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MPU-Anordnung und Fahrerlaubnisentziehung bei Radfahrer wegen Alkoholkonsums

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 ZB 21.1201 – Beschluss vom 09.08.2021

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung der ihm am 25. März 1997 erteilten Fahrerlaubnis der Klassen A (79.03, 79.04), A1 (79.03, 79.04), AM, B, BE (79.06), C1 (171), C1E und L (174).

Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 26. Mai 2014 verurteilte ihn das Amtsgericht München wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB) zu einer Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen. Dem lag zugrunde, dass der Kläger am 10. April 2014 gegen 1:08 Uhr alkoholisiert mit dem Fahrrad auf einer öffentlichen Straße in München gefahren war. Die um 1:31 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,91 ‰ auf. Für die Trunkenheitsfahrt, die mit einem Rotlichtverstoß verbunden war, erhielt der Kläger drei Punkte im Fahreignungsregister.

Unter Bezugnahme auf den Vorfall vom 10. April 2014 forderte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 19. Januar 2015 auf, ein medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten beizubringen. Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis wurde der Beklagten bekannt, dass der Kläger infolge eines Verkehrsunfalls im Oktober 2014 in Bosnien-Herzegowina hospitalisiert war, schwere Verletzungen an den Zähnen erlitten hatte und eine Operation erforderlich war. In der Folge verlängerte sie mehrmals, zuletzt bis 30. Juni 2016 die Beibringungsfrist. Mit Arztbrief vom 23. Juni 2016 ließ der Kläger mitteilen, die Behandlung habe sich aufgrund einer Entzündung und schwerer Infektionen im Ober- und Unterkieferbereich verzögert; er benötige eine Schmerztherapie; die Prothese müsse neu angepasst werden. Sobald die Behandlung abgeschlossen sei, erfolge eine Information.

MPU-Anordnung und Fahrerlaubnisentziehung bei Radfahrer wegen Alkoholkonsums
(Symbolfoto: VGstockstudio/Shutterstock.com)

Mit Schreiben vom 9. Oktober 2017 forderte die Beklagte den Kläger erneut unter Bezugnahme auf den Vorfall vom 10. April 2014 auf, ein Fahreignungsgutachten beizubringen. Mit Arztbrief vom 8. Dezember 2017 ließ der Kläger mitteilen, er leide an einer chronischen Kieferentzündung. Es seien neue Prothesen und eine Schmerztherapie erforderlich und deshalb seine Entlassung noch nicht möglich. Er könne nicht nach Deutschland fahren. Im Rahmen der neuerlichen Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis teilte der Kläger mit Schreiben vom 23. August 2018 seine Bereitschaft mit, das geforderte Gutachten erstellen zu lassen. Er sei bisher aufgrund gesundheitlicher Schwierigkeiten daran gehindert gewesen, nach Deutschland zu reisen und sich begutachten zu lassen. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 29. August 2018 an, dem Kläger eine neue Gelegenheit zu Gutachtensbeibringung einzuräumen, wenn er seinen Auslandsaufenthalt nachweise. Mit Arztbrief vom 5. September 2018 ließ der Klägers mitteilen, er befinde sich noch unter ärztlicher Aufsicht. Die Therapie finde noch bis 10. Januar 2019 statt.

Mit Schreiben vom 7. März 2019 erließ die Beklagte eine dritte Anordnung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens zur Klärung der Fragen, ob aufgrund der ersichtlichen Trunkenheitsfahrt mit einem fahrerlaubnisfreien Fahrzeug zu erwarten sei, dass der Kläger zukünftig mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auch mit einem Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss im Straßenverkehr auffällig werde, sodass dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen sei, und ob als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vorlägen, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 und 2 infrage stellten.

Mit Schreiben vom 7. Mai 2019 teilte der Kläger mit, er befinde sich noch immer aus Krankheitsgründen im Ausland und könne nicht zum vereinbarten Termin erscheinen. Er werde sich melden, sobald er nach Deutschland zurückkehre, und auch eine Bescheinigung des Arztes mitbringen. Nachfolgend gelangten zwei Anhörungsschreiben zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis nach Zustellung durch Einlegung in den Briefkasten wieder an die Beklagte zurück.

