Skip to content
Menü

Grenzwert bei Kokainkonsum und Sorgfaltspflichtverletzung des Fahrzeugführers

AG Tiergarten – Az.:  (300 OWi) 3042 Js-OWi 1501/18 (170/18) – Urteil vom 03.04.2018

Gegen den Betroffenen wird wegen einer fahrlässig begangenen

Verkehrsordnungswidrigkeit, Führen eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung eines berauschenden Mittels und Beschädigung eines Kraftfahrzeugs gemäß §§ 1 Abs. 2, 49 StVO, 24, 24a Abs. 2, 25 Abs. 2a, 25, 28 StVG, 19 OwiG eine Geldbuße in Höhe von 300,00 (dreihundert) € festgesetzt.

Dem Betroffenen wird für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

Die Dauer der Sicherstellung/Beschlagnahme des Führerscheins des Betroffenen wird auf die Fahrverbotsfrist angerechnet.

Eine Entschädigung für die darüber hinaus gehende Zeit wird zurück gewiesen.

Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.

§ 5 Abs. 2 StrEG

Gründe

Der Betroffene lebt im Rahmen von Hartz IV vom Regelsatz, er ist geschieden und hat keine Unterhaltsverpflichtungen. Nähere Angaben zu den Einkommensverhältnissen wurden nicht gemacht.

Der Betroffene ist verkehrsrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten.

Am 12.09.2017 fuhr der Betroffene um 15.40 Uhr in 12047 Berlin, Reuterstraße 29 als Führer des Kraftfahrzeugs, Pkw … unter der Wirkung des berauschenden Mittels Kokain. Dem Betroffenen wurde am 12.09.2017 um 17.30 Uhr eine Blutprobe entnommen, die folgende Werte nach der Auswertung ergab:

460 ng/ml Benzoylecgonin, ein Abbauprodukt von Kokain, 9,8 ng/ml Kokain und ca. 100 ng/ml Ecgoninmethylester, ein Abbauprodukt von Kokain. Nach Rückrechnung unter Zugrundelegung der Eliminationshalbwertzeit von 1,88 Stunden also mit ca.19 ng/ml Kokain.

Der Betroffene verursachte in Höhe der Reuterstraße 29 einen Verkehrsunfall, als er rückwärts aus einer dortigen Ausfahrt herausfuhr, ohne auf den rückwärtigen Verkehr im Bereich der Reuterstraße in Richtung Reuterplatz zu achten. Er fuhr dabei gegen die hintere rechte Tür des Taxis, …, welches vom Zeugen … geführt wurde. Dieser hatte seinen großflächigen Van im Bereich der Ausfahrt abgestellt und konnte beobachten, dass der Betroffene ganz plötzlich rückwärts auf ihn zufuhr, er hupte dann noch, aber der Betroffene fuhr ihm in die rechte Seite, wobei ein Fremdschaden von ca. 2.500,00 € entstand. Gegenüber den herbeigerufenen Polizeibeamten reagierte der Betroffene während der gesamten Maßnahme sehr amüsiert, grinste vor sich hin und machte lustige Sprüche, so dass diese nach Angaben des Zeugen … einen Urintest durchführten, der positiv auf Kokain reagierte.

Diese Feststellungen beruhen, soweit es die Fahrereigenschaft betrifft, auf den Angaben des Betroffenen.

Die Feststellungen zum nicht Vorbestraftsein des Betroffenen beruhen auf dem Verkehrszentralregisterauszug vom 19.02.2018, der im Termin erörtert und vom betroffenen als richtig anerkannt wurde.

Die Feststellungen zum Unfall beruhen auf den Angaben des Zeugen … und zum Unfallnachverhalten auf den Angaben des Polizeikommissars … Der darüber hinausgehende Beweisantrag des Betroffenen, den Polizeibeamten … zur Frage von weiteren optischen Besonderheiten beim Betroffenen zur Feststellungszeit zu hören, wurde gem. § 77 Abs.1 OwiG als nicht erforderlich zur Wahrheitsfindung zurückgewiesen.

Die Feststellungen zu den Werten des Betäubungsmittels beruhen auf dem Gutachten des LKA KT 41 vom 14. November 2017, welches im Termin auszugsweise verlesen wurde. Darüber hinaus beruhen die Feststellungen zur Berechnung der Kokainwerte auf den Angaben des medizinischen Sachverständigen … Dieser war bis zu seiner Pensionierung beim Landesinstitut Berlin als Toxikologe beschäftigt und ist seit vielen Jahren als medizinischer Sachverständiger, insbesondere im Bereich der Berechnung und Fragen zu Alkoholwerten und Betäubungsmittelwerten bekannt und eingesetzt. Das Gericht hat sich seinen Ausführungen und Berechnungen auch aus eigener Sachkunde angeschlossen.

