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PoliScanSpeed ist nicht als standardisiertes Geschwindigkeits-Messverfahren anzusehen

AG Rostock, Az.: 35 OWi 1/12, Beschluss vom 27.09.2013

Der Betroffene wird auf Kosten der Staatskasse, die auch seine notwendigen Auslagen trägt, freigesprochen

Gründe

I.

Dem Betroffenen ist durch Bußgeldbescheid des Oberbürgermeisters der Hansestadt Rostock – Stadtamt – vom 30.01.2012, Az. 2/5022684/11 vorgeworfen worden, am 09.11.2011 um 22:27 Uhr als Fahrer des PKW … in Rostock, Hamburgerstr. stadteinwärts, die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 30 km/h überschritten zu haben, indem sie statt der zulässigen Geschwindigkeit von 50 km/h eine festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug) von 80 km/h fuhr. Gegen ihn wurden ein Bußgeld von 110,00 Euro festgesetzt.

§§ 3 Abs. 3, 49 StVO; 24 StVG, Ziff. 11.3.5. BKat

II.

Der Betroffene hat durch seinen Verteidiger die Fahrereigenschaft eingeräumt und die Korrektheit des Messverfahrens gerügt.

III.

Der Betroffene war aus tatsächlichen Gründen freizusprechen. Ihm konnte die Begehung des ihm vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoßes nicht mit einer für eine Verurteilung ausreichenden Sicherheit nachgewiesen werden. Beim Gericht sind nicht zu überwindende Zweifel an der Zuverlässigkeit der Geschwindigkeitsmessung mit dem Gerät Poliscanspeed entstanden (so auch schon für viele Vorgängerversionen: vgl. AG Aachen DAR 2013, 218; AG Herford, Urteil vom 11. März 2013 – 11 OWi-502 Js 692/11 – 1180/11 -, juris; AG Tiergarten, Urteil vom 13. Juni 2013 – (318 OWi) 3034 Js-OWi 489/13 (86/13), 318 OWi 86/13 -, juris)

1. Grundlage für den Bußgeldbescheid war eine Messung mit der stationären Geschwindigkeitsmessanlage Poliscanspeed F1-HP von der Firma Vitronic Bildbearbeitungssysteme, Seriennummer 650704, Softwareversion 3.2.4. (Stand 10.02.2011), Eichung am 29.09.2011, gültig bis Ende 2012.

Das Gericht konnte keine sicheren Feststellungen dahin treffen, dass dieses Gerät die von der Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit tatsächlich zutreffend gemessen hat.

2. Das Gericht stützt sich hierzu auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl. Ing. … von der DEKRA Niederlassung Rostock, dass er in der mündlichen Verhandlung vom 09.04.2013 erläutert hat.

Daraus ergibt sich, dass ihm eine Überprüfung von konkreten Messwerten im Rahmen einer nachträglichen Richtigkeitskontrolle beim Gerät Poliscanspeed nicht möglich sei. Vielmehr beschränke sich die Überprüfung lediglich nur auf eine Plausibilitätsprüfung.

Das Messprinzip, der Messablauf und die eigentliche Messwertbildung des bei dieser Messung eingesetzten Messgerätes habe nicht überprüft werden können, weil das Programm keine Reproduktion der konkreten Lage der Messstrecke innerhalb des Verfassungsbereichs sowie der gemessenen Geschwindigkeitswerte, die zur Bildung der ausgewiesenen Durchschnittgeschwindigkeit führt, zulasse. Insbesondere könne die Geschwindigkeitsbildung sowie die Messwerterzeugung nicht geprüft werden. So seien Angaben über die konkrete Lage der Messstrecke innerhalb des Erfassungsbereiches sowie die gemessenen Geschwindigkeitswerte, die zur Bildung der ausgewiesenen Durchschnittsgeschwindigkeit führen, nicht zu reproduzieren. Dies bedeute, dass die dem Betroffenen vorgeworfene Geschwindigkeit aus Bild und Dokumentation der Messung nicht nachvollzogen werden könne.

