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Nichtbenutzung Kontrollgerät nach Gemeinschaftsrecht bei Transport leerer Flaschen

OLG Stuttgart – Az.: 5 Ss 1141/09 – Beschluss vom 29.09.2011

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 17. März 2009 mit den zugehörigen Feststellungen – ausgenommen die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen – a u f g e h o b e n .

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Stuttgart z u r ü c k v e r w i e s e n .

Gründe

I.

Der Betroffene wurde mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 17. März 2009 wegen zweier fahrlässig begangener Verstöße gegen das Fahrpersonalgesetz, nämlich der Nichtbenutzung eines Kontrollgeräts sowie der Nichtvorlage der Schaublätter für die vorausgegangenen 28 Kalendertage, zu Geldbußen von jeweils 100,– €, insgesamt also 200,– €, verurteilt.

Nach den Feststellungen ist der Betroffene Inhaber einer Wein- und Getränkehandlung und bietet für seine Kunden einen Heimlieferservice an. Hierzu beliefert er einmal wöchentlich ca. 30 bis 40 Kunden in einem Umkreis von 10 – 15 km um seinen Firmensitz in …. Im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit lenkte der Betroffene am 03. März 2008 in … einen Lkw mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 7,49 t, ohne das eingebaute Kontrollgerät zu benutzen. Er hatte weder ein Schaublatt eingelegt, noch konnte er dem anhaltenden Beamten die Schaublätter der vorausgegangenen 28 Kalendertage vorlegen. Auf dem Fahrzeug befand sich Leergut, das der Betroffene zur Firma … nach … zurückbringen wollte. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt habe der Betroffene erkennen können und müssen, dass er zur Benutzung des Kontrollgeräts und zur Vorlage der Schaublätter für die vorangegangenen Tage verpflichtet gewesen wäre.

Der Betroffene wendet sich gegen die Entscheidung mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.

Nach Zulassung der Rechtsbeschwerde legte der Senat mit Beschluss vom 17. Dezember 2009 in dieser Sache ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der europäischen Union vor, das mit Urteil vom 28. Juli 2011 (C-554/09) beschieden wurde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache vorläufigen Erfolg.

1. Die Feststellungen des Amtsgerichts, nach denen der Betroffene als Fahrer den objektiven Tatbestand der §§ 8 Abs. 1 Nr. 2 b FPersG, 23 Abs. 2 Nr. 1 und 11 FPersV i. V. m. Artikel 3 Abs. 1, 15 Abs. 7 a der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 des Rates über das Kontrollgerät im Straßenverkehr verwirklicht hat, sind nicht zu beanstanden.

Auf den Betroffenen, der im vorliegenden Fall sein Fahrzeug mit einem zugelassenen Gesamtgewicht von 7,49 t im Straßenverkehr zur gewerblichen Güterbeförderung benutzt hat, findet die Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 Anwendung (vgl. Artikel 3 Abs. 1 Satz 1 dieser Verordnung i. V. m. Artikel 3 h der Verordnung (EG) Nr. 561/2006). Von der daher grundsätzlichen Verpflichtung zum Einbau und zur Benutzung eines Kontrollgerätes können die Mitgliedsstaaten gem. Artikel 3 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 jedoch die in Artikel 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 genannten Fahrzeuge freistellen. Der deutsche Gesetzgeber hat von dieser Ermächtigung unter Verweisung auf die Verordnung (EG) Nr. 561/2006, welche die Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 ab dem 11. April 2007 ersetzt hat, durch § 18 Abs. 1 Nr. 4 b FPersV Gebrauch gemacht. Nach dieser Vorschrift werden Fahrzeuge oder Fahrzeugkombinationen mit einer zulässigen Höchstmasse von nicht mehr als 7,5 t ausgenommen, die in einem Umkreis von 50 km vom Standort des Unternehmens zur Beförderung von Material, Ausrüstungen oder Maschinen, die der Fahrer zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit benötigt, verwendet werden, soweit das Lenken des Fahrzeugs nicht die Haupttätigkeit des Fahrers darstellt.

