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Mangelhafte Urteilsbegründung bei Bußgeldverfahren: Verurteilung nicht prüfbar

Trotz eindeutiger Geschwindigkeitsüberschreitung führte eine mangelhafte Urteilsbegründung bei Bußgeldverfahren des Amtsgerichts Dessau-Roßlau zur Rechtsbeschwerde. Die fehlenden zentralen Feststellungen zur Eichung des Messgeräts stellten die gesamte Beweiskette so infrage, dass die Verurteilung kippen könnte.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 1 ORbs 133/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Oberlandesgericht Sachsen‑Anhalt
  • Datum: 12.06.2025
  • Aktenzeichen: 1 ORbs 133/25
  • Verfahren: Rechtsbeschwerde in Bußgeldsache
  • Rechtsbereiche: Ordnungswidrigkeiten, Verkehrsrecht, Strafprozessrecht

  • Das Problem: Eine Person wurde wegen zu schnellen Fahrens verurteilt und erhielt ein Fahrverbot. Die verurteilte Person legte Beschwerde ein, da das Urteil des Amtsgerichts fehlerhaft und unvollständig begründet sei.
  • Die Rechtsfrage: Musste das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben werden, weil wichtige Fakten zur Geschwindigkeitsmessung und zur Person des Betroffenen in der Urteilsbegründung fehlten?
  • Die Antwort: Ja. Das Oberlandesgericht hob das Urteil auf. Das Urteil war so lückenhaft, dass eine juristische Überprüfung der Beweisführung unmöglich war.
  • Die Bedeutung: Gerichte müssen in Bußgeldverfahren sämtliche entscheidungsrelevanten Feststellungen klar darlegen. Dazu gehören zwingend Angaben zum Toleranzabzug, zur Eichung des Messgeräts und zu relevanten Voreintragungen im Register.

Der Fall vor Gericht


Warum wurde ein Bußgeldurteil gekippt, weil die Grundlagen fehlten?

Ein Richter arbeitet bei einem Urteil eine Art Checkliste ab. Ist die Messung gültig? Der Toleranzwert korrekt abgezogen? Das Gerät geeicht? Die Beweise benannt? Für einen Autofahrer aus Dessau-Roßlau schien dieser Prozess schiefgelaufen zu sein.

Der Verteidiger prüft die Aufnahmen der GATSO-Kamera und begründet die Rechtsbeschwerde gegen das mangelhafte Bußgeldurteil.
Fehlende Beweisgrundlagen führten zur Aufhebung des Bußgeldbescheids wegen Geschwindigkeitsüberschreitung. | Symbolbild: KI

Sein Urteil wegen zu schnellen Fahrens – 480 Euro Bußgeld und ein Monat Fahrverbot – kam vor das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt. Dort lasen die Richter die Begründung des Amtsgerichts und stellten fest: Fast kein einziges Kästchen auf der imaginären Checkliste hatte einen Haken. Die Entscheidung wurde nicht wegen eines cleveren juristischen Tricks gekippt, sondern weil die schlichten Grundlagen fehlten.

Was macht ein Urteil so lückenhaft, dass es keinen Bestand hat?

Das Urteil des Amtsgerichts war wie ein Schweizer Käse. Es hatte mehr Löcher als Substanz. Das Oberlandesgericht, unterstützt durch eine detaillierte Analyse der Generalstaatsanwaltschaft, listete eine ganze Reihe an fehlenden Bausteinen auf. Diese Mängel machten es unmöglich, die Entscheidung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.

Der erste Punkt: der Toleranzabzug. Bei Geschwindigkeitsmessungen wird immer ein Sicherheitswert abgezogen, um kleine Ungenauigkeiten auszugleichen. Das Urteil erwähnte nicht, welcher Wert abgezogen wurde. Es blieb unklar, ob die üblichen drei Prozent bei Geschwindigkeiten über 100 km/h berücksichtigt wurden. Ohne diese Angabe lässt sich die am Ende vorgeworfene Geschwindigkeit nicht nachvollziehen.

Der zweite, massive Fehler: die Eichung des Messgeräts. Ein Blitzer muss gültig geeicht sein, um rechtssichere Ergebnisse zu liefern. Im gesamten Urteil fand sich kein Wort dazu. Die Richter der höheren Instanz konnten nicht prüfen, ob das Gerät überhaupt vorschriftsgemäß funktionierte.