Zu folgern ist daraus, dass Messwerte zwar grundsätzlich vorhanden seien, aber seitens der Herstellerfirma aus patentrechtlichen Gründen nicht zur Verfügung gestellt würden. Es gibt daher ein erhebliches Informationsdefizit zulasten der Sachverständigen, weshalb das Gerät als eine, Black Box“ beschrieben werden muss, mit der Folge, dass lediglich eine näherungsweise Feststellung der Geschwindigkeit unter Analyse des Messfotos mit Hilfe des sogenannten, Smear-Effekts“ möglich ist (vgl. AG Herford, a. a. O.). Hierbei handelt es sich aber nur um eine, Pseudoauswertung“, die mit einer Analyse der Messdaten nichts zu tun.

3. Das Gericht war auch nicht in der Lage, die Richtigkeit der Messung unter Berücksichtigung von Poliscanspeed als „standardisiertes Messverfahren“ zugrundezulegen. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich bei Poliscanspeed nicht um ein „standardisiertes Messverfahren“ und schließt sich damit mit den nachfolgenden Ausführungen, die im wesentlichen den überzeugenden Begründungen der oben zitierten Amtsgerichte Aachen, Herford und Berlin-Tiergarten entnommen wurden, an:

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist unter einem standardisierten Messverfahren ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. BGH, Beschluss vom 30.10.1997, 4 StR 24/97, BGHSt 43, 277). Der BGH hat in einer früheren Entscheidung ebenfalls zu Geschwindigkeitsmessungen ausgeführt, dass die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden ebenso wie die Reduzierung des gemessenen Wertes um einen – die systemimmanenten Messfehler erfassenden – Toleranzwert gerade den Zweck verfolgen soll, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalles freizustellen. Es entspreche allgemein anerkannter Praxis, dass auch im Bereich technischer Messungen Fehlerquellen nur zu erörtern seien, wenn der Einzelfall dazu Veranlassung gebe (vgl. BGH, Beschluss vom 19.08.1993, BGHSt 39, 291). Technische Messsysteme, deren Bauart von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zur innerstaatlichen Eichung zugelassen sei, würden in diesem Zusammenhang grundsätzlich als standardisierte Messverfahren anerkannt (Cierniak, ZFSch 2012, 664). Zu diesem Themenkomplex muss allerdings angemerkt werden, dass es keine Dogmatik“ des BGH zum Begriff des standardisierten Messverfahrens gibt. Der Begriff „standardisiertes Verfahren“ ist überhaupt zum ersten Mal im Urteil des BGH vom 29.09.1992, 1 StR 494/92, juris, aufgetaucht, in dem es um ein daktyloskopisches Gutachten ging. Dort ließ der BGH die Mitteilung des Ergebnisses ausreichen, wenn von keiner Seite Einwände gegen die Tauglichkeit der gesicherten Spur und die Zuverlässigkeit der Begutachtung erhoben würden.

b) Die Obergerichte, denen als Rechtsbeschwerdegerichte in OWi-Sachen regelmäßig Sachverhalte mit dem Geschwindigkeitsmessgerät Poliscanspeed zur Entscheidung vorliegen, beschränken sich nunmehr auf die Feststellung, dass dieses von der PTB zugelassenes Messsystem ein standardisiertes sei (OLG Düsseldorf vom 20.01.2010, IV-5 Ss (OWi) 206/09, – (OWi) 178/09 I, (im Anschluss daran KG Berlin, Beschluss vom 26.02.2010, 3 Ws (B) 24/10, sowie OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 21.04.2010, 2 Ss-OWi 236/10; offen gelassen noch in OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 01.03.2010, 2 Ss-OWi 577/09, sowie OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.02.2010, 1 (8) SsBs 276/09, alle bei juris). Das OLG Düsseldorf hat in seiner Entscheidung die obigen BGH-Entscheidungen dahingehend zusammengefasst, dass die Zulassung durch die PTB stets dazu führe, dass ein Messsystem zu einem standardisierten werde. Dieser durch das OLG Düsseldorf gezogene Schluss ist im Hinblick auf die BGH-Rechtsprechung folgerichtig (a. A. Burhoff, VRR 2010, 116).