Die Voraussetzungen dieses Ausnahmetatbestands erfüllt der Betroffene nicht. Er verwendet sein Fahrzeug mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 7,49 t nach den Feststellungen des Amtsgerichts zwar in einem Umkreis von weniger als 50 km von seinem Betriebssitz aus zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit, wobei auch feststeht, dass das Lenken dieses Fahrzeugs im Hinblick auf die sonstige Verkaufstätigkeit des Betroffenen in seinem Ladengeschäft lediglich eine Hilfstätigkeit darstellt, jedoch handelt es sich bei dem beförderten Leergut nicht um „Material“ im Sinne dieser Vorschrift.

Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens hat der Gerichtshof der europäischen Union die hierzu vom Senat vorgelegte Frage mit Urteil vom 28. Juli 2011 (C-554/09) wie folgt beschieden:

„Der Begriff „Material“ in Artikel 13 Abs. 1 d, zweiter Gedankenstrich, der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates ist dahin auszulegen, dass darunter nicht Verpackungsmaterial wie leere Flaschen (Leergut) fallen kann, das von einem Wein- und Getränkehändler befördert wird, der ein Ladengeschäft betreibt, einmal wöchentlich seine Kunden beliefert und dabei das Leergut einsammelt, um es zu seinem Großhändler zu bringen.“

In dieser Entscheidung hat der Gerichtshof der europäischen Union an der Rechtsprechung in Sachen Raemdonck und Raemdonck-Janssens (C-128/04, Urteil vom 17. März 2005, Slg. 2005, I-2445) festgehalten, wonach der Begriff des „Materials“ in einem weiteren Sinne als der der „Ausrüstungen“ zu verstehen ist. Ersterer umfasst Gegenstände, die der Fahrer des betreffenden Fahrzeugs zur Ausübung seines Berufes benötigt oder verwendet und zu denen somit auch Bestandteile des von ihm herzustellenden Endprodukts oder der von ihm durchzuführenden Arbeiten gehören können. Daraus folgt, dass das „Material“ zur Schaffung, Änderung oder Verarbeitung einer anderen Sache verwendet werden soll oder dafür erforderlich ist und nicht nur einfach befördert werden soll, um selbst geliefert, verkauft oder beseitigt zu werden. Da das „Material“ also einem Verarbeitungsprozess unterliegt, ist es keine Ware, die von ihrem Verwender zum Verkauf bestimmt ist.

Im vorliegenden Fall wird das Leergut vom Betroffenen lediglich befördert. Es handelt sich nicht um Gegenstände, die zur Ausübung seiner Haupttätigkeit erforderlich sind. Insbesondere werden die leeren Flaschen weder be- noch verarbeitet und auch nicht einem anderen Erzeugnis hinzugefügt oder zur Ausübung einer Tätigkeit verwendet.

Die einschränkende Auslegung des Begriffs „Material“ wird durch eine systematische Auslegung aller in Artikel 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 enthaltenen Ausnahmen bestätigt. Diese Norm sieht Ausnahmen von den Artikeln 5 – 9 der Verordnung vor, insbesondere für Fahrzeuge, die zum Abholen von Milch bei landwirtschaftlichen Betrieben oder zur Rückgabe von Milchbehältern an diese Betriebe verwendet werden, oder auch für Fahrzeuge der Hausmüllabfuhr. Die Beschränkung auf spezifische Kategorien von beförderten Gegenständen belegt, dass der Unionsgesetzgeber keine allgemeine Ausnahme für sämtliche Fahrzeuge, die gewerbliche Gegenstände befördern, schaffen wollte.

Eine derart pauschale Auslegung des Materialbegriffs würde zudem eine Abgrenzung vom Begriff der „Güter“ wie er in der Verordnung (EG) Nr. 561/2006, insbesondere in den Artikeln 2 Abs. 1 a, 4 a und 10 Abs. 1 mehrfach verwendet wird, erschweren oder gar unmöglich machen. Hierbei ist jeweils zu berücksichtigen, dass die Anwendung des Ausnahmetatbestands des Artikel 13 Abs. 1 d, zweiter Gedankenstrich, der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 insbesondere von der Art der beförderten Güter abhängt. So werden durch die Beschränkung auf die Begriffe „Material“, „Ausrüstung“ und „Maschinen“ handelbare Güter im eigentlichen Sinne, sowie Güter, die lediglich von einem Ort zum anderen befördert werden, ohne be- oder verarbeitet oder zur Ausübung einer Tätigkeit verwendet zu werden, ausgeschlossen.

