Das Gericht hat den Entzug der Fahrerlaubnis für PKW und Motorräder als rechtswidrig erklärt, da das Gutachten die Fahreignung des Mannes für diese Fahrzeugklassen nicht zweifelsfrei festgestellt hat. Die Behörde muss nun weitere ärztliche Befunde einholen und eine ergänzende Begutachtung anordnen, um die Frage der Fahreignung endgültig zu klären.
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Übersicht
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- Führerscheinentzug: Gerichtsurteil klärt Zweifel an Fahreignung auf
- Der Fall vor dem Verwaltungsgericht (VG) Ansbach im Detail
- ✔ FAQ zum Thema: Fahrerlaubnis und Fahreignungsüberprüfung
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ➜ Das vorliegende Urteil vom Verwaltungsgericht (VG) Ansbach
✔ Das Wichtigste in Kürze
- Der Entzug der Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 war voraussichtlich rechtswidrig, da das vorgelegte Gutachten die Fahruntauglichkeit des Antragstellers für diese Fahrzeugklassen nicht zweifelsfrei feststellte.
- Die Fahrerlaubnisbehörde muss sich an die Ergebnisse des von ihr angeordneten Gutachtens halten und kann dessen Bewertung nicht ohne Begründung ersetzen.
- Eine fehlende Mitwirkung des Antragstellers bei der Begutachtung wurde nicht festgestellt, daher konnte nicht auf seine Fahruntauglichkeit geschlossen werden.
- Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Fahrerlaubnisentzug für Gruppe 1 wird wiederhergestellt.
- Der Antragsteller hat Anspruch auf Ausstellung eines Führerscheins für die Klassen der Gruppe 1.
- Das Verfahren muss fortgesetzt werden, um eine abschließende Klärung der Fahreignung für Gruppe 1 herbeizuführen.
- Die Kosten des Verfahrens sind zwischen Antragsteller und Antragsgegnerin aufzuteilen.
Führerscheinentzug: Gerichtsurteil klärt Zweifel an Fahreignung auf
Führerscheinbesitz ist für viele Menschen im Alltag unverzichtbar. Doch dieser wird nicht von Dauer sein, wenn gesundheitliche Einschränkungen die Fahrtüchtigkeit infrage stellen. In Deutschland unterliegt die Fahrerlaubnis daher besonderen Regeln und Überprüfungen, um die Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten.
Ergeben sich Zweifel an der körperlichen oder geistigen Eignung eines Fahrzeugführers, hat die zuständige Behörde die Möglichkeit, eine medizinisch-psychologische Begutachtung anzuordnen. Der Führerscheininhaber ist dann verpflichtet, an dieser Überprüfung mitzuwirken. Wie genau dieser Prozess abläuft und welche Rechte Betroffene haben, soll im Folgenden am Beispiel eines aktuellen Gerichtsurteils näher beleuchtet werden.
Der Fall vor dem Verwaltungsgericht (VG) Ansbach im Detail
Aufforderung zur Mitwirkung bei Fahreignungsüberprüfung
Im vorliegenden Fall wendet sich ein Mann im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Entzug seiner Fahrerlaubnis aller Klassen. Die zuständige Behörde hatte Bedenken hinsichtlich seiner Fahreignung, nachdem er bei einer Verkehrskontrolle unter Alkoholeinfluss stand und über Durchblutungsstörungen in den Beinen berichtete. Aufgrund dieser Auffälligkeiten leitete die Behörde Vorermittlungen ein und forderte den Mann zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens auf.
Das Gutachten bestätigte die Zweifel an der Fahreignung, konnte jedoch nicht zweifelsfrei klären, ob der Mann für Fahrzeuge der Gruppe 1 (PKW, Motorräder etc.) noch fahrtüchtig ist. Es fehlten dazu einige ärztliche Befunde, die der Mann trotz Aufforderung nicht fristgerecht beigebracht hatte. Die Behörde entzog daraufhin die Fahrerlaubnis aller Klassen und forderte die Abgabe des Führerscheins.
Gerichtliche Entscheidung: Fahreignungsüberprüfung, Mitwirkung und Beweislast
Das Gericht entschied, dass der Entzug der Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Gruppe 1 rechtswidrig war. Das vorgelegte Gutachten habe die Fahruntauglichkeit des Mannes für diese Fahrzeugklassen nicht zweifelsfrei festgestellt. Vielmehr sei die Frage der Fahreignung für Gruppe 1 weiterhin völlig offen. Daher sei es auch aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht gerechtfertigt gewesen, sofort fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen zu ergreifen.
Zwar bestehe grundsätzlich eine Mitwirkungspflicht des Betroffenen bei der Aufklärung von Zweifeln an der Fahreignung. Im vorliegenden Fall habe der Mann jedoch durch sein Verhalten gezeigt, dass er gewillt und in der Lage war, an der Aufklärung seiner Fahreignung mitzuwirken. Er habe sich unmittelbar nach Aufforderung untersuchen lassen und das Gutachten ohne Zögern vorgelegt. Zudem habe er bereits vor Fertigstellung des Gutachtens Facharzttermine vereinbart, um die noch fehlenden Befunde zu klären.
Das Gericht führte weiter aus, dass die Behörde sich an die Ergebnisse des von ihr angeordneten Gutachtens halten und dessen Bewertung nicht ohne Begründung ersetzen kann. Auch sei es dem Mann nicht vorzuwerfen, dass er die fehlenden Befunde nicht fristgerecht beigebracht habe. Die Wartezeiten für Facharzttermine seien systembedingt und nicht seiner Risikosphäre zuzuordnen.
Fahrerlaubnisentzug für LKW und Busse rechtmäßig
Hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2 (LKW, Busse etc.) entschied das Gericht jedoch zugunsten der Behörde. Das Gutachten habe hier die Nichteignung des Mannes zweifelsfrei festgestellt, da er aufgrund einer schweren chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) nicht in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 gerecht zu werden. Daher sei der Entzug der Fahrerlaubnis und die Abgabe des Führerscheins für diese Fahrzeugklassen rechtens.