c) Aus Sicht des rechtssuchenden Bürgers wäre diese Konstruktion hinnehmbar, wenn zumindest die Möglichkeit für gerichtlich bestellte Sachverständige bestünde, die Grundlagen für die Zulassung, insbesondere die exakte Funktionsweise des Messsystems, bei der PTB zu überprüfen, oder aber die Prüfung durch die PTB über jeden Zweifel erhaben wäre.

aa) Ebenso wie die Herstellerfirma des Geräts Poliscanspeed gewährt auch die PTB keinen Zugang zu den relevanten Daten, ebenfalls mit Verweis auf patentrechtliche Bestimmungen zugunsten der Herstellerfirma (vgl. AG Aachen, a.a.O.; auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.02.2010, 1 (8) SsBs 276/09, juris, sowie Löhle, DAR 2009, 422, 424). Im Rahmen einer Güterabwägung ist jedoch der Wahrheitsfindung im Bußgeldprozess der Vorrang gegenüber dem Interesse der Herstellerfirma an der Geheimhaltung der technischen Bauweise des Messgeräts einzuräumen. Es ist zwar leicht einsehbar, dass es für die Herstellerfirmen bequemer ist, den unbefugten Nachbau ihrer Geräte durch Geheimhaltung der technischen Spezifikationen als durch die Führung von Patentprozessen zu verhindern. Andererseits werden aufgrund von Messungen mit Poliscanspeed bundesweit jährlich tausende Fahrverbote verhängt, die gravierende berufliche Folgen für die Betroffenen haben.

Aufgrund der heute von den Arbeitnehmern verlangten Mobilität und der Lage auf dem Arbeitsmarkt ist es der Regelfall, dass bereits ein einmonatiges Fahrverbot zum Verlust des Arbeitsplatzes führt.

Dieser Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG lässt sich durch Geheimhaltungsinteressen der Herstellerfirmen nicht rechtfertigen, zumal diese – wie gesagt – die Möglichkeit haben, ggf. eintretende Patentrechtsverletzungen gerichtlich geltend zu machen. Eine Firma, die sich darauf spezialisiert, Messgeräte herzustellen, mit denen regelmäßig in die Berufsfreiheit Dritter eingegriffen wird, hat diese Kontrolle durch Gerichte und Sachverständige hinzunehmen. Darüber hinaus erscheint es auch nicht nachvollziehbar, dass gerade die Untersuchung von Geräten und Messdaten durch gerichtlich bestellte und damit zur Verschwiegenheit verpflichtete Sachverständige dazu führen soll, dass Patentverletzungen Vorschub geleistet wird. Sollte tatsächlich jemand ein Interesse am unbefugten Nachbau von, Poliscanspeed“ haben, wäre es, anstatt an gerichtliche Sachverständige heranzutreten, analog zum Nachbau von deutschen Kraftfahrzeugen im Ausland für ihn naheliegender, schlicht und einfach einen Satz, Poliscanspeed“ zu kaufen und im Ausland nach allen Regeln der Kunst auseinanderzubauen.

bb) All dies könnte natürlich vernachlässigt werden, wenn die Prüfung durch die PTB keine Angriffspunkte böte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine nähere Untersuchung der Prüfungsweise der PTB anhand der Prüfung des vorliegenden Geräts Poliscanspeed zeigt, dass entgegen der Auffassung von Cierniak a.a.O. nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Prüfungen der PTB automatisch zu einer Anerkennung als standardisiertes Messverfahren führen.

