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Mehrere Geschwindigkeitsüberschreitungen auf einer Fahrt – Tateinheit?

OLG Thüringen, Az.: 1 Ss 67/05, Beschluss vom 01.07.2005

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten der Betroffenen verworfen.

Gründe

Mehrere Geschwindigkeitsüberschreitungen auf einer Fahrt – Tateinheit? width=
Symbolfoto: germi_p/Bigstock

I. Durch Bußgeldbescheid vom 28.04.2003 verhängte das Thüringer Polizeiverwaltungsamt – Zentrale Bußgeldstelle – gegen die Betroffene wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h ein Bußgeld in Höhe von 75,- € und ordnete ein Fahrverbot von 1 Monat Dauer an. Zugrunde lag, dass die Betroffene am 03.04.2003 um 12.18 Uhr auf der BAB 4 in Richtung Dresden in Höhe des Kilometers 258,5 mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen …, abzüglich Toleranz 111 km/h gefahren war, obwohl die zulässige Geschwindigkeit in diesem Bereich auf 80 km/h begrenzt war.

Durch Urteil vom 05.11.2004 verwarf das Amtsgericht Eisenach den Einspruch der Betroffenen gegen diesen Bußgeldbescheid gem. § 74 Abs. 2 OWiG.

Gegen dieses ihr am 27.11.2004 zugestellte Urteil hat die Betroffene durch ihre Verteidigerin am 06.12.2004 „Berufung“ eingelegt, welche mit Schriftsatz vom 23.12.2004 begründet worden ist. Gerügt wird näher ausgeführt die fehlerhafte Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung sowie ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 21.06.2005 die „Berufung“ der Betroffenen als Rechtsbeschwerde ausgelegt und deren Verwerfung beantragt.

Mit Beschluss vom 30.06.2005 ist die Sache auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen worden.

II. Die gem. §§ 46 Abs. 1 OWiG, 300 StPO als Rechtsbeschwerde als das statthafte Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgerichts Eisenach vom 05.11.2004 auszulegende Berufung der Betroffenen hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Doppelbestrafungsverbot steht der hier gegenständlichen Ordnungswidrigkeit nicht entgegen.

a) Nach den im Freibeweisverfahren gewonnenen Erkenntnissen war insoweit von folgendem auszugehen:

Gegen die Betroffene ist durch Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums K. vom 24.04.2003 wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 35 km/h ein Bußgeld in Höhe von 75,- € festgesetzt sowie ein Fahrverbot von 1 Monat Dauer angeordnet worden ist. Zugrunde lag, dass die Betroffene am 03.04.2003 um 11.50 Uhr mit dem nämlichen Pkw die BAB 4 in Richtung Dresden in Höhe des Kilometers 339,2 mit einer Geschwindigkeit von 135 km/h befahren hatte, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit in diesem Bereich auf 100 km/h begrenzt war. Nach Einspruchseinlegung ist die Betroffene durch Urteil des Amtsgerichts Rotenburg a. d. Fulda vom 20.08.2003 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße in Höhe von 75,- € verurteilt worden. Außerdem hat das Amtsgericht gegen sie ein Fahrverbot von 1 Monat Dauer angeordnet. Dieses Urteil ist seit dem 11.09.2003 rechtskräftig.

Die Betroffene hat die Autobahnkilometer 339,2 und 258,5 bei einer Fahrt passiert, die sie zwischendurch nicht unterbrochen hat.

b) Nach § 84 Abs. 1 OWiG kann, wenn über die Tat als Ordnungswidrigkeit rechtskräftig entschieden ist, dieselbe Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden. Der Begriff „Tat“ ist im verfahrensrechtlichen Sinne zu verstehen (Göhler, OWiG, 13.Aufl., § 84 Rn. 5) und entspricht demjenigen des § 264 StPO (BayObLGSt 1974, 58, 60).

Die Tat im prozessualen Sinn bezeichnet ein konkretes Geschehen, das einen einheitlichen geschichtlichen Vorgang bildet und Merkmale enthält, die es von denkbaren anderen ähnlichen oder gleichartigen Vorkommnissen unterscheidet, und umfasst das gesamte Verhalten des Täters, soweit dieses nach der natürlichen Auffassung des Lebens eine Einheit bildet (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 264 Rn. 2). Die Handlungen müssen dabei nach dem Ereignislauf zeitlich, räumlich und innerlich so miteinander verknüpft sein, dass sich ihre getrennte Würdigung und Ahndung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges darstellen würde.

