Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 B 18.644 – Urteil vom 13.07.2018
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. Dezember 2017 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung eines Prüfauftrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden.
II. Der Kläger und der Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen je zur Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der im Jahr 1977 geborene Kläger beantragte am 23. Februar 2016 beim Landratsamt Augsburg (im Folgenden: Landratsamt) die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B und begehrt mit seiner Klage die Verpflichtung des Landratsamts zur Beauftragung der zuständigen technischen Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr mit der Prüfung.
Das Landratsamt ordnete mit Schreiben vom 25. April 2016 die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bis 25. Oktober 2016 an. Zur Begründung führte es aus, für den Kläger sei im Fahreignungsregister eingetragen, dass die Landeshauptstadt München ihm mit Bescheid vom 16. September 2008, unanfechtbar seit 20. Oktober 2008, gestützt auf § 2 Abs. 2 StVG, § 11 Abs. 1 FeV wegen wiederholter Verstöße gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen die Fahrerlaubnis versagt habe. Die Anordnung werde auf § 11 Abs. 3 Nr. 5 und 7 FeV gestützt. Es sei zu klären, ob trotz der aktenkundigen wiederholten Verstöße gegen strafrechtliche Vorschriften und der aktenkundigen Straftaten im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung auf Grund von Anhaltspunkten für ein hohes Aggressionspotential zu erwarten sei, dass der Kläger künftig nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrs- und strafrechtliche Bestimmungen verstoßen werde.
Da der Kläger das geforderte Gutachten nicht beibrachte, lehnte das Landratsamt seinen Antrag mit Bescheid vom 16. Dezember 2016 ab. Mit Bescheid vom 12. Juni 2017 hob das Landratsamt den Bescheid vom 16. Dezember 2016 auf, da das Verwaltungsgericht im Klageverfahren die Auffassung vertreten hatte, die Gutachtensanordnung basiere auf einer falschen Rechtsgrundlage.
Mit Schreiben vom 23. Juni 2017 ordnete das Landratsamt erneut die Vorlage eines Gutachtens bis 23. August 2017 an und stützte diese Anordnung auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 FeV. Die Versagung der Fahrerlaubnis durch die Landeshauptstadt München, weil der Kläger das nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 FeV angeordnete medizinisch-psychologische Gutachten nicht beigebracht habe, sei weiterhin im Fahreignungsregister eingetragen. Durch bloßen Zeitablauf könnten die Fahreignungszweifel nicht ausgeräumt werden. Zudem habe der Kläger am 29. Juli 2008 und 22. Februar 2010 erneut ein Kraftfahrzeug geführt, obwohl er nicht im Besitz der dafür erforderlichen Fahrerlaubnis gewesen sei. Die Strafverfahren seien von der Staatsanwaltschaft München eingestellt worden. Der Kläger teilte daraufhin mit, er halte die Anordnung nicht für erforderlich und werde kein Gutachten vorlegen. Er erklärte das Klageverfahren hinsichtlich des Bescheids vom 16. Dezember 2016 für erledigt und hielt an seinem Antrag auf Erteilung eines Prüfauftrags fest.
Das Verwaltungsgericht Augsburg trennte das Verfahren hinsichtlich des Bescheids vom 16. Dezember 2016 ab und stellte es ein. Im Übrigen wies es die Klage mit Urteil vom 4. Dezember 2017 ab. Die Klage sei unzulässig, da die Behörde nicht ohne zureichenden Grund untätig geblieben sei, sondern nach Aufhebung des Versagungsbescheids eine erneute Gutachtensanordnung erlassen habe. Diese Anordnung sei rechtmäßig. Selbst wenn man davon ausgehe, die Klage sei zulässig, so sei sie nicht begründet, denn der Kläger habe das zu Recht angeordnete Gutachten nicht beigebracht. Die der früheren Begutachtungsanordnung und Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Fahrerlaubnis zugrundeliegenden Straftaten seien zwar nicht mehr verwertbar, die Versagung der Fahrerlaubnis sei aber noch im Fahreignungsregister eingetragen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung. Der Kläger macht geltend, die Klage sei als Untätigkeitsklage zulässig, da das Landratsamt nicht über seinen Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis entschieden habe. Sie sei auch begründet, weil aus der Versagung der Fahrerlaubnis alleine keine Fahreignungszweifel resultieren würden. Andernfalls würden über einen Umweg die bereits getilgten Eintragungen rechtswidrig verwertet. Die Vorfälle aus den Jahren 2008 und 2010 seien auch nicht verwertbar. Darüber hinaus sei auch das Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden.
