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Poliscan Speed Geschwindigkeitsmessung – nicht mögliche Überprüfung der Rohdaten

AG Tiergarten – Az.:  (318 OWi) 3031 Js-OWi 9/14 (12/14) – Beschluss vom 20.01.2014

In der Bußgeldsache wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit wird der Betroffene auf Kosten der Landeskasse Berlin, die auch seine notwendigen Auslagen trägt, freigesprochen.

Gründe

Mit dem Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 04.12.2013 wurde dem Betroffenen vorgeworfen, am 08.10.2013 um 08.19 Uhr in 12163 Berlin, Joachim-Tiburtius-Brücke o.Nr. Ri Filandastr., als Führer des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen … eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 StGB begangen zu haben.

Er soll die durch Zeichen 274 zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 31 km/h überschritten haben und abzüglich eines Toleranzabzuges mit einer Geschwindigkeit von 61 km/h festgestellt worden sein.

Der Betroffene befuhr zur Tatzeit den Tatort im genannten Pkw und wurde dabei von dem in der Anwendung des Gerätes geschulten Polizeiangestellten PAng SOD … mit dem bis Ende 2014 geeichten Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Poliscan Speed der Firma Vitronic, das von der PTB zugelassen worden und mit der Software Version 1.5.5 ausgerüstet war, im automatischen Messbetrieb ankommend mit einer Geschwindigkeit laut Messfoto von 64 km/h festgestellt, so dass nach Abzug einer Toleranz von 3 km/h eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 61 km/h vorgeworfen wurde.

Bei dem Messgerät erfolgt die Bestimmung der Fahrzeuggeschwindigkeit nicht zu einem definierten Zeitpunkt, sondern in einem Bereich zwischen 50 und 20 Metern vom Messgerät entfernt. Das eingemessene Fahrzeug muss dabei über eine Strecke von mindestens 10 m, vom Hersteller nicht exakt offengelegte Gleichmäßigkeitskriterien hinsichtlich der Einzelheiten der Geschwindigkeit erfüllen.

Es gibt somit kein Foto zum Zeitpunkt der Messwertaufnahme, da es keine konkreten Messzeitpunkt gibt, sondern sich die Messwertaufnahme über einen Zeitraum, den ein angemessenes Fahrzeug zum Zurücklegen einer Wegstrecke von mindestens 10 m benötigt, erstreckt.

Eine Plausibilitätsprüfung der vom Messgerät ermittelten Fahrzeuggeschwindigkeit wird erst dadurch möglich, dass die Auswerteinheit die Fotoauslösung so lange verzögert, bis das Fahrzeug in einer definierten Position zum Standort der Überwachungsanlage gelangt ist und diese Position im Beweisfoto durch einen Auswerterahmen dargestellt wird.

Auf dem Beweisfoto mit der Nummer 1310080758-19-1 ist der Pkw des Betroffenen am 08.10.2013 um 08.19 Uhr mit einer Geschwindigkeit von 64 km/h fotodokumentiert.

Es bestehen jedoch Zweifel hinsichtlich der Zuverlässigkeit des Poliscan Speed Messergebnisses, weil ein überprüfbarer Beweis der richtigen Messwertgewinnung nicht möglich ist und es ferner keine zuverlässige, nachträgliche Richtigkeitskontrolle der gewonnen Messwerte und der Zuordnung der abgelichteten Fahrzeuge gibt.

Insoweit wird auf die bereits in dem Urteil 318 OWi 1024/13 des Amtsgerichts Tiergarten vom 23. Oktober 2013 geäußerten Bedenken verwiesen. Die dortigen Zweifel wurden zwar zum Teil ausgeräumt, da die Betriebsanleitung für das Messgerät, das Teil der Bauartzulassung ist, bezüglich der Höhe des Auswerterahmens zum 1.7.2013 geändert wurde und das Kammergericht in seiner Entscheidung vom 14.10.2013 – 3Ws(B) 495/13 in einem obiter dictum klargestellt hat, dass Einzelabweichungen von der Gebrauchsanweisung die generelle Bauartzulassung und Eichung des Messgerätes nicht berühren, sondern lediglich Anlass geben kann, sachverständig prüfen zu lassen, ob und ggf. mit welchen Messtoleranzen das Messergebnis verwertbar ist.

