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Nichteinhaltung des Sicherheitsabstandes auf Autobahn

OLG Karlsruhe – Az.: 3 (4) SsBs 121/16 – AK 53/16 – Beschluss vom 08.04.2016

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Mannheim wird der Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 27. November 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur Verhandlung und neuer Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an das Amtsgericht Mannheim zurückverwiesen.

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht Mannheim den Betroffenen von dem Vorwurf freigesprochen, am 21.4.2015 um 11.10 Uhr in Y., auf der BAB 6 in Fahrtrichtung H./Y. bei Kilometer 568,4 als Fahrer des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ..-.. xxx bei einer Geschwindigkeit von (mindestens) 130 km/h nicht den erforderlichen Abstand von 54,10 m zum vorausfahrenden Fahrzeug, sondern nur einen solchen von 10 m – und damit weniger als 2/10 des halben Tachowertes – eingehalten zu haben. Das Regierungspräsidium V. – Zentrale Bußgeldstelle – hatte wegen dieses Vorwurfs (§ 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 StVO, § 24 StVG) mit Bußgeldbescheid vom 29.6.2015 gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 265 Euro und ein zweimonatiges Fahrverbot festgesetzt. Zu Begründung des Freispruchs führt das Amtsgericht in seiner Entscheidung neben den Zweifeln an dem Vorliegen eines standardisierten Messverfahrens u.a. aus, die Dauer der abstandsunterschreitenden Fahrt habe vorliegend weniger als drei Sekunden betragen, so dass das für die Ahndung eines Abstandsverstoßes erforderliche Kriterium einer nicht nur ganz vorübergehenden Abstandsunterschreitung nicht erfüllt sei; zudem habe nicht festgestellt werden können, dass der Betroffene und der Vorausfahrende konstant die gleiche Geschwindigkeit eingehalten hätten.

Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit der Sachrüge begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat beantragt, auf die Rechtsbeschwerde den Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 27.11.2015 aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Die Verteidigerin hat mit Schriftsatz vom 24.3.2016 die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde beantragt.

II.

Die zulässige und gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat auf die Sachrüge hin Erfolg, weil das Amtsgericht sich mit nicht zutreffenden Erwägungen gehindert gesehen hat, das Abstandsmessverfahren VKS anzuwenden.

Nichteinhaltung des Sicherheitsabstandes auf Autobahn
(Symbolfoto: VanderWolf Images/Shutterstock.com)

1. Bei dem Abstandsmessverfahren VKS (Verkehrskontrollsystem) der Herstellerfirma Vidit Systems GmbH handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (OLG Dresden, DAR 2005, 637; vgl. auch Krumm DAR 2007, 129, 131). Dem steht nicht entgegen, dass durch das Anklicken der Aufstandspunkte der linken Vorderräder durch den Auswerter „menschliche Unsicherheitsfaktoren“ zum Tragen kommen können (vgl. Löhle, DAR 2016, 161, 163). Standardisiertes Messverfahren bedeutet nämlich nicht, dass die Messung in einem voll automatisierten Verfahren stattfinden muss. Vielmehr ist hierunter ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 43, 277). Diesen Anforderungen wird das vorliegende Messverfahren gerecht, bei denen die Abstandsmessung von besonders geschultem Messpersonal unter Beachtung der Betriebsanleitung des Geräteherstellers und der Zulassungsbedingungen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt durchgeführt wird. Hinzu kommt, dass bei konkreten Einwänden (z.B. gegen die Anlegung einer Messlinie) die Videoaufzeichnung zur Verfügung steht, anhand derer der Auswertungsvorgang im Nachhinein nochmals exakt nachvollzogen und überprüft werden kann (OLG Dresden, a.a.O.). Soweit das Amtsgericht bemängelt, dass „ausschließlich die Herstellerfirma Zugriff auf die Rohdaten“ habe, weshalb die „Gefahr von Missdeutungen, Fehlinterpretationen und Manipulationen“ bestehe, ist anzumerken, dass der Umstand, dass ein Sachverständiger – mangels Zugangs zu patent- und urheberrechtlich geschützten Herstellerinformationen – die genaue Funktionsweise des Gerätes anhand hierfür relevanter Daten der Messwertermittlung nicht im Einzelnen nachvollziehen kann, an der Verwertbarkeit der Messungen des von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zugelassenen Messsystems nichts ändert (vgl. zu PoliScan Speed OLG Karlsruhe, VRS 127, 241; vgl. auch zur quantitativen Fehleranalyse mit Präzisions-GPS-Inertialsystem: http://www.vidit-systems.de/index.php) . Die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden verfolgt – ebenso wie die Berücksichtigung eines Toleranzabzugs für etwaige systemimmanente Messfehler – gerade den Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalles freizustellen (BGHSt 39, 291, 297).