Ausblick: Klärung der Fahreignung für PKW und Motorräder
Das Gericht regte an, die noch ausstehenden ärztlichen Befunde unverzüglich einzuholen und auf dieser Grundlage eine ergänzende Begutachtung anzuordnen, um die Frage der Fahreignung des Mannes für Fahrzeuge der Gruppe 1 abschließend zu klären.
✔ FAQ zum Thema: Fahrerlaubnis und Fahreignungsüberprüfung
Welche Gründe können zu einer Fahreignungsüberprüfung führen?
Folgende Gründe können dazu führen, dass die Führerscheinstelle eine Fahreignungsüberprüfung anordnet, um die Fahreignung zu überprüfen:
Wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken an der körperlichen oder geistigen Fahreignung rechtfertigen, kann die Fahrerlaubnisbehörde gemäß §§ 11 Abs. 2, 13 und 14 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) ein ärztliches Gutachten anfordern. Dies ist der Fall bei Verdacht auf Alkoholabhängigkeit, wiederholter Fahrt unter zu hoher Alkoholeinwirkung oder einmaliger Fahrt mit einer Blutalkoholkonzentration ab 1,6 Promille.
Auch bei Hinweisen auf Drogenkonsum oder Medikamentenmissbrauch, die die Fahrsicherheit beeinträchtigen können, wird eine Überprüfung fällig. Ebenso können bestimmte Krankheiten wie Epilepsie, Psychosen wie Schizophrenie oder Altersdemenz Anlass für eine Eignungsprüfung geben.
Darüber hinaus kann eine Überprüfung auch bei schwerwiegenden oder wiederholten Verkehrsverstößen angeordnet werden. Dazu zählen beispielsweise mehrfache Geschwindigkeitsüberschreitungen, Nichtbeachten von Vorfahrtsregeln oder Rotlichtverstößen.
Auch nach einem Unfall, bei dem der Verdacht besteht, dass gesundheitliche Mängel eine Rolle gespielt haben, kann die Behörde tätig werden und ein Gutachten einfordern.
Was beinhaltet eine Aufforderung zur Mitwirkung bei einer Fahreignungsüberprüfung?
Bei einer Fahreignungsüberprüfung durch die Führerscheinbehörde ist der Betroffene grundsätzlich verpflichtet, an der Aufklärung von aus bekannten Tatsachen resultierenden Eignungszweifeln mitzuwirken.
Die Aufforderung zur Mitwirkung beinhaltet in der Regel folgende Punkte:
- Die Behörde fordert den Betroffenen auf, sich einer medizinischen und/oder psychologischen Untersuchung zu unterziehen, um die Fahreignung zu überprüfen. Dazu wird meist die Vorlage eines Gutachtens einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung innerhalb einer bestimmten Frist verlangt.
- Der Betroffene muss bei der Begutachtung offen und ehrlich über relevante Aspekte wie Erkrankungen, Medikamenteneinnahme oder Suchtmittelkonsum Auskunft geben. Unzureichende Mitwirkung oder unwahre Angaben können sich negativ auswirken.
- Gegebenenfalls muss der Betroffene auch eigene ärztliche Unterlagen und Befunde vorlegen, die Rückschlüsse auf die Fahreignung erlauben.
- In bestimmten Fällen kann auch die Teilnahme an speziellen Untersuchungen wie Reaktionstests oder einer Fahrprobe Teil der Mitwirkungspflicht sein.
Kommt der Betroffene der Aufforderung nicht nach und legt das geforderte Gutachten nicht fristgerecht vor, darf die Behörde daraus auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen und die Fahrerlaubnis entziehen. Voraussetzung ist aber, dass die Anordnung der Begutachtung rechtmäßig und verhältnismäßig war.
Welche Konsequenzen hat die Nichtvorlage erforderlicher medizinischer Unterlagen?
Wenn bei einer Fahreignungsüberprüfung die von der Behörde angeforderten medizinischen Unterlagen nicht oder nicht fristgerecht vorgelegt werden, kann dies schwerwiegende Konsequenzen haben:
Die Fahrerlaubnisbehörde darf bei Nichtvorlage der Unterlagen auf die Nichteignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen und die Fahrerlaubnis entziehen. Dies gilt selbst dann, wenn die Anordnung der Begutachtung und Anforderung der Unterlagen rechtmäßig und verhältnismäßig war.
Der Betroffene ist im Rahmen der Mitwirkungspflicht grundsätzlich verpflichtet, an der Aufklärung von Eignungszweifeln mitzuwirken und die erforderlichen Befunde vorzulegen. Kommt er dem nicht nach, kann die Behörde dies als Verweigerung der Mitwirkung werten.
Auch eine unvollständige Vorlage der angeforderten Unterlagen, die keine abschließende Beurteilung der Fahreignung erlaubt, kann dazu führen, dass Zweifel an der Fahreignung nicht ausgeräumt werden können. Dies kann ebenfalls den Entzug der Fahrerlaubnis nach sich ziehen.
Gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis kann der Betroffene zwar Widerspruch und Klage einlegen. Solange er die geforderten Unterlagen aber nicht beibringt, hat dies wenig Aussicht auf Erfolg. Die mit dem Führerscheinentzug verbundenen Nachteile für Beruf und Privatleben ändern nichts an der Mitwirkungspflicht.
Um den Verlust der Fahrerlaubnis zu vermeiden, sollten Betroffene die Mitwirkungspflichten bei der ärztlichen Begutachtung daher unbedingt ernst nehmen und angeforderte Befunde fristgerecht vorlegen.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV und § 3 Abs. 1 Satz 3 StVG: Diese Vorschriften regeln die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Anforderungen an die Feststellung der Fahreignung. Wenn Zweifel an der Fahreignung bestehen, muss die Behörde Aufklärungsmaßnahmen durchführen. Im vorliegenden Fall wurden aufgrund gesundheitlicher Bedenken Vorermittlungen eingeleitet und ein ärztliches Gutachten angefordert.