Grenzwert bei Kokainkonsum und Sorgfaltspflichtverletzung des Fahrzeugführers
(Symbolfoto: Tero Vesalainen/Shutterstock.com)

Er nahm insbesondere zur Frage Stellung, ob und in wieweit der Grenzwert für Kokain hier erreicht ist. Entsprechend der Grenzwertkommission liegt dieser Wert bei 10 ng/ml Kokain, dem eigentlichen Wirkstoff. Im hiesigen Fall lag dieser Wert zurzeit der Blutentnahme um 17.30 Uhr bei 9,8 ng/ml, also leicht unterhalb dieses Wertes. In der Zeit zwischen der Tat um 15.40 Uhr und der Blutentnahme um 17.30 Uhr vergingen 1 Stunde und 50 Minuten. Bei Kokain handelt es sich nach Angaben des Sachverständigen um ein Rauschmittel, welches zu psychischer und motorischer Erregung, Krampfanfällen, Enthemmung, erhöhter Risikobereitschaft, Antriebssteigerung und Problemen der Hell-Dunkeladaption, Euphorie, Halluzinationen, Stimmungs-, Erlebnis- und Wahrnehmungsveränderungen sowie Wahnvorstellungen und beim Nachlassen seiner Wirkung zu psychischen Tiefs verbunden mit Depressionen, Müdigkeit, Erschöpfung, Reizbarkeit und Antriebsverlust führen kann, also die Gesamtleistungsfähigkeit eines Fahrzeugführers infolge geistiger und/oder körperlicher Mängel weit herabsetzen kann, sodass er nicht mehr in der Lage ist, den Verkehr sicher zu beurteilen und sein Fahrzeug zu steuern. Weiter führte der Sachverständige aus, dass die Wirksubstanz Kokain grundsätzlich sehr schnell abgebaut wird und dann zum Teil nicht mehr nachweisbar ist. Dieser Abbau, die Verstoffwechselung beginnt sofort nach der Einnahme des Kokain, insbesondere nach Inhalation des Rauschmittels, der bevorzugten Einnahme. Nach Angaben des Sachverständigen haben sich nach systematischen Untersuchungen zur Pharmakokinetik von Kokain in Probantenversuchen Eliminationshalbwertszeiten zum Abbau des Wirkstoffs von Kokain im Bereich von 0,63 bis 1,88 Stunden ergeben. Hierzu verwies der Sachverständige auf eine Metaanalyse aus Frankfurt/Main, die aus verschiedenen neuen Studien zusammengetragen wurde und in der Zeitschrift Blutalkohol aus dem Jahre 2013, Seite 113 bis 124 dokumentiert ist. Bei diesen Eliminationshalbwertszeiten handelt es sich um Mittelwerte. Der Sachverständige ging hier zu Gunsten des Betroffenen vom langsamsten Wert, also 1,88 Stunden aus. Somit sind zwischen der Tatzeit und der Blutentnahme etwa 50 Prozent der ursprünglichen Kokainkonzentration abgebaut worden und es lag eine deutlich höhere Kokainkonzentration als die des Grenzwertes von 10 ng/ml, nämlich ca. 19 bis 20 ng/ml zur Tatzeit vor. Nach seinen Angaben spricht dies für einen zeitnahen und akuten Kokaingebrauch kurz vor Fahrtantritt. Für diesen Wert spricht nach seiner Ansicht auch die Höhe des Wertes von Benzoylecgonin, die hier mit 460 ng/ml festgestellt wurde. Bei diesem Abbauprodukt handelt es sich um eine stabilere chemische Verbindung. Dieser sehr hohe Wert des Abbauproduktes spricht für sich betrachtet für einen Konsum von Kokain innerhalb weniger Stunden vor der Blutentnahme. Ebenso passt das Verhältnis des letzten festgestellten Abbauproduktes, dem Ecgoninmethylester mit 100 ng/ml zu den beiden anderen Werten. Ebenso zu berücksichtigen war bei der Einschätzung des festgestellten Wirkstoffwertes von Kokain, dass sich tatsächlich eine Gefahr realisiert hat, der Betroffene hier ganz konkret in einer relativ übersichtlich gestalteten Verkehrssituation, nämlich einem Rückwärtsfahren aus einer Einfahrt, diese nicht richtig eingeschätzt hat und letztlich überraschend auf ein großräumiges Fahrzeug, einen VW Touran zufuhr, der in der hinter ihm befindlichen Einfahrt stand und er gegen dieses Fahrzeug stieß. Der Sachverständige schätzte diesen Unfall als typisch drogenbedingt verursacht ein. Das Gericht selbst konnte nicht ausschließen, dass ein solcher Unfall auch einem nüchternen Fahrzeugführer hätte widerfahren können; einen Anhaltspunkt dafür, dass der durch Rückrechnung festgestellte Wert des Rauschmittels beim Betroffenen tatsächlich vorlag und auch Auswirkungen hatte, gibt der Unfall dennoch.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Betroffene infolge Unachtsamkeit ein Kraftfahrzeug unter der Wirkung eines berauschenden Mittels geführt und dabei sorgfaltswidrig ein Kraftfahrzeug beschädigt.

