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Qualifizierter Rotlichtverstoß – Absehen Fahrverbot

OLG Karlsruhe, Az.: 2 (6) SsBs 558/09 – AK 243/09, Beschluss vom 21.12.2009

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts F. vom 15. September 2009 im Rechtsfolgenausspruch dahin geändert, dass die Anordnung des Fahrverbots entfällt.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Jedoch wird die Gebühr um die Hälfte ermäßigt. Von den durch das Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt die Staatskasse die Hälfte.

Gründe

I.

Qualifizierter Rotlichtverstoß – Absehen Fahrverbot
Symbolfoto: Pixabay

Mit Urteil vom 15.09.2009 hat das Amtsgericht F. die Betroffene wegen fahrlässiger Missachtung des Rotlichts einer Wechsellichtzeichenanlage unter Verursachung eines Verkehrsunfalls zu einer Geldbuße von 125 Euro verurteilt sowie ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet.

Nach den Feststellungen hatte die Betroffene am 14.10.2008 gegen 09.39 Uhr mit ihrem Pkw die Z. in F. in nördlicher Richtung befahren. An der Kreuzung T. ordnete sie sich auf die Linksabbiegerfahrspur ein und hielt ordnungsgemäß vor der dortigen, für sie Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage. Als die Ampel nach einiger Zeit für den Geradeausverkehr auf Grünlicht schaltete, fuhr auch die Betroffene mit ihrem Fahrzeug an, obwohl die für ihre Fahrtrichtung maßgebliche Linksabbiegerampel weiterhin und schon länger als eine Sekunde Rotlicht zeigte. Im Kreuzungsbereich stieß sie mit der vom Zeugen B. geführten Straßenbahn zusammen, die links neben ihr in gerader, d.h. nördlicher Richtung fuhr. Das warnende Klingelzeichen, dass der Zeuge ausgelöst hatte, hatte die Betroffene nicht wahrgenommen.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde, mit der – schlüssig – die Verletzung materiellen und formellen Rechts gerügt wird, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; sie führt zum Wegfall des Fahrverbots.

Eine Verfahrensrüge ist nicht in der gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Form erhoben worden. Soweit sich die Betroffene gegen den Schuldspruch und die festgesetzte Geldbuße wendet, ist die Rechtsbeschwerde unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO, § 46 OWiG).

Die Verhängung des Fahrverbots kann jedoch keinen Bestand haben, da nach den getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG nicht vorliegen.

Von der Anordnung eines Fahrverbots ist abzusehen, wenn ein Verkehrsverstoß nicht auf einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers, sondern lediglich auf einer augenblicklichen Unaufmerksamkeit beruht, die jedem sorgfältigen und pflichtbewussten Verkehrsteilnehmer einmal unterlaufen kann (BGHSt 43, 241; OLG Karlsruhe NZV 2006, 325; NZV 2007, 213).

Nach den äußeren Tatumständen ist hier zwar der Tatbestand der Nr. 132.2.1. der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV durch den Rotlichtverstoß der Betroffenen bei schon länger als einer Sekunde dauernder Rotphase der Ampel und den anschließenden Unfall verwirklicht, was nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 BKatV eine grobe Pflichtverletzung indiziert, die regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (BGH NZV 1992, 117). Ein Regelfall ist aber dann zu verneinen, wenn die gesamten Tatumstände so weit von dem typischen, vom Verordnungsgeber ins Auge gefassten Fall des Verkehrsverstoßes abweichen, dass eine grobe Pflichtverletzung im Ergebnis nicht festgestellt werden kann (OLG Karlsruhe NZV 1996, 206; NJW 2003, 3719). Anknüpfungspunkt für die vom Verordnungsgeber in der Regel gewollte Ahndung eines „qualifizierten“ Rotlichtverstoßes mit einem Fahrverbot ist der Fall eines Verkehrsteilnehmers, der über mehrere Sekunden hinweg unaufmerksam auf eine Rotlicht zeigende Ampel zufährt und den Vertrauensschutz des Querverkehrs und von Fußgängern abstrakt und gegebenenfalls konkret gefährdet (OLG Karlsruhe NZV 1996, 206; NJW 2003, 3719, jeweils m.w.N.). Von einem solchen Sachverhalt unterscheidet sich der vorliegende wesentlich. Die Betroffene hielt ihr Fahrzeug ordnungsgemäß vor der für sie Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage an und fuhr schließlich infolge eines Wahrnehmungsfehlers, nämlich der Verwechslung des für sie geltenden Lichtzeichens, und – wie sich der in den Urteilsgründen dargelegten Aussage des Zeugen B. entnehmen lässt – aufgrund einer auf dem so genannten Mitzieheffekt beruhenden Unachtsamkeit nach links in die Kreuzung ein, ohne die sich links von hinten nähernde Straßenbahn zu bemerken. Eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers ist in diesem Verhalten nicht zu sehen (OLG Karlsruhe NZV 1996, 206; NJW 2003, 3719; OLG Düsseldorf NJW 1993, 2063; NZV 2000, 91; OLG Stuttgart NStZ-RR 2000, 279; KG Berlin NZV 2002, 50).