Er beantragt, den Beklagten zu verpflichten, die zuständige technische Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr mit der Fahrerlaubnisprüfung zu beauftragen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er macht geltend, die Verurteilungen aus den Jahren 1996 bis 2000 seien weiterhin verwertbar und nur zu Unrecht aus dem Fahreignungsregister gelöscht worden. Die Löschung sei zwischenzeitlich rückgängig gemacht worden. Eingetragen sei eine Straftat vom 17. März 1996 (vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis in 29 Fällen, davon in drei Fällen mit vorsätzlichem Fahren ohne Versicherungsschutz, Urkundenfälschung in zehn Fällen sowie Gestatten des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis), die mit rechtskräftigem Urteil vom 11. Juli 1996 mit einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten und einer Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von neun Monaten geahndet worden sei. Des Weiteren seien eingetragen eine Straftat des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in mehreren Fällen vom 17. April 1997, mit rechtskräftigem Urteil vom 6. November 1997 unter Einbeziehung des Urteils vom 11. Juli 1996 mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten geahndet, und eine weitere Tat des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in fünf Fällen vom 2. Mai 1998, mit rechtskräftigem Urteil vom 3. August 1998 geahndet, sowie eine Straftat des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen vom 21. November 1998, die mit rechtskräftigem Urteil vom 20. Januar 2000 geahndet worden sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 2 VwGO), da die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 17. und 28. Mai 2018 darauf verzichtet haben, hat teilweise Erfolg. Die Sache ist nicht spruchreif und der Beklagte ist deshalb zu verpflichten, den Antrag des Klägers auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis vom 23. Februar 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO).
I. Die Klage ist als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig, da der Beklagte ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Fahrerlaubnis entschieden hat. Ein zureichender Grund, über den Antrag vom 23. Februar 2016 nach Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 16. Dezember 2016 nicht erneut zu entscheiden, liegt nicht vor, denn der Kläger hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er das am 23. Juni 2017 geforderte Gutachten nicht beibringen wird. Außerdem hat das Landratsamt mit Schriftsatz vom 24. Juli 2017 einen neuen Versagungsbescheid angekündigt. Spätestens drei Monate nach Ablauf der Vorlagefrist im August 2017 hätte daher (erneut) über den Antrag entschieden werden müssen. Das Verwaltungsgericht hat auch keine Frist nach § 75 Satz 3 VwGO gesetzt, was bei Vorliegen eines zureichenden Grunds aber erforderlich gewesen wäre (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 75 Rn. 10).
II. Die Klage ist teilweise begründet, da der Kläger zwar keinen Anspruch auf Erteilung eines Prüfauftrags nach § 22 Abs. 4 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 24. Mai 2018 (BGBl I S. 566), hat, weil aufgrund der im Fahreignungsregister (wieder) eingetragenen Straftaten noch Eignungszweifel bestehen. Die Aufklärung dieser Zweifel mittels einer (rechtmäßigen) Gutachtensanordnung nach § 11 Abs. 3 FeV steht aber im pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten, das nicht durch das Gericht ersetzt werden kann. Der Beklagte ist daher verpflichtet, über den Antrag des Klägers erneut zu entscheiden und dabei den Sachverhalt ggf. noch weiter aufzuklären.
1. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften für die Ersterteilung.
Nach § 2 Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. August 2017 (BGBl I S. 3202), ist eine Fahrerlaubnis zu erteilen, wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Muss der Bewerber noch die nach § 15 FeV erforderliche Prüfung ablegen, hat die Fahrerlaubnisbehörde die zuständige Technische Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr mit der Prüfung zu beauftragen (§ 22 Abs. 4 Satz 1 FeV). Insbesondere muss der Bewerber nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4 StVG geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sein. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers begründen, ist die Fahrerlaubnisbehörde nach Maßgabe von § 2 Abs. 8 StVG, §§ 11 ff. FeV berechtigt, die Beibringung eines entsprechenden Gutachtens anzuordnen.
Im vorliegenden Fall bestehen Eignungszweifel, da neben der Versagung der Fahrerlaubnis im Jahr 2008 verschiedene Straftaten des Klägers aus den Jahren 1995 bis 2000 im Fahreignungsregister eingetragen sind.
