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Nichtbefähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen nach einer Fahrverhaltensprobe

VG Bayreuth – Az.: B 1 S 18.358 – Beschluss vom 09.05.2018

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 6.250 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die am … geborene Antragstellerin wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der (alten) Klassen 3, 4 und 5.

Die Polizeiinspektion B… teilte der Fahrerlaubnisbehörde des Antragsgegners mit Schreiben vom 18. November 2016 mit, dass die Antragstellerin eine Anzeige aufgegeben habe. Sie habe eine (leichte) geistige Behinderung, was an der undeutlichen Aussprache und an ihrer Gestik erkennbar gewesen sei. Sie sei mit ihrem Pkw nach Hause gefahren. Aus Sicht der Polizei sei es von Nöten, die Fahrtauglichkeit zu überprüfen.

Mit Schreiben vom 21. Dezember 2016 wurde die Antragstellerin von der Fahrerlaubnisbehörde aufgefordert, einen Gesundheitsfragebogen auszufüllen.

Mit Schreiben vom 19. Januar 2017 legte die Bevollmächtigte der Antragstellerin eine Stellungnahme des behandelnden Arztes vom 10. Januar 2017 vor. Aus diesem ergibt sich, dass die Antragstellerin an einer Dystonie leide. Hierbei handele es sich um eine zentralmotorische Störung mit unwillkürlicher Verkrampfung von Muskeln, welche eine Schiefhaltung des Kopfes bedinge. Auch führe dies zu einer Beteiligung der Stimmbandmuskulatur, weshalb die Aussprache gepresst und undeutlich sei. Es handele sich nicht um eine geistige Behinderung. Die Antragstellerin werde alle drei Monate mit Botulinumtoxin-Injektionen behandelt. Rein von Seiten der motorischen Funktion der Kopfbewegung bestünden mäßige Einschränkungen, welche dem Führen eines Kraftfahrzeugs nach Ansicht des Arztes nicht entgegenstünden.

Mit Schreiben vom 15. Februar 2017 legte die Bevollmächtigte der Antragstellerin den Bescheid des Amts für Versorgung vom … vor, durch den ein Grad der Behinderung von 60 bei der Antragstellerin festgestellt wurde mit folgenden Behinderungen: Dystone extrapyramidale Bewegungsstörung mit psycho-reaktiv depressiver Verstimmung bei neurotischer Persönlichkeitsstruktur, Asthma bronchiale, rezidivierendes Hals- und Lendenwirbelsäulen Syndrom, Chondropathia patellae.

In einer Vorsprache bei der Fahrerlaubnisbehörde wurde die Beibringung eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr über die kraftfahrtechnische Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vereinbart. Mit Schreiben vom 30. März 2017 wurde die Antragstellerin zur Beibringung des Gutachtens bis zum 15. Mai 2017 mit folgenden Fragestellungen aufgefordert:

– „Kann die Antragstellerin trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen, die nach Anlage 4 FeV die Fahreignung in Frage stellen und unter Berücksichtigung der in den beigefügten Arztberichten festgestellten Befunde ein Kraftfahrzeug der betroffenen Klassen sicher führen?

– Insbesondere ist zu prüfen, ob eine Kompensation der festgestellten Einschränkungen durch besondere Voraussetzungen (vgl. Anlage 9 zu § 25 Abs. 3 FeV: Eintragung von Auflagen und Schlüsselzahlen) möglich ist?“

Mit Schreiben vom 7. April 2017 forderte die Führerscheinstelle im Einverständnis mit der Antragstellerin den TÜV … zur Erstellung des kraftfahrtechnischen Eignungsgutachtens (nach Möglichkeit ohne Fahrprobe) auf. Hierauf gab die Begutachtungsstelle zu verstehen, dass das Gutachten nur mit Fahrprobe erstellt werden könne. Die Antragstellerin wurde darüber verständigt.