Insoweit sind der zeitliche Ablauf der einzelnen Handlungen und der zeitliche Abstand zwischen ihnen wesentliche Kriterien für die Beurteilung, ob ein einheitliches Tatgeschehen vorliegt. Im Rahmen von Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr ist demgemäß davon auszugehen, dass mit dem Ende eines bestimmten Verkehrsgeschehens, das durch ein anderes abgelöst wird, in der Regel das die Tat bildende geschichtliche Ereignis abgeschlossen ist (BayObLG NZV 1997, 489, 490).

Zur Annahme eines derartigen einheitlichen Lebensvorganges reicht es daher nicht aus, dass mehrere Verkehrsverstöße auf ein- und derselben Fahrt begangen worden sind. Während einer einzelnen Fahrt von einiger Dauer stellen sich dem Kraftfahrer ständig neue Verkehrs- und damit einhergehend wechselnde Pflichtenlagen, gegenüber denen er regelmäßig erneut die Entscheidung über sein Fahrverhalten treffen muss. Begeht er dabei mehrfach Verkehrsverstöße auch gleichartiger Natur, können doch die Gründe für diese Zuwiderhandlung unterschiedlich sein, sowohl was die Motive als auch was die Schuldform oder die Ursache fahrlässigen Versagens (Unaufmerksamkeit, Gleichgültigkeit) betrifft. Auch bei gleichartigen Verkehrsgeboten wie etwa Geschwindigkeitsbeschränkungen kann deren Ursache sehr unterschiedlich sein (Baustelle, gefährliche Stelle, Lärmschutzgründe). Ebenso können, wenn während einer Fahrt mehrere Ortschaften durchfahren werden, diese Durchfahrtsstrecken straßenbaumäßig und in Bezug auf Sichtverhältnisse höchst verschieden ausgestaltet sein (BayObLG NStZ 2002, 155, 156).

Daher muss bei einer solchen Fahrt immer zusätzlich darauf abgestellt werden, ob die mehreren Verstöße nach den dargestellten Grundsätzen zum prozessualen Tatbegriff zu einem einheitlichen historischen Vorgang zusammengefasst werden können. Ein nicht nur verkehrsbedingtes Anhalten stellt dabei zwar eine hinreichende, jedoch keine notwendige Bedingung dar, um von mehreren Taten im verfahrensrechtlichen Sinn auszugehen (BayObLG a. a. O.). Maßgeblich ist insbesondere der zeitliche und räumliche Zusammenhang zwischen verschiedenen Verkehrsverstößen und die zugrunde liegende Pflichtenlage in Bezug auf den konkreten Verkehrsverstoß (Senatsbeschluss vom 12.07.1999, NStZ 1999, 516, 517).

Abweichend ergangene obergerichtliche Rechtsprechung steht diesem Verständnis nicht entgegen. Diese ist auf Konstellationen wie die vorliegende nicht anwendbar. Der Senat nimmt insoweit – auch wegen der entsprechenden Judikatur – Bezug auf seine Ausführungen im Beschluss vom 12.07.1999 (zustimmend BayObLG a.a.O.).

c) Unter Anwendung dieser Maßstäbe auf den vorliegenden Fall ist von mehreren Taten im verfahrensrechtlichen Sinn auszugehen.

Die Betroffene hat auf zwei ganz unterschiedliche Verkehrslagen in abweichender Weise reagiert. Der erste Verkehrsverstoß betraf eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h, die um 35 km/h überschritten wurde. Erst 28 Minuten später und nach Zurücklegung einer Entfernung von rund 40 km erfolgte dann die zweite Tat. Bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h fuhr die Betroffene um 31 km/h zu schnell.

Beiden Verstößen liegt damit auch kein einheitlicher Willensentschluss zugrunde, ständig Beschränkungen in bestimmter Weise zu missachten. Die Frage, ob anderenfalls eine einheitliche historische Tat bejaht werden könnte, stellt sich daher nicht. Die bloße Neigung, sich über Verkehrsverstöße hinweg zu setzen, reicht dazu nicht aus (BayObLG a. a. O.).

2. Die näher ausgeführte Verfahrensrüge genügt schon nicht der Form der §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Insoweit wird Bezug genommen auf die zutreffenden Ausführungen der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft in deren Stellungnahme vom 21.06.2005.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.

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