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Geschwindigkeitsüberschreitung – minder schwerer Fall bei Augenblicksversagen

AG Herford – Az.: 11 OWi – 73 Js 1574/10 – 590/10 – Urteil vom 13.07.2011

Der Betroffene wird wegen einer fahrlässigen außerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 35 km/h zu einer Geldbuße von 120,– Euro verurteilt.

Die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen trägt der Betroffene.

Angewendete Vorschriften: §§ 24 Abs. 2 StVG, 41 (Zeichen 274), 49 Abs. 3 Ziff. 4 StVO

TBNR: 141723

Gründe

I.

Der heute fast 45 Jahre alte Betroffene ist von Beruf Arbeiter. Im Nebenberuf ist er als Taxifahrer beschäftigt.

Im Verkehrszentralregister ist der Betroffene wie folgt eingetragen:

1. Mit Bußgeldbescheid des Kreises Herford vom 04.02.2009, rechtskräftig seit dem 20.02.2009, wurde gegen den Betroffenen wegen einer außerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 26 km/h eine Geldbuße in Höhe von 50,– Euro festgesetzt.

2. Die Stadt Bielefeld erließ am 20.03.2009 gegen den Betroffenen wegen einer außerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 22 km/h einen Bußgeldbescheid mit einer Geldbuße von 40,– Euro. Dieser Bescheid wurde am 15.04.2009 rechtskräftig.

3. Am 21.10.2009 setzte der Kreis Herford gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 350,– Euro und ein Fahrverbot von 1 Monat fest.

Dem Betroffenen wurde hierbei eine innerörtliche Geschwindigkeitsüberschreitung um 42 km/h zur Last gelegt. Dieser Bescheid ist seit dem 06.11.2009 rechtskräftig. Das festgesetzte Fahrverbot lief bis zum 05.02.2010.

4. Mit Bußgeldbescheid des Kreises Nienburg vom 04.03.2011, rechtskräftig seit dem 23.03.2011, kam es wegen einer außerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 29 km/h zu einer Geldbuße von 300,– Euro.

II.

Der Betroffene hat sich nunmehr wegen folgenden Vorfalles zu verantworten:

Der Betroffene befuhr am 27.02.2010 gegen 21.52 Uhr mit einem Taxi der Marke VW, amtliches Kennzeichen … in L. die außerorts gelegene B 61 in Fahrtrichtung O. . Beim Befahren dieser Strecke, die als vierspurige Kraftverkehrsstraße und als Zubringer zur Autobahn A 30 ausgebaut ist, achtete der Betroffene nicht genügend auf die aufgestellten Verkehrszeichen. Er ging davon aus, dass auf dieser Strecke, die ihm bestens bekannt war, eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h festgesetzt worden war. Zum Vorfallzeitpunkt war diese Höchstgeschwindigkeit jedoch auf 70 km/h herabgesetzt worden. Die geänderten Verkehrszeichen wurden am 17.02.2010 aufgestellt, nachdem die zuständige Straßenbaubehörde festgestellt hatte, dass auf der Kraftverkehrsstraße Frostschäden aufgetreten waren. Auf diese Fahrbahnschäden wurde zu Beginn der Kraftverkehrsstraße durch Zusatzschilder (Achtung, Fahrbahnschäden) hingewiesen. Die entsprechende Beschilderung war zu Beginn der Kraftverkehrsstraße sowohl am rechten Straßenrand als auch auf einer Verkehrsinsel in der Fahrbahnmittel angebracht worden. Etwa 150 m weiter stand am rechten Fahrbahnrand ein weiteres Verkehrszeichen mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, am Vorfalltage also mit der Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h. Weil die Kraftverkehrsstraße keinen Mittelstreifen aufweist, war es in technischer Hinsicht nicht möglich, auch auf der linken Seite dieses Verkehrszeichen zu wiederholen.

Es ließ sich nicht feststellen, wie die Verkehrssituation war, als der Betroffene auf die Kraftverkehrsstraße auffuhr. Möglicherweise fuhren zu diesem Zeitpunkt auf dem rechten Fahrstreifen mehrere Lkw, die die jeweils am rechten Straßenrand angebrachten Verkehrszeichen verdeckten. Wenn der Betroffene dann den linken Fahrstreifen benutzte, konnte er beim Auffahren auf die Kraftverkehrsstraße nur das auf der Mittelinsel angebrachte Verkehrszeichen mit der Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h und dem Zusatzzeichen „Achtung, Fahrbahnschäden“, erkennen. Aufgrund der Örtlichkeit war nicht auszuschließen, dass der Betroffene dieses Verkehrszeichen nicht bemerkte, weil es für ihn überraschend kam und möglicherweise teilweise durch das Zusatzzeichen verdeckt war. Es war weiter nicht auszuschließen, dass der Betroffene die Frostschäden nicht bemerkte, weil diese nicht so erheblich waren, wie von der Straßenbaubehörde eingestuft. Der Betroffene ging somit in nachvollziehbarer Weise davon aus, er könne auf der Kraftverkehrsstraße eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h fahren.

