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Geschwindigkeitsüberschreitung – Wann liegt bedingter Vorsatz vor?

OLG Koblenz – Az.: 2 OWi 6 SsBs 48/18 – Beschluss vom 03.08.2018

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Westerburg vom 16. Februar 2018 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Das Urteil des Amtsgerichts Westerburg vom 16. Februar 2018 wird dahingehend abgeändert, dass der Betroffene des vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 40 km/h schuldig ist.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als offensichtlich unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Westerburg zurückverwiesen.

Gründe

I.

Durch Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums … vom 12. Oktober 2016 wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 40 km/h ein Bußgeld in Höhe von 270 € verhängt. Auf den rechtzeitig eingelegten Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Westerburg ihn wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 40 km/h zu einer Geldbuße von 320 € verurteilt. Im Rahmen der persönlichen Verhältnisse hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:

„Der Auszug aus dem Verkehrszentralregister vom 29.08.2016 weist 9 Eintragungen auf, wobei zwei Eintragungen (vom 04.09.2015 und 24.09.2019 (gemeint ist offensichtlich 2015, Anm. des Senats)) wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erfolgten und vier Eintragungen (vom 24. 04.2013, 08.08.2015, 04.12.2015 und 15.07.2016) wegen verbotswidriger Nutzung eines Mobiltelefons.“

Dem Schuldspruch liegen folgende Feststellungen zugrunde:

„Der Betroffene befuhr am 07.06.2016 um 17.05 Uhr mit dem Pkw amtliches Kennzeichen … die B 255, km 1,0, Gem. …[Z] in Fahrtrichtung …[Y]. In diesem Bereich gilt die außerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. Hier wurde von dem Zeugen …[A] eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Messgerät ESO 3.0 durchgeführt. Bei dem Zeugen …[A] handelt es sich um einen ausgebildeten Messbeamten. Seine Schulung ist durch den Schulungsnachweis (Bl. 7 d.A.) belegt. Das von dem Zeugen eingesetzte Messgerät ist bis zum 31.12.2017 geeicht, was sich aus dem Eichnachweis (Bl. 1 d.A.) ergibt. Das eingesetzte Messgerät wurde hierbei gemäß gültiger Gebrauchsanweisung aufgebaut und betrieben. Der Betroffene wurde mit einer Geschwindigkeit von 140 km/h gemessen, nach Abzug der Toleranz von 5 km/h. Mit Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums … vom 12.10.2016 wurde ihm zur Last gelegt, die außerorts zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 40 km/h überschritten zu haben. Gegen diesen Bußgeldbescheid wurde form- und fristgerecht Einspruch eingelegt. Über seinen Verteidiger hat der Betroffene die Ordnungsgemäßheit des Messvorgangs bestreiten lassen (Bl. 76 und 120 d.A.) und die Fahrereigenschaft eingeräumt (Bl. 114 d.A.).“

Im Rahmen der Strafzumessung hat das Amtsgericht Folgendes ausgeführt:

„Bei der Bemessung der Höhe der Geldbuße ist das Gericht von einem für Fahrlässigkeitstaten geltenden Bußgeldrahmen von 5 € bis 1.000 € ausgegangen. Das Gericht hat sich sodann an Nr. 11.3.6 BKat orientiert, wobei hierfür für eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften eine Regelgeldbuße von 120 € vorgesehen ist. Die Erhöhung der Geldbuße erfolgte im Hinblick auf die Anzahl, Zeitnähe und teilweise auch Einschlägigkeit der Voreintragungen. Der Betroffene hat insbesondere fünf zeitnahe Voreintragungen im Zeitraum zwischen 08.08.2015 und 15.07.2016, von denen zwei einschlägig sind und innerhalb eines Monats begangen wurden (04.09.2015 und 24.09.2015). Die festgesetzten Geldbußen waren daher offensichtlich nicht geeignet, den Betroffenen davon abzuhalten, sich alsbald wieder ordnungswidrig im Straßenverkehr zu verhalten. Aufgrund dessen war eine empfindliche Erhöhung der Regelgeldbuße geboten.“