Es ging weiter. Das Urteil benannte nicht einmal klar seine eigenen Beweismittel. Es fehlte ein konkreter Bezug auf das Messprotokoll. Auch blieb offen, ob der Messbeamte als Zeuge ausgesagt hatte – und wenn ja, was er sagte. Seine Aussage ist oft entscheidend, um die Messsituation und die korrekte Bedienung des Geräts zu beurteilen. All das war im Urteil nicht dokumentiert.

Warum kann ein höheres Gericht solche Fehler nicht einfach selbst korrigieren?

Die Aufgabe des Oberlandesgerichts in einem solchen Rechtsbeschwerdeverfahren ist keine neue Beweisaufnahme. Es ist keine zweite Verhandlung. Seine Rolle ist die eines Kontrolleurs. Es prüft, ob das untere Gericht das Recht korrekt angewendet und seine Entscheidung nachvollziehbar begründet hat. Die Richter lesen das Urteil und fragen sich: Kann ich auf Basis dieser geschriebenen Gründe nachvollziehen, wie das Amtsgericht zu seinem Schluss kam?

Genau das war hier unmöglich. Das Oberlandesgericht konnte die fehlenden Informationen nicht einfach aus der Akte zusammensuchen oder selbst ermitteln. Das würde seine Rolle als reine Rechtskontrollinstanz sprengen. Die Begründung eines Urteils muss aus sich heraus verständlich und vollständig sein. Sie muss die für eine Verurteilung notwendigen Fakten so darlegen, dass das Rechtsbeschwerdegericht die Logik des Tatrichters prüfen kann. Das Gebot der Klarheit und Bestimmtheit von Urteilsgründen ist hier der Maßstab. Wenn diese Grundlage fehlt, ist das Urteil nicht überprüfbar. Es ist rechtlich wertlos.

Wie wog das Gericht die Argumente der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft ab?

Die Verteidigung des Fahrers hatte eine ganze Reihe von Rügen vorgebracht. Sie beanstandete die Behandlung von Beweisanträgen und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Hier zeigte sich das Oberlandesgericht differenziert. Es stellte fest, dass einige dieser Verfahrensrügen nicht ausreichend begründet waren, weil zum Beispiel die entsprechenden Schriftsätze nicht vollständig zitiert wurden. Die Richter machten klar, dass nicht jeder Einwand des Fahrers ins Schwarze traf. Die bloße Behauptung, eine Fehlmessung sei nicht auszuschließen, reicht für sich genommen nicht aus, um eine Messung unverwertbar zu machen.

Der entscheidende Impuls kam von der Generalstaatsanwaltschaft. Sie filetierte das Urteil des Amtsgerichts Punkt für Punkt. Sie zeigte auf, dass auch die Angaben zu früheren Verkehrsverstößen des Fahrers im Fahreignungsregister (FAER) unvollständig waren. Das Amtsgericht hatte nicht geprüft, ob ältere Einträge vielleicht schon tilgungsreif waren und gar nicht mehr hätten verwendet werden dürfen. Sogar die Beschreibung der Verkehrsschilder an der Messstelle war mangelhaft – der pauschale Hinweis auf „Gerichtsbekanntheit“ genügte nicht. Das Oberlandesgericht schloss sich dieser umfassenden Kritik an. Es war die Summe dieser Darstellungsdefizite, die das Urteil zu Fall brachte.

Was passiert nun mit dem Fall des Autofahrers?

Das Oberlandesgericht hatte nur eine Option. Es hob das Urteil des Amtsgerichts Dessau-Roßlau mit allen getroffenen Feststellungen auf. Der Fall wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen. Dieser Schritt ist im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vorgesehen, konkret in § 79 Absatz 6 OWiG.

Im Klartext bedeutet das: Das Spiel geht auf Anfang. Die gesamte Verhandlung muss neu aufgerollt werden. Alle Beweise müssen noch einmal erhoben, alle Zeugen erneut gehört werden. Das Amtsgericht erhält die Chance, diesmal ein Urteil zu fällen, dessen Begründung den rechtlichen Anforderungen standhält – eine Begründung, die alle notwendigen Fakten enthält und eine Überprüfung durch die nächste Instanz ermöglicht. Auch über die Kosten des Rechtsstreits muss neu entschieden werden.