Auch der Umstand, dass es durch das Verhalten der Betroffenen zu einem Unfall mit Schadensfolge gekommen ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Das aufgrund des Schadenseintritts der Zuwiderhandlung der Betroffenen zukommende objektive Gewicht ist zwar Voraussetzung der Annahme einer groben Pflichtverletzung i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, vermag sie allein aber nicht zu begründen. Ein entsprechender Vorwurf kann nur bei gleichzeitig besonders verantwortungslosem, d.h. durch groben Leichtsinn, grobe Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit gekennzeichnetem Handeln erhoben werden (BGHSt 43, 241; OLG Karlsruhe NZV 2007, 213; NZV 2006, 325; OLG Hamm NZV 2005, 489). Fehlt es, wie hier, an einem solchen, auch von der BKatV vorausgesetzten Handlungsunwert, ist der Regeltatbestand auch dann nicht erfüllt, wenn es zu einem Schaden kommt. (OLG Hamm MDR 1999, 93; MDR 2000, 519; OLG Koblenz NStZ-RR 2004, 284; OLG Frankfurt StraFo 2005, 126; a.A. BayObLG VRS 103, 390; NZV 2005, 433; OLG Düsseldorf VRS 96, 141).

Eine über das beschriebene Augenblicksversagen der Betroffenen hinausgehende Verletzung sonstiger Sorgfaltspflichten eines Kraftfahrers, die die Verhängung eines Fahrverbotes rechtfertigen könnte, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Insbesondere lässt der Umstand, dass die Betroffene das Warnsignal der Straßenbahn nicht wahrnahm, nicht den Schluss auf ein erhöhtes Verschulden zu, denn wann der Zeuge B. das Klingelzeichen auslöste und ob der – ausweislich der im Urteil gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO in Bezug genommenen Lichtbilder vom Unfallort – nur wenige Meter hinter der Lichtzeichenanlage stattfindende Zusammenstoß von der Betroffenen nach dessen Ertönen noch hätte verhindert werden können, ist nicht festgestellt und scheint einer gesicherten Aufklärung kaum zugänglich. Der Betroffenen kann auch nicht vorgeworfen werden, als Linksabbiegerin jedenfalls die sich aus § 9 StVO ergebenden besonderen Sorgfaltspflichten missachtet zu haben, denn der Abbiegevorgang nach links war hier – wie sich ebenfalls aus den im Urteil in Bezug genommenen Lichtbildern ergibt – nicht durch „gewöhnliches“ Grünlicht, sondern durch eine mit einem „Grünpfeil“ versehene Lichtzeichenanlage geregelt (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 4 StVO), bei dessen Aufleuchten, von dem die Betroffene irrtümlich ausgegangen war, der Verkehr in Richtung des Pfeils freigegeben ist und der dem Pfeil folgende Verkehrsteilnehmer nicht mit „feindlichem Verkehr“ rechnen muss (BGH NZV 1992, 108).

Im vorliegenden Fall sind somit die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG nicht gegeben. Insgesamt handelt es sich bei dem Verkehrsverstoß der Betroffenen lediglich um einen einfachen, wenn auch aufgrund des Unfalls objektiv durchaus folgenschweren Pflichtenverstoß, der die Verhängung eines Fahrverbotes zur Einwirkung auf die Betroffene nicht gebietet.

Da nicht zu erwarten ist, dass weitere bedeutsame Feststellungen in einer neuen Hauptverhandlung getroffen werden können, hat der Senat von der Möglichkeit des § 79 Abs. 6 OWiG Gebrauch gemacht und in der Sache selbst entschieden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO i.V.m. § 46 OWiG.

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