In der Literatur werden zum Beispiel Zweifel angemeldet, ob bei der PTB die Messwerterhebung durch Poliscanspeed messtechnisch nachvollzogen werden kann (vgl. Beck/Löhle/Kärger, Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren, 10. Aufl. 2013). Die Vorgabe bei der PTB ist, dass jedem gültigen Geschwindigkeitsmesswert des neu zuzulassenden Geräts ein gültiger Wert einer Referenzmessung mit einem anderen Gerät gegenüberzustellen ist. Da jedoch die Referenzanlagen im Gegensatz zu Poliscanspeed keine ausgedehnte Messzone, sondern nur kurze Messstrecken sowie Messzeiten überwachen, ist mithilfe der PTB-Referenzquellen eine Überprüfung eventueller Geschwindigkeitsschwankungen im Rahmen einer 25-30m langen Auswertestrecke beim Poliscanspeed-Verfahren nicht möglich (vgl. Schmedding, VRR 2009, 337, 339). Darüber hinaus wird in der Literatur vertreten, dass der auf Poliscan-Fotos eingeblendete „Auswerterahmen“ nicht den Vorgaben der PTB (Ablichtung des Bereichs der Messwertbildung) entspricht, da der Bereich der Messwertbildung bei Poliscan deutlich früher stattfindet als der Moment der Auslösung des Fotos (Schmedding/Neidel/Reuß, SVR 2012, 121, 126). Desweiteren ist nachgewiesen worden, dass der Auswerterahmen in bestimmten Konstellationen, insbesondere im unteren Geschwindigkeitsbereich, sogar auf stehenden Fahrzeugen zu sehen sein kann, wenn das gemessene Fahrzeug plötzlich nach rechts lenkt (Winninghoff/Hahn/Wietschorke, DAR 2010, 106, 108 f.; vgl. auch Priester, jurisPR-VerkR 2/2010 Anm. 6; Löhle, DAR 2011, 48, 49). Für solche Fälle hätte die PTB einen aufmerksamen Messbetrieb und/oder eine besondere Beschaffenheit der Messstelle vorschreiben müssen, was nicht geschehen sei (Winninghoff/Hahn/Wietschorke, DAR 2010, 106, 108 f.). Die Zuordnung des Auswerterahmens ist auch bei mehreren durchs Bild fahrenden Fahrzeugen ein Problem (vgl. Löhle, DAR 2011, 758, 763; ders., DAR 2011, 48, 50; Schmedding/Neidel/Reuß, SVR 2012, 121). Dies führte dazu, dass sich das OLG Karlsruhe mit der „Krücke“ behalf, jedenfalls bei Erfassung lediglich eines Fahrzeuges funktioniere das Gerät einwandfrei (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.02.2010, 1 (8) SsBs 276/09, juris). Wie prüft aber das OLG Karlsruhe, ob nicht ein Fahrzeug die Messung verursacht hat, welches im Bild nicht mehr zu sehen ist?

Auch im Hinblick auf die im vorliegenden Fall möglicherweise (vgl. die Bedenken des Verteidigers, dass nicht sicher festgestellt werden kann, welche Softwareversion im Gerät eingebaut war, Bl. 173) verwendete Softwareversion 3.2.4. erscheinen Bedenken angebracht. Diese Version wurde vom Hersteller von Poliscanspeed als Nachfolgerin der Versionen 1.5.3, 1.5.4 und 1.5.5. in Umlauf gebracht, nachdem dort Probleme mit einer verzögerten Kameraauslösung aufgetreten waren (vgl. Bladt, DAR 2011, 431). Diese führten dazu, dass es in 1-2% der Fälle zu Bildauslösungen mit Verzögerungen von 0,1 bis 0,15 Sekunden kam (Löhle, DAR 2011, 48, 50). Schon die Einführung der Version 1.5.5. geschah, obwohl der Hersteller nicht feststellen konnte, unter welchen Bedingungen der genannte Fehler auftrat (Vitronic, Risikoabschätzung zur erkannten Timing-Überwachungslücke in V. 1.5.3 und V. 1.5.4 vom 15.06.2010, zit. nach Bladt, ebenda). Es ist anzumerken, dass vor Einführung der Version 1.5.5. nahezu bei allen Geräten die beschriebenen Kamerafehlfunktionen aufgetreten sind (vgl. Bladt, ebenda). Diese Probleme wurden von der Herstellerfirma Vitronic erkannt und führten zur Entwicklung der neuen Version 1.5.5, allerdings ohne alle Betreiber der Anlagen über die Fehlfunktionen zu informieren (vgl. Löhle, DAR 2011, 48, 49), sodass es weiter zu Messungen mit den fehlerhaften Versionen kam.