Die Urteilslogik

Ein Urteil, dessen Begründung lückenhaft bleibt, entbehrt der notwendigen rechtlichen Grundlage und ist für die höhere Instanz nicht überprüfbar.

  • [Nachweis der Messtechnik]: Ein Gericht muss in seiner Urteilsbegründung zwingend lückenlos darlegen, welchen Toleranzabzug es bei der Geschwindigkeitsmessung angewendet und ob das verwendete Messgerät eine gültige Eichung besaß.
  • [Gebot der Überprüfbarkeit]: Das Rechtsbeschwerdegericht prüft ausschließlich, ob die schriftliche Begründung des Tatrichters schlüssig ist; es führt keine eigenen Beweise ein oder korrigiert fehlende Feststellungen des unteren Gerichts.
  • [Vollständigkeit der Feststellungen]: Für eine wirksame Verurteilung muss das Urteil sämtliche notwendigen Tatsachen feststellen, von der Benennung der exakten Beweismittel bis zur korrekten Berücksichtigung der Tilgungsreife von Einträgen im Fahreignungsregister.

Fehlen die fundamentalen Bausteine der Tatsachenfeststellung, entzieht dies dem Urteil die Grundlage seiner Existenz und erzwingt eine vollständige Neuverhandlung des gesamten Sachverhalts.


Benötigen Sie Hilfe?


Fehlt in Ihrem Bußgeldurteil die notwendige Begründung zur Geschwindigkeitsmessung? Für eine Überprüfung formaler Mängel in Ihrem Fall, kontaktieren Sie uns für eine rechtliche Ersteinschätzung.


Experten Kommentar

Viele denken, bei einem Bußgeldurteil geht es nur um die Messung selbst, aber dieses Urteil zeigt: Die schriftliche Begründung ist das eigentliche Fundament. Es reicht nicht, Eichung und Toleranzabzug nur gedacht zu haben; diese zwingend notwendigen Fakten müssen im Urteil lückenlos belegt werden, damit die höhere Instanz überhaupt prüfen kann. Das OLG signalisiert hier klar, dass formale Darstellungsdefizite genauso schwer wiegen wie materielle Fehler, wenn die Überprüfbarkeit damit scheitert. Für Betroffene bedeutet das: Die Rechtsbeschwerde gewinnt man oft, weil der Richter bei seinen Hausaufgaben geschlampt hat, nicht nur wegen eines Messfehlers.


Nächtliche Stadtstraße mit Autos und roter Ampel als Illustration zu FAQs im Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitsrecht.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wann kann mein Bußgeld wegen fehlender Grundlagen im Urteil gekippt werden?

Bußgeldurteile werden nur aufgehoben, wenn die formellen Grundlagen der Entscheidung fehlen. Diese Aufhebung erfolgt nicht wegen einfacher Verfahrensfehler, sondern wegen mangelnder Nachvollziehbarkeit. Höhere Instanzen wie das Oberlandesgericht müssen die Feststellungen des Amtsgerichts uneingeschränkt überprüfen können. Fehlen essenzielle formale Prüfpunkte, macht dies eine Kontrolle unmöglich und das Urteil verliert seine rechtliche Basis.

Ein Urteil muss vollständig sein, um das Gebot der Bestimmtheit zu erfüllen. Die Rechtsbeschwerdeinstanz agiert als reine Rechtskontrolle und darf die Sachlage nicht neu ermitteln oder Fakten ergänzen. Das Amtsgericht muss daher alle Fakten klar darlegen, die für die Verurteilung ausschlaggebend sind. Ein zentraler Mangel liegt vor, wenn beispielsweise der konkrete Toleranzabzug des Sicherheitswertes nicht beziffert oder genannt wird. Ohne diese Zahl lässt sich die am Ende vorgeworfene Geschwindigkeit rechnerisch nicht nachvollziehen.

Gravierende Lücken entstehen auch, wenn das Amtsgericht die technische Grundlage der Messung verschweigt. Das Urteil muss explizit belegen, dass das verwendete Gerät zum Tatzeitpunkt eine gültige Eichung aufwies. Weiterhin muss das Gericht die entscheidenden Beweismittel klar benennen und würdigen. Dazu gehören das Messprotokoll oder die zentralen Aussagen des Messbeamten, die die korrekte Bedienung des Geräts belegen. Fehlen diese schlichten Grundlagen, ist die Begründung lückenhaft.