2. Diese Eintragungen sind noch nicht tilgungsreif und waren zum Zeitpunkt der Antragstellung durch den Kläger zu Unrecht nicht mehr im Fahreignungsregister gespeichert.
Nach § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG werden Entscheidungen, die nach § 28 Abs. 3 StVG in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung im Verkehrszentralregister gespeichert worden und nicht von § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG erfasst sind, bis zum Ablauf des 30. April 2019 nach den Bestimmungen des § 29 StVG in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung (§ 29 StVG a.F.) getilgt und gelöscht.
Die Straftat vom 17. März 1996, wegen der dem Kläger mit Urteil vom 11. Juli 1996 die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre für die Wiedererteilung von neun Monaten angeordnet worden ist, wäre daher nach einer Anlaufhemmung von fünf Jahren gemäß § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG a.F. und einer Frist von zehn Jahren nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG a.F. frühestens am 11. Juli 2011 zu tilgen gewesen. Die Tilgung ist jedoch nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a.F. wegen der Eintragung der Fahrerlaubnisversagung im Jahr 2008 bis zum 30. April 2019 gehemmt, da auch die Tilgung der Versagung der Fahrerlaubnis nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG a.F. einer Anlaufhemmung von fünf Jahren unterliegt. Die Tilgungsfristen bezüglich der in den Jahren 1997 bis 2000 abgeurteilten Straftaten, für die zwar nach § 29 StVG a.F. kürzere Tilgungszeiträume und keine Anlaufhemmung gelten, da mit den diesbezüglichen Urteilen weder die Fahrerlaubnis entzogen noch eine Sperre für die Wiedererteilung angeordnet worden ist, sind aufgrund der Regelung des § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG ebenfalls noch nicht abgelaufen.
Auch die Anwendung der Übergangsregelung des § 65 Abs. 9 StVG (a.F.) führt zu keiner anderen Beurteilung. Danach waren Entscheidungen, die vor dem 1. Januar 1999 im Verkehrszentralregister eingetragen worden sind, bis 1. Januar 2004 nach den Bestimmungen des § 29 StVG in der bis zum 1. Januar 1999 geltenden Fassung (§ 29 StVG 1998) in Verbindung mit § 13a der Straßenverkehr-Zulassungsordnung zu tilgen. Nach § 29 Abs. 1 StVG 1998 i.V.m. § 13a Abs. 2 Nr. 3 StVZO betrug die Tilgungsfrist für die Straftat vom 17. März 1996 zehn Jahre und die Tilgung unterblieb nach § 29 Abs. 2 StVG 1998, § 13a Abs. 5 Satz 1 StVZO, solange die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis untersagt war. Danach wäre die Straftat vom 17. März 1996 im Jahr 2007 zu tilgen gewesen. Da die Tilgungsfrist zum 1. Januar 2004 aber noch nicht abgelaufen war, unterfiel sie ab diesem Zeitpunkt den Regelungen des § 29 StVG in der ab 1. Januar 1999 geltenden Fassung (StVG 1999). Mit § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG 1999 ist die Anlaufhemmung auf fünf Jahre verlängert und die Tilgung der Straftat aus dem Jahr 1996 damit weiter hinausgeschoben worden. Dies stellt keine unzulässige Rückwirkung dar, obgleich die Anlaufhemmung des § 29 Abs. 2 StVG 1998, § 13a Abs. 5 Satz 1 StVZO zum Zeitpunkt der Rechtsänderung am 1. Januar 1999 schon abgelaufen war. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt eine unechte Rückwirkung vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffenen Rechtspositionen nachträglich entwertet (BVerfG, U.v. 23.11.1999 – 1 BvF 1/94 – BVerfGE 101, 239). Derartige Regelungen sind grundsätzlich zulässig (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 21.04 – NJW 2005, 3440 = juris Rn. 31). Um einen solchen Fall der unechten Rückwirkung handelt es sich hier, denn die Tilgungsfrist bezüglich der Straftat vom 17. März 1996 war bis zum Ende der Übergangsfrist am 1. Januar 2004 noch nicht abgelaufen. Der Gesetzgeber konnte aber die Anwendung der neuen Tilgungsvorschriften des § 29 StVG 1999 ab 1. Januar 2004 auch auf Eintragungen vorsehen, die zuvor nach einem kürzeren Zeitraum zu tilgen gewesen wären. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist er verfassungsrechtlich nicht gehindert, eine ursprünglich eingetretene Unverwertbarkeit nachträglich wieder zu beseitigen, wenn er später erkennt, dass der Schutz eines höherwertigen Rechtsgutes wie der Verkehrssicherheit durch die ursprüngliche Gesetzesfassung nicht oder nicht genügend gewährleistet ist (vgl. BVerwG a.a.O Rn. 32 m.w.N.). Es erscheint daher unbedenklich, wenn eine noch nicht abgelaufene Tilgungsfrist wegen einer Verlängerung der Anlaufhemmung erst später zu laufen beginnt und damit der Tilgungszeitpunkt hinausgeschoben wird.