Bezüglich des Fahrlässigkeitsvorwurfs im Sinne von § 24 a Abs. 2 und 3 StVG verweist das Gericht auf die Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte und letztlich des Bundesgerichtshofs, Beschluss vom 14. Februar 2017, 4 StR 422/15. Danach ist ein Kraftfahrer nach vorangegangenem Genuss von Rauschmitteln verpflichtet, vor Antritt der Fahrt durch gehörige Selbstprüfung und notfalls Einholung fachkundigen Rats oder eben durch Abstandnahme von der Fahrt sicherzustellen, dass er nicht mit einem im Bereich des Grenzwerts oder darüber hinausgehenden Wert an Betäubungsmitteln im Blut ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führt. Ein solcher Wert war hier bereits nach dem Ergebnis der Blutentnahme nahezu erreicht und durch die angeführte Rückrechnung auch nicht unerheblich überschritten, sodass hier eine Sorgfaltspflichtverletzung anzunehmen ist und somit ein subjektiver Sorgfaltspflichtverstoß bezüglich des Fahrens unter der Einwirkung berauschender Mittel. Der Betroffene hat hier zeitnah vor der Fahrt Kokain zu sich genommen und handelte sorgfaltswidrig vor Fahrtantritt, weil er seine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit und die Beeinflussung des Rauschmittels hierauf nicht sorgfältig überprüfte, obwohl ihm dies möglich und zumutbar war. Letztlich manifestierte sich der Missbrauch des Betäubungsmittels in Form eines nicht unerheblichen Verkehrsunfalls.

Er hat sich dementsprechend schuldig gemacht gemäß §§ 1 Abs. 2, 49 StVO, 24, 24 a Abs. 2 und 3, 25 Abs. 2 a, 25 StVG, 19 OWiG.

In Anbetracht des Umstandes, dass der Betroffene nach seinen Angaben in kleinen wirtschaftlichen Verhältnissen lebt und verkehrsrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten ist, erschien hier eine Geldbuße in Höhe von 300,00 €, also etwas reduziert im Vergleich zur Regelbuße von 500,00 € für den Rauschmittelverstoß und den tateinheitlich begangenen Unfall, angemessen und ausreichend, § 28 a StVG.

Gemäß § 4 Abs. 1 BkatV kommt in einem Fall wie dem hiesigen, nämlich dem Führen eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung von berauschenden Mitteln ein Regelfahrverbot in Betracht, § 25 StVG. Der Betroffene trägt hierzu keine Existenzgefährdung oder ähnliches vor. Darüber hinaus war die Dauer der Sicherstellung bzw. Beschlagnahme des Führerscheins des Betroffenen auf die Verbotsfrist anzurechnen.

Eine Entschädigung für die darüber hinausgehende Zeit der Einbehaltung war gemäß § 5 Abs. 2 StrEG zurückzuweisen. Der Betroffene hat hier durch die Einnahme berauschender Mittel Anlass dazu gesetzt, dass sein Führerschein am Tattag beschlagnahmt und sichergestellt wurde und erst nach 59 Tagen wieder freigegeben wurde.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus §§ 46 OWiG, 464, 465 StPO.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Haben Sie einen Bußgeldbescheid erhalten?

Mit unserer Hilfe teure Bußgelder und Fahrverbote vermeiden!

Wir überprüfen Ihren Bußgeldbescheid kostenlos und unverbindlich auf Fehler und die Möglichkeit eines Einspruchs.
Blitzer Bußgeld prüfen

Rechtstipps aus dem Verkehrsrecht

Urteile über Bußgeld und Ordnungswidrigkeiten

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!