Gegen das Urteil hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt und die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Er beanstandet, dass die Bußgeldrichterin die Geschwindigkeitsmessung unter Hinweis auf die Ausführungen des Sachverständigengutachtens als „nicht zu beanstanden“ angesehen hat und ihre diesbezüglichen Darlegungen lückenhaft seien. Im Übrigen sei die Erhöhung der Regelgeldbuße zu Unrecht erfolgt, da die im Fahreignungsregister enthaltenen Verfehlungen nicht in ausreichender Form mitgeteilt worden seien.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil im Schuldspruch dahingehend abzuändern, dass der Betroffene des vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 40 km/h schuldig ist, das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht Westerburg zurückzuverweisen sowie die weitergehende Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde hat zum Rechtsfolgenausspruch einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Zum Schuldspruch ist das Rechtsmittel des Betroffenen dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entsprechend offensichtlich unbegründet (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 und 3 StPO). Die Nachprüfung des Schuldspruchs aufgrund der Sachrüge – Verfahrensrügen wurden nicht erhoben – hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer dem Verteidiger bekannt gegebenen Stellungnahme vom 11. Juli 2018 insoweit Folgendes ausgeführt:

„Die Urteilsfeststellungen tragen die Annahme des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 40 km/h bedenkenfrei. Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, das Urteil weise hinsichtlich der Erörterungen in Bezug auf das Gutachten des Sachverständigen …[B] einen Darstellungsmangel auf. Der Umstand, dass es sich bei der Geschwindigkeitsmessung unter Verwendung des Messgeräts ESO 3.0 um ein standardisiertes Messverfahren handelt und konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für eine Fehlmessung nicht vorliegen, machte die Einholung eines Gutachtens entbehrlich. Dass die Bußgeldrichterin die Entscheidung zusätzlich auf das Ergebnis des Gutachtens gestützt hat, schadet nicht. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob – wie die Rechtsbeschwerde meint – sich die Bußgeldrichterin nicht in dem erforderlichen Umfang mit dem Gutachten auseinander gesetzt hat.“

Diesen Ausführungen hat sich der Senat angeschlossen. Ergänzend ist zu bemerken, dass eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Gerät ES 3.0 der Firma ESO GmbH aufgrund seiner Überprüfung und Zulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) standardisiert ist; es handelt sich somit um ein vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und seines Ablaufs so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. OLG Koblenz, 2 OWi 4 SsRs 42/17 vom 22. 05.2017; 2 OWi 4 SsRs 96/16 vom 21.09.2016 m.w.N.; 2 OWi 4 SsBs 49/16 vom 26.08.2016 m.w.N.). Damit konnten sich die Überprüfung und Darlegung der Tatrichterin darauf beschränken, ob konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion des Geräts oder Fehler bei seiner Handhabung vorliegen; verneinendenfalls bedurfte es im Rahmen der Beweiswürdigung lediglich der Angabe des angewandten Messverfahrens und seines Ergebnisses unter Mitteilung des damaligen berücksichtigenden Toleranzabzugs (stg. Rspr. seit BGH, 4 StR 627/92 v. 19.08.1993, juris Rn. 20 ff.; s. etwa OLG Koblenz 1 OWi 4 SsBs 59/16 v. 26.08.2016 mwN; 2 OWi 4 SsRs 42/17 vom 22.05.2017 m.w.N.) und der Mitteilung, dass die Bedienungsvorschriften beachtet wurden und das Gerät geeicht war (Senat, 2 SsBs 22/14 v. 07.05.2014, juris Rn. 10, ZfSch 2014, 530; OLG Oldenburg, Beschl. 2 SsRs 180/13 v. 010.7.2013, juris Rn. 3, NZV 2013, 512 mwN; OLG Celle, Beschl. 322 SsRs 328/11 v. 21.09.2011, juris Rn. 6). Diesen Anforderungen ist das Amtsgericht hier gerecht geworden. Da den Ausführungen des Sachverständigen …[B] insoweit lediglich ergänzende Bedeutung zukam, wären etwaige Darstellungsmängel ohne Belang.