Als der Betroffene etwa 750 m weiter eine Meßstelle des Verkehrsdienstes der Polizei in B. passierte, überschritt er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h ganz erheblich. Diese Geschwindigkeitsüberschreitung wurde im Rahmen einer mobilen Geschwindigkeitskontrolle durch den Zeugen K. festgestellt. Der Zeuge K. setzte dabei ein Radarmeßgerät der Marke Multanova VR 6 F ein. Bei der ordnungsgemäß durchgeführten Radarmessung ergab sich eine Bruttogeschwindigkeit des Betroffenen in Höhe von 109 km/h. Abzüglich der vorgeschriebenen Toleranz von 4 km/h errechnete sich eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 105 km/h. Der Betroffene überschritt deshalb die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um mindestens 35 k m/h.

Diese Geschwindigkeitsüberschreitung hätte der Betroffene bei genügender Aufmerksamkeit erkennen und vermeiden können.

Diese Feststellungen beruhen auf der geständigen Einlassung des Betroffenen sowie der durchgeführten Beweisaufnahme, deren Inhalt und Umfang sich aus dem Sitzungsprotokoll ergibt.

III.

Bei dieser Sachlage musste der Betroffene wegen einer zumindest fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß den im Urteilstenor genannten Vorschriften mit einem Bußgeld belegt werden.

Bei der Bemessung der Geldbuße hat sich das Gericht nicht an den Regelsätzen der Bußgeldkatalogverordnung orientiert, sondern zu Gunsten des Betroffenen einen minder schweren Fall angenommen. Das ergab sich aus folgendem:

1.) Aufgrund der Örtlichkeit lagen Besonderheiten vor, die es rechtfertigten, nicht mehr von einem Regelfall auszugehen. Die Beschilderung der Kraftverkehrsstraße mit der Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h kam nämlich für den Betroffenen, ebenso wie für andere Kraftfahrer, überraschend und war nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Aus diesem Grunde konnte bei dem Betroffenen von einem „Augenblicksversagen“ ausgegangen werden, welches es rechtfertigte, einen minder schweren Fall anzunehmen. Für ein Augenblicksversagen sprach bereits der Umstand, dass im Frühjahr 2010 zahlreiche Kraftfahrer, ebenso wie der Betroffene, nicht bemerkten, dass auf der Zufahrtstraße zur Autobahn A 30 Frostschäden aufgetreten waren. Die Polizei führte am 27.02., 09.03., 23.03., 29.03. und 23.04.2010 jeweils Meßserien auf dieser Zufahrtstraße durch. Am 27.02.2010 wurden im Zeitraum von 20.45 Uhr bis 23.20 Uhr insgesamt 1084 Fahrzeuge gemessen. Der Grenzwert für die Messung lag dabei bei 89 km/h. Damit wurden alle Fahrzeuge erfasst, die mit einer Nettogeschwindigkeit von 16 km/h und mehr schneller waren als die erlaubten 70 km/h. Insgesamt kam es zu 228 Verfahren, davon 165 im Anzeigebereich mit einer Geldbuße ab 40,- Euro aufwärts. Am 09.03.2010 wurden in der Zeit von 14.45 Uhr bis 15.20 Uhr insgesamt 2324 Fahrzeuge gemessen, ebenfalls mit einer Grenzwertgeschwindigkeit von 89 km/h. Von den gemessenen Fahrzeugen waren 270 zu schnell. 238 Kraftfahrer lagen im Anzeigenbereich. Am 23.03.2010 erfolgte die Meßserie zwischen 18.30 Uhr und 21.15 Uhr. Diesmal passierten 1477 Fahrzeuge die Meßstelle, davon waren 297 zu schnell. 191 Fahrer wurden mit Anzeigen belegt. Die Meßserie vom 29.03.2010 begann um 18.15 Uhr und endete um 18.49 Uhr. 1671 Fahrzeuge wurden gemessen, wiederum mit einer Grenzwertgeschwindigkeit von 89 km/h. 300 Kraftfahrer waren zu schnell. Davon gab es insgesamt 185 Anzeigen und mindestens 87 Verwarngelder. Schließlich erfolgte noch am 23.04.2010 eine Meßserie. Einsatzbeginn war um 18.15 Uhr, Einsatzende 18.55 Uhr. 2176 Fahrzeuge fuhren an der Meßstelle vorbei. Bei einer Grenzwertgeschwindigkeit von 89 km/h fielen 240 Fahrzeuge wegen überhöhter Geschwindigkeit auf. In 203 Fällen gab es eine Anzeige im punktepflichtigen Bereich. Einige der Kraftfahrer, die bei diesen Meßserien auffielen, legten gegen den Bußgeldbescheid Einspruch ein. In den jeweiligen Verfahren trugen sie übereinstimmend vor, dass sie die aufgestellten Verkehrszeichen mit der Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nicht gesehen hätten, so dass sie von einer Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h ausgegangen seien. Irgendwelche Frostschäden hätten sie niemals bemerkt. Die Vielzahl dieser übereinstimmenden Einlassungen machte deutlich, dass es mit den Frostschäden, die angeblich eine Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit erforderlich machten, nicht weit her war. Im übrigen ist nicht auszuschließen, dass die Straßenbaubehörde die Höchstgeschwindigkeit wegen der Frostschäden hauptsächlich aus Haftungsgründen herabsetzte und nicht etwa im Hinblick auf die technische Befahrbarkeit der Straße. Bei den jeweiligen Meßserien fielen überproportional viele Kraftfahrer wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung auf. Ein solcher hoher Anteil ließ sich letztlich nur erklären, wenn viele dieser Kraftfahrer einfach nicht bemerkten, dass die Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h herabgesetzt war. Schon im Hinblick auf diese Umstände konnte nicht mehr von einem Regelfall der Bußgeldkatalogverordnung ausgegangen werden.