Die Antragstellerin absolvierte zur Vorbereitung des Gutachtens Fahrstunden mit dem Fahrschulwagen; hierfür wurde ihr eine Fristverlängerung zur Vorlage des Gutachtens bis zum 17. Juli 2017 gewährt.

Am 26. Juni 2017 trat die Antragstellerin eine 45-minütige Fahrverhaltensprobe an (zur Vorbereitung erhielt sie 2 Fahrstunden). Hierbei stellte der Gutachter mit Schreiben vom 3. Juli 2017 fest: „unzureichende Verkehrsbeobachtung, mehrfache Wahl der falschen Fahrstufe (6x), nichtangepasste Fahrgeschwindigkeit, Anfahren an den Bordstein, grobe Missachtung der Vorfahrt anderer Verkehrsteilnehmer (3x), Nichtanhalten am Verkehrszeichen Halt! Vorfahrt gewähren! (2x), Nichtbeachten der Verkehrszeichen 250 und 260.“ Aufgrund der gezeigten Fahrleistung seien die Voraussetzungen zum sicheren Führen von Kraftwagen der Klasse B derzeit als nicht gegeben zu betrachten.

Mit Schreiben vom 7. Juli 2017 wurde der Antragstellerin zum geplanten Entzug der Fahrerlaubnis rechtliches Gehör gewährt.

Hierauf ließ die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigte mit Schreiben vom 21. Juli 2017 erwidern, dass aufgrund Größe, Statur und Sitzposition des Fahrlehrers der rechte Seitenspiegel und Straßenschilder der rechten Seite vom Fahrersitz aus nicht einsehbar gewesen seien. Die Prüfung habe um 7.30 Uhr stattgefunden und somit gegen den ehemaligen Arbeitsrhythmus der Antragstellerin im Schichtdienst. Es werde darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin bis dato keine Punkte in Flensburg habe und bislang unauffällig und unfallfrei gefahren sei. Es wurde die Durchführung einer Vergleichsfahrstunde beantragt.

Dies lehnte die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 26. Juli 2017 zunächst ab.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2017 erklärte sich die Fahrerlaubnisbehörde bereit, der Antragstellerin die Möglichkeit einer erneuten Fahrverhaltensprobe einzuräumen. Mit Schreiben vom 29. Dezember 2017 wurde die Begutachtungsstelle erneut angeschrieben mit einer Frist für das Gutachten bis zum 28. Februar 2018.

Die Antragstellerin trat am 2. Februar 2018 eine weitere 45-minütige Fahrverhaltensprobe mit einer Vorbereitung von 7 Fahrstunden an. Hierbei stellte der Gutachter im Schreiben vom 5. Februar 2018 Folgendes fest: „Startprobleme zu Beginn der Prüfung, Fahrstreifenwechsel ohne Verkehrsbeobachtung, unzureichende Verkehrsbeobachtung bei Abbiegevorgängen, Missachtung der Vorfahrt eines entgegen kommenden Pkw beim Linksabbiegen, bei eigener Vorfahrt verhält sich die Antragstellerin so, als hätten von rechts kommende Verkehrsteilnehmer Vorfahrt, beim Rechtsabbiegen an einer ampelgeregelten Kreuzung holt die Antragstellerin zu weit nach links aus, am Verkehrszeichen „vorgeschriebene Fahrtrichtung nach rechts“ fragte die Antragstellerin in welche Richtung sie weiterfahren solle, Einordnen zum Linksabbiegen auf einem Fahrstreifen für Geradeausfahren, Nichtbeachtung eines geradeaus fahrenden Radfahrers beim Rechtsabbiegen, Stehenbleiben an einer Rotlicht zeigenden Verkehrsampel mit „Grünpfeilschild, nichtangepasste zu hohe Geschwindigkeit beim Einfahren in die Autobahn“. Aufgrund der gezeigten Fahrleistung seien die Voraussetzungen zum sicheren Führen von Kraftwagen der Klasse B derzeit eindeutig als nicht gegeben zu betrachten.