Die o.g. Zweifel können aber auch durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht vollständig ausgeräumt werden:

Der Sachverständige …, von dessen Sachkunde sich das Gericht überzeugt hat, hat in dem Verfahren 318 OWi 1625/12 ausgeführt:

Entgegen der (- auch gerichtsbekannt Stellungnahme der PTB, die allseits zugänglich im Internet auf http://www.ptb.de/cms/fachabteilungen/abt1/fb-13/stellungnahme.html nachgelesen werden kann -) könne auch mit einer Befundprüfung, das heißt mit einer nachträglichen Richtigkeitskontrolle, die konkrete Geschwindigkeitsmessung nicht nachvollzogen werden, sondern allenfalls das Funktionieren des Gerätes an sich, also zum Beispiel das Einhalten der Eichfehlergrenzen, überprüft werden.

Nicht einmal die Zeitversetzungen, die die Veränderung der vorangegangenen Softwareversion erforderlich gemacht hätten, wären mittels der Befundprüfung feststellbar gewesen.

Unzutreffend sei auch, dass sämtliche Falldatensätze mit dem Auswerteprogramm „Poliscan Tuff Viewer“ angezeigt würden. Ihm, dem Sachverständigen, stehe das Bildbetrachtung Programm Tuff Viewer zur Verfügung, ebenso die zur Entschlüsselung benötigten Schlüssel (Token) und die entsprechende PIN, derer er sich auch in jedem Verfahren bedient habe.

Gleichwohl könne er die Messung nicht konkret nachvollziehen, da der Tuff Viewer diese Daten nicht anzeige. Er könne weder Angaben zur Länge der Messstrecke machen, noch nachvollziehen ob die von der PTB vorgegebene Länge der Messstrecke von 10 m nun tatsächlich eingehalten worden sei oder nicht.

Er könne lediglich anhand des Smeareffektes die Plausibilität der gemessenen Fahrzeuggeschwindigkeit überprüfen.

Auch aus dem Verfahren 319 OWi 126 /13, 318 OWi 1515/12, 318 OWi 1625/12 und 318 OWi 1425/12 ist bekannt, dass eine konkrete Messung im Einzelfall nicht anhand der vorliegenden Daten überprüft werden kann, zumal auch das Messfoto nicht den konkreten Zeitpunkt der Geschwindigkeitsüberschreitung wiedergibt. Das jeweilige Gutachten vermochte lediglich eine Plausibilität der Messung anhand des sog. Smeareffektes wiederzugeben und festzustellen, ob bei der Darstellung des Pkw des Betroffenen auf dem Beweisfoto die Vorgaben der Betriebsanleitung des Geräteherstellers für das Vorliegen einer gerichtsverwertbaren Messung erfüllt sind oder nicht.

Aufgrund welcher konkreten Einzelfallmessungen der Gerätehersteller die Messung für gerichtsverwertbar hält, ist im Einzelnen nicht nachvollziehbar. Vielmehr legt hier der Gerätehersteller Parameter fest, die der gerichtlichen Prüfung entzogen sind. Insbesondere kann die Geschwindigkeitsbildung selbst sowie die Messwerterzeugung nicht konkret überprüft werden, da die Angaben über die konkrete Lage der Messstrecke innerhalb des Erfassungsbereiches sowie der gemessene Geschwindigkeitswert, der zur Bildung der ausgewiesenen Durchschnittsgeschwindigkeit führt, nicht reproduzierbar ist, so dass die vorgeworfene Geschwindigkeit aus Bild und Dokumentation der Messung nicht nachvollzogen werden kann.