In der Beweisaufnahme ließ sich nicht klären, ob die Verkehrszeichen mit der Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h, die auf der rechten Fahrbahnseite aufgestellt waren, von dem Betroffenen überhaupt gesehen werden konnten. Zu diesen rechtsseitig aufgestellten Verkehrszeichen konnte festgestellt werden, dass das erste Verkehrszeichen nur wenige Meter nach Beginn der Zufahrtstraße zur Autobahn A 30 am rechten Straßenrand aufgestellt war. Etwa 150 m weiter folgte ein entsprechendes Wiederholungszeichen. Es ist gerichtsbekannt und ergab sich aus den entsprechenden Einlassungen in zahlreichen, ähnlich gelagerten Bußgeldverfahren, dass diese am rechten Straßenrand aufgestellten Verkehrszeichen für Kraftfahrer, die den linken Fahrstreifen benutzen, nicht gesehen werden können, wenn sich auf der rechten Spur eine Lkw-Kolonne bewegte. Eine solche Lkw-Kolonne kann im übrigen an der fraglichen Stelle immer wieder zu völlig unterschiedlichen Zeiten beobachtet werden. Bei der Bundesstraße B 61, die von der Autobahn A 2 kommt und durch B. O. zur Autobahn A 30 führt, handelt es sich nämlich um Teil einer internationalen Strecke, über die der Fernverkehr, von Berlin kommend, in Richtung Niederlande geht. Erfahrungsgemäß sind hier täglich Unmengen von Lkw unterwegs. Es war deshalb nicht auszuschließen und ohne weiteres vorstellbar, dass der Betroffene die auf der rechten Seite aufgestellten Verkehrszeichen nicht sehen konnte, weil er auf der linken Spur war und die Verkehrszeichen durch eine Lkw-Schlange auf der rechten Spur verdeckt waren.

Soweit es um das Verkehrszeichen mit der Höchstgeschwindigkeit 70 km/h auf der Mittelinsel ging, konnte nicht sicher geklärt werden, ob dieses Verkehrszeichen ohne weiteres gesehen werden konnte. In zahlreichen gleichgelagerten Bußgeldverfahren haben Betroffene immer wieder vorgetragen, dieses Verkehrszeichen sei durch ein davor stehendes Verkehrszeichen mit dem Hinweis „Gefahrenstelle, Straßenschäden“ verdeckt gewesen. Einzelheiten dazu konnten für den vorliegenden Tatzeitraum nicht sicher geklärt werden. Zu Gunsten des Betroffenen war demnach von einer eingeschränkten Wahrnehmungsmöglichkeit des Verkehrszeichens auf der Mittelinsel auszugehen.