- § 11 Abs. 8 FeV: Diese Bestimmung erlaubt es der Behörde, aus der Nichtvorlage eines angeforderten Gutachtens auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen. Der Antragsteller hatte jedoch alle erforderlichen Unterlagen und Gutachten fristgerecht eingereicht, weshalb diese Regelung hier nicht zur Anwendung kommt.
- Anlage 4 zur FeV, insbesondere Nr. 11.3 in Verbindung mit den Ziffern 4.2 und 11.2: Diese Anlage listet die medizinischen Kriterien auf, die bei der Beurteilung der Fahreignung relevant sind. Mehrfacherkrankungen, die die Fahreignung in Frage stellen, wie im Fall des Antragstellers, sind hier aufgeführt. Seine Erkrankungen (COPD, pulmonale Hypertonie, Cor pulmonale) sind relevant für die Beurteilung seiner Fahreignung, insbesondere für schwere Fahrzeugklassen.
- § 80 Abs. 5 VwGO: Diese Vorschrift ermöglicht den Gerichten, im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen Verwaltungsakte wiederherzustellen. Der Antragsteller nutzte diese rechtliche Möglichkeit, um gegen den sofortigen Entzug seiner Fahrerlaubnis vorzugehen.
- § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV und Vorbemerkung (2.) zur Anlage 4 der FeV: Diese Bestimmungen beschreiben das Verfahren, das zu folgen ist, wenn die Fahrerlaubnisbehörde Zweifel an der Fahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers hat. Sie betonen die Notwendigkeit einer umfassenden medizinischen Begutachtung, wenn entsprechende Zweifel bestehen.
- § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO: Diese Regelung erlaubt die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes unter bestimmten Bedingungen, wurde hier jedoch angefochten, da der Entzug der Fahrerlaubnis möglicherweise rechtswidrig war.
➜ Das vorliegende Urteil vom Verwaltungsgericht (VG) Ansbach
VG Ansbach – Az.: AN 10 S 24.188 – Beschluss vom 21.02.2024
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 22. Januar 2024 wird wiederhergestellt, soweit diese die Fahrerlaubnisklassen A, A1, A2, AM, B, BE (79.06) und L (174,175) betreffen.
2. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller einen Führerschein für die Klassen A, A1, A2, AM, B, BE (79.06) und L (174,175) auszustellen.
3. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
4. Von den Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin 2/3, der Antragsteller 1/3 zu tragen.
5. Der Antrag auf Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten, …, für das Vorverfahren wird abgelehnt.
6. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragssteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Entzug seiner Fahrerlaubnis aller Klassen.
Der Antragsteller war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, A2, AM, B, BE (79.06), C1 (171), C1E und L (174,175).
Durch eine polizeiliche Mitteilung erhielt die Antragsgegnerin davon Kenntnis, dass der Antragsteller am … 2023, gegen … Uhr, einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen wurde. Einen Atemalkoholtest konnte der Antragsteller erst nach mehreren Versuchen erfolgreich absolvieren, da er nach eigenen Angaben „weniger Luft“ hätte. Bei einer im Anschluss durchgeführten Kontrolle der Blutalkoholkonzentration wies der Antragsteller einen schwankenden Gang auf, worauf er angab, unter Durchblutungsstörungen in den Beinen zu leiden. Im Rahmen der darauf durch die Antragsgegnerin eingeleiteten Vorfeldermittlungen legte der Antragsteller einen am 26. September 2023 durch seinen Hausarzt (…) erstellten Befundbericht, sowie ergänzende Unterlagen, vor. Diesen ist zu entnehmen, dass beim Antragsteller folgende Diagnosen bestehen: COPD E/GOLD IV mit pulmonaler Hypertonie und (kompensierter) rechts-Herzinsuffizienz, Cor pulmonale, Respiratorische Insuffizienz, Lungenemphysem und Zustand nach Inhalationsrauchen.
Mit Anordnung vom 5. Oktober 2023 forderte die Antragsgegnerin die Vorlage eines fachärztlichen Gutachtens eines Arztes in einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung. Der Antragsteller unterzog sich sodann am 13. November 2023 einer Begutachtung. In diesem Zusammenhang wurden folgende Informationen angefordert: Ein internistischer/kardiologischer Befund, im hausärztlichen Befund auch die Information, ob es diabetische Komplikationen gebe sowie ein aktueller pneumologischer Befund. Der Antragsteller reichte diese Unterlagen bis zur Anfertigung des Gutachtens nicht ein.
In dem am 11. Dezember 2023 durch die … erstellten ärztlichen Gutachten werden die Fragen der Antragsgegnerin abschließend wie folgt beantwortet:
1a. Bei … eine Mehrfach-Erkrankung vor, die nach Nr. 11.3 der Anlage 4 FeV (v.a. in Verbindung mit den Ziffern 4.2 und 11.2) die Fahreignung in Frage stellt.
1b. … ist nicht (wieder) in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 vollständig oder bedingt gerecht zu werden. Ob Fahreignung für Gruppe 1 besteht, kann derzeit nicht abschließend geklärt werden.
2. Es ergaben sich keine Hinweise auf eine verminderte Compliance (z.B. Krankheitseinsicht, regelmäßige/überwachte Medikamenteneinnahme [Hinweise auf – ggf. selbstindizierte – Unter- oder Überdosierung] usw.) und (Adhärenz).
(…)
Hinsichtlich der Gruppe 1 führt die Gutachterin u. a. aus, dass, ob Fahreignung für die Gruppe 1 bestehe, im aktuellen Befundstand nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne, da hierzu ein ausreichend gut eingestellter Blutdruck erforderlich wäre und dass zusätzlich ausgeschlossen werden müsse, ob eine fahreignungsrelevante OSAS vorliege. In Bezug auf den Blutdruck sei auch zu beachten, dass angesichts der schwerwiegenden Komorbiditäten zur Risikominderung eine tatsächlich gute Blutdruckeinstellung erforderlich sei und hierfür die in Ziffer 4.2 der Anlage 4 zur FeV beschriebenen Grenzwerte für den Blutdruck, die im Fall einer isolierten arteriellen Hypertonie relevant wären, viel zu hoch angesetzt seien. Daher sei vorzuschlagen, die Fahreignung für Gruppe 1 so lange auszusetzen, bis durch erneute Befunde zum Blutdruck abgeklärt werden könne, ob Fahreignung für Gruppe 1 hergestellt werden könne.