In diesem Zusammenhang muss nach AG Aachen (a. a. 0.) hinterfragt werden, ob die PTB ihrer Aufgabe bei der Überwachung der Zulassung der Geräte tatsächlich nachgekommen ist. Auch für die im vorliegenden Fall verwendete Version 1.5.5 sind Hinweise vorhanden, dass es zu verzögerten Fotoauslösungen kommen kann (Löhle, DAR 2011, 758, 765). Der Fehler konnte daher nicht behoben, sondern lediglich die Auswirkungen durch eine Überwachung des Zeitpunkts des Belichtungssignals der Kameraeinheit eingegrenzt werden (vgl. Vitronic, bei Bladt, ebenda). Da diese Überwachung jedoch nicht funktionierte (vgl. Bladt, ebenda), hat auch die neue Softwareversion 1.5.5. keine wesentlichen Verbesserungen mit sich gebracht. Darüber hinaus erstaunt, wenn bei Bekanntwerden von Fehlern einer alten Software zwar die neue Software durch die PTB zugelassen, die alte aber bis zur nächsten Eichung (die über ein Jahr später liegen kann) weiter benutzt werden darf (Bladt, DAR 2011, 431, 432).

Nach den Angaben des Sachverständigen … soll es in den letzten zwei Jahren 15 Änderungen bezgl. der verwendeten Messgeräte bei der Fa. Vitronic gegeben haben. Bei der Version 3.2.4. erfolgt nach den Angaben des Sachverständigen … die Fotoauslösung nicht unmittelbar nach dem Messende, sondern in einer „optimalen“ Entfernung zum Messgerät (Gutachten Blatt 12). Über eine (näher erläuterte) Extrapolationsstrecke wird vom Rechner angenommen, dass sich das Fahrzeug mit der ermittelten mittleren Geschwindigkeit weiterbewegt. Was aber wiederum bedeutet, dass eine Messung fehlerhaft wäre, wenn der Betroffene vor dem Auslösen des Fotos seine Geschwindigkeit stark herabgesetzt oder einen Spurwechsel vorgenommen hätte.

Es ist derzeit so, dass ein Gerät zur PTB geschickt wird, mit einem Stempel der PTB aufgrund eines wie auch immer gearteten Prüfungsverfahrens zurückkommt und sodann aufgrund des PTB-Gütesiegels aus BGHSt 39, 291 i. V. m. OLG Düsseldorf a.a.O. für den Einsatz als standardisiertes Messsystem zur Verfügung steht. In diesem Stadium eröffnen sich keinerlei Rechtsschutzmöglichkeiten für den Bürger, da er durch die die Herstellerfirma begünstigende Zulassung nicht unmittelbar drittbetroffen ist. Bei einer Messung durch das Messgerät wird ihm dann durch die Obergerichte (s.o.) entgegnet, dass das Gerät zugelassen sei und deshalb keine Überprüfungsmöglichkeiten bestehen. Diese Argumentation ist jedoch nicht schlüssig, da es aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, insbesondere unter dem Blickwinkel des Gewaltenteilungsprinzips, nicht hinnehmbar ist, dass Gerichte ohne die Möglichkeit eigener Überprüfung Bescheide und Genehmigungen von Behörden als unumstößlich hinnehmen. In diesem Zusammenhang mutet es skurril an, dass mit der Begründung, eine Behörde habe die Unfehlbarkeit des Messgerätes festgestellt, die Bußgeldbescheide von anderen Behörden, die mit diesem Messgerät arbeiten, ebenfalls faktisch unangreifbar werden (AG Aachen, a. a. O.).