Die Polizeiinspektion … teilte mit Schreiben vom 2. Februar 2018 mit, dass ein Passant am 29. Januar 2018 beobachtet habe, wie der Pkw der Antragstellerin gegen die Fußgängerampel auf dem Gehweg gefahren sei. Die Fahrerin sei sehr unsicher gewesen und sei deutlich Schlangenlinien gefahren. Bei einem Gespräch mit der Antragstellerin sei ersichtlich gewesen, dass sie schwerbehindert sei. Die Schäden an ihrem Pkw (vgl. Lichtbilder) deuteten darauf hin, dass die Antragstellerin schon mehrfach in Unfälle verwickelt gewesen sei.

Der Antragstellerin wurde abermals mit Schreiben vom 21. Februar 2018 rechtliches Gehör zum Entzug der Fahrerlaubnis gegeben.

Mit Bescheid des Landratsamts … vom 6. März 2018 (zugestellt gegen Empfangsbekenntnis am 8. März 2018) wurde der Antragstellerin die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen 3, 4 und 5 entzogen (Nr. 1 des Bescheids). Sie wurde verpflichtet, den am … ausgestellten Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung dieses Bescheids beim Antragsgegner abzuliefern (Nr. 2 des Bescheids). Für den Fall der Nichtbeachtung der in Nr. 2 des Bescheids festgelegten Verpflichtung zur fristgerechten Abgabe des Führerscheins wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht (Nr. 3 des Bescheids). Die sofortige Vollziehung der Nummer 1 und 2 des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 4 des Bescheids). Weiter wurde eine Gebühr in Höhe von 250 EUR festgesetzt (Nr. 5 des Bescheids). Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Sachbearbeiter festgestellt habe, dass die körperlichen Einschränkungen nicht derart schwerwiegend seien, dass ein ärztliches Gutachten zur Beurteilung der gesundheitlichen Eignung gerechtfertigt gewesen wäre. Es sei deshalb die Einholung eines kraftfahrtechnischen Gutachtens vereinbart worden. Weiter wurde auf die zwei negativen Fahrverhaltensbeobachtungen Bezug genommen. Die Fahrerlaubnis sei nach § 46 Abs. 4 FeV zu entziehen, ein Ermessensspielraum bestünde nicht.

Mit Schreiben vom 9. April 2018, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tage, ließ die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigte Klage gegen den Bescheid vom 6. März 2018 erheben und mit weiterem Schreiben vom selben Tage beantragen,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen 3, 4 und 5 des Antragsgegners mit Bescheid vom 6. März 2018 wiederherzustellen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Einleitung des Verwaltungsverfahrens die Antragstellerin in so große Erregung und Nervosität versetzt habe, dass das Krankheitsbild der Dystonie so verstärkt worden sei, dass es ihr nicht möglich gewesen sei, die Fahrverhaltensproben zu bestehen. Die Antragstellerin habe ihr speziell ausgestattetes Fahrzeug (vergrößerter Rückspiegel und Einparkhilfe) nicht benutzen können. Die Unterhaltung der im Fahrschulauto anwesenden Personen habe sie in einen derart nervösen Zustand versetzt, dass eine konzentrierte Fahrweise nicht möglich gewesen sei. Es hätte ein ärztliches Gutachten eingeholt werden müssen.

Mit Schreiben vom 18. April 2018 beantragte das Landratsamt … für den Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.

Für die Anordnung einer weiteren ärztlichen Untersuchung sei kein Raum, da die Ergebnisse der Fahrproben eindeutig seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).

II.

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage bleibt ohne Erfolg.

1. Die Antragstellerin begehrt zunächst die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis in Nr. 1 des Bescheids des Landratsamts … vom 6. März 2018.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der vorliegende Antrag abzulehnen, da die Klage der Antragstellerin nach summarischer Überprüfung aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides wiegt insoweit schwerer als das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.