Insgesamt lag damit eine ähnliche Situation vor, wie sie bei dem sogenannten Augenblicksversagen, also dem leicht fahrlässigen Übersehen eines einzigen Verkehrsschildes aus nachvollziehbaren Gründen, gegeben ist, so dass bereits deshalb schon ein minder schwerer Fall angenommen werden konnte.

2.) Ein Abweichen vom Regelfall und die Annahme eines minder schweren Falles war auch deshalb angezeigt, weil sich in der Beweisaufnahme nicht sicher klären ließ, aus welchem Grunde die Polizeibeamten die Meßserien überhaupt durchgeführt haben. Es bestand eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Polizeibeamten an der fraglichen Stelle nur deshalb gemessen haben, um Anzeigen zu schreiben, Verkehrssünder zu erwischen und ihr Monatspensum zu erwirtschaften. Eine Gefahrenstelle oder eine Stelle mit erhöhter Unfallhäufigkeit konnte nicht angenommen werden. Die Ermittlungen des Gerichts haben dazu ergeben, dass pro Tag mindestens 17.500 Kraftfahrzeuge die Zufahrtstraße von B. O. in Richtung A 30 befahren. Für diese Fahrtrichtung gab es im Jahre 2009 insgesamt 5 Unfälle, bei denen 7 Personen verletzt wurden. In zwei Fällen war Unfallursache ein fehlerhafter Fahrstreifenwechsel, einmal ein Fehler beim Überholen, einmal ein ungenügender Sicherheitsabstand und einmal die Benutzung der falschen Richtungsfahrbahn. Im Jahre 2010 ereigneten sich keine Unfälle auf der Richtungsfahrbahn O. Diese Zahlen machten deutlich, dass von einer Unfallhäufung oder einer Gefahrensituation nicht gesprochen werden konnte. Bei der Zufahrtstraße handelt es sich im übrigen um eine vierspurig ausgebaute Kraftverkehrsstraße, die nach etwa 1000 m in die Autobahn A 30 übergeht. Die jeweiligen Richtungsfahrbahnen sind in baulicher Hinsicht nicht voneinander getrennt, sondern nur durch Mittellinien abgegrenzt. Irgendwelche Einmündungen, Auffahrten oder Abfahrten gibt es nicht. Eine besondere Gefahrenlage oder ein schutzwürdiger Bereich, der Grund für die Meßserie gewesen sein könnte, war somit nicht gegeben. Als alleiniger legitimer Grund für die Meßserie konnte folglich nur der Wunsch der Polizei angesehen werden, einen sogenannten „Flächendruck“ zu erzeugen, mithin also Präsenz zu zeigen. Mit einer solchen Präsenz soll erreicht werden, dass die Verkehrsteilnehmer immer mit polizeilichen Kontrollen rechnen müssen und deshalb Anlass haben, sich immer und überall vorschriftsmäßig zu verhalten. In der vorliegenden Sache war es zweifelhaft, ob dieser Wunsch nach „Flächendruck“ bzw. Präsenz ausschlaggebendes Motiv für die Meßserien war. Eine solche legitime Zielrichtung hätte ohne weiteres angenommen werden können, wenn die Meßserie Teil eines landesweiten Programmes zur Überwachung der Geschwindigkeit gewesen wäre, insbesondere also dann, wenn von höherer Stelle, beispielsweise dem Innenministerium oder dem Regierungspräsidenten Anweisungen erteilt worden wären. Solche Anweisungen von „oben“ gab es jedoch nicht. Vielmehr bekundeten die Zeugen Kr… und K., dass sie in eigener Zuständigkeit Ende Februar 2010 beschlossen hatten, die Zufahrtstraße zur A 30 mehrfach auf Geschwindigkeitsverstöße zu überwachen. Dem Zeugen K. war nämlich wenige Tage nach Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h aufgefallen, als er nach einer Dienstfahrt über die Zufahrtsstraße fuhr, dass er dauernd überholt wurde, obwohl er die zulässige Höchstgeschwindigkeit beachtete. Allein diese Beobachtung des Zeugen K. war Anlass für die Meßserien. Der Zeuge K. nahm dabei keinen Kontakt mit der zuständigen Straßenmeisterei in L. auf, beispielsweise um abzuklären, aus welchem Grunde die Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf 70 km/h herabgesetzt war. Er unternahm auch keinerlei Anstrengungen, durch eine Verbesserung der Beschilderung die Kraftfahrer zu veranlassen, langsamer zu fahren. Der Zeuge K. und die weiteren Beamten des