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Qualifizierter Rotlichtverstoß – Abstreiten der Tatbegehung

AG Bielefeld – Az.: 191 OWi – 402 Js 2490/20 – 416/20 – Urteil vom 06.07.2021

In dem Bußgeldverfahren gegen A. B. wegen Verkehrsordnungswidrigkeit wird gegen den Betroffenen wegen Missachtung des Rotlichts der Lichtzeichenanlage, wobei die Rotphase bereits länger als 1 Sekunde andauert, eine Geldbuße von 200 EUR festgesetzt.

Dem Betroffenen wird verboten, für die Dauer eines Monats im öffentlichen Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen.

Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch nach vier Monaten nach Eintritt der Rechtskraft.

Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens und seine eigenen notwendigen Auslagen.

TB-Nr. 137618

Gründe

I.

Der Betroffene wurde am 18.02.2000 in Herford geboren. Er ist deutscher Staatsangehöriger, ledig und hat keine Kinder. Er befindet sich nach eigenen Angaben in der Ausbildung zum Berufskraftfahrer und bezieht eine Vergütung von etwa 600 Euro monatlich.

Im Fahreignungsregister sind zwei Eintragungen für den Betroffene vorhanden:

1. Mit Entscheidung vom 15.10.2019, rechtskräftig seit 05.11.2019, wurde gegen den Betroffenen wegen am 17.07.2019 begangener Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße von 140 Euro festgesetzt.

2. Mit Entscheidung vom 29.04.2021, rechtskräftig seit 21.05.2021, wurde gegen den Betroffenen wegen am 25.03.2021 begangener Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße von 80 Euro festgesetzt.

II.

Der Betroffene befuhr am 27.10.2019 gegen 02:57 Uhr mit einem Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX 00 die Kreuzung Engersche/ Talbrückenstraße in Fahrtrichtung Innenstadt in Bielefeld. An der Kreuzung zeigte die für die Fahrtrichtung des Betroffenen installierte Wechsellichtzeichenanlage Rotlicht. Trotz der Rot zeigenden Wechsellichtzeichenanlage fuhr der Betroffene in den Kreuzungsbereich ein, wobei die Anlage bei Passieren der Haltelinie bereits seit mehr als einer Sekunde, nämlich seit 1,52 Sekunden, Rotlicht anzeigte. An der dort installierten Rotlichtüberwachungsanlage Typ TRAFFIPAX TraffiPhot THP III passierte er die erste Induktionsschleife, die sich 300 cm hinter der Haltelinie befindet, nach 2,02 Sekunden und die zweite Induktionsschleife, die sich in 1787 cm Abstand zur ersten Induktionsschleife befindet, nach 3,42 Sekunden.

Die eichfähige Rotlichtüberwachungsanlage war zur Tatzeit ausweislich des Eichscheins vom 12.04.2018 (Nr. D-18-01497, Bl. 4-5 d.A.) gültig geeicht.

Bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte der Betroffene das für ihn geltende Wechsellichtzeichen erkennen und dementsprechend sein Fahrverhalten darauf einstellen können und müssen.

III.

Diese Feststellungen hat das Gericht nach dem Ergebnis der in der Hauptverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme getroffen, deren Umfang und Förmlichkeiten sich aus dem Sitzungsprotokoll ergeben.

Die persönlichen Verhältnisse wurden, wie angegeben, festgestellt.

In der Sache hat der Betroffene die Fahrereigenschaft abgestritten und im Übrigen von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Der in einem früheren Termin als Fahrer benannte Bruder des Betroffenen hat von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.

Dennoch ist das Gericht nach der Beweisaufnahme von der Fahrereigenschaft des Betroffenen überzeugt: Zur Frage, ob es sich bei dem auf den Lichtbildern, welche in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Messfotos (Bl. 1, 2 d.A.) und auf welche ausdrücklich gemäß § 267 Abs.1 S. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs.1 OWiG Bezug genommen wird, abgebildeten Person um den Betroffenen handelt, erstattete Dr. H. ein Gutachten.

Hier führte er im Wesentlichen aus, dass das Lichtbild eher schlechter Qualität und dass ein Teil des Gesichts auf dem Lichtbild verdeckt sei. Jedoch konnte er 18 Merkmalsausprägungen herausarbeiten, welche teilweise individualtypisch seien und die nicht im Widerspruch zum Aussehen des Betroffenen stünden. Vielmehr seien insbesondere die Gesichts- und Wangenform sowie das gerundete Kinn individualtypisch und sowohl bei dem Fahrer auf dem Messfoto als auch bei dem Betroffenen vorhanden. Auch die hohe Stirn und die ansteigende linke Augenbraue seien bei beiden gegeben.

Hingegen führte der Sachverständige aus, zu dem Zeugen bestünde zwar eine Ähnlichkeit, jedoch habe dieser -insbesondere in der Mundregion- ein viel schmaleres Gesicht als die auf dem Messfoto abgebildete Person. Auch verfüge der Zeuge über eine Spitze im Haaransatz, welche bei der Person auf dem Messfoto nicht gegeben sei. Der Zeuge sei nicht die auf dem Messfoto abgebildete Person.

Bei dem Betroffenen hingegen sei eine Identität wahrscheinlich.

Der Sachverständige Dr. H. ist dem Gericht seit Jahren als besonders erfahrener, zuverlässiger und kompetenter Sachverständiger für Lichtbildvergleichsgutachten bekannt. An seiner Expertise bestehen keine Zweifel. Das Gericht hat daher keine Bedenken, sich die Ausführungen des Sachverständigen nach kritischer eigener Prüfung zu eigen zu machen.