In der Sache selbst folgt das Gericht zunächst der zutreffenden Begründung des angegriffenen Bescheids und sieht insoweit von einer gesonderten Darstellung der Gründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO analog). Ergänzend hierzu sind zum Antragsvorbringen sowie zur Sache noch die folgenden Ausführungen veranlasst:

a) Die Begründung der sofortigen Vollziehung im angefochtenen Bescheid genügt den formellen Anforderungen nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Sie zeigt, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst war und enthält die Erwägungen, die er für die Anordnung des Sofortvollzugs als maßgeblich angesehen hat. Dass in einer Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle betreffend die Ungeeignetheit von Kraftfahrern das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch ist und die fahrerlaubnisrechtliche Anordnung der sofortigen Vollziehung ähnlich begründet wird, ändert an deren Einzelfallbezogenheit nichts (vgl. etwa BayVGH, B.v. 16.11.2016 – 11 CS 16.1957 – juris).

b) Der Antragsgegner hat die Fahrerlaubnis der Antragstellerin zu Recht nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Verbindung mit § 46 Abs. 4 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) entzogen, da die Antragstellerin nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen ist.

Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend wegen der unmittelbaren Klageerhebung der Zeitpunkt der Zustellung des streitgegenständlichen Bescheids an die Bevollmächtigten der Antragstellerin, hier also der 8. März 2018 (vgl. BayVGH, B.v. 4.12.2012 – 11 ZB 12.2667 – juris).

Gemäß § 46 Abs. 4 FeV ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn der Inhaber sich als nicht befähigt zum Führen eines Kraftfahrzeugs erweist. Die vom Antragsgegner angeordneten Fahrverhaltensproben, die bei einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr abzuleisten waren, stellen gemäß § 46 Abs. 4 Satz 2 FeV ein geeignetes Mittel dar, die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu überprüfen.

(1) Zwar war die Anordnung des Gutachtens (Schreiben vom 7. April 2017 auf die Erstellung eines kraftfahrtechnischen Eignungsgutachtens gerichtet (anstelle Befähigungsgutachtens). Im Bescheid stützt sich das Landratsamt … aber zutreffend auf § 46 Abs. 4 FeV und die mangelnde Befähigung der Antragstellerin ein Kraftfahrzeug sicher zu führen, was auch zumindest durch das Gutachten vom 5. Februar 2018 festgestellt wurde. Für die Frage der Prüfung der Befähigung nach § 46 Abs. 4 FeV müssen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 11 Abs. 4 FeV (ärztliches Gutachten nach § 11 Abs. 2 oder medizinisch-psychologisches Gutachten nach § 11 Abs. 3 FeV) nicht vorliegen. Dies ergibt sich daraus, dass § 46 Abs. 4 Satz 3 FeV nur auf die entsprechende Anwendung von § 11 Abs. 6 bis 8 FeV, nicht dagegen auf § 11 Abs. 4 FeV verweist. Unerheblich ist daher, dass der behandelnde Arzt der Antragstellerin im Schreiben vom 10. Januar 2017 die grundsätzliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs trotz der Behinderung der Antragstellerin nicht in Frage gestellt hat. Im Bescheid des Antragsgegners ist ausgeführt, dass auch der Sachbearbeiter des Landratsamts trotz der Behinderung von einer grundsätzlichen Eignung der Antragstellerin ausging, weshalb gerade nicht ein medizinisches Gutachten nach § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 FeV gefordert wurde.