Nach einer Melderegisterauskunft vom 7. August 2019 ist der Kläger seit Juli 1995 mit einziger Wohnung in München unter der aktuellen Anschrift amtlich gemeldet.

Mit Bescheid vom 7. August 2019 entzog ihm die Beklagte die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, den Führerschein innerhalb einer Woche ab Bestandskraft des Bescheids bei der Führerscheinstelle oder der Polizei abzugeben.

Mit Schreiben vom 26. August 2019 legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, es sei ihm aus physischen und psychischen Gründen nicht möglich gewesen, sich der Fahreignungsuntersuchung zu unterziehen, und kündigte an, am 20. September 2019 nach Deutschland zurückzukehren und sich um die Angelegenheit zu kümmern. Der Führerschein sei für ihn von existenzieller Bedeutung.

Daraufhin übersandte ihm die Beklagte eine weitere Beibringungsanordnung mit identischer Fragestellung unter dem 11. September 2019. Mit Schreiben vom 27. November 2019 leitete sie der von ihm ausgewählten Begutachtungsstelle den Untersuchungsauftrag zu.

Mit Schreiben vom 5. April 2020 teilte der Kläger mit, er habe bisher keinen Untersuchungstermin wahrnehmen können, weil er sich am 23. Januar 2020 einem Eingriff habe unterziehen müssen.

Mit Schreiben vom 18. Mai 2020 lehnte die Beklagte eine Verlängerung der am 13. Dezember 2019 abgelaufenen Beibringungsfrist ab.

Mit Bescheid vom 23. September 2020 wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch zurück.

Am 26. Oktober 2020 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht München erheben, die das Gericht mit Urteil vom 17. März 2021 abwies. Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 11 Abs. 8 FeV sei zu Recht erfolgt, weil der Kläger das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht beigebracht habe. Die Beklagte sei örtlich zuständig (§ 73 Abs. 2 Satz 1 FeV) gewesen. Der Kläger sei seit 1995 unter seiner aktuellen Anschrift gemeldet und habe diese in der mündlichen Verhandlung als Hauptwohnsitz bezeichnet. Die auf § 13 Satz 1 Nr. 2c FeV gestützte Beibringungsaufforderung vom 7. März 2019 sei rechtmäßig gewesen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses sei die Straftat der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr noch nicht tilgungsreif gewesen. Das Tilgungsdatum für den seit 22. Juli 2014 rechtskräftigen Strafbefehl sei der 22. Juli 2019 gewesen (§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 StVG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts resultierten aus einer noch nicht getilgten Eintragung im Verkehrszentralregister auf jeden Fall Fahreignungszweifel. Nur hinsichtlich der weiteren Aufklärung werde es für möglich gehalten, dass unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit auch anderweitige Mittel ausreichen könnten. Dies sei dahingehend zu verstehen, dass ausnahmsweise geprüft werden müsse, ob die Fahreignungszweifel auch durch andere, weniger einschneidende Mittel ausgeräumt werden könnten. Ein solcher Fall liege hier ersichtlich nicht vor, denn ein längerer Krankenhausaufenthalt sei ebenso wie die bloße Möglichkeit der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr keine einem medizinisch-psychologischen Gutachten gleichwertige Aufklärungsmaßnahme. Andere weniger belastende Aufklärungsmaßnahmen habe der Kläger nicht genannt und sie seien auch nicht ersichtlich. Ebenso wenig sei etwas für den Eintritt einer Verwirkung ersichtlich. Die Beklagte habe den Kläger vielmehr mehrfach aufgefordert, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Sie habe auch keinen Ermessensspielraum gehabt.