Qualifizierter Rotlichtverstoß – Abstreiten der Tatbegehung
(Symbolfoto: Vacclav/Shutterstock.com)

Da aufgrund der Qualität des Messfotos lediglich das Prädikat „wahrscheinlich identisch“ vergeben wurde, müssen noch weitere Umstände hinzukommen, um sicher auf die Fahrereigenschaft des Betroffenen schließen zu können. Solche liegen hier ebenfalls vor: Das Fahrzeug ist auf die Mutter des Betroffenen, welche unter derselben Anschrift lebt, zugelassen, sodass davon auszugehen ist, dass der Betroffene hierauf Zugriff hat. Zudem besteht der hintere, frei wählbare, Teil des Kennzeichens aus den Initialen des Betroffenen („XX“) und dessen Geburtstag („00“).

Zur Überzeugung des Gerichts steht auch fest, dass eine ordnungsgemäße Rotlichtüberwachung vorgenommen worden ist. Das Gerät TRAFFIPAX TraffiPhot TPH III, Zulassungszeichen 18.14/89.18, Gerätenummer 593-030/60188, war zum Tatzeitpunkt ausweislich des Eichscheins vom 12.04.2018 (Bl. 4-5 d.A.) gültig geeicht. Zudem ergibt sich aus dem Messprotokoll (Bl. 3 d.A.), dass die Messung ohne Störungen im Einsatzverlauf erfolgte, wobei vor Beginn und nach Ende der Messung das Messgerät und die sich im Fahrbahnbereich eingefrästen Sensoren hinsichtlich ihres Zustands überprüft wurden. Anhaltspunkte für etwaige Messfehler oder Fehlbedienungen sind dem Gericht nicht bekannt geworden und auch nicht vorgetragen worden.

Der Betroffene hat die Haltlinie an der für ihn Rotlicht zeigenden Wechsellichtzeichenanlage passiert, nachdem diese bereits seit mehr als einer Sekunde, nämlich seit 1,52 Sekunden, Rotlicht anzeigte. Dies ergibt sich daraus, dass er an der dort installierten Rotlichtüberwachungsanlage Typ TRAFFIPAX TraffiPhot THP III die erste Induktionsschleife, die sich 300 cm hinter der Haltelinie befindet, nach 2,02 Sekunden und die zweite Induktionsschleife, die sich in 1787 cm Abstand zur ersten Induktionsschleife befindet, nach 3,42 Sekunden passierte.

Unter Berücksichtigung dieser Passagezeit ergibt sich, dass zum Zeitpunkt des Passierens der Haltelinie die Wechsellichtzeichenanlage bereits seit 1,52 Sekunden Rotlicht anzeigte.

Bei der Messung mit dem genannten Gerät handelt es sich um ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren (vgl. BGHSt 39, 291, NJW 1993, 3081; OLG Jena, DAR 2009, 40ff). Unter diesem Begriff ist ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH NJW 1998, 321). Es wird insoweit auf die Ausführungen des OLG Jena (a.a.O.) verwiesen.

IV.

Der Betroffene war demnach wegen fahrlässiger Missachtung des Rotlichts der Lichtzeichenanlage nach §§ 37 Abs. 2, 49 StVO, 24 StVG zu verurteilen, da er trotz der für seine Fahrtrichtung seit mehr als einer Sekunde Rot zeigenden Wechsellichtzeichenanlage in den Kreuzungsbereich einfuhr. Der Betroffene handelte dabei auch zumindest fahrlässig.

V.

Gegen den Betroffenen war somit eine Geldbuße zu verhängen. Die lfd Nr. 132.3 der Anlage zu § 1 BKatV sieht für einen solchen fahrlässigen Verstoß im Regelfall die Verhängung einer Geldbuße von 200 EUR vor. Der Bußgeldkatalog geht von einem unvorbelasteten Ersttäter und gewöhnlichen Tatumständen aus. Die Bußgeldbehörde hat aufgrund von zum Zeitpunkt des Erlasses des Bußgeldbescheides noch vorliegenden Voreintragungen im Verkehrszentralregister eine Geldbuße von 450 EUR festgesetzt.

Nachdem zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung lediglich eine nicht einschlägige Eintragung im Fahreignungsregister für den Betroffenen festgestellt werden konnte, welche bereits im Tatzeitpunkt eingetragen war, ist eine solche Erhöhung des Regelsatzes nicht mehr angemessen.

Die lfd. Nr. 132.3 der Anlage zu § 1 BKatV sieht zudem bei einer Nichtbefolgung eines Wechsellichtzeichens bei schon länger als 1 Sekunde andauernder Rotphase im Regelfall ein einmonatiges Fahrverbot vor. Dabei indiziert die Erfüllung des Tatbestandes dieser Vorschrift regelmäßig das Vorliegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne von § 25 Abs.1 StVG. Daher bedarf es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsfunktion eines Fahrverbotes, um auf den Betroffenen einzuwirken. Tatsachen, die eine solch grobe Pflichtverletzung ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Die Wechsellichtzeichenanlage an der Einmündung kann nur bei besonderer Unachtsamkeit übersehen werden, so dass eine grobe Pflichtverletzung vorliegt.

Nachweise darüber, dass ein Fahrverbot für den Betroffenen eine besondere Härte darstellen würde, wurden nicht beigebracht. Insbesondere liegt dem Gericht weder der Ausbildungsvertrag noch eine Stellungnahme des Arbeitgebers des Betroffenen zu möglichen Konsequenzen eines Fahrverbots vor.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs.1 OWiG i.V.m. § 465 StPO.

Hinweis:

Dieses Urteil wurde durch Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 05.10.2021 – 3 RBs 211/21 – aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bielefeld zurückverwiesen.

 

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