Lassen Sie Ihr schriftliches Urteil von Ihrem Anwalt systematisch gegen die Anforderungen der OLG-Rechtsprechung (Eichung, Toleranzwert, Beweismittelbenennung) abgleichen.


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Welche Angaben zur Eichung und zum Toleranzabzug müssen im Bußgeldurteil stehen?

Wenn Sie Geschwindigkeitsmessungen misstrauen, müssen Sie im Bußgeldurteil präzise technische Nachweise finden. Gerichte müssen alle Fakten darlegen, um die ermittelte Geschwindigkeit juristisch belastbar zu machen. Konkret muss das Urteil den konkreten, abgezogenen Toleranzwert sowie die Gültigkeit der Eichung des verwendeten Messgeräts belegen. Fehlen diese Angaben, ist die gesamte Berechnung nicht nachvollziehbar und das Urteil ist lückenhaft.

Die Richter müssen den genauen Rechenweg für die Geschwindigkeitsfeststellung transparent machen. Dies erfordert, dass der konkrete Toleranzabzug explizit im Urteil beziffert wird. Bei Geschwindigkeiten über 100 km/h ziehen Behörden üblicherweise drei Prozent Sicherheitswert ab. Nur wenn dieser Wert im Urteil genannt wird, können höhere Instanzen rechnerisch überprüfen, ob die vorgeworfene Geschwindigkeit korrekt ermittelt wurde. Die pauschale Feststellung, dass ein Abzug vorgenommen wurde, genügt den hohen Anforderungen an die Bestimmtheit der Urteilsgründe nicht.

Ebenso kritisch ist die Dokumentation der Eichung. Das Urteil muss belegen, dass der Blitzer zum Zeitpunkt der Messung eine gültige Eichung aufwies. Die schlichte Nennung des Gerätetyps reicht nicht aus, um die technische Funktionstüchtigkeit nachzuweisen. Fehlen diese wesentlichen Details, verletzt das Urteil das juristische Gebot der Bestimmtheit. Richter der Rechtsbeschwerdeinstanz können die Richtigkeit der Messgrundlage ohne diese Fakten nicht überprüfen und müssen das Urteil oft aufheben.

Prüfen Sie deshalb in Ihrem schriftlichen Urteil, ob dort der exakte Toleranzwert und eine Referenz zur Eichbescheinigung des Messgeräts vermerkt sind.


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Wie kann ich ein Bußgeldurteil anfechten, wenn die Beweise nicht klar benannt wurden?

Wenn ein Bußgeldurteil vage bleibt und die Gründe der Verurteilung nicht transparent dargelegt sind, müssen Sie eine formale Rechtsbeschwerde einlegen. Diese Anfechtung zielt darauf ab, dass das Urteil gegen das juristische Gebot der Klarheit verstößt. Sie rügen dabei nicht die Unrichtigkeit der Messung selbst, sondern die mangelhafte Begründung durch das Amtsgericht, welche die Überprüfung verunmöglicht.

Der zentrale Hebel ist die Lückenhaftigkeit der Urteilsgründe nach § 267 StPO in Verbindung mit dem OWiG. Sie müssen beanstanden, dass das Gericht keinen konkreten Bezug auf wesentliche Beweismittel nimmt. Dazu gehört insbesondere das Messprotokoll, welches die genaue Situation, die Rahmenbedingungen und die Bedienung des Geräts dokumentieren müsste. Fehlt dieser spezifische Verweis im Text des Urteils, kann die höhere Instanz die Logik des Tatrichters nicht nachvollziehen und prüfen.

Weiterhin sollten Sie die mangelhafte Würdigung von Zeugenaussagen beanstanden. Bleibt im schriftlichen Urteil unklar, ob der Messbeamte als Zeuge ausgesagt hat und welche seine entscheidenden Aussagen zur korrekten Handhabung des Geräts waren, liegt ein Mangel vor. Vermeiden Sie in der Beschwerde, die gesamte Beweislage neu zu diskutieren. Die Rüge muss sich formal darauf beschränken, dass das Urteil keine ausreichende Grundlage zur Überprüfung durch das Oberlandesgericht liefert.

Prüfen Sie im Urteil alle Passagen, die sich nur pauschal auf „die Aktenlage“ beziehen, und verlangen Sie eine spezifische Beschreibung des jeweiligen Beweismittels.