Soweit das Amtsgericht die Annahme eines standardisierten Messverfahrens durch die Erwägung in Frage stellen will, bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Fahrzeuge des Betroffenen und des Vorausfahrenden werde in jedem Fall ein Sachverständigengutachten benötigt, führt dies zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Zum Einen werden zwei hintereinander fahrende Fahrzeuge über eine bestimmte Messstrecke nur selten die exakt gleiche (mittlere) Geschwindigkeit einhalten, zum Anderen wirkt sich eine im Nahbereich ermittelte, höhere Geschwindigkeit des Betroffenen – wie im vorliegenden Fall – im Hinblick auf den längeren – allerdings nicht entscheidungserheblichen – Anhalte- bzw. Bremsweg sogar „zugunsten des Betroffenen“ (Löhle, DAR 2016, 161, 164) aus. Aber auch soweit eine höhere (mittlere) Geschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeuges festgestellt werden würde (in nicht wenigen Fällen möglicherweise veranlasst durch ein „Vom-Gas-Gehen“ des Betroffenen beim Erkennen der Messstelle), wirkt sich das Messsystem nicht zum Nachteil des Betroffenen aus, weil immer der größere der beiden (am Anfang und am Ende der Messstrecke) gemessenen Abstände der Berechnung zugrunde gelegt wird und der Bußgeldtatbestand nicht auf die im Einzelfall vorliegenden konkreten Anhalte- und Bremswege (so Löhle, DAR 2016, 161, 164), sondern auf den Abstand in Bezug auf einen Bruchteil der festgestellten gefahrenen Geschwindigkeit (des Betroffenen) abstellt.

2. Der Beschluss ist somit aufzuheben und die Sache ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Der Senat weist darauf hin, dass die vom Amtsgericht vertretene Auffassung, eine nicht nur ganz vorübergehende und deshalb vorwerfbare Abstandsunterschreitung sei nur dann zu bejahen, wenn diese über einen Zeitraum von mindestens drei Sekunden gemessen wird, dem vom Amtsgericht zitierten Beschluss des OLG Rostock (Beschluss vom 18.8.2014 – 21 Ss OWi 144/14 – bei juris) nicht zu entnehmen ist. Anderenfalls hätte das OLG Rostock den im dortigen Fall Betroffenen freisprechen müssen, denn angesichts einer von der Vorinstanz festgestellten Messstrecke von nur 100 m und der Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Betroffenen von mindestens 141 km/h konnte eine abstandsunterschreitende Fahrt von mehr als drei Sekunden keinesfalls gemessen worden sein (in drei Sekunden hätte der Betroffene mit seinem Fahrzeug 117,5 m zurückgelegt). Das OLG Rostock hat in seinem die Sache zurückverweisenden Beschluss lediglich darauf hingewiesen, dass zwar grundsätzlich die zeitliche Komponente eine tragende Rolle bei der Frage spielt, ob eine Abstandsunterschreitung nicht nur vorübergehend ist, für den von ihm zu entscheidenden Fall aber gerade keine zeitliche Festlegung getroffen, weil in der dortigen Vorentscheidung keine (eindeutigen) Angaben zur Geschwindigkeit und zur gemessenen Dauer der Abstandsunterschreitung sowie zur Frage vor oder hinter dem Fahrzeug des Betroffenen fahrenden Fahrzeuge mitgeteilt worden waren.

Allgemein ist Voraussetzung für die Aburteilung eines Abstandsverstoßes, dass eine nur ganz vorübergehende Unterschreitung des zulässigen Abstands ausgeschlossen werden kann. Dieses Postulat hat keinen Selbstzweck, sondern soll gewährleisten, dass der Verstoß auch vorwerfbar begangen wurde, was etwa bei einem plötzlichen Abbremsen oder einem unerwarteten Spurwechsel durch den Vorausfahrenden fraglich sein könnte. Wann eine nicht nur ganz vorübergehende Abstandsunterschreitung vorliegt, wird in der Rechtsprechung der Obergerichte unterschiedlich beurteilt. Als nicht ganz vorübergehend wird jedenfalls eine Strecke von 250 – 300 m angesehen. Andererseits kann auch eine Unterschreitung des gebotenen Abstands über eine kürzere Strecke ausreichen, wenn die Messung mit einem standardisierten Messverfahren durchgeführt wurde und der in obigem Sinne vorwerfbare Verstoß mindestens drei Sekunden andauert. Übereinstimmung besteht aber darin , dass entscheidend für eine vorwerfbare Abstandsunterschreitung nicht nur die Länge der eigentlichen Messstrecke bzw. die Dauer der Messung ist, sondern dass insoweit auch die Länge der Beobachtungsstrecke bis zum Beginn der Messstrecke miteinzubeziehen ist (OLG Koblenz, B. v. 13.5.2002 – 1 Ss 75/02 -, juris Rdn.17 ff.; OLG Hamm NStZ-RR 2013, 218; ZfSch 2015, 711; OLG Bamberg, DAR 2011, 595 [Messstrecke 50 Meter]; NJW 2015, 1320). Hierzu sind im amtsgerichtlichen Urteil/Beschluss in jedem Fall Feststellungen zu treffen, in der Regel nach Inaugenscheinnahme des Videofilms über den Messvorgang.

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