Die einzig mögliche Überprüfung der Plausibilität der Messung anhand des Smeareffektes ist allerdings zur Überführung des Betroffenen ebenfalls ungeeignet.

Bereits nach der o.g. Stellungnahme PTB ist „der sogenannte Smear Effekt eine Besonderheit digitaler Kameras, mit dessen Hilfe eine zusätzliche, nicht der Eichpflicht unterliegende, grobe Geschwindigkeitsabschätzung möglich ist. Der auf diese Weise ermittelte Schätzwert ermöglicht eine Plausibilitätsprüfung der Geschwindigkeitswerte, bei der jedoch die unterschiedlichen Toleranzen zu berücksichtigen sind. Der Smear Effekt steht insofern in keinem direkten Zusammenhang mit dem geeichten Geschwindigkeitsmesswert und ist aus diesen Gründen für gerichtliche Zwecke völlig irrelevant.“

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch der Sachverständige Dr. Ulrich Löhle in seinem Aufsatz in DAR 10/2013 S. 597 ff, der bei der bisherigen Überprüfung von Poliscan Speed Messungen auf Basis der Daten des Tuff Viewers zudem Auffälligkeiten festgestellt hat.

Er führt insbesondere aus, dass bei der (Anm: – in Berlin verwenden -) Software Version 1.5.5 anhand der Zusatzdaten des Tuff Viewers eine Geschwindigkeitsmessung im Nachhinein nicht überprüfbar sei. Die Zusatzdaten der Softwareversion 1.5.5 habe nur mehr formalen, jedenfalls keinen messrelevanten Charakter.

Bei der aktuelleren Software Version 3.2.4 sei eine Berechnung mit der im Rahmen der Nachtragserteilung für die Messsysteme PoliScanSpeed vom 24.7.2013 von der PTB zugelassenen Version des Tuff.Viewers (V.3.45.1) anhand der deutlich mehr enthaltenen Informationen zwar möglich (Anm: wodurch das sog. „black box- Argument jdf. bei dieser Softwareversion entfallen dürfte), jedoch falle hier auf, dass in der Hälfte der von ihm untersuchten Fälle die mit den aus dem Tuff Viewer ausgelesenen und anhand der Rohdaten berechneten Geschwindigkeiten um 1 bis 2 km/h unter (!) der auf dem Messfoto eingeblendeten Geschwindigkeit lag.

Während bei allen in Deutschland zur amtlichen Überwachung zugelassenen Geschwindigkeitsessgeräten die vom System ermittelte Geschwindigkeit abgerundet und der abgerundete Wert im Messfoto eingeblendet werde, seien in keinem der von ihm untersuchten Fälle die anhand der Datensätze errechneten Geschwindigkeiten höher als die auf dem Messfoto abgebildeten gewesen, obgleich in dem jeweiligen Messfoto ganzzahlige Geschwindigkeiten von abgerundeten Werten eingeblendet seien. So sei in einem Fall anhand der Rohdaten ein Wert von 127,5 km/h, abgerundet 127 km/h, errechnet worden, auf dem entsprechenden Messfoto jedoch ein Wert von 128 km/h eingeblendet.

Diese Problematik lasse sich eins zu eins auf die Softwareversion 1.5.5 übertragen, da dort die Messwertbildung im Wesentlichen gleich erfolge – nur das eine Messwertüberprüfung anhand der Zwischendaten eben nicht durchführbar sein.

Wenn aber weder sicher, noch durch einen Sachverständigen nachprüfbar ist, ob die auf dem Messfoto abgebildete Geschwindigkeit den gemessenen Rohdaten entspricht, kann nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit von einer ordnungsgemäßen, gerichtsverwertbaren Messung ausgegangen werden, so dass d. Betroffene, der den Tatvorwurf energisch bestreitet, aus tatsächlichen Gründen freizusprechen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 OWiG.

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