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Was bedeutet es, wenn mein Bußgeldurteil aufgehoben und zur Neuverhandlung zurückverwiesen wird?

Die Aufhebung Ihres Bußgeldurteils durch die höhere Instanz ist zwar ein wichtiger Erfolg, sie kommt jedoch nicht einem Freispruch gleich. Die Zurückverweisung bedeutet, dass Ihr Fall nicht eingestellt, sondern gemäß § 79 Abs. 6 OWiG zur erneuten Entscheidung an das zuständige Amtsgericht verwiesen wird. Das ursprüngliche Urteil ist damit mitsamt allen getroffenen Feststellungen juristisch ungültig.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts bezieht sich primär auf formale Mängel in der Begründung, nicht zwingend auf Ihre Unschuld. Weil die Richter der Kontrollinstanz keine eigene Beweisaufnahme durchführen dürfen, müssen sie den Fall an das Amtsgericht zurückgeben. Dort erhält das Gericht die Möglichkeit, das Verfahren von vorne zu starten und diesmal eine rechtlich haltbare Begründung zu liefern.

Für Sie bedeutet dies konkret, dass die gesamte Verhandlung neu aufgerollt werden muss. Man spricht davon, dass „das Spiel auf Anfang geht“. Die Beweisaufnahme muss vollständig wiederholt werden; alle Zeugen werden erneut gehört und sämtliche Messprotokolle neu gewürdigt. Das Amtsgericht muss zudem im Rahmen dieser Neuverhandlung erneut über die entstandenen Kosten des gesamten Rechtsstreits entscheiden. Eine erneute Verurteilung ist bei korrigierter Begründung weiterhin möglich.

Sichern Sie alle Unterlagen, die für die Beweisführung wichtig sind, und bereiten Sie sich mit Ihrem Anwalt auf die vollständige Wiederholung der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht vor.


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Warum kann das Oberlandesgericht formale Fehler im Bußgeldurteil nicht einfach selbst korrigieren?

Die einfache Korrektur von Mängeln würde dem juristischen System widersprechen, da die Instanzen unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Das Oberlandesgericht (OLG) agiert im Rechtsbeschwerdeverfahren als reine Rechtskontrollinstanz. Es darf keine neue Beweisaufnahme durchführen oder eigene Ermittlungen starten. Das OLG prüft ausschließlich, ob das Amtsgericht das Recht korrekt angewendet und seine Entscheidung nachvollziehbar begründet hat.

Der Gesetzgeber trennt die Zuständigkeiten klar, um die Verfahrenssicherheit zu gewährleisten. Nur das Amtsgericht fungiert als Tatrichter, der Zeugen hört, Beweise würdigt und die Fakten des Falles feststellt. Die Richter der höheren Instanz haben diese mündliche Verhandlung nicht erlebt. Sie sind daher strikt an die schriftliche Urteilsbegründung des Amtsgerichts gebunden. Sie können fehlende Informationen nicht einfach aus der Akte zusammensuchen oder ergänzen, da dies ihre Rolle überschreiten würde.

Ein Bußgeldurteil muss zwingend „aus sich heraus verständlich und vollständig“ sein. Es muss alle Grundlagen, wie den konkreten Toleranzabzug oder die Eichung des Messgeräts, explizit darlegen. Nur so ist die logische Schlussfolgerung des Amtsgerichts für die Kontrolle durch das OLG überprüfbar. Wenn wesentliche Informationen fehlen und die Beweisfeststellung mangelhaft bleibt, verletzt das Urteil das Gebot der Bestimmtheit. Die mangelnde Überprüfbarkeit macht die gesamte Entscheidung rechtlich wertlos.

Führen Sie in der Rechtsbeschwerde die fehlenden oder mangelhaften Abschnitte der Urteilsbegründung des Amtsgerichts konkret auf, um die mangelnde Überprüfbarkeit darzulegen.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Glossar Rubrik: Bewegte Stadtstraße als Illustration zur Erklärung von Fachbegriffen zu Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitsrecht.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Eichung

Eine Eichung ist die amtliche Bestätigung, dass ein Messgerät wie ein Blitzer die gesetzlich vorgeschriebenen Toleranzgrenzen exakt einhält und somit juristisch belastbare Ergebnisse liefert. Das Gesetz schreibt diese regelmäßige Überprüfung vor, um die technische Funktionstüchtigkeit und damit die Verlässlichkeit der Tatsachenfeststellung zu garantieren.
Beispiel: Ohne den Nachweis einer gültigen Eichung konnte das Oberlandesgericht nicht prüfen, ob das verwendete Messgerät vorschriftsgemäß funktionierte, was zur Aufhebung des Bußgeldurteils führte.