Eine solche Beweissituation ist für das erkennende Gericht völlig unbefriedigend. Ein Bußgeldrichter hat in technischer Hinsicht selbst keine Möglichkeiten, das Meßverfahren nachzuvollziehen und zu überprüfen. Er muss sich dazu der Hilfe eines Sachverständigen bedienen, der aber, wie dargelegt, ebenfalls an seine Grenzen stößt. Bei Akzeptanz eines solchen Meßverfahrens führte das zu dem Ergebnis, dass eine private Herstellerfirma in der Lage wäre, einem Bußgeldrichter das Beweisergebnis mehr oder weniger vorzuschreiben. Die Einwirkungs- und Beurteilungsmöglichkeiten des Bußgeldrichters würden auf Null reduziert, der Richter würde letztlich zu einem Verurteilungsautomaten herabsinken. Das kann mit dem Selbstverständnis eines Bußgeldrichters nicht vereinbart werden. Im übrigen wäre eine solche Situation einem Betroffenen, der auf eine unparteiische und faire Entscheidung hofft, nicht zu vermitteln. Letztlich würde man zu dem Schluss kommen, dass die Abnahme der Meßanlage durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt und die Erteilung der Betriebserlaubnis unanfechtbar sind. Eine solche Regelung fehlt jedoch in den Eichgesetzen und anderen Vorschriften über den Betrieb von Geschwindigkeitsmeßanlagen im öffentlichen Verkehr. Wenn der Gesetzgeber die vorliegenden Diskussionen um die Geeignetheit und die Gerichtsverwertbarkeit des Meßverfahrens hätte vermeiden wollen, so hätte er in den Eichgesetzen eine entsprechende Vorschrift einfügen müssen, dass nach Erteilung der Betriebserlaubnis – ggf. nach Ablauf einer gewissen Frist – weitere Einwendungen nicht mehr zugelassen sind. Indem der Gesetzgeber hierzu geschwiegen hat, wird deutlich, dass es jeweils Aufgabe des erkennenden Gerichtes ist, in einem gerichtlichen Verfahren jeweils im Einzelfall über die Ordnungsgemäßheit der Messung zu entscheiden. Das bedeutet, dass ein Meßgerät für Geschwindigkeiten nicht nur in technischer Hinsicht einwandfrei arbeiten muss, sondern auch, dass die Meßergebnisse gerichtsverwertbar sein müssen, damit der Bußgeldrichter in eigener Zuständigkeit zu dem sicheren Ergebnis kommt, die Messung sei einwandfrei und ordnungsgemäß erfolgt. Aufgrund der Unabhängigkeit des erkennenden Richters ist es nicht zulässig, hierbei auf erteilte Betriebserlaubnisse und Genehmigungen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zurückzugreifen oder auf Versuchsreihen der Herstellerfirma, die in der Vergangenheit gelaufen sind und die dem Gericht nicht bekannt sind und vom Gericht nicht nachvollzogen werden können. Offensichtlich ist bei der Inbetriebnahme des Meßsystems Poliscanspeed an diese Problematik nicht gedacht worden (AG Herford, a. a. O.).

Insgesamt kann das Messverfahren Poliscanspeed auch in der Softwareversion 3.2.4. gerichtsverwertbar nicht akzeptiert werden mit der Folge, dass der Betroffene mit der Kostenfolge des § 467 StPO freizusprechen war.

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