Zwar mögen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanforderung bestehen, da im Schreiben des Landratsamts vom … ein Eignungsgutachten und nicht ein Befähigungsgutachten gefordert wurde. Letztlich kann aber offen bleiben, ob die Gutachtensanordnung rechtmäßig war oder nicht. Denn das geforderte Gutachten ist zur Kenntnis der Fahrerlaubnisbehörde gelangt. Dadurch hat sich die Gutachtensanordnung in der Weise erledigt, als von einem seitens der Behörden rechtswidrig erlangten Gutachten nicht mehr gesprochen werden kann. Zudem wird durch die Begutachtung eine neue, selbständige Tatsache geschaffen, die zu berücksichtigen ist. Ein Verbot, dieses Gutachten – insbesondere wenn dieses negativ ausgefallen ist – für die Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung zu verwerten, lässt sich weder aus den Vorschriften des StVG, noch aus den Vorschriften der FeV oder aus sonstigem Recht ableiten. Einem solchen Verbot stünde auch das Interesse der Allgemeinheit entgegen, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die sich auf Grund festgestellter Tatsachen als ungeeignet erwiesen haben (vgl. BVerwG, U.v.18.3.1982 – 7 C 69/81 – BVerwGE 65, 157-167, juris Rn. 20; OVG MV, B.v.20.3.2008 – 1 M 12/08 – juris Rn. 7). Von einem Beweiserhebungsverbot könnte also in diesem Zusammenhang nicht auf ein Beweisverwertungsverbot geschlossen werden. Das Gutachten stellt deshalb eine neue, von der Behörde zu beachtende Tatsache dar (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.1996 – 11 B 14/96 – juris; VG München, U.v. 14.12.2014 – M 6a K 12.2546 – juris Rn. 18).

(2) Die Berechtigung der Fahrerlaubnisbehörde, von der Antragstellerin ein Gutachten über ihre Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu fordern, war zudem zumindest nach der ersten durchgeführten Fahrverhaltensprobe am 3. Juli 2017 gemäß § 46 Abs. 4 Satz 2 FeV gegeben. In dieser Fahrverhaltensprobe wurden zahlreiche Fahrfehler festgestellt. Selbst wenn man unterstellt, dass der Fahrlehrer eine ungünstige Sitzposition hatte (Schreiben der Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 21. Juli 2017) und die rechte Seite deshalb für die Antragstellerin nicht einsehbar gewesen sein sollte, so unterliefen der Antragstellerin weitere Fahrfehler, die nichts mit einer uneingeschränkten Sicht auf die rechte Seite zu tun hatten (wie die mehrfache Wahl der falschen Fahrstufe, die nichtangepasste Fahrgeschwindigkeit -1 mal 20 km/h über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h -, das Anfahren des Bordsteins, Nichtanhalten am Verkehrszeichen Halt! Vorfahrt gewähren! – 2 mal). Selbst wenn die Fahrprüfung zu einer für die Antragstellerin ungünstigen Stunde erfolgt sein sollte, so rechtfertigt dies nicht das Auftreten einer solch großen Fehleranzahl, da von einem Fahrzeugführer, der sich tatsächlich an das Steuer setzt, erwartet werden muss, eine verkehrssichere Fahrleistung zu erbringen. Sollte sie sich hierzu am 3. Juli 2017 nicht in der Lage gesehen haben, so wäre zu erwarten gewesen, dies am selben Tag mitzuteilen und die Fahrt unter diesen Umständen nicht anzutreten. Ein Fahrtantritt trotz der Tatsache, dass sich der Antragsteller selbst als nicht befähigt zum Fahren sieht (z.B. aufgrund Müdigkeit), ist erst Recht ein Hinweis auf die mangelnde Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs.

Die festgestellten Fahrmängel stellen Tatsachen dar, die geeignet sind, Bedenken an der Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu wecken, insbesondere daran, ob die Antragstellerin mit den Gefahren des Straßenverkehrs und den zu ihrer Abwehr erforderlichen Verhaltensweisen (noch) vertraut ist (§ 2 Abs. 5 Nr. 2 StVG) und ob sie die zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeugs erforderlichen technischen Kenntnisse besitzt und (so insbesondere im vorliegenden Fall) zu ihrer praktischen Anwendung (noch) in der Lage ist.

(3) Der Antragsgegner hat der Antragstellerin eine ausreichende Frist zur Absolvierung der 2. Fahrprobe gewährt.