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Gebot der Bestimmtheit

Das Gebot der Bestimmtheit verlangt von einem Gericht, dass seine Urteilsgründe aus sich heraus klar, vollständig und lückenlos verständlich sind. Juristen benötigen diese klare Dokumentation, damit die nächsthöhere Instanz die gesamte Logik der Entscheidung überprüfen und nachvollziehen kann.
Beispiel: Weil das Amtsgericht wesentliche Fakten zur Messung verschwieg und beispielsweise das Messprotokoll nicht benannte, verletzte das Urteil das Gebot der Bestimmtheit.

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Rechtsbeschwerdeverfahren

Als Rechtsbeschwerdeverfahren bezeichnen Juristen den speziellen Rechtsweg gegen Bußgeldurteile, bei dem das Oberlandesgericht (OLG) die Entscheidung des Amtsgerichts auf Rechtsfehler überprüft. Im Gegensatz zur Berufung erfolgt hier keine neue Beweisaufnahme, sondern eine reine Überprüfung, ob das Recht formal korrekt angewandt wurde.
Beispiel: Innerhalb des Rechtsbeschwerdeverfahrens konnte das OLG feststellen, dass die Begründung des Amtsgerichts so lückenhaft war, dass eine sachliche Prüfung der Feststellungen unmöglich wurde.

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Rechtskontrollinstanz

Eine Rechtskontrollinstanz, wie das Oberlandesgericht, prüft ausschließlich, ob das untere Gericht das materielle und formelle Recht richtig angewendet und seine Entscheidung korrekt begründet hat. Diese Rolle trennt die Prüfung der Gesetzesanwendung streng von der eigentlichen Feststellung der Tatsachen, die dem Tatrichter obliegt.
Beispiel: Als reine Rechtskontrollinstanz durfte das Oberlandesgericht die fehlenden Informationen zur Eichung und zum Toleranzabzug nicht selbst aus den Akten zusammensuchen oder ergänzen.

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Tatrichter

Als Tatrichter bezeichnet man das Gericht, das in erster Instanz die Tatsachen feststellt, Zeugen hört, Beweise würdigt und die eigentliche mündliche Verhandlung führt. Nur der Tatrichter erlebt die gesamte Beweisaufnahme unmittelbar und entscheidet über die Glaubwürdigkeit der Zeugen und die Sachlage.
Beispiel: Das Amtsgericht Dessau-Roßlau war in diesem Fall der Tatrichter und hätte daher die Pflicht gehabt, alle festgestellten Beweismittel und deren Würdigung vollständig im Urteil zu dokumentieren.

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Toleranzabzug

Der Toleranzabzug ist ein gesetzlich vorgeschriebener Sicherheitswert, der von der tatsächlich gemessenen Geschwindigkeit abgezogen wird, um selbst kleinste Messungenauigkeiten auszuschließen. Dieser Abzug dient dazu, den Autofahrer vor geringfügigen technischen Ungenauigkeiten des Messgeräts zu schützen und somit der Gerechtigkeit Rechnung zu tragen.
Beispiel: Da das Bußgeldurteil nicht bezifferte, welcher Toleranzabzug vorgenommen wurde, war die am Ende vorgeworfene Geschwindigkeit rechnerisch nicht nachvollziehbar.

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Zurückverweisung

Eine Zurückverweisung bedeutet im Bußgeldverfahren, dass die höhere Instanz das ursprüngliche Urteil aufhebt und den Fall zur erneuten Verhandlung an das erstinstanzliche Gericht zurückgibt. Dieser Schritt wird notwendig, wenn formale Mängel eine Überprüfung unmöglich machen, weil die Rechtskontrollinstanz den Fall nicht selbst entscheiden darf.
Beispiel: Das Oberlandesgericht ordnete die Zurückverweisung gemäß § 79 Abs. 6 OWiG an, damit das Amtsgericht die gesamte Beweisaufnahme neu aufrollen und ein formal korrekt begründetes Urteil erstellen konnte.

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Das vorliegende Urteil


Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 1 ORbs 133/25 – Beschluss vom 12.06.2025


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