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Beklagte entgegentritt, macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung geltend. Das Gericht gehe von einem angegriffenen Bescheid vom „15. Dezember 2017“ aus, während der Kläger immer den Bescheid vom 7. August 2019 angegriffen habe. Die Entscheidungsgründe seien deshalb nicht geeignet, den Tenor der Entscheidung zu tragen. Vorsorglich werde noch vorgetragen, dass eine einzige Fahrradfahrt aus dem Jahr 2014 im Jahr 2021 nicht mehr als Grundlage für Fahreignungszweifel herangezogen werden könne. Inzwischen habe der Kläger sieben Jahre aktiv am Kraftverkehr mit einer jährlichen Fahrleistung von ca. 30.000 km teilgenommen und sich in dieser Zeit nichts zu Schulden kommen lassen, weder im Zusammenhang mit Alkohol noch mit anderen einzutragenden Verkehrsordnungswidrigkeiten. Eine Abwägung müsse zu dem Ergebnis kommen, dass der Zeitablauf die Zweifel an der Fahreignung aus der Einmaltat überwiege. Die Beklagte habe sich bis zu dem angegriffenen Bescheid auch nicht konsequent verhalten. Es solle zwar nicht ihre in den zahllosen Fristverlängerungen zum Ausdruck kommende Nachgiebigkeit und besondere Fairness getadelt werden. Sie habe damit nur den zahllosen Verschiebungsanträgen des Klägers nachgegeben. Andererseits müsse man bei einer objektiven Gesamtschau ihres Verhaltens zu dem Schluss kommen, dass sie seit Kenntnis von der streitgegenständlichen Fahrradfahrt und ersten Zweifeln an der Fahreignung des Klägers diesen nicht energisch nachgegangen sei. Auch im Widerspruchsverfahren habe sie sich ambivalent verhalten. Sie wolle nicht an dem Entziehungsbescheid festhalten und gebe dem Kläger nochmals Gelegenheit, ein Gutachten vorzulegen. Dies zeige, dass sie die früheren Zweifel nicht mehr als schwerwiegend ansehe. Wie könne sie sonst einen möglicherweise nicht fahrgeeigneten Fahrerlaubnisinhaber weiterfahren lassen. Eignungszweifeln sei nach der Rechtsprechung so zeitnah wie möglich nachzugehen. Die Beklagte sei zwar nicht ausdrücklich und formal von ihrem Verlangen nach einer medizinisch-psychologischen Untersuchung abgerückt, habe sich damit aber unendlich viel Zeit gelassen, obwohl die Klärung normalerweise „so zeitnah wie möglich“ erforderlich gewesen wäre. Damit habe sie den Eindruck erweckt, dass die Sache nicht mehr wichtig sei. Der erst mehr als fünf Jahre nach der Fahrradfahrt erlassene Entziehungsbescheid komme zu spät. Hinzu komme, dass die Beklagte dem Kläger im Rahmen des Widerspruchsverfahren nochmals die Gelegenheit zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens gegeben habe. Entgegen der Auffassung des Gerichts komme es nicht auf die Beibringungsanordnung vom 7. März 2019, sondern auf die letzte vom 11. September 2019 an, die nach Tilgung erfolgt sei. Erst recht sei es zu spät gewesen, wenn man auf den Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids abstelle.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO). Diese sind immer schon dann anzunehmen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16; B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – DVBl 2019, 1400 Rn. 32 jeweils m.w.N.) und dies zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründet (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9).

Dies ist nicht der Fall. Soweit der Kläger rügt, Klagegegenstand sei nicht der vom Verwaltungsgericht so bezeichnete Entziehungsbescheid vom „15. Dezember 2017“, sondern der vom Kläger angefochtene Bescheid vom 7. August 2019 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.9.2020), liegt es auf der Hand, dass es sich bei der Da-tumsangabe um einen offensichtlichen Schreibfehler des Gerichts handelt. Wie die Beklagte zutreffend anführt, ist das Datum, unter dem der Entziehungsbescheid erlassen worden ist, im Tatbestand richtig aufgeführt. Maßgeblich für dessen Rechtmäßigkeit ist die Rechtmäßigkeit der Beibringungsaufforderung vom 7. März 2019, die ausdrücklich Gegenstand der gerichtlichen Prüfung war.