Die mit Schreiben des Antragsgegners vom 29. Dezember 2017 festgesetzte Frist zur Vorlage des Gutachtens bis 28. Februar 2018 räumte der Antragstellerin einen Zeitraum von über zwei Monaten ein, um sich mit Hilfe eines Fahrlehrers auf die Fahrprobe vorzubereiten. Diesen Zeitraum hat die Antragstellerin auch genutzt, da sie laut dem Gutachten vom 5. Februar 2018 vor der Fahrprobe am 2. Februar 2018 sieben Übungsstunden absolviert hat.

(4) Das Gutachten der TÜV … vom 5. Februar 2018 begegnet im vorliegenden Eilverfahren keinen inhaltlichen Bedenken. Die formellen und materiellen Anforderungen an ein Gutachten im Sinne von § 46 Abs. 4 Satz 2 FeV sind ersichtlich nicht eigens normiert, insbesondere gilt Anlage 4a zur FeV gemäß dem Wortlaut von § 11 Abs. 5 FeV nur für ärztliche bzw. medizinisch-psychologische Untersuchungen und Gutachten. „Fahrproben“ von Inhabern einer Fahrerlaubnis sind zwar formell nicht praktische Prüfungen im Sinne von § 17 FeV, beide Prüfungsverfahren bezwecken jedoch die Feststellung der Befähigung im Sinne von § 2 Abs. 5 StVG. Dies rechtfertigt es zumindest im Grundsatz, an eine Fahrprobe im Sinne von § 46 Abs. 4 Satz 2 FeV die gleichen bzw. vergleichbaren materiellen Anforderungen zu stellen wie an eine praktische Prüfung im Sinne von § 17 FeV. Die maßgeblichen Beurteilungskriterien können somit der Anlage 7 zur FeV, dort insbesondere der Nr. 2.1.5 hinsichtlich der Zielvorgabe für eine Prüfungsfahrt, entnommen werden. Danach muss ein Bewerber fähig sein, selbständig das Fahrzeug auch in schwierigen Verkehrslagen verkehrsgerecht und sicher zu führen. Seine Fahrweise soll defensiv, rücksichtsvoll, vorausschauend und dem jeweiligen Verkehrsfluss angepasst sein. Daneben soll er auch zeigen, dass er über ausreichende Kenntnisse der für das Führen eines Kraftfahrzeugs maßgebenden gesetzlichen Vorschriften und einer umweltbewussten und energiesparenden Fahrweise verfügt, sie anzuwenden versteht sowie mit den Gefahren des Straßenverkehrs und den zu ihrer Abwehr erforderlichen Verhaltensweisen vertraut ist. Insbesondere ist unter anderem auf folgende Verhaltensweisen zu achten:

  • automatische Kraftübertragung,
  • Verkehrsbeobachtung und Beachtung der Verkehrszeichen und -einrichtungen,
  • Fahrgeschwindigkeit,
  • Abstand halten vom vorausfahrenden Fahrzeug,
  • Überholen und Vorbeifahren,
  • Verhalten an Kreuzungen, Einmündungen, Kreisverkehren und Bahnübergängen,
  • Abbiegen und Fahrstreifenwechsel,
  • Verhalten gegenüber Fußgängern sowie an Straßenbahn- und Bushaltestellen,
  • Fahren außerhalb geschlossener Ortschaften.

An solchen Kriterien wurde vom Prüfer ausweislich seiner Darstellung vom 5. Februar 2018 die Befähigung der Antragstellerin gemessen. Somit kann angenommen werden, dass die Beurteilung anhand von sachgerechten Kriterien erfolgte. Im Gutachten wurden die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen angegeben. Im Einzelnen ist dabei festzuhalten, dass die Antragstellerin über eine Dauer von 45 Minuten und eine Fahrstrecke von 17 km einer Fahrverhaltensbeobachtung unterzogen wurde. Dabei zeigten sich gravierende Mängel. Zusammenfassend kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass während der gesamten Fahrt mehrfach unterdurchschnittliche Ergebnisse bezüglich Kenntnis und Anwendung der geltenden Verkehrsvorschriften ersichtlich gewesen seien. Ebenso seien sowohl hinsichtlich der Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistung als auch des Wahrnehmungsvermögens unzureichende Verhaltensweisen zu erkennen. Es sei während der gesamten Fahrt eine relativ unsichere Fahrweise zu erkennen gewesen. Die Voraussetzungen zum sicheren Führen von Kraftwagen der Klasse B seien eindeutig als nicht gegeben zu betrachten.

