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Provida 2000-Geschwindigkeitsmesssung – anlassloses Filmen – erweiterte Akteneinsicht

AG Bergisch-Gladbach – Az.: 48 OWi 411/21 (b) – Beschluss vom 24.11.2021

In dem Verfahren betreffend den Antrag auf gerichtliche Entscheidung auf erweiterte Akteneinsicht

hat das Amtsgericht Bergisch Gladbach, Abt. 48 am 24.11.2021 beschlossen:

Die Verwaltungsbehörde wird verpflichtet, an den Betroffenen, vertreten durch seinen Verteidiger, folgende Unterlagen herauszugeben:

1. Eine vollständige Liste der mit dem Messfahrzeug, BMW F10 530dA, amtliches Kennzeichen pp. am Tattag, dem 07.01.2021 durchgeführten Messungen;

2. Die Videomitschnitte der 5 durchgeführten Messungen, die zeitlich vor der streitgegenständlichen Messung am 07.01.2021 um 11:32 Uhr aufgenommen wurden, sowie die Videomitschnitte der 5 Messungen, die zeitlich nach der streitgegenständlichen Messung aufgenommen wurden.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Betroffene einerseits und die Verwaltungsbehörde andererseits jeweils zur Hälfte. Die eigenen notwendigen Auslagen tragen der Antragsteller einerseits und die Antragsgegnerin andererseits jeweils selbst.

Gründe:

Die Bußgeldbehörde hat eine Verkehrsordnungswidrigkeit (Geschwindigkeitsübertretung) festgestellt, welche am 07.01.2021 vom Betroffenen begangen worden sein soll. Der Betroffene wurde vor Ort mit dem Vorwurf konfrontiert, nachdem der Geschwindigkeitsverstoß durch die Polizeibeamten pp. und pp. durch Nachfahrt und Messung mittels des Gerätes „ProVida 2000 modular“ festgestellt worden war. Er äußerte sich mit den Worten „ich habe nicht aufgepasst“ und verzichtete auf die Vorführung des Tatvideos.

Die Bußgeldbehörde erließ am 24:02.2021 einen Bußgeldbescheid über 80,00 Geldbuße nebst Verfahrenskosten, welcher dem Betroffenen am 26.02.2021 zugestellt wurde. Daraufhin legte der Betroffene, vertreten durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 01.03.2021 Einspruch ein und beantragte umfassende Akteneinsicht.

Mit Schreiben vorn 12.04.2021 beanstandete die Verteidigung, dass ihr lediglich die CD mit dem streitgegenständlichen Tatvideo zur Verfügung gestellt worden sei, nicht aber die gesamte Aufzeichnung sämtlicher Messvorgänge vom Tattag sowie eine Liste aller am Tattag durchgeführten Messungen.

Die Verwaltungsbehörde verweigerte auch in der Folgezeit die Herausgabe weiterer Videoaufzeichnungen. Sie macht geltend, dass es im streitgegenständlichen Falle keine „Messreihe“ im Sinne der obergerichtlichen Rechtsprechung gäbe. Die einzelnen Videomitschnitte würden vielmehr einzeln festgestellt und archiviert.

Die Verteidigung beantragt Einsicht in das gesamte ungeschnittene Videomaterial des eingesetzten Fahrzeuges der Polizei vom Tattag. Sie begründet dies damit, dass der Verdacht bestehe, dass das streitige Messgerät in rechtswidriger Weise dauerhaft eingeschaltet gewesen sei. Anlassloses Filmen aber sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes rechtswidrig. Ob dies der Fall gewesen sei, könne allein anhand des gesamten Videomaterials überprüft werden.

Die Behörde macht geltend, dass im konkreten Fall nicht „anlasslos“ gefilmt worden sei. Vielmehr hätten die zuständigen Beamten die Annäherung des Fahrzeuges des Betroffenen von hinten bemerkt und hätten aufgrund der eigenen gefahrenen Geschwindigkeit davon ausgehen können, dass sich das Fahrzeug mit überhöhter Geschwindigkeit nähere: Deshalb sei wenige Sekunden vor dem Passieren des Messfahrzeuges die Kamera eingeschaltet worden. Eine Herausgabe des gesamten Videomaterials käme aufgrund der Vorgaben der oberen Polizeibehörden ohnehin nur aufgrund richterlichen Beschlusses in Betracht.

