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MPU-Anordnung anstelle der in § 4 Abs. 3 StVG vorgesehenen Maßnahmen

VG Gelsenkirchen – Az.: 7 L 1516/12 – Beschluss vom 28.01.2013

1. Der Antrag wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.

2. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäß gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 5473/12 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 22. November 2012 wiederherzustellen, ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – zulässig, aber unbegründet. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil die Ordnungsverfügung bei summarischer Prüfung im Ergebnis rechtmäßig ist.

Die Entziehungsverfügung kann allerdings nicht – wie der Antragsgegner angenommen hat – darauf gestützt werden, dass der Antragsteller sich geweigert hat, ein medizinisch-psychologisches Gutachten (MPU) über seine Kraftfahreignung beizubringen (vgl. §11 Abs. 8 Satz 1 Fahrerlaubnisverordnung – FeV -), denn die auf § 11 Abs. 3 Nr. 5 FeV gestützte Gutachtenaufforderung dürfte rechtswidrig gewesen sein. Nach dieser Vorschrift kann zur Klärung von Eignungszweifeln bei einer erheblichen Straftat im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen, eine MPU angeordnet werden. Dem Wortlaut der Vorschrift nach könnten die vom Antragsgegner herangezogenen zwei Verstöße gegen § 21 Abs. 1 Nr. 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – (Fahren ohne Fahrerlaubnis) aus dem Jahr 2009 diese Anforderungen erfüllen. Allerdings ist Folgendes zu beachten: Wird die Beibringung einer MPU anstelle der in § 4 Abs. 3 StVG vorgesehenen Maßnahmen nach dem Punktesystem angeordnet, muss sich aus dieser Anordnung grundsätzlich ergeben, warum die Behörde ausnahmsweise von den Maßnahmen des Punktesystems abweicht (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 StVG), damit der Adressat prüfen kann, ob er die nicht eigenständig angreifbare Anordnung befolgen muss oder sie außer Acht lassen kann, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. Dezember 2010 – 16 B 1392/10 -, juris; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001 – 3 C 13/01 -, juris.

Die Begründung der Entziehungsverfügung vom 22. November 2012 stützt sich nur auf zwei Verstöße gegen § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG (Fahren ohne Fahrerlaubnis) aus dem Jahr 2009 und setzt sich an keiner Stelle mit dem Vorrang des Punktesystems auseinander. Vor dem Hintergrund der genannten Rechtsprechung dürfte dies grundsätzlich nicht ausreichend sein.

Die im Eilverfahren nachträglich durch den Antragsgegner vorgetragenen Gründe können diesen Mangel auch nicht ausgleichen. Eine unzureichend begründete Aufforderung zur Beibringung einer MPU kann nicht dadurch geheilt werden, dass die Behörde nachträglich Umstände darlegt, die Zweifel an der Fahreignung begründen, da dies den Zweck der Begründung – die Überprüfbarkeit für den Betroffenen – unterlaufen würde, vgl. BVerwG Urteil vom 5. Juli 2001, a.a.O., Rdnr. 27.

Die angegriffene Ordnungsverfügung ist bei summarischer Prüfung auch nicht von § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG (Entziehung nach dem Punktesystem) gedeckt.

Für den Antragsteller sind zwar mehr als 18 Punkte im Verkehrszentralregister eingetragen. Allein die seit Mitte 2008 begangenen Verstöße sind mit mehr als 30 Punkten zu bewerten: fahrlässige Körperverletzung am 2. Juni 2008 (5 Punkte), Rotlichtverstoß am 11. Februar 2008 (4 Punkte), Geschwindigkeitsverstoß am 5. Oktober 2007 (3 Punkte), Geschwindigkeitsverstoß am 24. März 2009 (1 Punkt), Geschwindigkeitsverstoß am 13. März 2009 (3 Punkte), Geschwindigkeitsverstoß am 12. Mai 2009 (3 Punkte), Geschwindigkeitsverstoß am 12. Oktober 2009 (1 Punkt), Fahren ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen im August 2009 (12 Punkte) sowie Fahren ohne Versicherungsschutz in Tateinheit mit Urkundenfälschung am 12. April 2010 (6 Punkte).

Jedoch hat der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller nicht zuvor die in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StVG vorgesehenen Maßnahmen ergriffen, so dass nach § 4 Abs. 5 StVG sein Punktestand auf 13 zu reduzieren ist. Zwar hat der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 22. Juni 2004 nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG verwarnt und am 23. September 2005 ein Aufbauseminar nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG angeordnet. Allerdings können diese Maßnahmen dem Antragsteller nicht mehr entgegengehalten werden, da die entsprechenden Eintragungen inzwischen gemäß § 29 Abs. 1 Satz 3 StVG aus dem Verkehrszentralregister getilgt worden sind.