Mit Anhörungsschreiben vom 20. Dezember 2023 wurde dem Antragsteller die Möglichkeit zur Stellungnahme zum beabsichtigten Entzug der Fahrerlaubnis aller Klassen gegeben. Darauf führte der Antragsteller u.a. aus, dass er ein für ihn günstiges Gutachten vorgelegt habe. Er habe auch bereits bei Fachärzten Termine für die fehlenden Befunde Anfang Februar bzw. März 2024 vereinbart, weshalb er Fristverlängerung beantrage. Zudem legte er Aufzeichnungen über seinen Blutdruck sowie einen am 16. Januar 2024 durch seinen Hausarzt erstellten Befundbericht vor. Es könne keinesfalls auf eine fehlende Bereitschaft zur Mitwirkung geschlossen werden. Die Wartezeiten für Facharzttermine seien im Gesundheitssystem begründet.
Mit Bescheid vom 22. Januar 2024 – zugestellt am 24. Januar 2024 – wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen entzogen (Ziffer 1). Zugleich verpflichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller, binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheides ihr seinen Führerschein abzuliefern (Ziffer 2). Außerdem wurde dem Antragsteller unmittelbarer Zwang in Bezug auf Ziffer 2 angedroht (Ziffer 3). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 des Bescheids wurde angeordnet (Ziffer 4).
Mit dem am 26. Januar 2024 bei Gericht eingegangen Schriftsatz erhob der Antragsteller gegen den zuvor bezeichneten Bescheid Klage. Zugleich begehrt er einstweiligen Rechtsschutz. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass das beigebrachte Gutachten nicht den Entzug der Fahrerlaubnis aller Klassen decke. Die Kernaussage des Gutachtens, dass nicht abschließend festgestellt werde könne, ob Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1 bestehe, werde durch die Antragsgegnerin fehlerhaft dahingehend gedeutet, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht gegeben sei. Er habe außerdem Nachweise über den aktuellen Blutdruck beigebracht, was die Antragsgegnerin nicht gewürdigt habe.
Er beantragt daher im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes:
1. Der in Ziffer 4 verfügte Sofortvollzug ist außer Kraft zu setzen und die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.
2. Dem Beklagten wird aufgegeben, eine etwa in seinem Besitz gelangte Fahrerlaubnis des Klägers unverzüglich an den Kläger herauszugeben.
3. Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten wird für notwendig erklärt.
Die Antragsgegnerin beantragt (sinngemäß):
Der Antrag wird abgelehnt.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid. Im Übrigen stelle das beigebrachte Gutachten vom 11. Dezember 2023 zweifelsfrei fest, dass beim Antragsteller keine Fahreignung für Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 und 2 bestehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die beigezogene Behördenakte sowie auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
1.
Bei Orientierung am Antragsbegehren (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO) ist davon auszugehen, dass der Antragsteller mit seinem Antrag zu 1. die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids begehrt. Dieser Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaft, da es sich bei den Ziffern 1 und 2 des Bescheids um wirksame Verwaltungsakte handelt, die aufgrund der Sofortvollzugsanordnung in Ziffer 4 des Bescheids (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) sofort vollziehbar sind. Die Abgabe des Führerscheins führt nicht zu einer Erledigung der Ziffer 2, da die Abgabeverpflichtung den Rechtsgrund zum vorläufigen Behaltendürfen des Dokuments für die Antragsgegnerin darstellt (BayVGH, B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris Rn. 22). Der Antrag zu 2. ist als Antrag auf Vollzugsfolgenbeseitigung bzgl. Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids gem. § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO statthaft, da das Gericht bei einer bereits erfolgten Vollziehung deren Aufhebung anordnen kann. Sonstige Bedenken gegen die Zulässigkeit bestehen nicht.
2.
Der so verstandene Antrag ist in dem im Tenor bezeichneten Umfang begründet.
Soweit sich der Antrag gegen den Entzug der dem Antragsteller erteilten Fahrerlaubnisklassen, die der Gruppe 1 zuzuordnen sind, wendet, fällt die hier vorzunehmende originäre Ermessensentscheidung des Gerichts zugunsten des Antragstellers aus.
Zwar bestehen keine Bedenken hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit der Sofortvollzugsanordnung in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids, jedoch erweist sich der Fahrerlaubnisentzug insoweit nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich als rechtswidrig. An der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts besteht kein überwiegendes öffentliches Interesse, weshalb das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt.
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids (§ 113 Abs. 1 VwGO) ist die Sach- und Rechtslage bei Erlass (VG München, B.v. 19.4.2018 – M 26 S 18.234 – juris Rn. 28).
Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet oder nur bedingt geeignet ist, so finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat dann unter den dort genannten Voraussetzungen weitere Aufklärung, insbesondere die Anordnung der Vorlage ärztlicher oder medizinisch-psychologischer Gutachten, zu betreiben (§ 3 Abs. 1 Satz 3 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV insbesondere, wenn konkrete Tatsachen bekannt werden, die eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 als naheliegend erscheinen lassen. Diese Tatsachen können sich aus Amtsermittlung der Behörde, aus Mitteilungen anderer Behörden oder von dritter Seite ergeben (BeckOK, StVR, § 11 FeV Rn. 10). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, § 11 Abs. 8 FeV. Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens, § 11 Abs. 7 FeV.
Vorliegend hat der Antragsteller das mit Anordnung vom 5. Oktober 2023 geforderte ärztliche Gutachten beigebracht. Nach der Vorlage sind die strengen Anforderungen an die Begutachtungsanordnung (BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – juris Rn. 19) nicht mehr zu prüfen (MüKo, StVG, § 11 Rn. 20 m.w.N.).