Der Verteidiger hat daraufhin am 06.07.2021 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.

Das Einspruchsverfahren war bereits zuvor, nämlich am 02.07.2021 von der Behörde an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.

In der Sache hat er nur teilweise Erfolg.

In dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfange hat der Betroffene Anspruch darauf, dass ihm das Videomaterial von weiteren Messungen zur Verfügung gestellt wird.

Der Betroffene beruft sich insoweit zu Recht auf die obergerichtliche Rechtsprechung, insbesondere die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 12.11.2020. Der zuständigen Behörde ist hinreichend bekannt, dass das erkennende Gericht davon ausgeht, dass spätestens nach dieser Entscheidung (Az. 2 BvR 1616/18) davon ausgegangen werden muss, dass das Akteneinsichtsrecht eines Betroffenen gerade bei Geschwindigkeitsverstößen weitergehend ist, als die etwaige Amtsermittlungspflicht des Bußgeldrichters.

Da dem Betroffenen gerade im Bereich der standardisierten Messverfahren verwehrt ist, die Richtigkeit erfolgter Messungen pauschal anzuzweifeln und eine gutachterliche Überprüfung zu fordern, muss er umgekehrt in die Lage versetzt werden, Anhaltspunkte dafür darlegen zu können, dass trotz der Verwendung standardisierter Messgeräte bzw. der Einhaltung einschlägiger Vorschriften für die Durchführung der Messung im konkreten Falle Fehler aufgetreten sind, die die Richtigkeit der Messung beeinflusst haben können.

Wegen der Einzelheiten der diesbezüglichen Argumentationskette nimmt das Gericht zur Vermeidung von Wiederholungen vollinhaltlich Bezug auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 12.11.2020.

Festzustellen ist aber auch, dass das, Bundesverfassungsgericht in der gleichen Entscheidung klargestellt hat, dass die Rechte des Betroffenen nicht „grenzenlos“ sind. Das Begehren zur Erlangung von Informationen, die außerhalb des eigentlichen Akteninhaltes liegen, muss immer sachbezogen sein und einen sachlichen Bezug zur streitgegenständlichen Messung haben.

Bezogen auf den streitgegenständlichen Fall einer Messung mit einem ProVida-Gerät im Wege der Nachfahrt ist insoweit der Besonderheit Rechnung zu tragen, dass es keine sogenannte „Messreihe“ gibt, deren Messungen sich auf die immer gleiche Messsituation bezieht und aus deren Sichtung sich gegebenenfalls Unregelmäßigkeiten in Bezug auf die streitgegenständliche Messung ergeben könnten. Für die vorliegende Fallgestaltung ist vielmehr festzustellen, dass die weiteren Videomitschnitte mit dem verwendeten Messfahrzeug und dem verwendeten Messgerät regelmäßig neue Messsituationen wiedergeben, die mit der streitgegenständlichen Messung wenig Gemeinsamkeiten haben. Die Einsichtnahme in weitergehende Messprotokolle/Messvideos kann daher nur dem auch von der Verteidigung geltend gemachten Zweck dienen, zu überprüfen, ob das verwendete Messgerät tatsächlich dauerhaft eingeschaltet war oder aber jeweils eingeschaltet wurde, wenn sich aus Sicht der beteiligten Polizeibeamten eine „Verdachtssituation“ ergab. Für diesen Zweck aber reicht aus Sicht des Gerichts die Einsichtnahme in weitere Videosequenzen in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfange. Entweder lassen sich dann aus der Analyse des Filmmaterials im Vergleich zu den Angaben auf den Messprotokollen derartige Erkenntnisse gewinnen oder aber eben nicht. Eine zeitlich weitergehende Prüfung späterer Messergebnisse lässt einen weiteren Erkenntnisgewinn diesbezüglich nicht erwarten und stellt damit eine unnötige und damit unzulässige Belastung der Verwaltungsbehörde bzw. der Polizeibehörden dar.

Ob dann etwaig feststellbare Fehler in der Handhabung des Messgerätes bei den weiteren Messungen Rückschlüsse auf die Unrichtigkeit/Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Messung zulassen, bleibt der Entscheidung des Bußgeldrichters/der Bußgeldrichterin vorbehalten.

Die Kostenentscheidung folgt aus den § 473 StPO, 62 Abs. 2 OWiG.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

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