Allerdings ist der Schuldspruch abzuändern, da die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts eine vorsätzliche Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit ergeben. Nach den Urteilsfeststellungen befuhr der Betroffene einen Bereich, in dem die außerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h vorgeschrieben war. Grundsätzlich darf der Tatrichter davon ausgehen, dass aufgestellte Verkehrszeichen von Verkehrsteilnehmern wahrgenommen werden; die Möglichkeit, dass ein Kraftfahrer ein Zeichen übersehen hat, braucht nur dann in Rechnung gestellt zu werden, wenn sich hierfür konkrete Anhaltspunkte ergeben oder der Betroffene dies im Verfahren einwendet (vgl. BGH, 4 StR 638/96 vom 11.09.1997 – BGHSt 43, 241 < Rdnr. 34 n. juris >; OLG Koblenz, 2 SsBs 128/12 vom 26.08.2013 – ZfSch 2014, 170 < Rdnr. 15 n. juris >; 2 OWi 6 SsBs 110/17 m.w.N.). Auch die Willenskomponente des Vorsatzes ist gegeben und ergibt sich aus den getroffenen Feststellungen. Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung ist die Annahme vorsätzlichen Handelns nicht davon abhängig, dass eine genaue Kenntnis der überhöhten Geschwindigkeit besteht; es genügt das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren (vgl. OLG Koblenz, 2 SsBs 26/14 vom 16.05.2014; Göhler/Gürtler, OWiG, 17. Aufl., § 10 Rdnr. 15 m.w.N.). Bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um – wie hier – 40 km/h ergibt sich aus den damit verbundenen sensorischen Eindrücken, hervorgerufen durch Motorgeräusch, Fahrzeugvibration und die Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung verändert, ein beweiskräftiges Indiz dafür, dass der Kraftfahrer die erlaubte Geschwindigkeit zumindest mit bedingtem Vorsatz überschreitet (vgl. OLG Koblenz, 2 SsBs 128/12 vom 26.08.2013 – ZfSch 2014, 170 ff. < Rdnr. 15 n. juris >; 2 SsBs 24/10 vom 12.04. 2010; OLG Koblenz, 2 SsBs 110/17 vom 03.01.2017). Der festgestellte Sachverhalt gibt keinen Anlass, hiervon ausnahmsweise abzusehen. Das auch im Bußgeldverfahren geltende Verschlechterungsverbot des § 79 Abs. 1 Satz 1 OWiG i.V.m. § 358 Abs. 2 StPO steht einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen (vgl. BGH, 4 StR 603/11 vom 18.07. 2012 – BGHSt 57, 282 < Rdnr. 19 nach juris >; OLG Koblenz 2 SsBs 110/17 vom 03.01.2017; Göhler/Seitz, OWiG, 17. Aufl., § 79 Rdnr. 37 m.w.N.).

Der Rechtsfolgenausspruch des amtsgerichtlichen Urteils kann keinen Bestand haben. Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu Folgendes ausgeführt:

„Insoweit bemängelt die Rechtsbeschwerde zu Recht eine mangelnde Darstellung der Voreintragungen im Fahreignungsregister, mit denen die Bußgeldrichterin die Erhöhung der Geldbuße begründet hat. Es ist schon nicht ersichtlich, ob es sich bei den mitgeteilten Daten um die Entscheidungs- oder um die Eintragungsdaten handelt; außerdem hätte es zumindest auch der Mitteilung der Rechtskraftdaten bedurft“.

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an. Gerade im Hinblick darauf, dass die Bußgeldrichterin im Rahmen der Strafzumessung auf die Zeitnähe der Voreintragungen abgestellt hat, ist es unabdingbar, konkrete Feststellungen hinsichtlich der jeweiligen Tatzeiten und des Eintritts der jeweiligen Rechtskraft der Entscheidung zu treffen.

Wegen dieses Rechtsfehlers hebt der Senat das Urteil im Rechtsfolgenausspruch auf. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache gemäß § 79 Abs. 6 OWiG an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Eine eigene Sachentscheidung des Senats scheidet mangels Feststellungen, auf die sie gestützt werden könnte, aus.

 

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