Aus dem vorgelegten Gutachten vom 11. Dezember 2023 ergibt sich die fehlende Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen jedenfalls nicht schlüssig, weshalb die Voraussetzungen von § 11 Abs. 7 FeV nicht erfüllt sind.
Eine Fahrerlaubnisbehörde hat im Entzugsverfahren anders als im Neuerteilungsverfahren die materielle Beweislast für das Fehlen der Fahreignung, weshalb eine Ungewissheit über das Fehlen der Fahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers grundsätzlich zu Lasten der Antragsgegnerin geht (BayVGH, B.v. 23.8.2023 – 11 CS 23.980 – juris Rn. 16). Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen soll nach der Gesamtkonzeption des Fahrerlaubnisrechts mittels Unterstützung, insbesondere durch amtliche Stellen für Fahreignungsbegutachtung, abgeklärt werden, wenn die Fahrerlaubnisbehörde Zweifel an der Fahreignung eines Betroffenen hat (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV und Vorbemerkung (2.) zur Anlage 4 der FeV). Es besteht zwar die Möglichkeit, einem Betroffenen die Fahrerlaubnis ohne Einholung eines entsprechenden Gutachtens zu entziehen, wenn die fehlende Eignung für die Fahrerlaubnisbehörde zweifelsfrei feststeht, wie es bspw. regelmäßig bei „harten“ Drogen (Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV) der Fall ist, jedoch hat in einem solchem Fall die Begutachtung von vornherein zu unterbleiben, § 11 Abs. 7 FeV. Eine solche widerspräche bei bereits feststehender Ungeeignetheit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da ein Aufklärungsbedarf dann nicht (mehr) vorliegt (BeckOK, StVR, § 11 FeV Rn. 11). Entscheidet sich Fahrerlaubnisbehörde jedoch dazu, aufgrund ihrer Zweifel an der Eignung eine Begutachtung anzuordnen, muss sie sich an dieser Entscheidung und gleichzeitig am Ergebnis der Begutachtung festhalten lassen. Erklärt sie im Nachgang der Begutachtung ohne Begründung, entgegen des Ergebnisses des Gutachtens doch keine Zweifel zu haben, verhält sie sich widersprüchlich. Nachdem das Gutachten vorlegt wurde, ist eine Fahrerlaubnisbehörde in der Regel mangels medizinischer Fachkenntnisse nicht in der Lage, eine eigene Auffassung an die Stelle des Ergebnisses eines ärztlichen Gutachtens zu setzen (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2024 – 11 CS 23.1639 – juris Rn. 27, B.v. 23.8.2023 – 11 CS 23.980 – juris Rn. 18).
Hier hat sich die Antragsgegnerin dazu entschlossen, mit Schreiben vom 5. Oktober 2023 eine Begutachtung anzuordnen. In dem darauf angefertigten und vorgelegten Gutachten kommt die Verkehrsmedizinerin zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller nicht (wieder) in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 vollständig oder bedingt gerecht zu werden. Ob hingegen eine Fahreignung für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 besteht, könne derzeit mangels ausreichender Befunde nicht abschließend geklärt werden. Die Gutachterin hat damit keine abschließende Aussage hinsichtlich der Eignung des Antragstellers hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 getroffen (vgl. VG Bremen, B.v. 7.9.2021 – 5 V 1581/21 – juris Rn. 24). Es ist nicht davon auszugehen, dass die Gutachterin mit dieser Formulierung eine Nichteignung im Hinblick auf die Gruppe 1 meinte, da sie zuvor die Nichteignung für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2 ausdrücklich konstatierte. Zudem führt die Verkehrsmedizinerin auf Seite 18 des Gutachtens aus, dass im aktuellen Befundstand nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne, ob Fahreignung für die Gruppe 1 bestehe. Weshalb sie gleichzeitig (zwei Absätze weiter) vorschlägt, die Fahreignung für Gruppe 1 so lange auszusetzen, bis durch erneute Befunde zum Blutdruck abgeklärt werden könne, ob Fahreignung für Gruppe 1 hergestellt werden könne, erschließt sich dem Gericht nicht, da es widersprüchlich erscheint, diesen Vorschlag zu unterbreiten, ohne gleichzeitig die Fahreignung des Antragstellers für die Gruppe 1 mit einer entsprechenden Begründung zu verneinen. Es ist insbesondere aber weder dargelegt, noch nachvollziehbar, warum aus der Nichtfeststellbarkeit einer positiven Eignung auf eine Nichteignung zu schließen sei. Jedenfalls wirken sich diese Zweifel an der Schlüssigkeit aufgrund der bereits aufgezeigten Beweislast zugunsten des Antragstellers aus. Trotz der offenen Prognose, welche weder die negative Eignung, noch die positive Eignung des Antragstellers attestiert, geht die Antragsgegnerin ohne Begründung von einer fehlenden Eignung des Antragstellers (auch) hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen, die zur Gruppe 1 gehören, aus und stützte darauf ihren Entzug aller Fahrerlaubnisklassen. Die Antragsgegnerin hätte im Rahmen der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids zumindest ausführen müssen, weshalb sie nun von einer Nichteignung ausgeht, obwohl für sie ursprünglich lediglich Zweifel an der Fahreignung bestanden. Der Verweis auf das Ergebnis des vorgelegten ärztlichen Gutachtens rechtfertigt jedenfalls keinen Entzug wegen feststehender Nichteignung, da sich dies, wie aufgezeigt, aus den Ausführungen der Verkehrsmedizinerin nicht schlüssig ergibt. Im Übrigen ist die Antragsgegnerin auch nicht dazu befugt, ihre eigene Auffassung an die Stelle des ärztlichen Gutachtens zu setzen, da nicht ersichtlich ist, dass sie ärztliche Fachkunde innehat.