Verkehrsdienstes der Polizei B. beschränkten ihre Tätigkeit allein darauf, etwa 250 m vor Beginn der Autobahn A 30 eine Radarmeßstelle aufzubauen und dann abzuwarten, welche Fahrzeuge zu schnell waren und gemessen wurden. Ein solches Verhalten drängte zu der Annahme, dass es den Polizeibeamten um „das Schreiben von vielen Anzeigen“ ging. Es ließ sich nicht ausschließen, dass hauptsächlicher Grund der Messung also der Umstand war, dass in kurzer Zeit, also mit wenig Einsatz, viel Pensum erwirtschaftet wurde. In diesem Zusammenhang erwähnte der Zeuge K. beispielsweise, dass der Verkehrsdienst der Polizei B. in den letzten Monaten zahlreiche Sicherheitsgurtkontrollen im Bereich der Stadt B. durchgeführt habe, so dass die Anzahl der Verstöße drastisch herabgesunken sei. Nunmehr würden diese Sicherheitsgurtkontrollen im Bereich der Stadt L. in der Nähe der Kurstadt B. O. vorgenommen, weil dort zahlreiche Kurgäste unterwegs seien, die von den Überwachungsmaßnahmen noch nichts mitbekommen hätten, so dass es „sich lohnen würde“, in der Nähe von B. O. zu messen. Damit musste das Gericht zu Gunsten des Betroffenen zu dem Ergebnis kommen, dass die Polizeibeamten zum Vorfallzeitpunkt möglicherweise hauptsächlich nur deshalb gemessen haben, um möglichst viele Verkehrsteilnehmer anzeigen zu können. Es ging dann aber um eine Beschäftigungsmaßnahme der Polizei und nicht so sehr um eine Maßnahme zur Herbeiführung der Verkehrssicherheit. Eine polizeiinterne Beschäftigungsmaßnahme ist aber nicht mehr durch die Vorschriften der §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 1 OWiG gedeckt. Nach diesen Regelungen haben Polizeibeamte Ordnungswidrigkeiten „nach pflichtgemäßem Ermessen“ zu erforschen. Wenn es dabei um Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr geht, müssen bei der Ermessensausübung, ob und in welchem Umfang eine Tätigkeit aufgenommen werden soll, nur straßenverkehrsrechtliche Überlegungen eine Rolle spielen. Überwachungsmaßnahmen, beispielsweise durch Radarmessanlagen, verbunden mit einem Frontfoto, sind nach § 100 h StPO nur zulässig, so jedenfalls die obergerichtliche Rechtsprechung und das Bundesverfassungsgericht, wenn diese Maßnahmen der Verkehrssicherheit dienen. Für das vorliegende Verfahren konnten solche Gründe der Verkehrssicherheit nicht ohne weiteres entdeckt werden. Allenfalls das Argument des „Flächendrucks bzw. der Präsenz“ konnte herangezogen werden. Ob dieses Motiv letztlich ausschlaggebend war, musste offen bleiben. Insoweit ist zu beklagen, dass es bisher die Polizeibehörden bzw. die Straßenverkehrsämter nicht für nötig erachtet haben, irgendeine Dokumentation zum Anlass und zur Notwendigkeit der Geschwindigkeitsüberwachung zu den Akten zu reichen. Hier liegt ein großes Dunkelfeld vor, welches anfällig ist für sachfremde Überlegungen und Motivationen. Dieses Dunkelfeld hätte vermieden werden können, wenn jede Geschwindigkeitsmessung durch Polizeibeamte oder Straßenverkehrsbehörden vom Anlass und von den Unfallzahlen her dokumentiert und aktenkundig gemacht wird. Weil diese erforderliche Dokumentation fehlte, musste zu Gunsten des Betroffenen angenommen werden, dass in der vorliegenden Sache hauptsächlich sachfremde Erwägungen, nämlich eine polizeiinterne Beschäftigungsmaßnahme, eine Rolle spielten.

Insgesamt lag damit eine Situation vor, die es rechtfertigte, einen Regelfall nach der Bußgeldkatalogverordnung zu verneinen und einen Sonderfall anzunehmen. Aus diesem Grunde hat das Gericht das Fahrverbot, welches im Bußgeldbescheid für den Betroffenen als „Wiederholungstäter“ festgesetzt worden war, nicht übernommen. Es konnte vielmehr bei einer Geldbuße verbleiben, die insgesamt mit 120,– Euro schuld- und tatangemessen war.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 46 OWiG, 465 StPO.

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