Die angegriffene Entziehungsverfügung ist jedoch nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV gerechtfertigt, da der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Ungeeignet ist, wer aufgrund wiederholter Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften befürchten lässt, in Zukunft erneut in schwerwiegender Weise solche Vorschriften zu verletzen und dadurch zur Gefahr für die Allgemeinheit zu werden (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG). Diese Voraussetzungen sind beim Antragsteller gegeben. Die Anzahl und Schwere seiner Verstöße rechtfertigen es auch, ihm gegenüber nicht die im Punktesystem des § 4 StVG zunächst vorgesehenen milderen Mittel der Verwarnung sowie der Teilnahme an einem Aufbauseminar (erneut) anzuwenden. § 4 Abs. 1 Satz 2 StVG sieht vor, dass das Punktsystem keine Anwendung findet, wenn sich die Notwendigkeit früherer oder anderer Maßnahmen auf Grund anderer Vorschriften, insbesondere der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG, ergibt. Diese Notwendigkeit ist hier gegeben. Der Antragsteller hebt sich von allen anderen „Punktetätern“ in einem solchen Maß negativ ab, dass es erforderlich ist, seine Fahrerlaubnis unmittelbar zu entziehen:

Seit 2008 hat der Antragsteller die bereits aufgezählten, zahlreichen Verstöße gegen Verkehrsvorschriften begangen. Diese Verstöße sind zusammen mit deutlich mehr als 30 Punkten zu bewerten. Dies deutet bereits darauf hin, dass der Antragsteller seine eigenen Interessen über das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs stellt und auch in Zukunft nicht bereit sein wird, sich an die straßenverkehrsrechtlichen Regeln zu halten. Auch die Anzahl und zeitliche Häufung der Verstöße unterstützen diesen Schluss. Beides spricht für eine besonders schwerwiegende Fehleinstellung zu dem Erfordernis einer normgerechten und gefahrenvermeidenden Verkehrsteilnahme. Bei einem Fahrerlaubnisinhaber, der sich innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraums eine so erhebliche Anzahl von Verstößen zuschulden kommen lässt wie der Antragsteller, kann schwerlich erwartet werden, dass die milderen Maßnahmen nach dem Punktesystem bei ihm zukünftig zu einem ordnungsgemäßen Fahrverhalten führen werden, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. März 2012 – 16 B 241/12 -; Beschluss vom 10. Dezember 2010 -16 B 1392/10 -, juris, Rdnr. 11.

Hinzu kommt, dass es sich nicht nur um Ordnungswidrigkeiten, sondern auch um Straftaten handelt und der Antragsteller sich durch die strafgerichtlichen Verfahren nicht zur Einhaltung der verkehrsrechtlichen Regeln hat bewegen lassen. Die wiederholten Geschwindigkeitsverstöße lassen schließlich den Rückschluss zu, dass dem Antragsteller hinsichtlich der Gefährlichkeit von zu schnellem Fahren die nötige Einsicht fehlt, vgl. VG München, Beschluss vom 20. Dezember 2006 – M1 S 06.4357 -, juris; VG Berlin, Beschluss vom 31. Januar 2002 – 11 A 286.02 -, juris.

Zudem war der Antragsteller bereits im Jahr 2007 dem Druck einer Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Antragsgegner ausgesetzt (Az. 7 L 565/07). Aufgrund dieses Verfahrens musste dem Antragsteller bewusst sein, welche Folgen wiederholte verkehrsrechtliche Verstöße nach sich ziehen. Dennoch hat er sich nach Abschluss dieses Verfahrens die oben genannten zahlreichen Verstöße zu Schulden kommen lassen. Es ist daher anzunehmen, dass auch diese Erfahrung ihn nicht so beeindruckt hat, dass im Anschluss seine Neigung zu Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften abgenommen hätte. Dies spricht ebenfalls dafür, dass er auch zukünftig uneinsichtig sein und den straßenverkehrsrechtlichen Regeln keine Folge leisten wird. Deshalb würde es den Belangen der Straßenverkehrssicherheit zuwiderlaufen, ihm gegenüber offenbar nutzlose weitere Maßnahmen mit dem Zweck der Ermahnung anzuwenden.

Der Antragsteller erweist sich als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet. Ein Ermessen steht dem Antragsgegner bei feststehender Ungeeignetheit nicht zu.

Es ist schließlich auch möglich, die Begründung des angegriffenen Bescheids in dem Sinne auszuwechseln, dass die Entziehung nicht mehr auf die unterbliebene Beibringung einer angeordneten MPU, sondern unmittelbar auf die Ungeeignetheit des Adressaten gestützt wird, vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001, a.a.O., Rdnr. 28.

Dieser Austausch führt nicht zu einer Wesensveränderung der angegriffenen Verfügung, da es sich in beiden Fällen um eine gebundene Entscheidung handelt, die nicht im Ermessen der Behörde steht. Daher kann diese Auswechslung auch durch das Gericht vorgenommen werden, vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 1998 – 9 C 53/97 -, juris, Rdnr. 14 f.

Es bestehen auch keine Bedenken gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung. Die gebotene Interessenabwägung fällt zum Nachteil des Antragstellers aus. Sein Interesse am Erhalt seiner Fahrerlaubnis zu privaten und eventuell beruflichen Zwecken wird von den Interessen des Antragsgegners bzw. der Allgemeinheit überwogen. Aufgrund der von ihnen ausgehenden Gefahren besteht ein Interesse der Allgemeinheit daran, ungeeignete Fahrer von der Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen. Hier spricht zudem die erhebliche Anzahl von Verstößen in vergleichsweise kurzer Zeit und die fehlende Einsicht nach den bisherigen behördlichen und gerichtlichen Verfahren für die Gefahren, die vom Antragsteller für andere Verkehrsteilnehmer ausgehen können. Angesichts der Rechtsgüter von bedeutendem Wert, die im Straßenverkehr bedroht sind, überwiegt das Interesse der Allgemeinheit am (vorläufigen) Ausschluss des Antragstellers vom Straßenverkehr daher sein Suspensivinteresse.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs.1 des Gerichtskostengesetzes und entspricht der aktuellen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen bei Streitigkeiten um eine Fahrerlaubnis in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren.

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