Kommt ein Verwaltungsgericht zu der Erkenntnis, dass ein Verwaltungshandeln zu Unrecht auf die von der Behörde herangezogene Rechtsnorm gestützt ist, ist es befugt und verpflichtet zu prüfen, ob und inwieweit das Verwaltungshandeln mit Blick auf eine andere Rechtsgrundlage aufrechterhalten werden kann (BVerwG, B.v. 29.7.2019 – 2 B 19/18 – NVwZ-RR 2020, 113).
Im Hinblick auf die im Zeitpunkt der Gutachtenserstellung nicht beigebrachten (fach-)ärztlichen Befunde kann dem Antragsteller nach Auffassung der Kammer auch keine Verletzung seiner Mitwirkungsobliegenheit vorgeworfen werden, weshalb sich der Entzug der Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 auch nicht auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV stützen lässt.
Es ist grundsätzlich Sache der Fahrerlaubnisbehörde, Zweifel an der Fahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers aufzuklären und nachzuweisen, jedoch kommt dem Betroffenen eine Mitwirkungsobliegenheit dahingehend zu, seinen notwendigen Teil zur Sachaufklärung beizutragen, um die im Raum stehende, möglicherweise fehlende Fahreignung aufzuklären. Er hat sich daher rechtzeitig um die Ausstellung von Attesten zu kümmern, um diese der Begutachtungsstelle vor Fertigstellung des Gutachtens vorzulegen, die Fahrerlaubnisbehörde hiervon zu unterrichten und unter Bezug hierauf ggf. eine Verlängerung der Beibringungsfrist zu beantragen. Kommt er dem nicht nach, kann aufgrund des Rechtsgedankens des § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen geschlossen werden (BayVGH, B.v. 21.3.2023 – 11 CS 23.273 – juris Rn. 26; B.v. 20.9.2022 – 11 ZB 22.1287 – juris Rn. 21). Der Schluss von der Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung auf die Nichteignung des Kraftfahrers hat seine wesentliche Grundlage in der Verletzung der dem Betroffenen obliegenden Mitwirkungspflicht und der Annahme, der Betreffende wolle Eignungsmängel verbergen, indem er nicht hinreichend mitwirkt (BayVGH, B.v. 7.8.2018 – 11 CS 18.1270 – juris Rn. 16; VG Ansbach, B.v. 22.12.2020 – AN 10 S 20.02103 – juris Rn. 68). § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV nimmt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Beweisvereitelung im Rahmen des § 15b Abs. 2 StVZO a. F. auf. Die Vorschrift des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV beinhaltet daher der Sache nach eine § 427 und § 446 ZPO vergleichbare Beweisregel, gemäß der bei Weigerung eines Beteiligten, seinen notwendigen Teil zur Sachaufklärung beizutragen, eine Tatsache als erwiesen angesehen werden kann. Die Anwendung dieser Beweisregel erfordert zu beurteilen, ob unter Berücksichtigung der zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Entziehungsentscheidung gegebenen gesamten Sachlage deshalb auf eine Nichteignung des Betroffenen geschlossen werden konnte, weil sich in der Nichtbeibringung der angeforderten Befunde seine aktuelle Weigerung manifestierte, den notwendigen eigenen Teil zur Sachaufklärung beizutragen (vgl. NdsOVG, B.v. 23.12.2016 – 12 ME 186/16 – juris Rn. 16). Es ist zu prüfen, ob für die Weigerung oder Nichtvorlage des Gutachtens ein berechtigter bzw. „ausreichender“ Grund existiert, da nur im Falle einer verschuldeten Nichtmitwirkung die Vermutung berechtigt ist, der Betroffene wolle einen Eignungsmangel verbergen (BayVGH, B.v. 20.9.2022 – 11 ZB 22.1446 – juris Rn. 21; VG München, B.v. 14.9.2016 – M 26 S 16.3208 – juris Rn. 31; Hentschel/Dauer/König, StVG, § 11 FeV Rn. 51).
Eine Mitwirkungspflichtverletzung in diesem Sinne vermag die Kammer im Gesamtverhalten des Antragstellers bis zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheids nicht zu erkennen. Greifbare Anhaltspunkte, dass der Antragsteller etwas verbergen oder das Verwaltungsverfahren verzögern wolle, sind weder ersichtlich noch durch die Antragsgegnerin vorgetragen.
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass sich der Antragsteller unmittelbar nach der Zustellung der Begutachtungsanordnung am 9. Oktober 2023 mit Schreiben vom 10. Oktober 2023 dazu bereit erklärt hatte, sich einer ärztlichen Begutachtung durch eine amtlich anerkannte Begutachtungsstelle zu unterziehen (BA Bl. 44 ff.), worauf der Begutachtungstermin anschließend am 13. November 2023 stattfand. Im Rahmen des ärztlichen Untersuchungsgesprächs beantwortete der Antragsteller die gestellten Fragen wahrheitsgemäß ohne diesen auszuweichen, worauf das Gutachten am 11. Dezember 2023 erstellt und durch den Antragsteller ohne Zögern vorgelegt wurde, obwohl dieses für ihn (erkennbar) teilweise negativ ausgefallen ist, soweit die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2 betroffen sind (vgl. unten). Bereits an diesem Verhalten des Antragstellers wird erkennbar, dass dieser nicht daran interessiert ist, die Aufklärung seiner Fahreignung zu erschweren und ausweislich des Gutachtens auch krankheitseinsichtig ist. Sodann ergibt sich aus den im Anhörungsverfahren vorgelegten Unterlagen des Antragstellers (BA Bl. 81 ff.), dass sich die Frau des Antragstellers bereits am 22. November 2023 vor Fertigstellung des ärztlichen Gutachtens Facharzttermine in einer pneumologischen Praxis mit ambulantem Schlaflabor bestätigen lassen hat, um zunächst das im Raum stehende obstruktive Schlafapnoesyndrom abzuklären. Die Termine waren für den 2. Februar, 7. Februar und 4. März 2024 angesetzt. Auch der begutachtenden Verkehrsmedizinerin teilte er bereits vor Fertigstellung des Gutachtens mit, dass er im Februar 2024 einen Schlaflabortermin habe. Außerdem brachte der Antragsteller im Anhörungsverfahren aktuelle Aufzeichnungen über seinen Blutdruck sowie einen am 16. Januar 2024 durch seinen Hausarzt erstellten Befundbericht bei. Dieses Verhalten zeigt weiter, dass der Antragsteller sich darum bemüht hat, an der Abklärung seiner Fahreignung mitzuwirken. Aus Sicht der Kammer hat es der Antragsteller auch nicht zu vertreten, dass er bis zur Fertigstellung des Gutachtens am 11. Dezember 2023 und schließlich auch nicht bei Erlass des streitgegenständlichen Bescheids am 24. Januar 2024 die noch fehlenden ärztlichen Unterlagen nicht vollumfänglich beigebracht hatte, da die Wartezeiten für Facharzttermine systembedingt und daher nicht seiner Risikosphäre zuzuordnen sind. Unabhängig von der Frage, wann der Antragsteller erstmals auf die für die Begutachtung erforderlichen Unterlagen hingewiesen wurde, standen ihm unter Berücksichtigung der Weihnachtsfeiertage und des Jahreswechsels gerade einmal ca. zwei bis drei Monate zur Verfügung, um noch nicht angefertigte (Fach-)Arztberichte beizubringen. Einer (gesetzlich versicherten) Person ist es zum Zeitpunkt der Entscheidung kaum möglich, innerhalb derart kurzer Zeit aktuelle Untersuchungsbefunde von einem Facharzt einzuholen, was einen berechtigten Grund für die Nichtbeibringung der Befunde darstellt.