Eine enge Auslegung der Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 13 Abs. 1 d, zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 561/2006 gebietet auch der Normzweck. Das Ziel der Verordnung, nämlich die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Kraftverkehrssektor und die Straßenverkehrssicherheit, würde durch eine weitergehende Auslegung der Ausnahmevorschrift beeinträchtigt. Diese würde auch zu Unsicherheit im Straßenverkehrsgewerbe und bei den Vollzugsbehörden sowie zu Schwierigkeiten bei der Auslegung, Anwendung, Durchsetzung und Kontrolle dieser Vorschriften führen, was dem in Artikel 1 Satz 2 der Verordnung formulierten Zweck einer besseren Kontrolle und Durchsetzung im Straßenverkehrsgewerbe zuwider liefe.

Eine erweiternde Auslegung der Ausnahmevorschrift ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Betroffene im Rahmen nationaler Rechtsvorschriften über Verpackungen, deren Ziel der Umweltschutz durch die Verwendung von wiederverwendbaren Flaschen ist, der Verpflichtung unterliegt, sich an einem Rücknahmesystem zu beteiligen, durch das die Beförderung leerer Flaschen im Rahmen der gewerblichen Tätigkeit erforderlich wird.

Diese Auslegung des Materialbegriffs durch den Gerichtshofs der europäischen Union ist für den vorlegenden Senat bindend (BVerfGE 73, 339, 370 m.w.N.).

2. Dagegen vermögen die Feststellungen zur subjektiven Tatseite den Schuldspruch nicht zu tragen.

Das Amtsgericht stellt hierzu fest, der Betroffene habe bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen, dass er zur Benutzung des Kontrollgerätes verpflichtet gewesen sei, ebenso zur Vorlage der Schaublätter für die vorausgegangenen Tage. Im Weiteren wird ausgeführt, der Betroffene habe erklärt, er sei der Meinung, das in sein Fahrzeug eingebaute Kontrollgerät bei Fahrten für seinen Kleinbetrieb von maximal 50 km bzw. bei der Belieferung von Kunden im Umkreis von maximal 15 km und insbesondere für den Fall, dass er nur Leergut geladen habe, nicht nutzen zu müssen. So habe er sich auch informiert. Ihm sei lediglich ein fahrlässiges Fehlverhalten vorzuwerfen, da er nicht widerlegbar angenommen habe, unter den Ausnahmetatbestand zu fallen. Hierbei bewege sich sein Verschulden am unteren Rande, da die Rechtslage im konkreten Fall für den Laien, der einen Zwei-Mann-Kleinbetrieb führt, nicht ohne weiteres ersichtlich sei.

Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass das Amtsgericht dem Betroffenen zubilligt, sich bei Begehung der Taten in einem Verbotsirrtum gem. § 11 Abs. 2 OWiG befunden zu haben. Danach handelt ein Täter nicht vorwerfbar, wenn ihm bei Begehung der Handlung die Einsicht, etwas Unerlaubtes zu tun, namentlich weil er das Bestehen oder die Anwendbarkeit einer Rechtsvorschrift nicht kennt, fehlt und er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte.

Feststellungen dazu, weshalb der Betroffene im vorliegenden Fall den Irrtum vermeiden konnte, werden in den Urteilsgründen jedoch nicht getroffen. So bleibt insbesondere offen, bei welcher Stelle er sich informierte und weshalb er nicht allein auf die erteilte Auskunft vertrauen durfte.

Wegen dieses Darlegungsmangels ist das amtsgerichtliche Urteil aufzuheben. Da jedoch auf Grund der geständnisgleichen Einlassung des Betroffenen rechtsfehlerfrei die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes zweier Ordnungswidrigkeiten gem. §§ 8 Abs. 1 Nr. 2 b FPersG, 23 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 11 FPersV festgestellt wurde, sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrecht zu erhalten (vgl. KK – Kuckein, StPO, 6. Aufl., § 353 Rn. 29 m.w.N.).

 

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