt in eine Belegklinik zu einem Patienten gerufen wird, bei dem die Notwendigkeit einer unverzüglichen Notoperation als möglich erscheint, wobei es bei der Prüfung der Frage, ob bei Abwägung der widerstreitenden Interessen die Einhaltung von Verkehrsvorschriften wie der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit gegenüber der dringenden Behandlungsbedürftigkeit eines akut erkrankten Patienten zurückzustehen hat, auf die Umstände des Einzelfalls ankommt (vgl. BayObLGSt 1990, 105). Auch in einem solchen Fall ist eine Geschwindigkeitsüberschreitung unzulässig, wenn auf dieser Fahrt andere Verkehrsteilnehmer gefährdet werden oder wenn die Fahrweise des Arztes eine solche Gefährdung auch nur befürchten lässt. Es kommt deshalb entscheidend auch darauf an, welche Gefahren mit der Einhaltung der unzulässig hohen Geschwindigkeit im konkreten Fall verbunden waren, ferner darauf, wie die allgemeine Verkehrslage und Verkehrsdichte zur Tatzeit waren. Auch ist im Hinblick auf die den übrigen Verkehrsteilnehmern drohenden Gefahren der Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit der Vorrang jedenfalls dann einzuräumen, wenn der durch die Geschwindigkeitsüberschreitung erreichte Zeitgewinn gering ist und zur Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer außer Verhältnis steht (vgl. BayObLGSt 1990, 105).
Die Nachprüfung des Urteils bliebe hier dem Einzelfall verhaftet und böte keine Veranlassung zu einer Klarstellung von darüberhinausgehender Bedeutung. Rechtsfehler im Einzelfall rechtfertigen die Zulassung der Rechtsbeschwerde jedoch selbst dann nicht, wenn sie eindeutig und offensichtlich sind (vgl. BGHSt 24, 15 m.w.N.; Senat, Beschlüsse vom 22. März 2018 – 3 Ws (B) 93/18 – und 3 Ws (B) 597/14 – m.w.N.).
b) Auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gebietet die Zulassung der Rechtsbeschwerde vorliegend nicht. Selbst wenn dem Amtsgericht hier im Zusammenhang mit dem etwaigen Vorliegen der Voraussetzungen des § 16 OWiG ein Fehler unterlaufen sein sollte – was hier dahingestellt bleiben kann -, würde es sich lediglich um einen solchen im Einzelfall handeln, der die Einheitlichkeit der Rechtsprechung für sich betrachtet noch nicht gefährdet (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 80 Rn. 5). Zur Vermeidung etwaiger Wiederholungen wird das Amtsgericht durch den hiesigen Beschluss auf die unter 2. a) dargestellte obergerichtliche Rechtsprechung hingewiesen.
3. Einer weiteren Begründung bedarf der Beschluss nicht (§ 80 Abs. 4 Satz 3 OWiG).