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Qualifizierter Rotlichtverstoß – Absehen von einem Regelfahrverbot

KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 15/14 – 122 Ss 4/14 – Beschluss vom 03.02.2014

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 26. September 2013 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass das Fahrverbot entfällt. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 2 OWiG, 349 Abs. 2 StPO verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels einschließlich der notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt die Landeskasse Berlin.

Gründe

Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 37 Abs. 2 (genauer: Nr. 1 Satz 7), 49 (zu ergänzen: Abs. 3 Nr. 2) StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 200,00 Euro verurteilt, gemäß § 25 Abs. 1 StVG ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet und nach § 25 Abs. 2 a StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr die Betroffene am 29. September 2012 gegen 10.44 Uhr die Fröbelstraße in 10407 Berlin und bog rechts in die Prenzlauer Allee ab. Auf der Prenzlauer Allee befindet sich dort eine Lichtzeichenanlage mit Haltelinie. Die Betroffene hielt vor der Haltelinie an, ließ Fußgänger bei für diese grünem Wechsellicht passieren und überfuhr dann die Haltelinie und den durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich bei für sie (weiterhin und schon länger als eine Sekunde andauerndem) rotem Wechsellicht. Dabei überquerte die Betroffene den von der Lichtzeichenanlage geschützten Bereich vorsichtig und ohne Gefährdung anderer.

Die Ansicht des Amtsgerichts, angesichts dieser Feststellungen seien Gründe für ein Absehen von dem in Nr. 132.3 BKat für Rotlichtverstöße bei schon länger als eine Sekunde andauernder Rotphase eines Wechsellichtzeichens („qualifizierter Rotlichtverstoß“) vorgesehenen Fahrverbot nicht ersichtlich, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Erfüllung des Tatbestandes von Nr. 132.3 BKat indiziert nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV in der Regel das Vorliegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers. Deswegen kommt die Anordnung eines Fahrverbots in derartigen Fällen in der Regel in Betracht. Das Vorliegen eines Regelbeispiels entbindet den Tatrichter jedoch nicht von der Pflicht, im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls zu prüfen, ob das Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in objektiver oder subjektiver Hinsicht so erheblich abweicht, dass ein „atypischer“ Rotlichtverstoß vorliegt, der die Regelsanktion als unangemessen erscheinen lässt (ständige Rechtsprechung des Senat, u. a. Beschlüsse vom 31. Oktober 2008 -3 Ws (B) 286/08 und 30. Oktober 2013 – 3 Ws (B) 492/13). Die Verhängung eines Fahrverbots im Falle des Vorliegens eines qualifizierten Rotlichtverstoßes hat ihre Ursache darin, dass sich bei länger als einer Sekunde andauernder Rotlichtphase bereits Querverkehr in dem durch das Rotlicht gesperrten Bereich befinden kann (vgl. Senat, Beschlüsse vom 7. Oktober 2002 – 3 Ws (B) 364/02 – und 13. Januar 2010 – 3 Ws (B) 714/09 – m. w. N.) und die Einfahrt in den durch das rote Wechsellichtzeichen geschützten Bereich regelmäßig mit nicht unerheblicher Geschwindigkeit erfolgt. Für diesen Fall sieht Nr. 132.3 BKat daher ein Regelfahrverbot vor.

Sind jedoch Umstände ersichtlich, die einer abstrakten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer entgegenstehen, bedarf es regelmäßig näherer Prüfung, ob das Regelfahrverbot gleichwohl schuldangemessen ist (vgl. Senat VRS 13, 300 ff. m. w. N.). Eine nähere Erörterung drängt sich insbesondere dann auf, wenn – wie hier – ein Betroffener vor der Haltelinie anhält und dann trotz andauerndem Rotlicht seine Fahrt fortsetzt. Denn in einem derartigen Fall liegt es nahe, dass der Fahrzeugführer mit geringer, ein sofortiges Reagieren ermöglichender (Anfahr-)Geschwindigkeit in den geschützten Bereich einfährt. Im Übrigen belegt auch der Umstand, dass durch ein grünes Pfeilschild das Rechtsabbiegen trotz Rotlichts nach Anhalten erlaubt werden kann – eine dem hier zu beurteilenden Verhalten ähnliche Sachlage -, dass ein solches Verhalten in der Regel wesentlich weniger gefahrträchtig ist als andere Rotlichtverstöße (vgl. Senat a. a. O. m. w. N.)

Ein derartiger Fall ist ausweislich der vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen gegeben. Der Tatrichter hat jedoch die sich aus den Feststellungen ergebenden Milderungsgründe gegenüber dem Regelfall bei Festsetzung des Rechtsfolgenausspruchs nicht in dem gebotenen Maße berücksichtigt.

Die Nichtberücksichtigung der vorhandenen Milderungsgründe durch das Amtsgericht erfordert hier jedoch keine Zurückverweisung der Sache. Da nicht zu erwarten ist, dass eine neue Hauptverhandlung weitere für den Rechtsfolgenausspruch bedeutsame Feststellungen erbringt, macht der Senat von der ihm durch § 79 Abs. 6 OWiG eingeräumten Befugnis zu eigener Sachentscheidung Gebrauch und hebt den Ausspruch über das Fahrverbot auf, weil die Voraussetzungen für dessen Verhängung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV nicht vorliegen. Nach den getroffenen Feststellungen hat die Betroffene die Tat nicht unter grober Verletzung ihrer Pflichten als Kraftfahrerin begangen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 4 StPO. Die Betroffene hat zwar formal uneingeschränkt Rechtsbeschwerde eingelegt. Da sich aus den Ausführungen jedoch ergibt, dass lediglich eine Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils dahingehend erstrebt wird, „dass ein Fahrverbot zu Lasten der Betroffenen nicht verhängt wird“, geht der Senat davon aus, dass das Rechtsmittel nicht eingelegt worden wäre, wenn schon das amtsgerichtliche Urteil so gelautet hätte wie das des Senats.

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