Soweit der Kläger hilfsweise anführt, dass eine Alkoholfahrt mit dem Fahrrad am 10. April 2014 sieben Jahre später keine Fahreignungszweifel mehr rechtfertigen könne, ist schon zweifelhaft, ob damit dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt wird, weil sich der Zulassungsvortrag mit den diesbezüglichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht auseinandersetzt (zu den Darlegungsanforderungen vgl. Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2021, § 124a Rn. 100; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 194; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 59, 63). Auf die vom Kläger in der Zwischenzeit gefahrenen Kilometer kommt es dabei insoweit nicht an. Der Vortrag lässt im Übrigen völlig offen, inwieweit der Kläger, der sich gegenüber der Beklagten jahrelang auf seine Hospitalisierung und Reiseunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen berufen hat, überhaupt in der Lage war, in dieser Zeit ein Kraftfahrzeug zu führen.

Abgesehen davon trifft die vom Kläger aufgestellte Rechtsbehauptung auch nicht zu. Vielmehr sind das Verwaltungsgericht und die Beklagte richtig davon ausgegangen, dass die Rechtmäßigkeit der Beibringungsaufforderung bezogen auf den Zeitpunkt ihres Erlasses, hier also bezogen auf den 7. März 2019, zu beurteilen ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.12.2020 – 3 C 5.20 – juris Rn. 19; U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 14, 36; B.v. 21.5.2012 – 3 B 65.11 – DAR 2012, 482 = juris Rn. 7; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 55) und die Straftat gemäß § 316 Abs. 1, 2 StGB zu diesem Zeitpunkt noch verwertbar bzw. im Fahreignungsregister eingetragen war (vgl. BayVGH, B.v. 19.8.2019 – 11 ZB 19.1256 – juris Rn. 14; Dauer a.a.O. § 13 FeV Rn. 24 jeweils m.w.N.). Nach § 65 Abs. 3 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Juli 2020 (BGBl I S. 1653), sind auf Entscheidungen, die wie hier bis zum Ablauf des 30. April 2014 begangene Zuwiderhandlungen ahnden und erst ab dem 1. Mai 2014 im Fahreignungsregister gespeichert werden, das Straßenverkehrsgesetz und die aufgrund des § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. s StVG erlassenen Rechtsverordnungen in der ab dem 1. Mai 2014 geltenden Fassung anzuwenden. Nach § 29 Abs. 4 Nr. 1 StVG in der ab 1. Mai 2014 geltenden Fassung beginnt die Tilgungsfrist bei strafgerichtlichen Verurteilungen und bei Strafbefehlen mit dem Tag der Rechtskraft, hier also mit dem 22. Juli 2014. Die Tilgungsfrist für eine Straftat, bei der das Strafgericht wie hier nicht die Fahrerlaubnis entzogen oder eine isolierte Sperre angeordnet hat, beträgt nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a StVG fünf Jahre. Somit hat das Verwaltungsgericht zutreffend Tilgungsreife zum 22. Juli 2019 angenommen. Am 7. März 2019, als die Beklagte die Beibringungsaufforderung erlassen hat, durfte sie die Straftat hierfür folglich noch zum Anlass nehmen.