Die Eintragungen können deshalb grundsätzlich noch Grundlage einer Gutachtensanordnung nach § 11 Abs. 3 Nr. 4 bis 7 FeV sein. Das Ermessen nach § 11 Abs. 3 FeV ist auch nicht dahingehend reduziert, dass nur ein Absehen von einer Gutachtensanordnung in Betracht käme. Die im Fahreignungsregister noch eingetragenen Straftaten haben ein erhebliches Gewicht und wurden mit Freiheitsstrafen geahndet. Das aus den Urteilen ersichtliche beharrliche Übertreten der Verkehrsvorschriften durch den Kläger zeigt eine rechtsfeindliche Gesinnung und ist Ausdruck einer grundlegenden Fehleinstellung in Bezug auf die gesetzlichen Vorschriften.
3. Die Gutachtensanordnung vom 23. Juni 2017 ist jedoch rechtswidrig, denn alleine die Versagung der Fahrerlaubnis im Jahr 2008 stellt keine hinreichende Tatsache dar, die Eignungszweifel begründet. Darüber hinaus ist auch das Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden. Die Erteilung eines Prüfauftrags kann somit nicht deshalb versagt werden, weil der Kläger diese Anordnung nicht befolgt hat.
Mit der Gutachtensanordnung, die auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 FeV gestützt worden ist, werden keinerlei Straftaten genannt, die als wiederholte Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften anzusehen sind. Demgegenüber wird alleine auf die Ablehnung der Erteilung einer Fahrerlaubnis durch die Landeshauptstadt München aus dem Jahr 2008 und Vorfälle aus den Jahren 2008 und 2010 abgestellt, die nicht zu strafrechtlichen Verurteilungen geführt haben. Darauf kann eine Gutachtensanordnung aber hier nicht gestützt werden.
Die Versagung der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 16. September 2008 beruhte auf § 11 Abs. 8 FeV, da der Kläger das damals angeordnete medizinisch-psychologische Gutachten nicht beigebracht hatte. Für das Fahrerlaubniserteilungsverfahren darf zwar nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Ungeeignetheit des Betreffenden geschlossen werden, wenn ein zu Recht angeordnetes Gutachten nicht beigebracht worden ist. Es ist damit aber nicht abschließend geklärt, ob der Betroffene tatsächlich ungeeignet ist, denn die Nichtvorlage des Gutachtens kann auch andere Gründe, z.B. mangelnde finanzielle Ressourcen, haben. Es kommt dabei auch nicht darauf an, welche Versagungsgründe im Fahreignungsregister eingetragen sind, denn diese Eintragungen treffen, so wie hier, nicht unbedingt zu. Die auf § 11 Abs. 8 FeV gestützte Versagung einer Fahrerlaubnis ist auch kein Grund, der nach § 11 Abs. 3 FeV die Beibringung eines Gutachtens gestattet, denn der Fall der Versagung einer Fahrerlaubnis ist dort nicht erwähnt und § 11 Abs. 3 FeV enthält eine abschließende Regelung (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2017, § 11 FeV Rn. 28). Ob etwas anderes gilt und § 11 Abs. 3 Nr. 9 Buchst. b FeV entsprechend heranzuziehen ist, wenn tatsächlich ein negatives Gutachten vorgelegt worden ist, das als neue Tatsache angesehen werden kann, braucht hier nicht entschieden zu werden, denn der Kläger hat im Jahr 2008 kein Gutachten vorgelegt. Würde man alleine die Versagung der Fahrerlaubnis wegen mangelnder Mitwirkung an der Aufklärung von Eignungszweifeln als ausreichende Tatsache ansehen, die selbst Eignungszweifel begründet, würden damit die Tilgungsvorschriften umgangen. Nach § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG dürfen aber Eintragungen, die im Fahreignungsregister gelöscht sind, dem Betroffenen nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden. Im vorliegenden Fall kann deshalb eine Gutachtensanordnung nicht alleine darauf gestützt werden, dass dem Kläger die Fahrerlaubnis im Jahr 2008 versagt worden ist. Es muss diesbezüglich auch nicht geprüft werden, ob die Gutachtensanordnung vom 7. November 2007 rechtmäßig war (zweifelhaft nach VGH BW, U.v. 27.7.2016 – 10 S 77/15 – juris Rn. 46 und OVG NW, B.v. 11.4.2017 – 16 E 132/16 – juris Rn. 34) und der Kläger schon deshalb damals kein Gutachten hätte vorlegen müssen.