Dieses soeben beschriebene Gesamtverhalten des Antragstellers zeigt deutlich, dass er gewillt und in der Lage war, an der Aufklärung seiner Fahreignung mitzuwirken, weshalb ihm die Verletzung einer Mitwirkungsobliegenheit i.S.v. § 11 Abs. 8 FeV – die in dieser Vorschrift auch nicht näher konkretisiert ist, da vorliegend wie ausgeführt lediglich der Rechtsgedanken heranzogen wird – unter Berücksichtigung der Historie dieser Vorschrift nach Rechtsauffassung der Kammer nicht vorgeworfen werden kann. Hierbei kam es nicht darauf an, ob der Antragsteller tatsächlich für sämtliche noch ausstehende Befunde eine Terminbestätigung rechtzeitig vorgelegt hatte, da dies zum einen eine unverhältnismäßige Anforderung darstellen würde und zum anderen, weil sich die Fachärzte nach Angaben des Antragstellers zu konkreten Diagnosen erst nach Weiterbehandlungen im Schlaflabor in der Lage sahen. Auf diese Aussagen durfte er vertrauen.
Die Mitwirkungsbereitschaft wurde der Antragsgegnerin auch im Rahmen der Anhörung und damit rechtzeitig durch den Antragsteller vorgetragen. Zugleich stellte der Prozessvertreter des Antragstellers mit Schreiben vom 9. Januar 2024 einen Antrag auf Fristverlängerung zur Beibringung weiterer Unterlagen (BA Bl. 78 ff.), wobei er auf die Feiertrage und die langen Wartezeiten bei Fachmedizinern hinwies. Das Vorbringen im Anhörungsverfahren war noch berücksichtigungsfähig, da es sich bei einer nach § 11 Abs. 8 FeV gesetzten Frist nicht um eine Ausschlussfrist, nach deren Ablauf weiteres Vorbringen präkludiert ist, handelt (BayVGH, B.v. 7.8.2018 – 11 CS 18.1270 – juris Rn. 16). Aufgrund des Vorbringens im Anhörungsverfahrens hätte die Antragsgegnerin die Vorlage aller Facharztbefunde abwarten und anschließend ein Ergänzungsgutachten bzw. eine Nachbegutachtung anordnen müssen, bevor sie dem Antragsteller auch die Fahrerlaubnis der Gruppe 1 entzieht (BVerwG, B.v. 19.3.1996 – 11 B 14/96 – juris Rn. 3). Dies ist jedoch unterblieben.
Anders wäre es hingegen, wenn die Verkehrsmedizinerin trotz der ausstehenden Befunde in ihrem Gutachten bereits (schlüssig) zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass beim Antragsteller auch hinsichtlich der Gruppe 1 keine Fahreignung bestehe (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2023 – 11 CS 23.273 – juris Rn. 22). Da die Frage der Fahreignung vorliegend jedoch weiterhin völlig offen ist – man befindet sich m.a.W. wieder in der Ausgangssituation in der lediglich Zweifel hieran bestanden – ist es auch aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht gerechtfertigt, sofort fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen zu ergreifen. Ansonsten könnte die Fahrerlaubnisbehörde bereits bei Bestehen von Zweifeln hinsichtlich der Fahreignung i.S.v. § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis entziehen und erst anschließend eine Begutachtung anordnen bzw. den Betroffenen auf ein Neuerteilungsverfahren verweisen. Dies stünde jedoch nicht im Einklang mit dem Willen des Verordnungsgebers, wonach sich der Betroffene erst als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweisen muss, um ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV. Zweifel an der Fahreignung hingegen rechtfertigen lediglich Aufklärungsmaßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde, § 46 Abs. 3 i.V.m. §§ 11 ff. FeV.
Da sich Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids, wie ausgeführt, voraussichtlich teilweise als rechtswidrig erweisen wird, ist auch der Antrag im Hinblick auf Abgabeverpflichtung des Führerscheins hinsichtlich der Gruppe 1 begründet, da sich diese akzessorisch zum Entzug der Fahrerlaubnis verhält, § 47 Abs. 1 FeV.
Gleiches gilt für die ausdrücklich beantragte Folgenbeseitigung i.S.v. § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO, deren Anordnung hier ausnahmsweise im Tenor aufgenommen wurde.
3.
Im Übrigen ist der Antrag jedoch unbegründet.