Der Zeitlauf oder der konkrete Ablauf des Verwaltungsverfahrens führen nicht zu einer „Abwägung“ zwischen der Trunkenheitsfahrt und „den sieben Jahren“. Die Rechtsgrundlage für die Beibringungsaufforderung (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV] vom 13.12.2010 [BGBl I S. 1980], im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.12.2019 [BGBl I S. 2008], zum Teil in Kraft getreten am 1.6.2020) räumt der Fahrerlaubnisbehörde kein Ermessen ein. Der Anlass für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung wird vom Gesetzgeber in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV klar definiert. Anders als in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2005 (3 C 21.04 – DAR 2005, 578 = juris Rn. 34 ff.), der ein Fall einer Beibringungsanordnung gemäß § 11 Abs. 3 FeV zugrunde lag, hängt die Anordnung hier allein davon ab, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind, ob also eine Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr stattgefunden hat, und diese noch verwertbar ist. Für eine Abwägung ist daneben kein Raum mehr (vgl. BayVGH, B.v. 19.8.2019 – 11 ZB 19.1256 – Blutalkohol 56, 418 = juris Rn. 14; Dauer a.a.O. § 13 Rn. 24 m.w.N.). Besondere Umstände des Einzelfalls sind nicht zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2021 – 11 ZB 20.2611 – juris Rn. 27; Siegmund in Freymann/ Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 18.6.2021, § 13 FeV Rn. 64). Ist der Tatbestand des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gegeben, sind behördliche Ermittlungen, mit denen die Fahreignung geklärt werden soll, auch verhältnismäßig. Die in solchen Fällen anzunehmende Alkoholproblematik rechtfertigt im Hinblick auf die Gefahren für den Straßenverkehr den für eine solche Untersuchung erforderlichen Aufwand (BayVGH, B.v. 5.2.2021 a.a.O.; B.v. 15.5.2013 – 11 ZB 13.450 u.a. – juris Rn. 25).

Auch der Einwand, die für die Entziehung der Fahrerlaubnis maßgebliche Beibringungsaufforderung sei nicht am 7. März 2019, sondern am 11. September 2019 erlassen worden, geht fehl. Die – nicht begründete – Rechtsbehauptung, es komme stets auf die letzte Beibringungsanordnung an, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Es ist logisch ausgeschlossen, dass sich ein Entziehungsbescheid auf eine erst noch zu erlassende Begutachtungsanordnung stützt. In dem Bescheid vom 7. August 2019 werden auch nur die vorangegangenen Beibringungsaufforderungen erwähnt. Es ist weder dargelegt noch zu erkennen, dass der Entziehungsbescheid mit der Begutachtungsanordnung vom 11. September 2019 ausdrücklich oder konkludent aufgehoben worden ist. Der erneute Erlass einer Begutachtungsanordnung und der Inhalt der konkreten Anordnung lassen nur den Rückschluss zu, dass die Beklagte weiterhin Zweifel an der Fahreignung des Klägers hatte und ihm die Möglichkeit eröffnen wollte, diese noch im laufenden Widerspruchsverfahren durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu entkräften. Dies hätte im Hinblick darauf, dass bei Erhebung des Widerspruchs der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Erlass des Widerspruchsbescheids verlagert wird, bei Vorlage eines positiven Gutachtens zur Folge gehabt, dass der ergangene Entziehungsbescheid wieder aufzuheben gewesen wäre. Hierzu konnte es indes nicht kommen, weil der Kläger kein Gutachten vorgelegt, sondern um eine weitere Fristverlängerung gebeten hat, die die Beklagte abgelehnt hat. Dass die Beklagte eine Fristverlängerung zu Unrecht abgelehnt hat, hat der Kläger nicht geltend gemacht. Dies ist auch nicht ersichtlich.

Die im Übrigen nicht zu beanstandenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts, mit denen es eine Verwirkung der Entziehungsbefugnis durch das mehrere Jahre dauernde Verwaltungsverfahren verneint hat, hat der Kläger mit seinem Zulassungsantrag nicht angegriffen (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2020 – 11 CS 20.1061 – juris Rn. 20; B.v. 25.6.2020 – 11 CS 20.791 – juris Rn. 34). Selbst wenn die Beklagte den Eignungszweifeln nicht „so zeitnah wie möglich“ nachgegangen wäre, ergibt sich daraus nicht umgekehrt, dass die Voraussetzungen einer Verwirkung (Zeit- und Umstandsmoment) erfüllt sind und eine Verwirkung sicherheitsrechtlicher Befugnisse überhaupt in Betracht käme. Abgesehen davon ist der vom Kläger zitierten Rechtsprechung zur Bemessung der Beibringungsfrist zur Frage der Verwirkung nichts zu entnehmen.

Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2020 – 11 ZB 20.1 – juris Rn. 25 m.w.N.).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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