Das Gericht hält die Ausführungen im Gutachten für schlüssig, nachvollziehbar und eindeutig. Dabei belegen insbesondere folgende Feststellungen, dass die Antragstellerin auch zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen 4 und 5 nicht befähigt ist: nämlich unzureichende Verkehrsbeobachtung bei Abbiegevorgängen (Benutzung von Innen- und Außenspiegel, Schulterblick), Missachtung der Vorfahrt eines entgegen kommenden Pkw beim Linksabbiegen, Einordnen zum Linksabbiegen auf einem Fahrstreifen für Geradeausfahrer. Bei diesen Fehlleistungen handelt es sich gerade nicht um solche, die nur im Zusammenhang mit dem Führen eines Pkw auftreten können, sondern um solche die auch bei Krafträdern der Klasse A1 und AM oder bei landwirtschaftlichen Zugmaschinen der Klasse L vorkommen können. Erst recht gilt dies für Fahrzeugkombinationen (C1, C1E, CE). Erschwerend kommt hinzu, dass sich die o.g. Fahrfehler auch noch nach mehrwöchiger Vorbereitung durch die Fahrschule (7 Übungsstunden) zeigten. Der Kraftfahrer, der die wesentlichen Verkehrsvorschriften nicht mehr beherrscht oder sein Fahrzeug technisch nicht mehr sicher lenken kann, begründet für die übrigen Verkehrsteilnehmer ebenso eine Gefahr wie der Kraftfahrer, der die weiteren in körperlicher, geistiger oder charakterlicher Hinsicht zu stellenden Anforderungen nicht mehr erfüllt.

Die von der Antragstellerin in ihrem gerichtlichen Antrag geführten Argumente, sie habe ihr Fahrzeug mit vergrößertem Rückspiegel und Einparkhilfe nicht benutzen können, überzeugen nicht, da das Einparken nicht bemängelt wurde und Fehler festgestellt wurden, die auch mit einem vergrößerten Rückspiegel entstanden wären (Fahrstreifenwechsel ohne Verkehrsbeobachtung, unzureichende Verkehrsbeobachtung bei Abbiegevorgängen – hier auch fehlender Schulterblick, Missachtung der Vorfahrt eines entgegen kommenden Fahrzeugs beim Linksabbiegen, Einordnen beim Linksabbiegen auf einem Fahrstreifen für Geradeausfahrer, Nichtangepasste zu hohe Geschwindigkeit beim Einfahren in die Autobahn).

Der Antragsgegner durfte daher von der erwiesenen Nichtbefähigung der Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen entsprechend der ihr erteilten Fahrerlaubnisklassen ausgehen und die Fahrerlaubnis musste gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 4 Satz 1 FeV zwingend entzogen werden. Raum für eine Ermessensausübung blieb daher nicht.

2. Die Pflicht, den Führerschein abzuliefern, ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV. Danach besteht auch im Fall einer angefochtenen Entziehungsverfügung die Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern, wenn die zuständige Behörde – wie hier – die sofortige Vollziehung ihrer Verfügung angeordnet hat.

3. Auch die auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG basierende Zwangsgeldandrohung ist rechtlich nicht zu beanstanden.

4. Somit ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung basiert auf § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung Nrn. 1.5, 46.2 (2.500 EUR), 46.3 (5.000 EUR) und 46.5 (5.000 EUR) des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57) und ist mit 6.250 EUR festzusetzen. Maßgeblich für die Streitwertfestsetzung sind nur die Fahrerlaubnisklassen A1, BE und C1E. Die Fahrerlaubnisklasse AM ist in der Klasse A1, die Fahrerlaubnisklasse L in der Klasse B enthalten (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und 4 FeV).

 

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