Die Sofortvollzugsanordnung in Ziffer 4 des Bescheides ist formell rechtmäßig und die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung fällt zugunsten der Antragsgegnerin aus, soweit sich der Antrag gegen die Fahrerlaubnisklassen des Antragstellers, die der Gruppe 2 zuzuordnen sind, richtet.
Die Anordnung des Sofortvollzugs (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) ist formell rechtmäßig. Insbesondere genügt die Begründung den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
Die Behörde hat unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit der Verwaltungsakte angeordnet hat. Nicht ausreichend sind lediglich formelhafte Begründungen. An den Inhalt der Begründung sind dabei keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 55). Ob die in einer Sofortvollzugsanordnung genannten Gründe inhaltlich die Anordnung zu rechtfertigen vermögen, ist keine Frage des formellen Begründungserfordernisses gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2019 – 22 CS 18.2310 – juris Rn. 11). Nach diesen Maßstäben ist nicht zu bestanden, wie die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids jeweils begründet hat. Hinsichtlich Ziffer 1 des Bescheids führt die Antragsgegnerin aus, dass das private Interesses des Antragstellers bis zu einer abschließenden Klärung der Rechtmäßigkeit des Bescheides aus Gründen der Gefahrenabwehr zurückstehen müsse. Sie sei davon überzeugt, dass der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei und außerdem sei zu befürchten, dass der Antragsteller bis zur Bestandskraft des Bescheides weiterhin ein Kraftfahrzeug führen werde. Dazu komme, dass regelmäßig von einer Gefährdung der Allgemeinheit durch ungeeignete Kraftfahrer auszugehen sei. Der Sofortvollzug von Ziffer 2 erfolge zur Dokumentation mit Außenwirkung, dass der Antragsteller nicht mehr berechtigt sei, ein Kraftfahrzeug zu führen. Hierdurch könnten Polizeibeamte bei Verkehrskontrollen nicht mehr über eine bestehende Fahrerlaubnis getäuscht werden. Zugleich solle durch den Sofortvollzug mögliche Sicherheitsrisiken für andere Verkehrsteilnehmer reduziert werden.
Im Hinblick auf die Gruppe 2 fällt die originäre Ermessenentscheidung des Gerichts zugunsten der Antragsgegnerin aus. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Maßnahme (Vollzugsinteresse) überwiegt gegenüber dem Suspensivinteresse des Antragstellers, da sich der streitgegenständliche Bescheid insoweit als rechtmäßig erweist.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV zur Recht die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2 entzogen, da sich die Nichteignung insoweit aus dem vorgelegten ärztlichen Gutachten vom 11. Dezember 2023 ergibt.
Die Gutachterin begründet aufgrund der ihr vorliegenden Unterlagen mit Bezug auf die Begutachtungsleitlinien auf Seite 17/18 schlüssig und verständlich, dass der Antragsteller aufgrund des Vorliegens einer Mehrfach-Erkrankung nach der Ziffer Nr. 11.3 in Verbindung mit den Ziffern 4.2 und 11.2 der Anlage 4 zur FeV nicht (wieder) in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 vollständig oder bedingt gerecht zu werden. Dies stützt sie im Wesentlichen auf die beim Antragsteller diagnostizierte (vgl. u. a. pneumologischer Befundbericht vom 24.7.2023), sehr schweren COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung), Stadium Gold IV, welche mit deutlichen Einschränkungen der Lungenfunktion in Ruhe und bereits bei geringster Belastung einhergeht. Hinzu kämen weitere vom Lungenarzt diagnostizierte Störungen, wie eine respiratorische Partialinsuffizienz, eine Cor pulmonale sowie ein Lungenemphysem. Neben der Ruhe- und Belastungsatemnot läge außerdem ein dekompensierter Bluthochdruck sowie eine nicht abgeklärte Schlafapnoe vor. Daher sei in Analogie zu den Aussagen der Begutachtungsleitlinien bei Herzinsuffizienz, Stadium NYHA III und IV (Beschwerden in Ruhe und bei schon geringer körperlicher Belastung), festzustellen, dass beim Antragsteller keine Fahreignung für die Gruppe 2 bestehe. An dieser Analogie hat die Kammer keine Bedenken, da Rückwirkungen auf die Herz-Kreislauf-Dynamik – wie auf Seite 4 des Gutachtens näher ausgeführt – u. a. durch schwere Erkrankungen der Bronchien und der Lunge, wie es beim Antragsteller der Fall ist, zu erwarten sind.
Im Übrigen bestehen keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids im Hinblick auf Gruppe 2, insbesondere wurde der Antragsteller mit Schreiben vom 20. Dezember 2023 ordnungsgemäß angehört.
4.
Zuletzt wird darauf hingewiesen, dass dieser Beschluss vom Gericht der Hauptsache jederzeit geändert werden kann, wenn Umstände zu Tage treten, die eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 80 Abs. 7 VwGO). Es wird daher unverbindlich angeregt, die konkret angeforderten und noch ausstehenden (fach-)ärztlichen Befunde, die auch auf Seite 16 des Gutachtens bezeichnet sind, ohne vorwerfbares Zögern einzuholen, da sich der Vorwurf der Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit umso mehr erhärtet, je mehr Zeit vergeht. Ab wann dieser Vorwurf gemacht werden kann, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig und vorliegend jedenfalls im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids, wie ausgeführt, (noch) nicht gerechtfertigt.
Nachdem dem Antragsteller ausreichend Zeit gegeben wurde, die noch ausstehenden Befunde einzuholen, wird der Antragsgegnerin empfohlen, unter Heranziehung dieser Unterlagen und Ausübung pflichtgemäßen Ermessens eine ergänzende Begutachtung anzuordnen, wie auch auf Seite 18 des Gutachtens vorgeschlagen, um die Frage der Fahreignung des Antragstellers hinsichtlich der Gruppe 1 abschließend zu klären.
5.
Die Kostenverteilung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
6.
Ein Vorverfahren fand nicht statt, so dass der Antrag auf Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten ins Leere geht und abzulehnen ist, § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO.
7.
Der Streitwert ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. den Ziffern 1.5, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.