Auch auf die beiden Vorfälle aus den Jahren 2008 und 2010 kann eine Gutachtensanordnung nicht gestützt werden. Sie führten nicht zu strafrechtlichen Verurteilungen, sondern die Verfahren sind von der Staatsanwaltschaft München I eingestellt worden. Das Verfahren hinsichtlich des Vorfalls im Jahr 2010 ist nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden und der Beklagte hat in der Gutachtensanordnung schon nicht begründet, weshalb er es gleichwohl als erwiesen ansieht, dass der Kläger bei diesem Vorfall ein Kraftfahrzeug geführt haben soll, obwohl er nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis gewesen ist.
Auch das Ermessen ist nicht hinreichend ausgeübt worden (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293). Der Beklagte hat sich weder damit auseinandergesetzt, dass die Straftaten schon lange zurückliegen noch dass die Versagung der Fahrerlaubnis im Jahr 2008 auf § 11 Abs. 8 FeV gestützt worden ist.
4. Der Beklagte hat daher erneut darüber zu entscheiden, ob die noch bestehenden Fahreignungszweifel auf Grund der noch im Fahreignungsregister eingetragenen Straftaten die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung nach § 11 Abs. 3 FeV im Ermessen rechtfertigen.
Bei der Ermessensausübung wird zu berücksichtigen sein, dass die abgeurteilten Straftaten schon sehr lange zurückliegen (vgl. BVerwG a.a.O.) und ihre Tilgung im Fahreignungsregister nur durch die im Jahr 2008 erfolgte Versagung der Fahrerlaubnis gehemmt ist. Des Weiteren ist zu bedenken, dass die Eintragungen nach den seit 1. Mai 2014 geltenden Tilgungsvorschriften schon gelöscht wären. Sie werden nur aufgrund der Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG bis zum 30. April 2019 nach den Bestimmungen des § 29 StVG a.F. getilgt und sind daher am 1. Mai 2019 aus dem Fahreignungsregister zu entfernen. Der Gesetzgeber hat aber mit der Neuregelung zum Ausdruck gebracht, dass er eine Ablaufhemmung nach § 29 Abs. 6 StVG a.F., die im vorliegenden Fall bisher die Tilgung verhindert, für die Sicherheit des Straßenverkehrs in Zukunft nicht mehr für erforderlich hält.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nach dem Vorfall im Jahr 2008, der zu einer Verfahrenseinstellung gemäß § 154 Abs. 1 StPO geführt hat, nach der Behördenakte strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist. Abgesehen von der Versagung der Fahrerlaubnis im Jahr 2008 sind aus jüngerer Zeit keine weiteren Eintragungen im Fahreignungsregister oder im Bundeszentralregister bekannt.
Im Übrigen darf nach § 21 Abs. 4 FeV die Erteilung einer Fahrerlaubnis schon sechs Monate vor Erreichen des Mindestalters und nach § 20 Abs. 4 StVG sechs Monate vor Ablauf einer Sperre beantragt werden. Der Rechtsgedanke dieser Regelung ist auch auf den vorliegenden Fall entsprechend anwendbar und sechs Monate vor Ablauf der Tilgungsfristen zum 1. Mai 2019 kann der Antrag des Klägers auf Erteilung einer Fahrerlaubnis nicht mehr wegen der dann zu tilgenden Eintragungen abgelehnt werden, sondern es muss ihm ermöglicht werden, die ggf. notwendige Ausbildung und die notwendigen Prüfungen zu absolvieren, selbst wenn ihm der Führerschein eventuell erst im Mai 2019 ausgehändigt werden kann.
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
6. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 46.3 (Fahrerlaubnisklasse B) des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, Anhang zu § 164 Rn. 14).